»Sein wie Gott« – Geschenk oder Beute?

Predigt am 25. Dezember 2010 (Weihnachten) mit 1. Johannes 3,1-3

3 1 Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum kennt uns die Welt nicht; denn sie kennt ihn nicht. 2 Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird,werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. 3 Und ein jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist.

Bei diesem Abschnitt müssen wir die Anklänge aus dem Alten Testament im Ohr haben, um ihn gut zu verstehen. »Wir werden ihm gleich sein« – das ist eine Erinnerung an die Paradiesgeschichte. Da kommt die Schlange an gekrochen und verspricht den ersten Menschen: »Ihr werdet sein wie Gott.« Beinahe die gleichen Worte wie hier im Johannesbrief, und trotzdem ein riesiger Unterschied.

Die Schlange arbeitet daran, Misstrauen gegen Gott auszustreuen. Sie sagt: Gott enthält euch etwas vor. Gott hat sich das Beste selbst gesichert, und euch speist er ab mit Almosen. Also greift selber zu und nehmt euch, was Gott euch verweigert!

Als Adam und Eva diesen Einflüsterungen glaubten und auf eigenen Faust sein wollten wie Gott, da zerbrach die Harmonie der Schöpfung. Seit damals ist das Leben mühsam und dornig, weil uns immer wieder dieser Konflikt von damals dazwischen kommt. Der ist nie mehr zur Ruhe gekommen. Das ist, wie wenn du in eine zerstrittene Familie kommst, oder in eine Firma, wo ein schlechtes Klima herrscht: alles ist so mühsam, du weißt nicht, was los ist, aber du merkst: da ist der Wurm drin! Jeder verteidigt vor allem seine Position und ist grundsätzlich misstrauisch, wenn ein anderer etwas will; jeder fragt sich bei Veränderungen zuerst: was könnte das mir oder meinen Gegnern bringen?

Die ganze Menschheit ist wie solch eine Gruppe, in der Misstrauen herrscht, und man sichert sich ab gegen den anderen, man rüstet vorsichtshalber auf, man lässt sich nicht in die Karten gucken. Überall müssen wir uns schützen, wir machen Schlösser an unsere Türen, Ketten an unsere Fahrräder und Passwörter an unsere Konten, und dann stehen wir selbst dumm da, wenn wir den Schlüssel verloren oder das Passwort verlegt haben. Das Leben wird mühsam. Und genauso ist man skeptisch, ob man Gott wirklich trauen kann. Wird er denn seinen Segen wirklich geben, oder müssen wir nicht Vorsorge treffen, müssen wir nicht unsere Schäfchen schnell ins Trockene bringen, weil alles knapp ist und nicht genügend da für alle?

BROT FÜR DIE WELT hat vor einigen Jahren ein Motto entwickelt, das lautet: »Es ist genug für alle da«. Diese Erde ernährt uns alle, es ist genug da für die ganze Menschheit – aber nur dann, wenn wir teilen. Wenn jeder möglichst viel für sich selbst sichert und zusammenrafft, aus Sorge, zu kurz zu kommen, dann reicht es nicht für alle. Wenn ein Bewohner der westlichen Welt soundsoviel mal mehr verbraucht an Energie und Rohstoffen und Fleisch wie ein Afrikaner, und wenn dann auch noch die ersten Länder der Dritten Welt anfangen, unseren Lebensstil nachzuahmen, dann reicht es nicht. Aber eigentlich wäre genug für alle da. Und nur das Misstrauen lässt den Mangel entstehen.

Misstrauen führt zu Mangel, Mangel lässt uns das, was wir haben, mit allen Kräften verteidigen. Um das, was wir haben, zu verteidigen, brauchen wir die Kontrolle. Aber das klappt nie, die Kontrolle wird immer teurer und produziert selbst neue Probleme und Konflikte. Alle großen Weltprobleme haben in ihrem Kern das Misstrauen. Misstrauen ist eine Sackgasse, in die man sich immer tiefer verrennt. Seit Adam und Eva stecken wir da drin, und Gott hat Jesus gesandt, um uns da heraus zu holen. Er hat Jesus gesandt, damit wir glauben, dass ein anderes Leben möglich ist, selbst in einer Welt, die schon längst nicht mehr das Paradies ist, sondern wo man überall auf die Spuren von Misstrauen und Kontrolle stößt.

Im Philipperbrief gibt es eine Stelle, wo über Jesus gesagt wird: »er hielt es nicht wie einen Raub fest, Gott gleich zu sein«. Er war zwar wie Gott, aber für ihn war das nicht wie etwas, was man sich erst erkämpfen und dann mit Zähnen und Klauen verteidigen muss.

In den Evangelien wird gleich am Anfang erzählt, wie der Versucher zu Jesus kam, um ihn auf diesen Weg des Misstrauens zu locken: nutze deine Macht, um dir auf eigene Faust Sicherheiten zu schaffen! Mach Steine zu Brot, spring vom Tempel und werde berühmt, greif nach der Weltherrschaft, nach der totalen Kontrolle! Aber Jesus sagt Nein. Und was passiert? Da kamen die Engel und dienten ihm. Der Versucher hatte Jesus dazu bringen wollen, dass er sich Sicherheiten erkämpft. Und als er das ablehnte, da bekam er es einfach von Gott geschenkt.

All das hat Johannes im Ohr, wenn er sagt: »welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!« Wir dürfen hier – gerade zu Weihnachten – bei dem Wort »Kinder« nicht an niedliche, harmlose Babies denken, oder an Erstklässler, die unter dem Weihnachtsbaum reizende Gedichte aufsagen und die Verwandtschaft zu Tränen rühren. Wenn in der Bibel von den »Kindern Gottes« gesprochen wird, dann sind erwachsene Kinder gemeint, und damit ist der Gedanke des Erbes verbunden. Die Kinder sollen das Erbe des Vaters übernehmen und in seine Fußstapfen treten.

Wenn wir also Gottes Kinder heißen sollen, dann ist damit gemeint: Gott will uns seine Schöpfung anvertrauen. Er wollte das schon immer machen, aus freien Stücken, ja, er hat die Welt von Anfang an für uns geschaffen, um sie uns anzuvertauen. Und er hätte das schon längst getan, wenn nicht die Schlange die Menschen überredet hätte, voll Misstrauen und Empörung eigenmächtig danach zu greifen. Nur: in die Hände von Menschen voller Misstrauen, die raffen und kontrollieren wollen, kann Gott die Welt nicht geben.

Aber jetzt ist durch Jesus eine neue Lage entstanden. Jetzt ist da einer, der nicht mit Zähnen und Klauen um die Kontrolle kämpft, sondern er wartet einfach darauf, dass Gott zur richtigen Zeit seine Engel schickt, um ihm alles zu geben. Und es gibt eine neue Menschheit: alle, die mit Jesus verbunden sind und in seinen Spuren gehen. »Wir sind schon Gottes Kinder« sagt Johannes, aber es muss noch offenbar werden, es muss noch sichtbar werden. Noch verstehen die anderen nicht, was da begonnen hat, sie können das nur entweder als Spinnerei abtun oder als gefährlichen Anschlag auf die Sicherheit bekämpfen.

Wir leben noch in einer Welt, die ganz anders ist. Die kann einfach nicht verstehen, dass man die Logik des Misstrauens hinter sich lassen kann, um ganz auf die Güte Gottes zu vertrauen. An allen Ecken schreit es: es gibt keine Alternative! Alle machen das so, und ihr werdet euch auch noch anpassen.

Aber wir haben gelernt, dass der Schöpfer der Welt nicht so funktioniert wie einer von den zahlreichen Machthaber unserer Welt. Gott ist anders. Er verhält sich nicht wie ein Konkurrent für uns Menschen, der uns das Beste vorenthält. Sondern er hat schon alles vorbereitet, um uns das Erbe anzuvertrauen, damit wir seine Söhne und Töchter sind, mit denen er durch dick und dünn zusammenhalten will. Und dann werden wir ihm gleich sein. Genau das, was uns die Schlange vorgegaukelt hat: greif zu und werde wie Gott! Erkämpfe es dir! Genau das bekommen wir jetzt geschenkt.

Genau der gleiche Wortlaut: ’sein wie Gott‘. Aber zwei völlig unterschiedliche Dinge. Und es hängt alles daran, ob man Gott als Konkurrenten ansieht, der uns nichts gönnt, oder als Vater, der für uns sorgt und uns zu Erben einsetzt. Aus dieser Grundentscheidung folgt alles andere. Ob wir Gott kennen, wie er wirklich ist, oder ob wir uns ein Zerrbild von ihm einreden lassen, das macht den Unterschied zwischen dem Paradies und der Misstrauenswelt, unter der wir leiden.

Die gute Nachricht von Weihnachten ist: auch in unserer Misstrauenswelt können wir Kinder Gottes sein. Wir müssen uns nicht anstecken lassen von der allgemeinen Kontrollsucht und dem Sicherheitswahn. Jesus hat es ja auch nicht getan. Er ist gekommen, damit wir nicht mehr glauben, wir müssten es so machen, wie Menschen es seit Adam und Eva gemacht haben. Sein Leben gehorchte von Anfang an nicht der Kontrolllogik und den Regeln der Machtvermehrung. Und dieses Vorbild weckt die Hoffnung in uns, dass es auch für uns die Alternative gibt.

Wenn diese Hoffnung erst einmal in unseren Herzen Wurzeln geschlagen hat, dann wachsen in uns ganz andere Motive und Wünsche. Dann richten wir unsere Gedanken nicht mehr darauf, wie wir unsere Kontrolle der Außenwelt immer noch mehr perfektionieren können. Sondern dann ist unser wichtigstes Ziel, dass wir in unserem Inneren all diese Mechanismen von Kontrolle beseitigen. Die stecken ja so tief in uns drin, die haben wir mit der Muttermilch eingesogen, die haben wir tausendmal eingeübt, und jetzt fühlen sie sich für uns natürlich und spontan an. Und der andere Weg, auf den Vater im Himmel zu vertrauen und sich keine Sorgen zu machen, der scheint uns unnatürlich, schwer und kompliziert. Aber in Wirklichkeit liegt es nur daran, dass es für uns einfach ungewohnt ist.

Wenn in uns aber diese Hoffnung wach geworden ist, dass es doch auch einen anderen Weg gibt, den Weg Jesu, dann ist unsere wichtigste Sorge, dass wir die anderen, vertrauten Mechanismen verlernen und entdecken, wie man lebt auf die Weise Jesu. Und wir sollten immer wieder überprüfen, wieviel Zeit und Energie wir in die gewohnten Kontrollmechanismen investieren, und wieviel uns dieses Entdecken, Lernen und Üben des Neuen wert ist. Normalerweise sollte man sich dazu mit anderen zusammentun; in einer Gruppe lernt man das sehr viel besser als allein.

Dass wir das nie völlig schaffen und da immer noch genug zu tun übrig bleibt, das ist kein Grund, um nicht mit aller Energie an die Arbeit zu gehen. Jesus ist ja auch immer noch an der Arbeit, in der ganzen Welt. Sein Leben, das so klein begonnen hat, das breitet sich ja auch immer noch aus, in uns und unter uns und in der ganzen Welt.

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