Wer aufbricht muss lernen – auch Abraham (Abraham II)

Predigt am 26. August 2001 zu 1. Mose 12,10-20; 13,1-18

10 Damals brach im Land Kanaan eine schwere Hungersnot aus. Darum suchte Abram Zuflucht in Ägypten. 11 Als er an die ägyptische Grenze kam, sagte er zu Sarai: »Ich weiß, dass du eine schöne Frau bist. 12 Wenn die Ägypter dich sehen, werden sie sagen: ‚Das ist seine Frau‘, und sie werden mich totschlagen, um dich zu bekommen. 13 Sag deshalb, du seist meine Schwester, dann werden sie mich deinetwegen gut behandeln und am Leben lassen.«

14 In Ägypten traf ein, was Abram vorausgesehen hatte. Überall fiel Sarai durch ihre Schönheit auf. 15 Die Hofleute priesen sie dem Pharao in den höchsten Tönen, und er ließ sie in seinen Palast holen. 16 Ihr zuliebe war er freundlich zu Abram und schenkte ihm Schafe und Ziegen, Rinder, Esel und Kamele, Sklaven und Sklavinnen. 17 Doch weil der Pharao sich die Frau Abrams genommen hatte, bestrafte der HERR ihn mit einer schweren Krankheit, ihn und alle andern in seinem Palast.

18 Da ließ der Pharao Abram rufen und sagte zu ihm: »Warum hast du mir das angetan? Du hättest mir doch sagen können, dass sie deine Frau ist! 19 Aber du hast sie für deine Schwester ausgegeben, nur deshalb habe ich sie mir zur Frau genommen. Nun, sie gehört dir; nimm sie und geh!« 20 Der Pharao bestellte eine Abteilung Soldaten und ließ Abram mit seiner Frau und seinem ganzen Besitz über die Grenze bringen.

In Abrahams Welt ging es rau zu. Ein Fremder war ziemlich schutzlos, der konnte schnell mal überfallen und ausgeraubt werden, und zur Beute wurden dann auch die Menschen, die ihm gehörten. Dass Menschen anderen Menschen gehörten, als Sklaven oder auch als Bewohnerinnen des Harems eines Herrschers, das war damals normal. Was uns heute als ziemlich niederträchtig vorkommt, dass einer seine Frau opfert, um selbst ungeschoren zu bleiben, das war durchaus im Rahmen des damaligen Horizonts, und so etwas wird auch in der Bibel meiner Zählung nach von mindestens drei verschiedenen Männern berichtet. Was Sara dabei gedacht und gefühlt hat, davon steht da nichts, und ich habe auch keine Vermutung dazu.

Die Bibel ist mit Urteilen oft eher zurückhaltend, aber der Zusammenhang spricht doch eine deutliche Sprache. Kurz vorher wird erzählt, wie Abraham im verheißenen Land ankommt und es durchquert und sich ansieht und an zwei Stellen dort einen Altar baut und betet. Und beim ersten Mal spricht Gott zu ihm und sagt: »Dieses Land will ich deinen Nachkommen geben!« Er bestätigt es Abraham: das ist das Land, von dem ich geredet habe, als du noch in Haran wohntest. Du bist angekommen. Hunderte Kilometer weit ist Abraham auf den Ruf Gottes hin gewandert, durch Wüste und Halbwüste, alles zu Fuß mit der Marschgeschwindigkeit seiner Ziegen und Esel, in unbekannte Gegenden. Und nun ist er da, er ist am Ziel, und was macht er? Er verlässt das Land und zieht nach Ägypten!! Er traut Gott nicht zu, dass er ihn in diesem verheißenen Land ernähren kann.

In der Bibel wird immer wieder von Menschen berichtet, die bei einer Hungersnot oder bei anderen Problemen auf eigene Faust Israel verlassen und nach Ägypten ziehen, und alle kriegen sie Schwierigkeiten. Wer ohne Auftrag Gottes Kontakt mit Ägypten aufnimmt, der bekommt ein Problem. Ägypten ist Großmacht, Ägypten ist ein Land der Unfreiheit mit dem vergötterten König an der Spitze, dem Pharao. Es ist schon damals ein altes Land mit genauen Regeln, ohne Nischen, alles ist schon damals bürokratisch geregelt. Man kann da nicht neu anfangen. Das ist nicht der Platz, wohin Gott Abraham gerufen hat. Abraham wird Probleme bekommen.

Er ahnt es sogar im Voraus: die Ägypter werden ihn umbringen, um sich seiner schönen Frau zu bemächtigen. Ja, wenn er das vorher weiß, warum geht er dann dort hin? Als sie die Grenze passieren, bittet er Sara um ein Gespräch unter vier Augen und sagt: also, lass uns doch jetzt mal für einige Zeit Bruder und Schwester sein, sonst wird es für mich zu gefährlich. Kein schöner Zug! Wenn man erstmal anfängt, von Gottes Wegen abzuweichen, dann gerät man Schritt für Schritt immer tiefer in den Sumpf. Die Frau, die die Stammmutter von Gottes Volk werden soll, wird zur Konkubine des Pharao. Und was macht Abraham? Er freut sich über das Vieh und die Sklaven, mit denen der Pharao ihn beschenkt, er zählt sein Geld, während seine Frau im Königspalast lebt.

Das ist Abraham, der Ur-Vater aller Glaubenden! Er legt keinen schönen Start hin, er muss noch viel lernen. Man kann mit großem Glauben auf Gottes Ruf hören und gleich danach versuchen, sich mit unsauberen kleinen Tricks durchs Leben zu mogeln. Ob einer ans Ziel seiner Berufung kommt, das entscheidet sich an solchen Punkten. Aber ein Mensch verändert sich nicht so sehr dadurch, dass er die richtigen Informationen erhält, sondern wenn er Niederlagen erleidet und Irrtümer begeht. Deswegen lässt Gott diesen Abstecher nach Ägypten zu, obwohl hier alles auf dem Spiel steht. Die Gefahr besteht, dass aus dem kleinen Abstecher nach Ägypten etwas Endgültiges wird. Dann wäre Abraham in Ägypten geblieben und ein reicher ägyptischer Edelmann geworden, aber er hätte sein Ziel verloren.

Liebe Freunde, das kann so leicht passieren, dass wir uns irgendwo komfortabel einrichten, nur für eine Zeit, nur vorübergehend natürlich, bis die Hungersnot vorbei ist, bis die große Belastung hinter mir liegt, bis ich mal weniger Stress habe, bis ich ich die Ausbildung abgeschlossen habe, bis die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind – und langsam verblasst es, was ich mal von Gott gewusst habe. Langsam schieben sich ganz andere Sachen in den Vordergrund. Und aus dem kurzen Abstecher wird eine grundlegende Richtungsänderung.

Aber Gott lässt es nicht zu, dass sein großes Projekt einfach im Sande verläuft. Er stört das ägyptische Arrangement. Er sorgt dafür, dass am ägyptischen Hof eine Seuche ausbricht, und damals waren die Könige noch so klug, dass sie überlegten, was Gott ihnen damit sagen will. Irgendwie hat der Pharao ein Gespür dafür, dass da noch jemand anders im Spiel ist, und er schickt diese Familie, die ihm irgendwie unheimlich ist, schnell wieder zurück über die Grenze. Ein Trupp Soldaten muss dafür sorgen, dass sie wirklich das Land verlassen. Aber die Geschenke darf Abraham behalten. Unter diesen Geschenken ist übrigens wohl auch die ägyptische Sklavin Hagar, mit der Abraham und Sara – wie ein Bibelleser weiß – später noch mal große Probleme bekommen werden.

Nun sind sie also wieder in Kanaan. Hat Abraham etwas gelernt? Er vertraute Gott stark genug, um seine Heimat zu verlassen, aber nicht genug, um ihm auch in der Frage des Überlebens in einem fremden Land zu vertrauen. Hat sich jetzt etwa geändert? Dazu hören wir die folgende Geschichte (1.Mose 13,1-18):

1 Abram kehrte mit seiner Frau und seinem ganzen Besitz an Tieren und Menschen in den südlichsten Teil des Landes Kanaan zurück. Auch sein Neffe Lot begleitete ihn. 2 Abram war sehr reich. Er besaß große Viehherden und viel Silber und Gold. 3 Von dort zog er von Lagerplatz zu Lagerplatz bis zu der Stelle zwischen Bet-El und Ai, wo er zuerst seine Zelte aufgeschlagen hatte. 4 Das war auch der Ort, an dem er den Altar gebaut hatte. Dort rief er im Gebet den Namen des HERRN an.

5 Auch Lot, der mit ihm zog, hatte viele Schafe, Ziegen und Rinder und viele Zelte, in denen seine Hirten mit ihren Familien lebten. 6 Das Weideland reichte nicht aus für die Viehherden der beiden; sie konnten auf die Dauer nicht zusammenbleiben. 7 Es gab immer Streit zwischen den Hirten Abrams und den Hirten Lots. Außerdem wohnten damals noch die Kanaaniter und die Perisiter im Land. 8 Da sagte Abram zu seinem Neffen: »Es soll doch kein Streit zwischen uns sein, auch nicht zwischen unseren Hirten. Wir sind doch Brüder! 9 Das beste ist, wir trennen uns. Das ganze Land steht dir offen: Du kannst nach Norden gehen, dann gehe ich nach Süden; du kannst auch nach Süden gehen, dann gehe ich nach Norden.«

10 Lot schaute sich nach allen Seiten um. Er sah, dass es in der Jordanebene reichlich Wasser gab. Bevor der HERR Sodom und Gomorra zerstörte, war es dort wie im Garten Gottes oder wie am Nil in Ägypten – bis hinab nach Zoar. 11 Deshalb entschied sich Lot für die Jordangegend und zog nach Osten.

So trennten sich die beiden: 12 Abram blieb im Land Kanaan, Lot ging ins Gebiet der Jordanstädte und kam im Lauf der Zeit mit seinen Zelten bis nach Sodom. 13 Die Bewohner Sodoms aber führten ein schändliches Leben, das dem HERRN missfiel.

14 Nachdem Lot sich von Abram getrennt hatte, sagte der HERR zu Abram: »Sieh dich von hier aus nach allen Seiten um, nach Norden, nach Süden, nach Osten und nach Westen! 15 Das ganze Land, das du siehst, will ich für immer dir und deinen Nachkommen geben. 16 Und ich werde deine Nachkommen so zahlreich machen wie den Staub auf der Erde, den niemand zählen kann. 17 Durchzieh das Land nach allen Richtungen; dir und keinem anderen gebe ich es.« 18 Abram zog mit seinen Zelten weiter und nahm seinen Wohnsitz in Hebron, bei den Eichen von Mamre. Dort baute er einen Altar für den HERRN.

In dieser Geschichte macht Abraham von Anfang an einen ganz anderen Eindruck. Er versucht keine kleinen Tricks, sondern peilt von vornherein eine echte Lösung an. Es gibt geschäftliche Probleme mit seinem Neffen Lot. Beide haben expandiert, und jetzt reicht der Platz nicht mehr für beide. Deshalb macht Abraham den Vorschlag, dass sie sich das verheißene Land aufteilen: einer nimmt den Norden und einer den Süden, so wie die Albrecht-Brüder sich Deutschland geteilt haben, die Albrechts von Aldi: einer hat Aldi Nord und verkauft uns hier Erbsen, Möhren und Computer, und der andere macht das in Süddeutschland.

Abraham hat inzwischen gelernt, großzügig zu sein: Obwohl er der Ältere ist und bestimmen könnte, überlässt er seinem Neffen die Wahl zwischen Nord und Süd. Aber was macht Lot? Der entscheidet sich für den Osten, für die fruchtbaren, bewässerten Gebiete bei Sodom und Gomorrha. Das gehört nicht mehr zum verheißenen Land! Und wenn wir diese Namen Sodom und Gomorrha hören, dann wissen wir alle: das kann nicht gutgehen. Und als deutlichen Hinweis schreibt die Bibel: es war dort wie am Nil. Dieses Land, das sich Lot aussucht, weil es so schön fruchtbar ist, das ist sein persönliches Ägypten. Auch er verlässt das verheißene Land und sucht sich woanders ein scheinbar besseres. Aber er wird nicht wohlbehalten herauskommen, sondern am Ende werden ihn zwei Engel mühsam da wegzerren müssen, damit er wenigstens sein nacktes Leben rettet, bevor die bösen Stadt Sodom in einer Katastrophe untergeht.

Abraham dagegen, so heißt es ausdrücklich, Abraham blieb im Land Kanaan. Der Mann hat gelernt. Lot hat nicht gelernt. Gut, er war auch nicht berufen wie Abraham. Aber so lange er bei Abraham blieb, ging es ihm gut. Der Segen Abrahams färbte auf ihn ab. Er war nicht der Gesegnete, aber es blieb genug vom Segen an ihm hängen. Er hätte von den Erlebnissen Abrahams in Ägypten lernen können, er hätte seine Schlüsse daraus ziehen können. Er hat es nicht getan.

Zwei Menschen, enge Verwandte, machen einen weiten Weg miteinander, es gibt keinen Streit zwischen ihnen, auf den ersten Blick tun sie beide das Gleiche, aber es zeigt sich, dass es in ihnen in Wirklichkeit nicht um das Gleiche geht. Und dann kommt unerwartet und unvorhergesehen eine Stelle, wo sich der Weg gabelt, und es geht auseinander. Eigentlich ist alles toll, es geht beiden gut, sie sind reich, aber es führt dazu, dass der eine seinen Weg mit Gott weitergeht und der andere endgültig die Spur verliert. Keiner von ihnen hat das beabsichtigt, Abraham hatte nicht vor, seinen Neffen loszuwerden. Aber Lot selbst wählt es so. Ganz oft sorgt Gott dafür, dass seine Pläne dadurch vorankommen, dass wir bekommen, was wir uns wünschen. Gott wusste von Anfang an, warum er Abraham berufen hat und nicht Lot. Aber er hat Lot eine echte Chance gelassen. Lot hätte lernen könne. Er hätte sich anders entscheiden können.

Aber weil er es nicht getan hat, deshalb musste Gott Lot von Abraham entfernen. Wenn Gott den Grundstein für sein Volk legt, dann darf einer wie Lot nicht dabei sein. Nicht auszudenken, wenn dieser Mann, der offensichtlich nie ein Gefühl für Gott hatte, sich die bessere Hälfte von Israel genommen hätte! Deshalb entfernt ihn Gott aus dem verheißenen Land, durch seine eigene Entscheidung. Und anschließend redet er wieder zu Abraham. Der Knoten ist geplatzt, die Trennung ist vollzogen, und Gott bestätigt es noch einmal: Ja, dies ist dein Land, du sollst es haben, kein anderer.

Keiner ist von vornherein auf einen falschen Weg festgelegt. Für keinen von uns hier ist heute schon entschieden, ob sein Weg gut oder schlecht enden wird. Gott gibt uns immer wieder echte Chancen, uns richtig zu entscheiden. Und erst im Nachhinein kann man manchmal sehen, wie jemand sich in einem entscheidenden Moment gegen Gottes Ruf entschieden hat und sich von da an immer mehr von Gott entfernt hat. Und wer das mal bei anderen erlebt, der weiß, wie hoffnungslos das sein kann: da driftet jemand ab, und du siehst es, und du kannst ihn nicht zurückholen. Du erreichst ihn nicht mehr.

Gott gibt uns viele Chancen. Selbst am Ende, als die Engel Lot aus Sodom herausholen, hätte er noch Zeit gehabt, seinen Besitz zu retten. Aber er hat verlernt, auf Gott zu hören, oder er hat es nie gekonnt. Und so verliert er am Ende auch noch den Besitz, für den er Gottes Verheißung aufgegeben hat.

Das Beruhigende ist: wenn wir auf den falschen Weg geraten, dann wird Gott nicht nur eine rote Ampel da hinstellen, sondern eine ganze Menge. Wenn wir eine davon übersehen oder nicht richtig verstehen, sind immer noch die anderen da. Wir müssen nicht Angst haben, dass wir einmal eine falsche Entscheidung treffen und dann alles verloren ist. Gott kann auch aus unseren Torheiten etwas Gutes machen, und in einem gewissen Maß ist das sogar die Regel, dass er uns aus unseren Fehlern und Sünden lernen lässt. Aber das geht nur, wenn wir ein empfängliches, offenes Herz haben. Wenn wir ehrlichen Herzens wirklich wissen wollen, was sein Wille ist. Wenn wir grundsätzlich bereit sind, auf ihn zu hören (und es kommt gar nicht darauf an, dass wir es behaupten, sondern wir müssen es sein).

Das Beunruhigende ist, dass einer wirklich alle roten Ampeln übersehen kann und blindlings in sein Verderben läuft. Wie das mit Gottes Heilswillen für alle Menschen zusammenpasst, hat bis heute noch kein Theologe erklären können. Ich kann es auch nicht. Aber es passiert. Warum das so ist, werden wir diesseits des Himmels nicht erfahren. Darüber zu grübeln bringt nichts.

Lasst uns lieber ganz deutlich festhalten, dass es darauf ankommt, mit Gott voranzugehen. Gott schickt uns immer wieder Ereignisse, die uns die Chance geben, etwas zu lernen, zu wachsen, voranzugehen. Abraham hat sie genutzt, wenn auch unter Schmerzen, unter Irrtümern und Blamagen. Als Jesus Leuten begegnete, die behaupteten: wir sind Abrahams Kinder und das wie ein Statussymbol vor sich hertrugen (wir haben das vorhin als Evangelium gehört – Johannes 8,31-40), da hat er ihnen gesagt: es kommt nicht darauf an, von Abraham abzustammen. Aber es kommt darauf an, so zu handeln wie er. Aufzubrechen, zu lernen, immer mehr auf Gott zu vertrauen. Das hat er uns vorgemacht. Das ist es. Das ist Glaube.