Gottes schwer durchschaubare Wege zum Sieg

Predigt am 8. Oktober 2000 zu Apostelgeschichte 12,1-24

1 Um diese Zeit ließ König Herodes verschiedene Mitglieder der Gemeinde von Jerusalem festnehmen und schwer misshandeln. 2 Jakobus, den Bruder von Johannes, ließ er enthaupten. 3 Als er merkte, dass dies den Juden gefiel, ging er noch einen Schritt weiter und ließ auch Petrus gefangennehmen – gerade in den Tagen des Passafestes. 4 Petrus wurde ins Gefängnis gebracht; zu seiner Bewachung wurden vier Gruppen zu je vier Soldaten abgestellt, die einander ablösen sollten. Herodes wollte ihm nach dem Fest vor allem Volk den Prozess machen. 5 So saß Petrus also streng bewacht im Gefängnis. Die Gemeinde aber betete Tag und Nacht inständig für ihn zu Gott.

6 In der Nacht, bevor Herodes ihn vor Gericht stellen wollte, schlief Petrus zwischen zwei der Wachsoldaten, mit Ketten an sie gefesselt. Vor der Tür der Zelle waren die zwei anderen als Wachtposten aufgestellt. 7 Plötzlich stand da der Engel des Herrn, und die ganze Zelle war von strahlendem Licht erfüllt. Der Engel weckte Petrus durch einen Stoß in die Seite und sagte: »Schnell, steh auf!« Da fielen Petrus die Ketten von den Händen. 8 Der Engel sagte: »Leg den Gürtel um und zieh die Sandalen an!« Petrus tat es, und der Engel sagte: »Wirf dir den Mantel um und komm mit!« 9 Petrus folgte ihm nach draußen. Er wusste nicht, dass es Wirklichkeit war, was er da mit dem Engel erlebte; er meinte, er hätte eine Vision. 10 Sie kamen ungehindert am ersten der Wachtposten vorbei, ebenso am zweiten, und standen schließlich vor dem eisernen Tor, das in die Stadt führte. Das Tor öffnete sich von selbst. Sie traten hinaus und gingen die Straße entlang, doch als Petrus in die nächste einbog, war der Engel plötzlich verschwunden. 11 Als Petrus zu sich kam, sagte er: »Es ist also wirklich wahr! Der Herr hat seinen Engel geschickt, um mich vor Herodes zu retten und vor dem zu bewahren, was das jüdische Volk sich erhofft hat!«

12 Als ihm das klargeworden war, ging er zu dem Haus, das Maria gehörte, der Mutter von Johannes mit dem Beinamen Markus. Dort waren viele Christen versammelt und beteten immer noch für seine Freilassung. 13 Petrus klopfte an das Hoftor, und die Dienerin Rhode kam, um zu hören, wer draußen sei. 14 Als sie Petrus an der Stimme erkannte, vergaß sie vor Freude, das Tor zu öffnen; sie rannte ins Haus und meldete, Petrus stehe draußen. 15 »Du bist nicht ganz bei Verstand!« sagten die im Haus. Und als Rhode darauf bestand, meinten sie: »Das ist sein Schutzengel!« 16 Petrus aber klopfte und klopfte, bis sie schließlich aufmachten. Als sie ihn sahen, gerieten sie außer sich. 17 Er bat mit einer Handbewegung um Ruhe und erklärte ihnen, wie ihn Gott aus dem Gefängnis befreit hatte. »Berichtet das Jakobus und allen anderen Brüdern und Schwestern!« sagte er. Dann verließ er Jerusalem.

18 Als es aber Tag wurde, entstand eine nicht geringe Verwirrung unter den Soldaten, was wohl mit Petrus geschehen sei. 19 Als aber Herodes ihn holen lassen wollte und ihn nicht fand, verhörte er die Wachen und ließ sie abführen. Dann zog er von Judäa hinab nach Cäsarea und blieb dort eine Zeitlang.

20 Er war aber zornig auf die Einwohner von Tyrus und Sidon. Sie aber kamen einmütig zu ihm und überredeten Blastus, den Kämmerer des Königs, und baten um Frieden, weil ihr Land seine Nahrung aus dem Land des Königs bekam. 21 Und an einem festgesetzten Tag legte Herodes das königliche Gewand an, setzte sich auf den Thron und hielt eine Rede an sie. 22 Das Volk aber rief ihm zu: Das ist Gottes Stimme und nicht die eines Menschen! 23 Alsbald schlug ihn der Engel des Herrn, weil er Gott nicht die Ehre gab. Und von Würmern zerfressen, gab er den Geist auf.

24 Und das Wort Gottes wuchs und breitete sich aus.

Durch diese ganze äußere Geschichte mit ihren politischen Rahmenbedingungen und abenteuerlichen Wendungen zieht sich eine zweite, eine, Geschichte vom Gebet der Gemeinde. Während Petrus im Gefängnis ist und das alles erlebt, betet die Gemeinde für ihn. Aber es ist kein besonders zuversichtliches Gebet. Vielleicht kennen Sie das, dass man mehr aus Pflicht und Gewohnheit betet als mit der festen Überzeugung, dass sich jetzt durch dieses Gebet der Arm Gottes bewegen wird.

Jedenfalls scheinen sie, als Petrus tatsächlich zu ihnen kam, nicht gerade gesagt zu haben: »Na, da bist du ja endlich, wir hatten dich eigentlich schon vor zwei Stunden erwartet. Komm, setz dich, wir haben dir noch was vom Abendbrot aufgehoben.« Sie waren eher bereit zu glauben, dass da ein Geist vor der Tür steht, als sich zu freuen, dass ihr Gebet beantwortet worden ist. Das ist ja nett erzählt, wie Rhode zur Tür geht und vor lauter Überraschung vergisst aufzuschließen und Petrus hereinzulassen. Rhode heißt zu deutsch etwa Röschen. Also, Röschen läßt Petrus vor lauter Verblüffung vor der verschlossenen Tür, die anderen Leute sagen: Röschen, du spinnst! und Petrus gerät in die nicht ungefährliche Lage, immer weiter klopfen zu müssen und vielleicht noch die Polizei auf sich aufmerksam zu machen.

Das sind die Geschichten, an die man sich später immer noch erinnert: weißt du noch, wie Röschen damals vergessen hat, Petrus aufzuschließen? Einfach vergessen!

Und es war ja auch, wie es dann eben so ist: das ganze Passafest über, sieben Tage lang, war Petrus im Gefängnis, aber erst am letzten Tag, in der letzten Nacht vor dem entscheidenden Prozess, kam Petrus frei. Sieben Tage und Nächte hindurch erfolglos zu beten, da wird man müde und mürbe, jedenfalls, wenn es einem um den Erfolg des Betens geht. Und so eine Fürbitte, der geht es ja um den Erfolg, die ist kein Selbstzweck.

Ich weiß nicht, warum Gott Petrus nicht schon in der ersten Nacht befreit hat. Ich weiß nicht, warum er Petrus befreit hat, aber den Tod des Jakobus, der ja auch zum Kreis der ersten Jünger Jesu gehört, hat er nicht verhindert. Und für den werden sie doch auch gebetet haben. Wir erleben das ja auch selbst oft genug, dass wir Gottes Entscheidungen nicht wirklich begreifen. Der Zusammenhang zwischen unserem Beten und dem, was dann passiert, ist kein Zusammenhang wie sonst zwischen Ursache und Wirkung. Zwischen unserem Bitten und dem, was dann passiert, steht kein Naturgesetz, sondern der lebendige Gott in seiner Freiheit. Er übersieht die Zusammenhänge der Welt, wir sehen immer nur ein bisschen. Manches glauben wir zu verstehen, anderes bleibt undurchschaubar, und manchmal ahnen wir nur, was wohl der Grund sein könnte, dass etwas so und nicht anders kommt.

Man könnte sich z.B. fragen, ob es Gott bei Petrus darum geht, ihn vorzubereiten auf die Aufgaben, die vor ihm liegen. Er setzt sich ja nicht aus Angst aus Jerusalem ab, sondern er wird in Zukunft das Christentum im ganzen römischen Reich ausbreiten, wahrscheinlich mit Schwerpunkt auf der Hauptstadt. Und vielleicht muss er vorher noch einmal ganz deutlich die Macht Gottes erfahren, damit er sich auch in Zukunft von der politischen Macht mit ihren Kerkern und Wärtern nicht beeindrucken läßt. Und er scheint ja auch schon vor seiner Befreiung genug Gottvertrauen entwickelt zu haben, um fest schlafen zu können, selbst in der Nacht vor seinem zu erwartenden Todesurteil, das dann wohl auch gleich vollstreckt worden wäre. Trotzdem, er hat anscheinend so fest geschlafen, dass der Engel ihn richtig treten musste, um ihn wachzukriegen. Er hatte anscheinend auch emotional gelernt: ich bin in Gottes Hand, was können mir Menschen tun? – außer mit Gottes Zustimmung, und dann ist es in Ordnung.

Ich denke, wenn man das alles einmal mitgemacht hat, vom Miterleben der Hinrichtung des Mitjüngers, über den ersten Schreck der eigenen Gefangennahme, dann den Kampf mit der eigenen Angst und das Erleben der Ungewissheit im Gefängnis, bis hin zum Vertrauen auf Gottes Souveränität, die einen trotz allem ruhig schlafen läßt, und dann schließlich noch die wunderbare Rettung: wer so etwas am eigenen Leibe erlebt hat, der geht danach ganz anders durch die Welt, und der ist geheilt von allzu großer Rücksichtnahme auf die großen und kleinen Herren der Welt.

Auf der anderen Seite enthält diese Geschichte eine sehr deutliche Warnung an diese Machthaber, nur werden sie die nicht hören: es ist gefährlich, die Menschen anzugreifen, die unter dem Schutz Gottes stehen, und dazu gehört in erster Linie die Gemeinde, aber auch z.B. die Fremden, die Ausländer und die Witwen und Waisen jeder Art gehören dazu. Die Wachsoldaten bekommen als erste zu spüren, wie gefährlich das ist: wenn die nämlich verhört und abgeführt werden, dann werden sie zur Hinrichtung abgeführt. Der Moloch, dem sie gedient haben, frisst sie als erste.

Dann aber auch Herodes: er hat sozusagen versucht, mit Christenfeindlichkeit Politik zu machen, heute würde man das »Populismus« nennen, wenn man an die Vorurteile und die niederen Instinkte der Menschen appelliert und damit Politik macht, z.B. mit der Abneigung gegen Ausländer. Und Herodes stirbt genau in dem Moment, als er mit seinem Populismus den bisher größten Erfolg feiert, als er sozusagen als Medienstar der damaligen Zeit sogar die Einwohner feindlicher Städte beeindruckt.

Ich glaube inzwischen, dass das bis heute einer der verlässlichsten Zusammenhänge im Reich Gottes ist, dass man nicht ungestraft bleibt, wenn man die Menschen verfolgt, die unter Gottes besonderem Schutz stehen. Das scheint prompter bestraft zu werden als andere Sünden. Und die Strafe hat oft einen deutlichen Zusammenhang mit dem, was man da getan hat. Es gibt Ausnahmen, das stimmt, und bevor es soweit ist, dass die Verfolger stürzen, richten sie erst noch viel Schaden an, aber man kann nur jeden davor warnen, aus Hass oder Eigennutz die Menschen anzutasten, die unter der besonderen Fürsorge Gottes stehen. Auch wenn Sie sich heute in der deutschen Politik umsehen und schauen, wie es denen geht, die versucht haben, mit unterschwellig fremdenfeindlichen Kampagnen Wahlen zu gewinnen, dann werden Sie das ganz deutlich bestätigt finden.

Auf der anderen Seite ist es nicht Sache der Gemeinde, um diese Bestrafung der Verfolger zu beten. Das macht Gott in eigener Initiative. Wir sollen uns nicht gegen Menschen stellen, damit würden wir ihnen zu viel Ehre antun und uns selbst zu stark in die Gefahr der Feindseligkeit bringen. Wir sollen sie Gott überlassen: er kümmert sich schon um sie.

Die dritte Größe in der Geschichte von der Befreiung des Petrus ist die Gemeinde: vielleicht mussten die tatsächlich lernen, bis an die Grenzen der Zermürbung weiter zu beten, mit Zuversicht Gott zu bestürmen, auszuhalten. Gott, so ist hier zu lernen, Gott antwortet auf das Gebet seiner Leute, aber manchmal dauert es, und das lange Ausbleiben der Antwort macht die Seele müde. Vielleicht war das eine Übung, um den Glaubensmuskel zu stärken. Aber das sind Vermutungen und Ahnungen. Und im Nachhinein klingt das gut, aber wenn man selbst so mitten drin ist zwischen Hoffen und Bangen, dann sieht es immer noch ganz anders aus.

Jedenfalls scheint es so zu sein, dass es unser eigentliches Ziel ist, durch unsere Fürbitte etwas zu verändern, aber Gott scheint mindestens so sehr daran interessiert zu sein, uns durch unsere Fürbitte zu verändern. Und er ist vielleicht dann am Ziel mit uns, wenn uns auch eine verweigerte dringende Bitte nicht irre macht an ihm. So wie ja auch Jesus darum bat, dass ihm der Tod erspart werde, aber er hat sich nicht von Gott losgesagt, als er doch sterben musste.

Es kann durchaus sein, dass Gott mit der Gemeinde gerade jetzt einen Schritt weitergehen wollte. Es heißt ja am Ende, dass nach all diesen Ereignissen die Zahl der Glaubenden zunahm. Das ist normalerweise immer dann der Fall, wenn die Gemeinde ein höheres geistliches Niveau erreicht. Vielleicht hatten sie schon angefangen, sich auf dem erreichten auszuruhen. Vielleicht hatten sie Gottes Pläne für die ganze Welt aus den Augen verloren. Vielleicht mussten sie auch ihren Respekt vor den Herren der Welt verlieren, der sich schon wieder eingeschlichen hatte.

Auch wenn wir in diesen Einzelheiten immer nur ahnen und vermuten, eins bleibt ganz deutlich: Jesus hat die Dinge in der Hand. Aber seine Herrschaft bleibt für viele Augen verborgen. Sie realisiert sich so, dass auch wir es nicht vollständig begreifen. Der Sieg Jesu ist bis auf weiteres oft unter dem verborgen, was wie das Gegenteil aussieht. Aber es ist richtig, diesen Sieg Jesu als feste Größe in die eigenen Überlegungen mit einzubeziehen. Das wird auch schon in dieser Welt immer wieder deutlich für den, der Augen hat, zu sehen, und es wird in der kommenden Welt für alle unübersehbar sein.