Echte und nachgemachte Herrlichkeit

Predigt am 6. Januar 2013 zu 2. Korinther 4,3-6

3 Wenn das Evangelium, das wir verkünden, 4 trotzdem wie mit einer Decke verhüllt ist, dann ist das bei denen der Fall, die verloren gehen, 4 weil sie der Wahrheit keinen Glauben schenken. Der Gott dieser Welt hat sie mit Blindheit geschlagen, sodass ihr Verständnis verfinstert ist und sie den strahlenden Glanz des Evangeliums nicht sehen, den Glanz der Botschaft von der Herrlichkeit dessen, der Gottes Ebenbild ist – Christus.
5 Bei unserer Verkündigung geht es schließlich nicht um uns, sondern um Jesus Christus, den Herrn; wir sind nur Diener – eure Diener, weil Jesus uns damit beauftragt hat. 6 Denn derselbe Gott, der gesagt hat: »Aus der Finsternis soll Licht hervorstrahlen!«, der hat es auch in unseren Herzen hell werden lassen, sodass wir in der Person von Jesus Christus den vollen Glanz von Gottes Herrlichkeit erkennen.

Paulus beschreibt hier einen massiven Kontrast zwischen der Herrlichkeit des Evangeliums und seinem Glanz und der Blockade, die Menschen hindert, dieses Evangelium mit seinem Glanz wahrzunehmen.

Da ist zuerst das Evangelium: es bringt die Person Jesu Christi zu den Menschen. Es transportiert die Wirkung, die Jesus auf die Menschen hatte, zu denen, die Jesus nicht selbst gekannt haben. Man muss sagen: das ist ein Wunder, dass die Ausstrahlung eines Menschen in eine Botschaft umgesetzt werden kann, dass die Botschaft, die Paulus, aber auch viele andere, mitbringen, dieselbe Art von Wirkung hat wie die Präsenz des lebendigen Jesus.

Man kann das noch weiter fassen und die Lebensbeschreibungen Jesu, die vier Evangelien, mit dazu nehmen, die dann ein bisschen später geschrieben worden sind, und sagen: es ist ein Wunder, dass es die vier Evangelisten hingekriegt haben, das Leben und die Person Jesu so zu beschreiben, dass er bis heute dadurch für Menschen als Person erkennbar wird und sie beeinflusst und beeindruckt. Und deshalb hat nicht nur Jesus selbst Herrlichkeit und Glanz, sondern auch das Evangelium, das ihn transportiert, hat Anteil an seiner Herrlichkeit. Und das ist die Herrlichkeit Gottes selbst, die sich in Jesus spiegelt.

In diesem Abschnitt – und auch schon vorher – arbeitet Paulus immer wieder mit dem Gedanken vom Glanz der Herrlichkeit Gottes. Die Vorstellung dahinter ist, schon vom Alten Testament her, dass Gott in seiner eigentlichen Gestalt eine strahlende Herrlichkeit hat. Sie ist so groß, dass Menschen sie nicht ertragen könnten, und deshalb kann niemand Gott ins Gesicht schauen. Jedenfalls nicht mehr jetzt, nachdem sich die Menschen von ihm abgewandt haben. Im Paradies kam Gott öfter mal vorbei und redete mit Adam und Eva, und das war unproblematisch, da wird nichts über diesen hellen Lichtglanz berichtet. Damals waren die Menschen selbst wohl noch so sehr von diesem Glanz geprägt, dass er ihnen gar nicht auffiel.

Aber außerhalb des Paradieses, als sich die Menschen verändert hatten, da wurde für sie der Lichtglanz, die Herrlichkeit Gottes, erschreckend. Der war so anders als alles, was sie sonst kannten. Und trotzdem beeindruckend.

Und nun arbeitet Paulus in diesen ganzen Versen daran, seine Gemeinde in Korinth davon zu überzeugen: über dem, was wir in der christlichen Bewegung erleben, darüber liegt der Glanz dieser Herrlichkeit Gottes. Hier bei uns ist sie wieder zu sehen. Derselbe Gott, der in unseren Herzen aufgeleuchtet ist (nämlich als Heiliger Geist), der hat schon die Erschaffung der Welt damit begonnen, dass er gesagt hat: es werde Licht! Gottes Werk ist es immer, Licht zu bringen: im denkbar größten Bereich, nämlich der ganzen Schöpfung, und im denkbar kleinsten Bereich, dem menschlichen Herzen. Die Skala von Gottes Handeln reicht vom Größten bis zum Kleinsten und über alle Grade dazwischen, aber es geht immer darum, Licht zu bringen, die Dunkelheit zu vertreiben und Glanz aufstrahlen zu lassen. Ob groß oder klein – Gottes Handschrift bleibt immer dieselbe. Und bei uns zeigt sie sich Tag für Tag.

Und jetzt muss man sich die Zumutung vorstellen, wenn Paulus sagt: diese Herrlichkeit ist unter uns. Das waren vielleicht 50 oder 150 Leute in einer Großstadt wie Korinth, so wenige, dass sie noch nicht mal verfolgt oder angefeindet wurden, und das soll die Herrlichkeit Gottes sein? Oder Paulus selbst! Ein bisschen vorher beschreibt er seinen Weg durch das antike römische Reich als Triumphzug – er gebraucht also das Bild von der Siegesparade, die römische Kaiser nach einem Sieg im Krieg veranstalteten: wo der Feldherr und die Soldaten sich feiern ließen, wo die Beute und die Gefangenen vorgeführt wurden, wo die ganze Macht des römischen Großreichs zur Darstellung kam. Es war die faszinierendste Form der Machtdarstellung und die eindrucksvollste Propaganda, die es damals gab. Und dann kommt Paulus, der aus vielen Orten hastig abreisen musste, weil es zu viel Ärger gab, der öfter mal im Gefängnis landete, ausgepeitscht wurde, der immer wieder mal im Zentrum von Konflikten stand, die nicht eindeutig geklärt wurden – und der nennt seine Reisen durchs römische Imperium einen »Triumphzug«! D.h., er mutet seinen Leuten zu, die Welt mit völlig anderen Augen zu sehen: der eigentliche Triumphzug ist nicht die Propagandainszenierung der römischen Kriegsherren, sondern der abenteuerliche Weg des unbekannten Juden Paulus von Tarsos durch Kleinasien und Griechenland.

Im Rückblick betrachtet ist inzwischen schon deutlich, dass er mindestens historisch Recht gehabt hat: von den militärischen Errungenschaften ist wenig übriggeblieben, das römische Reich ist vergangen wie viele andere vor ihm auch, aber die Briefe von Paulus werden immer noch studiert und geben unzähligen Menschen Orientierung. Aber wie kühn war das damals, so etwas zu behaupten: meine improvisierte Rundreise um das ägäische Meer ist der wahre Triumphzug unserer Zeit!

Deswegen sagt Paulus auch sofort: glaubt bloß nicht, mir ginge es darum, aus mir ein Denkmal zu machen. Es geht nicht um mich. Ich bin nur wie ein billiger Tontopf, in dem eine unglaublicher Schatz verborgen ist, und es kommt nicht auf den Tontopf an, sondern auf den Schatz. In den Versen danach wird er sehr offen davon reden, dass er manchmal nicht weiter weiß und sich am Ende fühlt. Aber er sagt: in meinem äußerlich gesehen so wenig strahlendem Leben realisiert sich doch für den, der es sehen kann, die Herrlichkeit Gottes. Und genauso realisiert sie sich in den paar Christen von Korinth.

Die Frage ist nun: warum sehen das nicht alle so? Warum haben selbst die Christen von Korinth ihre Schwierigkeiten, die Sache so zu sehen? Das ist nämlich der Grund, weshalb Paulus das Ganze schreibt: anscheinend gab es in Korinth Leute, die meinten, Paulus müsste doch ein bisschen mehr Glanz ausstrahlen, er müsste ein bisschen mehr Guru sein, der die Leute mit Tricks und Persönlichkeit einfängt. Warum reicht ihnen nicht das Evangelium?

Und da stoßen wir auf die Blockade, die Menschen hindert, den göttlichen Glanz des Evangeliums wahrzunehmen. Der Gott dieser Welt hat den Menschen die Wahrnehmung so gründlich verdorben, dass sie die Welt nur verzerrt sehen. Sie sind beeindruckt von einem kaiserlichen Triumphzug und sehen einfach nicht mehr das Blut, das dafür geflossen ist und das Elend der Gefangenen. Sie sehen nicht die Intrigen und Karriereambitionen dahinter, sie denken nicht an die Sklavenhändler, die reich geworden sind mit dem Verkauf der Kriegsgefangenen, sie sehen nur die tolle Inszenierung und jubeln: lang lebe der Kaiser! Und dann fällt auch ein klein wenig von dem kaiserlichen Glanz auf den Jubler am Straßenrand in der dritten Reihe zurück.

Wenn aber ein Paulus durch die Welt zieht und es schafft, überall Menschen die Augen zu öffnen, sie herauszuholen aus der Verblendung durch die Propaganda, sie in solidarischen Gruppen zu organisieren (in denen es aber auch immer mal wieder knirscht und kracht), wenn sich ihm in aussichtslosen Lagen doch immer wieder Wege öffnen, und wenn er in allem den Mut nicht verliert, obwohl er über keins der üblichen Machtmittel verfügt – da fangen sie an zu meckern und finden, dass da zu wenig Glanz drauf liegt.

Paulus dreht die Frage um: wie kommt es, dass ihr bei dem, was ich tue, den göttlichen Glanz nicht seht? Wie gesagt, es geht nicht um ein Denkmal für mich, sondern es geht darum, dass ihr Gott die Ehre gebt für das Großartige, was er tut durch zerbrechliche Menschen wie mich und euch. Wenigstens die Christen müssten doch Augen haben für das, was wirklich Herrlichkeit und Glanz ist und verstehen, wie wichtig und entscheidend das ist, was unter ihnen geschieht, in aller Schwäche und Fragwürdigkeit.

Wenigstens die Christen müssten frei sein von dem Einfluss der Propaganda, die einen falschen Glanz verkauft und die Menschen auf eine falsche Stärke vertrauen lässt. Die Propaganda, die uns die Opfer nicht sehen lässt, die Menschen und Schöpfung abgepresst werden, damit wir in einem Scheinglanz leben können. So viel in unserer Umgebung ist inszenierter Glanz, Glamour, gestylte Großartigkeit, und wenn du dahinter guckst, findest du einfach Menschen, die auch nicht glücklicher sind als andere und ihre Beziehungen genauso gekonnt oder ungekonnt leben; und manchmal wird auch deutlich, wie erbärmlich wenig menschliche Substanz hinter der glitzernden Fassade ist.

Oder all die glänzenden Produkte, die uns präsentiert werden, und wir vergessen darüber, dass an ihnen der Schweiß schlecht bezahlter Arbeiter in Asien klebt oder das Blut aus Bürgerkriegen in Afrika. Das ist die Propaganda des Gottes dieser Welt und seiner Repräsentanten. Sie lässt uns das eigentlich offensichtliche nicht sehen.

Paulus versucht dagegen, seinen Korinthern die Augen zu öffnen für das, was wirkliche, göttliche Herrlichkeit ist: wenn Menschen unabhängig werden von dem falschen Schein, der immer Opfer kostet und uns nicht in Gottes Nähe bringt. Wenn Menschen mitten in einer Welt voller Zerstörung und Ausbeutung an heilen, gerechten Beziehungen bauen, die von Gottes Geist bewegt sind. Wenn Menschen zurückfinden zu dem echten Glanz, von dem alle künstlichen Inszenierungen nur eine Karikatur sind. Wenn Menschen die Macht Gottes kennenlernen, die sich in persönlicher Stärke zeigt und nicht in äußeren Machtmitteln.

Da hat sich Herrlichkeit in ein menschliches Maß zurückgenommen und versucht nicht mehr, Menschen zu überwältigen, sondern zu gewinnen. Da nimmt Gott unser Maß an und kommt mit seiner Herrlichkeit in unseren Alltag. Und das ist für ihn die wichtigste Sache der Welt. Dann sollte das auch für uns das sein, worauf wir mit aller Konzentration schauen, was für uns wichtiger ist als alles ander, und worauf wir unsere ganze Hoffnung setzen.

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