Wie Jesus seine Geschichte sah: Passa

A community called atonement – Kapitel 11

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Was dachte Jesus selbst über seinen Tod? Viele gehen davon aus, dass Jesus dachte, was sie selbst darüber denken: die einen sehen keinen Zusammenhang zwischen Jesu Mission und seinem Tod, die anderen sind überzeugt, dass Jesus von Anfang an wusste, dass sein Tod das eigentliche Ziel seines Mission war.

Nun muss das, was Jesus dachte und was die späteren neutestamentlichen Autoren (Paulus, Petrus, Hebräer) dachten, nicht unbedingt identisch sein. Dieser Unterschied darf auch nicht verwischt werden. Ein großer Teil der neutestamentlichen Wissenschaftler bezweifeln heute allerdings ganz, dass Jesus selbst seinen Tod als sühnend/versöhnend verstand. McKnight gibt dazu zwei Punkte zu bedenken:

  • einmal muss Jesus spätestens seit dem Tod Johannes des Täufers auch die Möglichkeit seines eigenen gewaltsamen Todes vor Augen gehabt haben;
  • zum anderen ist es nicht vorstellbar, dass Jesus diese Möglichkeit nicht im Licht der Schrift bedacht haben würde. Und tatsächlich gibt es zwei Stellen (Markus 10,45; 14,24), in denen Jesus seinen Tod als sühnend/versöhnend deutet – ein Hinweis, dass die spätere kirchliche Lehrentwicklung ihre Wurzeln schon in Jesu eigenen Gedanken hat.

Bei der Einsetzung des Abendmahls (Markus 14,24) stellt Jesus seinen Tod in den Kontext des Passafestes und der Befreiung aus Ägypten. Die Frage, ob das beim eigentlichen Passamahl geschah oder am Tag davor, kann offen bleiben, weil Passa ein Fest war, das sich über eine ganze Woche erstreckte. Alles, was geschah, stand in diesem Zusammenhang. In der Symbolhandlung mit Brot und Wein thematisiert Jesus seinen Tod und fordert seine Jünger auf, daran Anteil zu haben. Jesus identifiziert sich mit seinen Jüngern und nimmt sie mit hinein in seinen Tod. Mit diesem Mahl begründet Jesus seine ekklesiale Gemeinschaft, und die Jünger werden durch ihr Esen und Trinken Teil dieser Gemeinschaft.
Dabei ist nun wichtig, dass der Passa-Kontext die Befreiung aus Ägypten thematisierte – das hatte damals deutliche politische Dimensionen, als eine Stellungnahme gegen die erdrückende Pax Romana. Jesus wählte gerade das Passafest als Kontext für das Abendmahl und nicht den großen Versöhnungstag (Yom Kippur). Er brachte damit seinen Tod in Verbindung mit dem Blut des Passalammes, das als Schutz vor dem Todesengel an die Türen gestrichen wurde. In Analogie dazu forderte er seine Jünger auf, sich durch dieses Essen und Trinken vor dem Gericht Gottes über die ungerechten römischen Machthaber und ihre Verbündeten in Israel zu schützen. Gottes Zorn zielt hier deutlich auf konkrete politische Zusammenhänge.

Die zweite Stelle, an der Jesus seinen zukünftigen Tod deutet, ist Markus 10,45. Jesus sagt voraus, dass er sterben werde „als Lösegeld für viele“. Damit verweist er auf Gedanken Deuterojesajas, insbesondere die Aussagen über den leidenden Gottesknecht. Dort wird ein Tod als Preis für die Befreiung des Volkes aus Gefangenschaft und Unterdrückung verstanden. Der Zusammenhang von 10,45 bestätigt das: Jesus rügt seine Jünger für ihre Machtgier, die der Machtgier des römischen Imperiums gleicht. Aber davon sind sie durch Jesus befreit. Jesus befreit seine Jünger von Sünde und ungerechten Systemen, damit sie als neue Gemeinschaft nach Gottes Willen leben können.
Damit werden Jesu Botschaft vom Reich Gottes und die Sühne/Versöhnung durch seinen Tod ein sinnvolles Ganzes: Jesus kam, um das Reich Gottes aufzurichten, eine Gemeinschaft, in der Gottes Wille getan wird. Er vollbringt das, indem er in das feindliche Gebiet eindringt, dort anstelle und zum Nutzen anderer stirbt und durch die Auferstehung den Tod überwindet. Wenn die Jünger das Abendmahl essen und trinken, bekennen sie ihre Komplizenschaft mit der Sünde und nehmen Jesu Tod anstelle ihres eigenen an. Für sie gilt die Logik von Passa: ein stellvertretender Tod, der das Gericht Gottes auf sich zieht, die Teilnehmer am Mahl schützt und sie befreit.

Von Jesus zu Paulus

Folgende Beobachtung ist wichtig: Die Worte, die Jesus gebrauchte, sind für die anderen Autoren des Neuen Testaments nicht bindend. Paulus und Johannes etwa fühlten sich nicht verpflichtet, bei den Reich-Gottes-Formulierungen Jesu zu bleiben; Johannes z.B. sprach lieber vom „Ewigen Leben“. Sachlich aber gibt es starke Entsprechungen: der Zorn von Röm. 1,18 – 3,20 etwa entspricht dem Gericht Gottes über Ägypten, an das Passa erinnert. Aber auch wenn Paulus so Gedanken von Jesus weiterentwickelt, tut er das in anderen Formulierungen. Schon für die Apostel gab es keine endgültigen Sprachregelungen. Jede Begrifflichkeit ist begrenzt. Es sind nur Bilder, die Menschen zur Sühne/Versöhnung selbst bringen sollen.

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