Ein Platz zum Gesundwerden

Predigt am 29. Oktober 2000 zu Jakobus 5,13-16

13 Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. 14 Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl im Namen des Herrn. 15 Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. 16 Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.

Diese Verse sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass Gottes Wirken sich nicht auf geistige Dinge beschränkt, sondern in die Leiblichkeit, in das Materielle hinein reicht. Bei Jesus war das immer so, er zog ja gerade deshalb so viele Menschen an, weil er die Kranken heilte, und dieser Text ist einer von den vielen, die zeigen, dass auch in der ersten Christenheit Menschen durch Gottes Wirken gesund wurden. Das haben sie damals selbstverständlich erwartet. Wenn Gott als Mensch gekommen ist, um die Erde zu erneuern, wenn er seinen Heiligen Geist gesandt hat, um damit das Wirken Jesu unter den Menschen fortzusetzen – dann ist es klar, dass auch die Heilungen weitergehen müssen, so wie auch die Verkündigung Jesu weitergeht.

Das ist natürlich eine Herausforderung, weil da die Ergebnisse ganz anders überprüfbar sind. Wenn ich zu jemandem sage: Gott segne dich, das kann keiner so richtig überprüfen, da weiß man nicht genau, worin der Segen bestehen wird, aber wenn ich sage: sei geheilt im Namen Jesu, und der Rücken tut auch nach einer Woche noch weh, dann merkt jeder, dass irgendwas nicht geklappt hat.

Nach allen Erfahrungen ist es so, dass bei einigen Menschen, um deren Heilung gebetet wird, gar nichts passiert, einige werden sofort gesund, und bei den meisten verändert sich etwas: es gibt eine teilweise Besserung, es dauert einige Zeit, man kann auch nicht so ganz genau sagen, was nun auf das Gebet zurückzuführen ist und was einfach der ärztlichen Behandlung oder den Selbstheilungskräften des Körpers zu verdanken ist.

Es gibt übrigens inzwischen eine ganze Reihe von medizinischen Studien, die einen deutlichen Zusammenhang herstellen zwischen Gebet und Heilung. Ab und zu steht so eine kleine Meldung in der Zeitung, ich schneide mir das dann meistens aus, weil es doch schön ist, wenn so etwas auch ärztlich festgestellt wird. So haben Mediziner herausgefunden, dass Herzpatienten, für die gebetet wurde, weniger Komplikationen bekamen und deutlich schneller wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden konnten als Patienten, für die nicht gebetet wurde. Und bei einer anderen Untersuchung in den USA fand man heraus, dass Gottesdienstbesucher nur halb so viele Probleme mit den Herzkranzgefäßen hatten wie andere.

Es hat in der Christenheit durch die Zeiten hindurch immer wieder erstaunliche Erfahrungen mit dem heilenden Wirken Gottes gegeben, aber das wird nicht so laut erzählt, weil die einen nicht damit angeben möchten, und die anderen haben Angst, dass man sie dann für nicht ganz richtig im Kopf hält.

Hier im Jakobusbrief da wird ein Weg beschrieben, wie dieser Heilungsdienst in der Gemeinde am besten institutionalisiert werden kann. Am Anfang haben die Leiter und auch die ganz normalen Christen eben einfach gebetet, wenn sie mit einem Kranken zu tun hatten. Aber auf die Dauer müssen ein paar Dinge geklärt werden: An wen soll man sich wenden z.B.? Und Jakobus sagt: wende dich an die Ältesten der Gemeinde. Die »Ältesten«, das sind nicht fromme Greise, es sind aber auch nicht die, die nun gerade in den Kirchenvorstand gewählt worden sind. Älteste waren damals Leiter der Gemeinde mit geistlicher Zuständigkeit, man könnte sagen: Pastoren, aber das trifft es auch nicht richtig, denn die hatten damals anscheinend viele davon. Der geistliche Leitungskreis der Gemeinde ist eben gemeint. Die soll man bitten, für einen zu beten.

Wichtig ist dabei, dass jemand kommt und nachfragt. Der häufigste Grund, weshalb Menschen in der Gemeinde nicht gesund werden, ist nach meinem Eindruck, dass sie gar nicht erst kommen und um das Gebet bitten. Bei Jesus kamen die Menschen und baten ihn, dass er ihnen die Hände auflegt. Es ist offensichtlich für Menschen heute nicht einfach, um ein Gebet für Heilung zu bitten. Einmal, weil es immer schwer ist, um etwas zu bitten. Dann, weil man ja heute nicht weiß, wie die Angesprochenen reagieren werden. Aber dann auch, weil das ja doch ein deutliches Zeichen von Glauben ist, wenn ich um etwas im Namen Jesu bitte. Ich muss ja erwarten, dass Jesus heute die Welt verändert, und das ist eben nicht selbstverständlich. Mal ganz zu schweigen von denen, die gleich »Vorsicht, Sekte« schreien, wenn einer ein echtes Eingreifen Gottes erwartet.

Ich habe ab und zu mal Menschen gefragt: wäre es Ihnen recht, wenn ich für dieses Gesundheitsproblem bete? Man weiß ja nicht, ob jemand das möchte. Vielleicht wäre es ihm ja unangenehm. Und man muss sich schon aufraffen, um so zu fragen. Aber meistens haben sie dann ein bisschen verlegen genickt und waren eigentlich ganz froh, weil das nämlich auf jeden Fall eine Begegnung mit Gottes Liebe ist, wenn einer für mich betet, unabhängig vom gesundheitlichen Erfolg.

Aber es wäre einfacher, wenn man sich da nicht vorsichtig ranpirschen müsste, sondern wenn Menschen klar sagen würden, was sie möchten. Ich habe das schon manchmal erlebt, dass jemand mir sagt: besuch doch mal die Frau Sowieso, die braucht dringend etwas Zuspruch, und dann komme ich hin und Frau Sowieso macht den Eindruck, dass bei ihr alles in Butter ist. Alles in Ordnung, nein, kein Problem, mir geht’s gut! – und ich denke: warum bist du eigentlich hier?

Also, es wäre für alle besser, wenn einer das klar sagen würden: bitte bete für mich, dass meine Zuckerkrankheit weggeht oder dass meine Kopfschmerzen besser werden.

Hier bei Jakobus ist das also vorausgesetzt, dass der Kranke den Pastor holen läßt. Damit ist der Grund des Besuches klar und man kann gleich zur Sache kommen.

Dann kommt die Sache mit dem Öl, mit dem der Kranke gesalbt werden soll. Öl war damals so eine Art Medizin für alles, so wie wir vielleicht gegen alles mögliche Aspirin nehmen. Man hatte ja damals wenig Arzneien, und da hat man eben oft Öl genommen. Man kann also sagen: Beten und Medizin schließen sich gegenseitig nicht aus. Das kommt beides von Gott, wenn auch auf anderen Wegen.

Öl ist aber auch ein Zeichen für den Kontakt mit dem Geist Gottes, man redet mit einem Fachwort auch von der »Salbung« durch den Heiligen Geist. Öl ist also in seiner Bedeutung nicht genau festgelegt, es kann einfach Medizin bedeuten oder auch den Kontakt mit Gott. Aber ein bisschen haben heute ja Tabletten auch diese doppelte Funktion: sie sollen die Krankheit heilen, und gleichzeitig bedeuten sie auch Zuwendung und Trost, und manchen Menschen hilft tatsächlich ein Placebo, also Tabletten, in denen eigentlich nur ein bisschen bunter Zucker drin ist.

Auf jeden Fall erinnert diese Salbung mit Öl daran, dass geistige Vorgänge bei uns immer auch eine körperliche Seite, eine materielle Seite haben. Jesus hat den Menschen die Hand aufgelegt, er hat einem Taubstummen die Finger in die Ohren gesteckt und einem Blinden einen Brei aus Lehm und Spucke auf die Augen getan, es war fast immer eine intensive Berührung dabei. Auch wenn Gott uns anrühren will, dann wählt er dazu oft einen Weg mit – ich nennen es mal: einer materiellen Komponente. Das Wasser bei der Taufe und Brot und Wein beim Abendmahl sind weitere Beispiele. Vielleicht zeigen Salbung und Handauflegen eben einfach deutlicher als Worte: du bist gemeint, dein ganzer Mensch. Weder nur deine Seele, noch dein purer Körper, sondern im Zusammenhang von Körper und Seele bist du der Mensch, dem Gott begegnen will.

Deswegen kommt hier an dieser Stelle auch ein Zusammenhang zur Sündenvergebung. Da muss man nun zuerst sagen, dass dieser Zusammenhang im Neuen Testament nicht häufig ist. Die Geschichte von der Heilung des Gelähmten, dem Jesus zuerst die Sünden vergibt, ist das andere bekannte Beispiel. Wir haben die Geschichte vorhin gehört. Jesus war da ganz ungrundsätzlich. Die meisten hat er einfach so geheilt, einige hat er erst auf Sünden angesprochen.

Es ist wichtig, dass man hier entsprechend dem biblischen Befund keine Regeln aufstellt. Krankheit kann in der Tat mit den Sünden des Kranken zu tun haben. Bei manchen Unfällen oder bei Lungenkrebs durch Rauchen ist das ganz deutlich, in andern Fällen kann man es jedenfalls vermuten. Das Ganze wird aber falsch, wenn man jemandem, der nicht geheilt worden ist, sagt: ja, dann muss bei dir wohl noch eine geheime Sünde vorliegen, oder vielleicht ist es ja eine Sünde deiner Eltern, die sich jetzt so auswirkt. Da ist so ein armer Kerl schon krank, und dann muss er sich auch noch rechtfertigen, was er denn getan hat, wenn er nicht durch Beten gesund wird. Oder man sagt ihm: du glaubst eben nicht richtig! Schrecklich, was man da manchmal an christlichen Taktlosigkeiten und Gemeinheiten hört, nicht so sehr hier aus unserer Gemeinde, aber man glaubt es gar nicht, wie schlimm manchmal Christen miteinander umgehen können. Klar kann Krankheit mit Sünde zu tun haben, aber es sollte uns zur Vorsicht mahnen, dass dieser Zusammenhang im Neuen Testament nicht häufig hergestellt wird. Jesus hat viele Menschen ganz ohne Sündenbekenntnis geheilt.

Auch ganz ohne Krankheit kann Sünde in einem Leben weitreichende Wirkungen haben. Menschen, die sich aus irgendeinem Grund schuldig fühlen, die können manchmal riesige Abwehrbauten errichten, Rechtfertigungsgebäude, mit denen sie beweisen, dass die andern es auch alle tun und dass die andern ja viel schlimmer sind. Menschen greifen andere an und beschuldigen sie, Menschen entwickeln ein phänomenales Gedächtnis für die Schwächen und Fehltritte anderer und wissen noch nach 20 Jahren davon zu erzählen, was einer da mal gemacht hat – und vielleicht alles nur, weil sie Munition in Reserve haben wollen für den Fall, dass jemand sie selbst beschuldigt. Schuld kann zerstörerisch sein, und es ist gut, wenn es einen Ort gibt, wo man sich darüber klar werden kann und dann auch die Vergebung noch einmal deutlich zugesprochen bekommt. Es ist ja in den meisten Fällen so, dass die Schuld nicht offen zu Tage liegt, sondern schwer entwirrbar verknüpft ist mit Irrtümern, Zufällen und fremder Schuld, und da ist ein zweiter gut, der hilft, dieses Knäuel zu entwirren. Wichtig ist, dass der dieses Wissen nicht ausnutzt, um mich darauf hinzuweisen, dass er das schon immer gesagt hat und was es da noch gibt an kleinen Gemeinheiten.

Dass man einem andern gegenüber etwas ausspricht, was einem immer wieder in den Sinn kommt und das Herz in Unruhe hält, das ist ein deutlicher Schritt zur Heilung. Wenn wir mit dem Unglück und unseren Fehlentscheidungen allein sind, dann sind sie stärker als wir. Wenn wir mit einem anderen darüber reden, dann schrumpfen sie zusammen. Die Luft ist raus. Allerdings würde ich aufpassen, dass das ein Menschen ist, der einerseits verschwiegen ist, andererseits aber auch nicht besserwisserisch oder strafend, denn ich gebe ja dem, dem ich so etwas erzähle, eine gewisse Macht über mich, und ich muss Vertrauen haben, dass er die nicht missbraucht.

Ob nun körperliche Heilung oder seelische Bedrückung aus der Vergangenheit – Gott will, dass die Gemeinde ein Ort ist, wo Menschen, Christen wie Nichtchristen, Heilung und Befreiung finden können.