Welche Sprache ist heute für biblische Theologie angemessen?

Zu Dick Boers Buch „Erlösung aus der Sklaverei“

„Erlösung aus der Sklaverei“ ist der Titel einer „Biblischen Theologie im Dienst der Befreiung“, die der Theologe Dick Boer (geb. 1939) in der Edition ITP-Kompass herausgebracht hat. Boer steht in der Tradition der „Amsterdamer Schule“ der Theologie. Diese Auslegungstradition orientiert sich stark an den alttestamentlichen Grundstrukturen biblischen Denkens. So erinnert manches in seinem Buch an das „Biblische ABC“, das Kornelis Heiko Miskotte 1939/41 im Widerstand gegen die nationalsozialistische Besetzung der Niederlande entwickelte. Auch das „Biblische ABC“ wollte so etwas wie eine grundlegende Sprachlehre des Glaubens sein.

Boers Interesse ist es, die biblischen Grundstrukturen und -worte so in heutige Sprache zu übersetzen, dass ihr Anliegen gewahrt bleibt. Mit „Biblischer Theologie“ ist hier also nicht eine zeitlose Erhebung biblischer Gedanken gemeint, sondern die Suche nach der angemessenen Übertragung gehört immer schon dazu:

Biblische Theologie ist der Versuch, die ‚Sprache der Botschaft‘ zu ‚aktualisieren‘. Sie ist eine Übersetzungsarbeit auf der Suche nach einer Sprache, die Verständnis hat für das, was die Welt von heute bewegt, zugleich aber ‚bewahrt‘, was die biblische Sprache in Bewegung gebracht hat.

Auf der Suche nach einer angemessenen Sprache wird Boer fündig bei der Sprache der linken Arbeiterbewegung, „jener modernen Befreiungsbewegung, die sich getraut hat, den vom Befreier-Gott initiierten Exodus als Perspektive menschlichen – allzu menschlichen – Handelns auf ihre Kappe zu nehmen“. So kommt er zum Buchtitel „Erlösung aus der Sklaverei“:

Die Losung ‚Erlösung aus der Sklaverei‘ ist die Übersetzung der biblischen Botschaft des Exodus aus der Sklaverei in Theorie und Praxis einer modernen Befreiungsbewegung.

Mit „Sprache“ ist hier einerseits die ganze Vorstellungswelt gemeint, die sich in einer bestimmten Begrifflichkeit ausdrücken lässt. Andererseits ist es aber durchaus auch die Terminologie selbst, die sich nicht beliebig neu erfinden lässt. Beispielsweise sind es Begriffe wie das ‚real existierende‚ Israel, das ‚Absterben des Staates‚ oder die ‚Mühen der Ebene‚, die aus der linken Begrifflichkeit übernommen werden und erstaunlich gut passende Mosaiksteine im Gesamtbild einer Biblischen Theologie ergeben. Oder eben auch das Verständnis Israels und der Christenheit als ‚Befreiungsbewegung‚.

Die Aufnahme dieser Sprache ist also kein aktualisierender Gag, keine billige Provokation, auch keine (diesmal „linke“) Anbiederung an den Zeitgeschmack, sondern eine Notwendigkeit, die aus der Sache selbst kommt. Boer erwägt quasi als Gegenprobe, in welcher Sprache sich heutige biblische Theologie vielleicht auch noch ausdrücken könnte: in der Sprache der Reformation (die auf die Sündhaftigkeit des Menschen und seine Begnadigung konzentriert ist), in einer eher existenzialistischen Sprache (die die reformatorische Sprache zur Sinnfrage modernisiert) oder in einer religiösen Sprache (die ein Hinweis auf das unaussprechliche Geheimnis der Welt ist)? Boers Einwand ist, dass in diesen Begrifflichkeiten das zentrale biblische Anliegen der Erlösung aus der Sklaverei nicht (ausreichend) zur Sprache kommt:

Erst von dieser Erlösung aus der Sklaverei her kann auch biblisch von der Gnade, der Sünde und der Sinnfrage gesprochen werden: die Gnade, die dem Sklavenvolk widerfährt, wenn sich überraschend die Möglichkeit seiner Befreiung öffnet; die Sünde, die darin besteht, dass es den Weg der Befreiung aufgibt; die verzweifelte Frage nach dem Sinn des ganzen Unternehmens, die die Hoffnung auf sein Gelingen zu töten droht. Wer diese Auffassung von Gnade, Sünde und Sinn für ‚reduktionistisch‘ hält, sollte sich fragen, ob nicht die Bibel in dieser Beziehung tatsächlich reduktionistisch ist. Ich meine jedenfalls, dass es der Eigensinn der Bibel ist, das Problem des Menschen auf seine Erlösung aus der Sklaverei zu reduzieren. Aber was heißt hier Reduktion, wenn diese Erlösung bedeutet: alle Tränen abgewischt, kein Tod mehr, die Schinderei für immer zu Ende (Offb. 21,4)?

In dieser reflektierten Entscheidung für eine bestimmte „Sprache“ wird sichtbar, wie die Möglichkeiten der Sprachwelt, in der einer (oder eine Diskussionsgemeinschaft) sich unreflektiert bewegt, immer schon den Rahmen für die möglichen Inhalte setzt. Es geht Boer aber um keine willkürliche Wahl, sondern darum, in welcher heutigen Sprachwelt sich das biblische Denken am angemessensten ausdrücken lässt.

Das Problem ist nicht so sehr falsche oder reduzierte Auslegung (die richtet natürlich auch Schäden an), sondern eine kirchlich-theologische Sprachwelt, die das Thema der Erlösung aus der Sklaverei systematisch draußen hält. Selbst wenn es beim Schreibenden/Redenden noch drin ist, fällt es spätestens beim Leser/Hörer durchs Raster. Dumm nur, dass dabei ausgerechnet das zentrale geschichtliche Bekenntnis Israels (5. Mose 26,8) und das 1. Gebot („Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe“ ), also auch die Grundlage des christlichen Glaubens, auf der Strecke bleibt. Ein Wunder, dass so ein weichgespültes Bezugssystem manchmal auch noch anderes als eine windelweiche Kirche hervorbringt.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Interplanetar

    Lehre = Botschaft, ist wie Regen und Tau! Das ist keine Sprache, kein Wort.

    Bibel = Papier, Papier, Druckerschwärze, graphische Zeichen.
    Selbiges denkt nicht, hat kein Eigensinn. Es ist was ist.
    Faule Versprechungen mit Unbewiesenem sind kein Geheimnis.
    Mensch hat Sinne. Sinn vergibt er nach tatsächlicher Handlung.
    die er/beweisbar ist. Für Gnadenerlass sind Justiz und Finanzamt zuständig. Gegenwart, Glaubhaftigkeit, Glaubwürdigkeit, ist wichtig.

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