Das Prinzip der Dezentralisation

Starfish and Spider (1)

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Hier poste ich über das Buch „The Starfish and The Spider“ von Ori Brafman und Rod A. Beckstrom. Die Autoren beschreiben Organisationen, die als dezentrale Netzwerke funktionieren und durch das Internet noch einmal eine gewaltigen Schub bekommen. Ich glaube, dass wir davon sehr viel über die richtige Organisationsstruktur von Gemeinden lernen können. Und zusätzlich zu seinen wichtigen Einsichten ist es ein Buch, das man gerne liest – in einem prägnanten und lockeren Stil geschrieben.

Die Einleitung habe ich übersetzt für alle, die einen Eindruck bekommen möchten, aber nicht so gern auf Englisch lesen.

Kapitel 1
MGMs Fehler und das Geheimnis der Apachen

Die Verfasser beschreiben den juristischen Kampf der großen Musik-Label gegen die Musik-Tauschbörsen wie Napster und Grokster. Obwohl sie vor Gericht gewannen, erwies sich das als Pyrrhussieg. Jedes Mal wurden die Filesharing-Netze noch ein bisschen dezentraler und ungreifbarer. Am Ende der Entwicklung stand eMule: nur eine Software, von der man noch nicht einmal weiß, wer sie geschrieben hat.

Ein bemerkenswertes Phänomen: der erfolgreiche Kampf der Musikindustrie gegen die Piraterie vergrößerte ihr Problem. Wie kommt das?

Eine Parallele dazu findet sich an einer ganz anderen Stelle: im Kampf der spanischen Eroberer gegen die Apachen. Die Spanier hatten die großen Reiche der Inkas und Azteken jeweils binnen zweiJahren zerstört, aber den Widerstand der Apachen konnten sie 200 Jahrelang nicht brechen. Das lag an der dezentralen gesellschaftlichen Organisation der Apachen. Es gab keinen Anführer, kein Hauptquartier – nichts, was man besiegen oder zerstören konnte. Macht war sehr weit gestreut. Die einzigen gesellschaftlichen Schlüsselfiguren waren die Nant’ans – spirituelle Führer, die durch Rat und Vorbild leiteten. Aber sie hatten keine Befehlsgewalt. Und wenn die Spanier Nant’ans töteten, rückten andere nach. Die spanischen Angriffe führten nur zu einer weiteren Dezentralisation und machten so die Apachen noch stärker. Als die Spanier ihre Dörfer zerstörten, wurden sie Nomaden – also noch ungreifbarer.

Der Kampf der Musik-Label gegen das Filesharing scheiterte aus demselben Grund, der auch zur Niederlage der Spanier gegen die Apachen führte: wenn eine dezentrale Organisation angegriffen wird, verstärkt sich ihre Dezentralisation noch.
Das ist das erste Prinzp der Dezentralisation. Aber die Bedeutung dieses Pänomens ist damit noch längst nicht ausgeschöpft.

Kommentar:
Wendet man diese Gedanken auf die frühe Christenheit an, dann versteht man, warum sie dreihundert Jahre lang alle Verfolgungen überstehen und stattdessen enorm wachsen konnte. Es gab keine zentrale Organisation, keinen Papst, den man kontrollieren konnte. Apostel, Propheten, Lehrer und Älteste sorgten – wie die Nant’ans der Apachen – dafür, dass die gemeinsame geistliche Grundlage erhalten blieb. Aber niemand konnte den Gemeinden etwas befehlen, und das bedeutete letztlich „meine Schafe hören meine Stimme“ (und auf niemanden sonst).
Man muss sogar überlegen, ob nicht auch der Tod Jesu in diesem Rahmen noch eine ganz neue Bedeutung bekommt: Priester und Römer glaubten, durch die Beseitigung des Anführers die Bewegung im Keim ersticken zu können. Stattdessen führte der Weggang Jesu zu weiterer Dezentralisation: es kam der Heilige Geist, der an vielen Orten zugleich wirken kann. Dagegen waren sie erst recht hilflos – man merkt das in der Apostelgeschichte sehr deutlich.
Die Stärke der frühen Christenheit lag also tatsächlich in ihrer Armut, in ihrer nichthierarchischen Organisation und darin, dass sie die Energie und Fantasie der Menschen freisetzte. So konnte sie in die Ritzen der imperialen Gesellschaft eindringen, ohne dass sich das zentral gelenkte Reich wirkungsvoll wehren konnte.

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Charlotte

    Wirst du die nächsten Kapitel auch übersetzen? Oder „nur“ zusammenfassen? Ich finde das Prinzip der Dezentralisation unwahrscheinlich spannend, kann es mir für unsere Gemeinde aber noch nicht so wirklich vorstellen. Vielleicht weil wir auch noch nicht so viele sind, dass es greifen könnte. Für „Kirche“ an sich, sozusagen für eine Form noch nach der Postmoderne kann ich es mir allerdings vorstellen. Charlotte

  2. tiefebene

    Ich habe vor, das ganze Buch in dieser Art zusammenzufassen. Übersetzen nur das erste Kapitel noch.
    Das Entscheidende ist nicht die Zahl der ursprünglichen Mitglieder (die ist bei den meisten Bewegungen dieser Art ziemlich klein), sondern das Grundmuster. Ist es reproduzierbar? Entsteht eine Kultur, die den Bedürfnissen vieler Menschen entgegenkommt? Ist es einfach genug, so dass auch schwache Mitglieder durch das Muster gestützt werden?
    Anders gefragt: warum funktioniert eine Website wie studiVZ und viele ähnliche nicht? Warum haben gerade die AAs geboomt und andere nicht? Da geben auch Brafmann/Beckstrom keine wirklich klaren Antworten.

  3. Simon

    Hi Walter, toll, dass du das Buch zusammenfasst – habe es schon auf meiner Wunschliste – mal sehen, ob ich es dann überhaupt noch oder gerade wegen deiner Zusammenfassung lesen werde. Außerdem freu ich mich sehr über ein weiteres norddeutsches Blog-Angebot mit Klasse. Weiter so und herzliche Grüße von einem Hannoveraner, der allerdings momentan in den Staaten verweilt …

  4. tiefebene

    Hallo Simon,
    jau, Grüße zurück aus dem Norden (bei Peine).
    Walter

  5. pastorsandy

    Hallo Walter,

    danke für die Zusammenfassung, das Buch hatte ich auch schon lange vor zu lesen.
    Bin übrigens „Nachbarin“. Bin Vikarin in St. Andreas in Harsum (bei HI) und lese daher deine spannenden Posts zu ländlichen Gemeindestrukturen und Vereinbarkeit von Emerging Chrurch und landeskirchlichen Strukturen mit großem Interesse.

    Außerdem meine ich dich im Ordner der, für unseren Vikariatskurs möglichen „Geistlichen Begleiter“ besehen zu haben. Leider habe ich schon einen anderen Geistlichen Begleiter, aber vielleicht begleite ich dein Blog einfach noch ein wenig weiter… 🙂

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