Freude und Befreiung

Predigt am 25. Dezember 2012 (Weihnachten I) zu Galater 4,3-7

Als wir unmündig waren, waren wir in der Sklaverei unter den Mächten der Welt. 4,4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, 4,5 damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. 4,6 Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! 4,7 So bist du nun nicht mehr Sklave, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

Gott hat Jesus gesandt, weil er freie Menschen wollte. Menschen, die aufrecht durchs Leben gehen, Menschen mit Rückgrat und Souveränität. Gott liebt freie Menschen. Deshalb war ein großer Teil von dem, was Jesus tat, Befreiung. Er trieb böse Geister aus, die sich in Menschen breit gemacht hatten, er befreite seine Jünger von der Ehrfurcht vor frommen Traditionen, er befreite seine Zuhörer von ihrer Hoffnungslosigkeit, er befreite Menschen von der Bedrückung durch körperliche Krankheiten und Behinderungen. Er befreite Menschen von den Sorgen, die sie nicht schlafen ließen. Am Ende, bei seiner Auferstehung, befreite er alle, die an ihn glauben, von der Todesangst.

Um Jesus herum herrschte die Freude an der Freiheit. Eine Freude, die immer dann entsteht, wenn Menschen Lasten und Gewichte von den Schultern fallen und sie überhaupt erst merken, wie sehr sie von denen niedergedrückt waren.

Wir alle wissen, was das für eine Atmosphäre gibt, wenn Menschen unter Bedrückung leben: bedrückt von einer aussichtslos vorkommenden Lebenssituation, oder eingeschüchtert von Psychoterror und Mobbing, gehetzt von ihren Terminen, zermürbt von Krankheiten und Schmerzen, durch Schulden wie gelähmt oder durch politische Unterdrückung zu dauernder Vorsicht verurteilt.

Paulus sagt: so etwas ist fast immer nicht nur die Gemeinheit von einzelnen Personen, sondern da hinter stehen die großen Mächte, die die Welt regieren. Also, es ist z.B. nicht nur der eine fiese Kollege, der einem das Leben schwer macht, sondern es ist der ganze Druck, der ins System reinkommt, wenn immer mehr rationalisiert wird und immer mehr in immer kürzerer Zeit erledigt werden soll. Und dahinter noch einmal die Macht des Geldes, die sich immer weiter ausbreitet in der Welt.

Paulus sieht die Welt so, dass sie von Mächten und Gewalten regiert wird, die stärker sind als die einzelnen Menschen. Stattdessen werden die einzelnen Menschen zu Teilen so einer Macht und müssen unter Umständen Dinge tun, die sie eigentlich gar nicht wollen. Und dann sagen sie: ich würde Ihnen ja gerne weiterhelfen, aber ich habe leider meine Vorschriften, es geht nicht. Immer wenn du das Gefühl hast: ich bin ohnmächtig, ich kann nicht machen, was ich eigentlich gern tun würde und was auch sinnvoll wäre, dann hast du es mit solchen Mächten zu tun, kleinen oder großen.

Und wenn du das oft genug erlebt hast, dann bekommst du entweder Zweifel an dir selbst und fragst dich, ob du denn überhaupt was bewegen kannst; oder du gibst irgendwann deine Reserve auf und wirst ein Funktionär, der aus Überzeugung alles ausführt, was von oben kommt. Wie auch immer, die Mächte hinterlassen ihre Spuren an den Menschen. Und manchmal wissen sie auch nach äußerer Befreiung nicht mehr, wie Freiheit eigentlich geht.

Ich habe mal ein Bild gesehen von einer Wasserschildkröte, die sich als junges Tier in einem Plastikring verfangen hatte. In den Meeren schwimmt ja inzwischen so viel Plastikzeugs rum, dass es für die Tiere schon richtig gefährlich wird. Jedenfalls hatte sich der Plastikring genau in der Mitte des Körpers um den Panzer der Schildkröte gelegt. Dann war die Schildkröte gewachsen, aber der Ring hatte sie immer stärker eingeschnürt. Als man sie fing, hatte sie vorne und hinten ihre normale Größe, aber in der Mitte behielt sie eine Wespentaille. Ich weiß nicht, ob Sie sich das vorstellen können, es sah wirklich ganz merkwürdig aus.

Als man sie gefangen hatte, da hat man natürlich den Ring durchgeschnitten und die Schildkröte befreit. Aber der knöcherne Panzer, der so lange zusammengedrückt worden ist, der hat diese Form angenommen. Vielleicht dehnt er sich im Laufe der Zeit ein bisschen aus, besonders, weil das Tier noch nicht ausgewachsen war, aber es wird verkrüppelt bleiben. Der jahrelange Druck hat Spuren hinterlassen.

Und so ging es auch den Christen in Galatien, an die Paulus hier schreibt. Als er mit dem Evangelium zu ihnen kam, da waren sie so froh und dankbar, sie waren endlich die Furcht vor den Göttern und Mächten los, die sie bis dahin verehrt hatten, sie hätten aus Dankbarkeit alles für Paulus getan. Aber als die erste große Freude vorüber war, da schlichen sich langsam doch wieder die alten Ängste ein, die gewohnte Unfreiheit kam heimlich zurück. Und Paulus schreibt ihnen diesen Brief, damit sie sich erinnern: Jesus ist der Befreier, und jetzt lasst euch nicht Schritt für Schritt wieder in die alten Mechanismen der Unfreiheit zurückholen!

Und er erklärt es ihnen noch einmal: früher, da wart ihr Sklaven der großen Mächte, sie haben euch eure Lebenskraft geraubt und euch für ihre Zwecke ausgebeutet, ihr wart ihnen wehrlos ausgeliefert. Aber das ist doch vorbei! Ihr seid nicht mehr ohne Alternative. Ihr habt Jesus kennengelernt, und sein Geist wohnt in euren Herzen, und deshalb seid ihr nicht mehr Sklaven der Mächte, sondern Söhne und Töchter Gottes!

Jesu ist genau dazu gekommen: um für normale Menschen einen neuen Weg zu öffnen. Und dazu ist er selbst ein ganz normaler Mensch geworden. Damit hinterher keiner sagen kann: ja, als Sohn Gottes hat er natürlich leicht reden, der weiß ja gar nicht, wie es als Mensch ist. Wie ohnmächtig ich bin oder mich jedenfalls fühle, das kann nur ein Mensch verstehen, der das miterlebt hat.

Deswegen ist Jesus von einer Menschenfrau geboren worden, damals in Bethlehem, damit er das Menschenleben wirklich kennt. Und von Anfang an hat er das Leben von der mühsamen Seite her erlebt.

Und Jesus ist unter das Gesetz getan worden, also in die Linie des jüdischen Volkes hineingestellt worden, zu der Gruppe von Menschen, die sich herumschlagen mit der mühsamen Aufgabe, hier auf der Erde Volk Gottes zu sein und eine Alternative zu verkörpern, die sie selbst nicht zustande bekommen.

Und wenn es Jesus schafft, unter diesen Bedingungen trotzdem einen überzeugenden Weg zu gehen, ein starkes neues Leben zu leben, dann kann keiner mehr sagen, wir wären den großen Mächten schutzlos ausgeliefert. Wenn Jesus sogar am Kreuz noch an Gott festhält und seinem Weg treu bleibt, dann haben alle, die zu ihm gehören, Anteil an einer Macht, die den Mächten überlegen ist. Wenn er der wahre Sohn Gottes ist, dann kann er auch uns zu Erben der Welt machen.

Wir müssen für einen Augenblick mal die wörtliche Übersetzung nehmen und sagen Söhne Gottes statt Kinder Gottes, auch wenn dann die Töchter fehlen. Natürlich sind da genauso die Frauen gemeint, aber wenn man »Kinder Gottes« übersetzt, um Frauen und Männer gleich zu behandeln, dann hat man den unerwünschten Nebeneffekt, dass wir bei »Kindern« schnell an kleine, unmündige Wesen denken, die noch nicht viel von der Welt wissen und sich deswegen noch ihr unschuldiges kindliches Herz bewahren konnten. Aber so ist es gerade nicht gemeint! Gemeint sind hier die erwachsenen Söhne und Töchter Gottes, denen der Vater Stück für Stück die Vollmacht über das Erbe anvertraut, obwohl er noch lebt und nicht vor hat, so schnell zu sterben.

Der biblische Gegenbegriff zum Sklaven ist nicht der Freie, sondern der Sohn. Das ist ein wichtiger Unterschied, weil im Bild des Sohnes oder der Tochter immer dies mitschwingt, dass da ein Vater ist, von dem die erwachsenen Kinder das Erbe übernehmen. Das biblische Ideal ist nicht der Freie, der mit niemandem verbunden ist und unabhängig durchs Leben geht. Wer von nichts und niemandem abhängig ist, der wird ganz schnell ein Sklave seiner eigenen Launen. Und dann wird es nicht lange dauern, bis er seine Freiheit verliert und irgendeinem neuen Unterdrücker zufällt. Das hat Jesus genial geschildert in der Geschichte vom verlorenen Sohn, der mit einem Haufen Geld völlig frei in die Welt zieht und als hungernder Schweinehirte endet.

Nein, dieses biblische Bild vom Vater und dem Sohn bedeutet so etwas wie den Eigentümer eines großen Betriebes, und sein Sohn ist jetzt erwachsen, und der Vater geht mit ihm durch den Betrieb und zeigt ihm alles und sagt ihm: das wird eines Tages alles dir gehören, und du wirst dafür verantwortlich sein. Deshalb brauchst du dich hier von niemandem mehr rumkommandieren zu lassen, du bist der Juniorpartner. Du hast jederzeit Zutritt zu mir, du bekommst meine Geheimnummer, damit du mich immer anrufen kannst, wenn du willst. Und ich bin gespannt, was du für Ideen hast und wie du überhaupt über die Firma denkst – ruf mich einfach an oder komm vorbei, ich freue mich darauf, mit dir darüber zu reden. Dafür habe ich immer Zeit!

Der Betrieb, in dem wir so empfangen werden, das ist die Welt. Gott gibt uns besondere Rechte in der Welt. Wir sind gemeinsam mit Jesus die künftigen Erben, die schon jetzt Autorität ausstrahlen. Und die anderen merken das. Wenn Christen diese Freiheit auch praktizieren, dann fallen sie auf. Wir können mit hocherhobenem Haupt durch die Welt gehen. Wir sind hier zu Hause. Auch wenn wir manchmal das Gefühl haben: wie sollen wir gegen diese ganzen anonymen Mächte ankommen, und wie sollen wir erst Menschen davon befreien, die sich so sehr in der Unterdrückung eingerichtet haben? Aber die Verbindung zum Chef steht, wir haben die Nummer, wir können mit ihm die Lage besprechen. Schritt für Schritt muss die Unterdrückung weichen. Deshalb betont Paulus so sehr, dass Gottes Geist in unserem Herzen wohnt und uns lehrt, richtig zu beten. Das ist die Geheimnummer, der direkte Zugang zum Chef, zum Vater.

Wer diese Sicht hat, geht ganz anders durch die Welt. Die Freunde Jesu lassen sich nicht mehr einschüchtern. Sie lassen sich nicht mehr in die unterdrückerische, neurotische Kultur integrieren, die an so vielen Stellen herrscht, und in der viele mit Haut und Haar drinstecken.

Und es ist alle Zeit und Energie wert, die neue Freiheit zu erlernen und einzuüben und zu verteidigen. Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn. Es ist Zeit, dass er auch bei uns ankommt. Dass wir die Sklavengesinnung verlieren und gemeinsam mit unserem Vater im Himmel die Verantwortung für diese Erde übernehmen.

Schreibe einen Kommentar