Kalte Duschen in schwierigen Zeiten – trotzdem standfest

Predigt im Besonderen Gottesdienst am 16. Juni 2002 mit Apostelgeschichte 12,1-10

Mit kalten Duschen sind gemeint die täglich neuen Überraschungen, auch unangenehme Überraschungen, die das Leben so mit sich bringt. Bei dem einen sind das die neuesten Börsennachrichten, bei dem anderen das heisere Röhren, das einem sagt, dass der Auspuff wieder mal kurz davor steht, sich zu verabschieden. Ob Großes oder Kleines – wie wir auf solche Überraschungen reagieren, sagt etwas darüber, wer wir sind. Die Frage ist: Wie gehen wir um mit kalten Duschen?

Im Gottesdienst war vor der Predigt eine Theaterszene zu sehen, in der ein Sohn seinen Vater an dessen Arbeitsplatz im Büro besucht. Er ist erstaunt darüber, wie stark dessen Verhalten durch die Geschehnisse um ihn herum bestimmt wird. In einem Augenblick ist der Vater liebevoll und zugänglich, aber sobald er schlechte Nachrichten erhält, attackiert er seinen Sohn verbal. Jonny ist völlig verwirrt, als er innerhalb kurzer Zeit zweimal Zeuge eines solchen Wandels wird.

1 Um diese Zeit ließ König Herodes verschiedene Mitglieder der Gemeinde von Jerusalem festnehmen und schwer misshandeln. 2 Jakobus, den Bruder von Johannes, ließ er enthaupten. 3 Als er merkte, dass dies den Juden gefiel, ging er noch einen Schritt weiter und ließ auch Petrus gefangennehmen – gerade in den Tagen des Passafestes. 4 Petrus wurde ins Gefängnis gebracht; zu seiner Bewachung wurden vier Gruppen zu je vier Soldaten abgestellt, die einander ablösen sollten. Herodes wollte ihm nach dem Fest vor allem Volk den Prozess machen. 5 So saß Petrus also streng bewacht im Gefängnis. Die Gemeinde aber betete Tag und Nacht inständig für ihn zu Gott.

6 In der Nacht, bevor Herodes ihn vor Gericht stellen wollte, schlief Petrus zwischen zwei der Wachsoldaten, mit Ketten an sie gefesselt. Vor der Tür der Zelle waren die zwei anderen als Wachtposten aufgestellt. 7 Plötzlich stand da der Engel des Herrn, und die ganze Zelle war von strahlendem Licht erfüllt. Der Engel weckte Petrus durch einen Stoß in die Seite und sagte: »Schnell, steh auf!« Da fielen Petrus die Ketten von den Händen.

8 Der Engel sagte: »Leg den Gürtel um und zieh die Sandalen an!« Petrus tat es, und der Engel sagte: »Wirf dir den Mantel um und komm mit!« 9 Petrus folgte ihm nach draußen. Er wusste nicht, dass es Wirklichkeit war, was er da mit dem Engel erlebte; er meinte, er hätte eine Vision. 10 Sie kamen ungehindert am ersten der Wachtposten vorbei, ebenso am zweiten, und standen schließlich vor dem eisernen Tor, das in die Stadt führte. Das Tor öffnete sich von selbst. Sie traten hinaus und gingen die Straße entlang, doch als Petrus in die nächste einbog, war der Engel plötzlich verschwunden.

Wir haben heute zwei Typen menschlichen Verhaltens kennengelernt, und es sind beides Extremmodelle. Dass Menschen normalerweise nicht so massiven Stimmungsschwankungen unterliegen wie der Vater im Stück am Anfang, das ist klar, die Szene überzeichnet natürlich.

Und auf der anderen Seite ist die Geschichte von Petrus im Gefängnis natürlich auch nicht der Normalfall christlichen Lebens. Die meisten Christen, auch die entschiedenen, geraten nicht wegen ihres Glaubens in unmittelbare Todesgefahr.

Aber, wie das so ist, an herausgehobenen Spitzenfällen versteht man manche Dinge einfach besser. Und deswegen lassen Sie uns diese beiden Menschen einander gegenüberstellen und ihre Art, mit stürmischen Zeiten und Belastungen umzugehen.

Der Vater in der ersten Szene ist der typische Fall eines außengeleiteten Menschen. Er ist abhängig von jeder neuen Schicksalswendung, von jeder neuen Nachricht, alles schlägt sofort auf seine Laune durch. Launen sind ein Zeichen eines außengeleiteten Menschen, der ist ganz stark davon abhängig, was ihm gerade zustößt. Man fragt sich, wie dieser Mann es schafft, doch offensichtlich gar nicht so schlecht zu verdienen. Vielleicht ist er ja zielstrebig in beruflichen Dingen, aber in den zwischenmenschlichen Beziehungen ist er disziplinlos und lässt alles an anderen aus. Da fehlt Stabilität, da fehlt Tiefgang, so wie ein Segelschiff einen tiefen Kiel braucht, wenn es stürmische See überstehen will. Aber den hat er offensichtlich nicht.

Auf der anderen Seite ist da Petrus, der ja ursprünglich auch mal ein impulsiver Mensch war, stark von seinen Gefühlen und Eingebungen geleitet. Und als jetzt dieser Petrus im Gefängnis ist – und das war keine Untersuchungshaft, sondern es war schon klar, dass ihm das Schlimmste bevorstand – also, was macht der Mann im Gefängnis? Er schläft! Seelenruhig liegt er da in seinen Ketten, zwischen den beiden Aufpassern, und er schläft! Glauben Sie, dass die beiden Soldaten geschnarcht haben? Ich bin mir sicher, dass mindestens einer davon aus Leibeskräften gesägt hat, aber Petrus schläft trotzdem. Es ist. als ob diese ganze bedrohliche Situation gar nicht bis zu ihm durchkommt.

Woran liegt das? Ich glaube, es sind zwei Dinge:

  • einmal: Petrus hat die Auferstehung Jesu erlebt, und danach hat er keine Angst mehr gehabt. Er hat das Allerschlimmste miterlebt, und dann hat er erlebt, wie die Kraft Gottes das trotzdem überwunden hat. Wenn man das miterlebt hat, dann kann einen nichts mehr schrecken. Dann sagt man zu einem Herodes: was kannst du mir schon tun? Ich bin in Gottes Hand, und wenn du mich tötest, dann werde ich ebenso wie Jesus in Gottes Leben eingehen. Und bei Petrus ist das so tief gerutscht, das ist nicht nur eine Überzeugung in seinem Verstand, sondern das ist auch tief unten in seinem Schlafzentrum fest verankert, und er grübelt nicht, er macht sich keine Sorgen, er schläft, tief und erholsam, und es reicht nicht, dass der Engel Licht in der Zelle verbreitet, nein, er muss Petrus erst einmal unsanft anstoßen, bevor der wach wird.
  • Das andere ist: die Gemeinde betet für Petrus. Und das ist der andere Faktor, der dafür sorgt, dass Petrus schlafen kann. Denn es ist ja so, dass wir nicht nur die richtigen Dinge wissen und fühlen müssen, sondern sie müssen auch im richtigen Moment bei uns präsent sein. Nun kann man zwar davon ausgehen, dass die Auferstehung Jesu bei Petrus sehr lebendig war, er hat sie nicht nur als erster bemerkt, er hat auch dauernd davon gesprochen, er hat diesem Sachverhalt in seinem Leben einen großen Raum gegeben, aber trotzdem ist es eben doch möglich, dass sich in so einer bedrohlichen Lage einfach etwas anderes davor schiebt, dass Petrus das, was er eigentlich weiß, aus dem Blick verliert, und deshalb ist es wichtig, dass die Gemeinde für ihn betet, damit er in dieser geistlichen Wirklichkeit bleibt.
    Und natürlich ist es wichtig, dass die Gemeinde um Hilfe und Befreiung betet. Obwohl da gar nicht genau steht, worum sie beten, es heißt nur, dass sie eben inständig, mit großer Energie, für ihn beten.

Wir haben jetzt zwei Punkte gefunden, die entscheidend dazu beitragen, dass der Petrus eben nicht wie ein Blatt im Wind hin und her schwankt, abhängig von der jeweiligen äußeren Großwetterlage, sondern er bleibt sich treu, er bleibt ganz zuverlässig bei seiner Sache, die er als richtig erkannt hat.

Es ist diese Verwurzelung in der Wirklichkeit Gottes, von der er herkommt und die dann jeweils in der Situation neu aktualisiert wird. Die gibt ihm die Standfestigkeit, mit der er auch kalte Duschen und Feuerproben übersteht.

In der Bibel wird dieser Zusammenhang immer wieder mit ganz verschiedenen Bildern beschrieben. z.B. das Bild vom Baum, der Wurzeln hat, die bis zum Grundwasser oder bis zu einem Fluss reichen. Wenn ein Baum solche Wurzeln hat, dann kann es Trockenheit geben, das macht ihm gar nichts, der Baum hat ja Wasser. Im Gegenteil, solange er Wasser hat, kann er die eigentlich gefährliche Hitze nutzen, um mit der vollen Sonnenenergie Wachstum und schöne süße Früchte hervorzubringen.

Das heißt, es ist nicht so, dass einer, der in Gottes Wirklichkeit verwurzelt ist, gar nicht mehr darauf achtet, wie die Welt aussieht. Auch ein Baum stellt sich ja sehr genau aufs Wetter ein. Aber durch die Verwurzelung hat er ganz andere Möglichkeiten, mit der eigentlich bedrohlichen Lage umzugehen und sie sogar für etwas Positives zu nutzen. Das ist ja gerade die Botschaft von der Auferstehung Jesu, dass Gott auch aus dem Bösesten etwas überwältigend Gutes machen kann. Und dann erst recht aus nicht ganz so schlimmen Dingen.

Der Vater in der ersten Szene hätte seine Verluste bei den Aktien ja auch nutzen können, um seinen Sohn zu sagen: schau an, lerne aus dem, was deinem Vater da passiert, lass die Finger von riskanten Spekulationen! Oder er hätte sagen können: das ist jetzt zwar ärgerlich, aber was ist schon Geld im Vergleich dazu, dass wir uns gut verstehen, das ist doch das wirkliche Glück! Auch wenn er kein Christ ist, hätte er doch solche Möglichkeiten. Auch Nichtchristen haben natürlich in gewissem Maß Zugang zu der Freiheit, die Gott in uns hineingelegt hat. Aber er schafft das nicht, er hat keinen Abstand, sondern er bleibt einfach dem Augenblick verhaftet.

Jesus hat seinen Jüngern zum Abschied den »Frieden« zugesprochen. Ich habe die beiden prägnantesten Stellen dazu auf dem Programm abgedruckt. »Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt.«

Die Welt, das Weltsystem, das gibt uns äußere Sicherheiten, und die beruhigen ein ganzes Stück weit, aber man muss dafür auch oft einen Preis bezahlen. Und wir kennen alle Geschichten davon, wie äußere Sicherheiten zusammenbrechen können wie ein Kartenhaus. Wer seine Zuversicht auf äußere Sicherheiten gesetzt hat und dann erlebt hat, wie die zusammenbrachen, der ist manchmal für den Rest seines Lebens verstört und fragt sich und andere immer wieder: worauf soll man denn noch vertrauen?

Dagegen sagt Jesus: setzt eure Zuversicht auf die geistliche Wirklichkeit, auf den Frieden, den ich euch gebe, indem ich euch die Welt Gottes aufschließe, indem ich den Weg freimache für den Heiligen Geist, indem ich zu euch komme und bei euch wohne.

Es ist klar, Gott ist immer da und er ist überall. Aber wir nehmen ihn erst dann wahr, wenn sich seine Gegenwart sozusagen verdichtet, dass er nicht nur allgemeiner Hintergrund der Welt ist, sondern uns mit deutlichen Konturen begegnet. Wie er z.B. massiv Gestalt gewinnt in dem Engel, der zu Petrus kommt. Und es ist klar, dass das selbst in der Bibel nicht alltägliche Erlebnisse sind. Das passiert auch einem Petrus nur ganz selten, dass ihm Ketten von den Händen fallen und Tore vor ihm von selbst aufspringen. Und er ist ja auch von diesem Lichtglanz des Engels so geblendet, dass er das alles wie halb im Traum erlebt. Wenn wir auf solch eine verdichtete Form der Gegenwart Gottes stoßen, dann sprengt das unseren normalen Erlebnisrahmen, wir kommen uns vor, als ob wir träumen, und wir fragen uns hinterher: war das real, oder habe ich mir das eingebildet?

Und genau daran liegt es wahrscheinlich, dass so etwas auch in der Bibel selten passiert. Gott will uns nicht überrennen und überwältigen, sondern er bewahrt die Integrität unserer Person. Am Anfang gibt er uns manchmal schon einen kräftigen Stoß, damit wir merken, dass er da ist. Aber er geht mit der Verdichtung seiner Gegenwart immer nur so weit, wie wir es verkraften können, ohne einfach aufgesogen und aufgelöst zu werden. Unter Menschen gibt es das ja, dass ein Starker die anderen einfach so zu einer Verlängerung seiner Persönlichkeit macht. Diktatoren versuchen das, und in manchen Ehen soll es auch vorkommen. Aber Gott will gerade das nicht. Deshalb verdichtet er Seine Gegenwart nur selten zu einer so massiven Gestalt wie einem Engel, der uns einen Stupser in die Seite gibt. Er konzentriert sich eher auf Formen, die weniger massiv sind und wo wir auch mehr Möglichkeiten haben, uns zu verschließen: sein Wort, sein Heiliger Geist, sein Name. Dazu können wir »Nein« oder »Jein« sagen. Und als er in seiner ganzen Fülle unter uns wohnte, nämlich in Jesus, da war es ein Mensch, der arm war und andere eben nicht mit Macht und Persönlichkeitskraft unterwarf. Man konnte und kann Jesus zurückweisen.

Aber von diesen erlebbaren Konzentrationen der Wirklichkeit Gottes lebt der Glaube. Das ist die Substanz, die aller christlichen Wirklichkeit zugrunde liegt. Das ist der Kernbestand christlicher Tradition, nur irgendwann kann man nicht nur von den Spuren Gottes in der Vergangenheit leben, sondern das soll für jeden von uns authentisch lebendig werden: dass wir der verdichteten Form der Gegenwart Gottes begegnen. Und wir wünschen uns das zu Recht! Dafür sind wir geschaffen, das Angesicht Gottes zu sehen und Ihm zu begegnen. Das ist der richtige Wunsch.

Und es ist ja kein Geheimnis, das es oft die schwierigen Zeiten sind, die uns dazu herausfordern, genau darauf zu hoffen, weil die anderen Sicherheiten sich nämlich in stürmischen Zeiten oft als trügerisch erwiesen haben. Dass wir uns daran gewöhnen, mehr und mehr mit der geistlichen Wirklichkeit Jesu zu rechnen und zu leben, mit seinem Frieden, das ist der beste Schutz, die beste Vorbeugung für Zeiten, in denen es härter kommt. Selbst ein Petrus war nicht so fest darin, dass er ohne das Gebet der Gemeinde ausgekommen wäre. Und wir sind nicht so fest, dass wir nicht die kleinen und großen Probleme des Tages als Trainingsgebiet brauchen würden, um Gottes Zuverlässigkeit und deutliche Gegenwart noch viel besser kennenzulernen.