Der Aufbau der Bergpredigt? Fraktal natürlich …

In der Bergpredigt (und wahrscheinlich in der ganzen Bibel) findet man eine uns ungewohnte Argmentationsstruktur: nicht linear, logisch aufeinander aufbauend, sondern eher kreisend, spiralig – fraktal! Blumenkohlmäßig sozusagen.

Es kann nützlich sein, mit einem Mathematiker die Bibel zu lesen. Wir haben jedenfalls einen in unserer Gemeinschaft, und als wir am Ende einer fast 1/2jährigen Lektüre der Bergpredigt nun noch einmal versuchten, den Gesamtaufbau von Matthäus 5-7 zu verstehen, sagte er so nebenbei: das ist doch eigentlich eine fraktale Struktur.

Für alle Nicht-Mathematiker (und alle, die den Hype um die Apfelmännchen vor ein paar Jahren nicht registriert haben) kommt hier meine laienhafte Zusammenfassung dessen, was ich meine, von Fraktalen verstanden zu haben: es ist eine Struktur, bei der sich bestimmte Muster im Großen und im Detail wiederholen. Aber nicht mechanisch, sondern so, dass sie immer leicht abgewandelt sind. Wolken z.B. kann man so beschreiben. Oder Landschaften. Oder Blumenkohl.

Wendet man das auf die Bergpredigt an, dann merkt man, wie sich bestimmte Gedanken immer wieder leicht abgewandelt wiederholen, Das Vaterunser z.B., das etwa in der Mitte der Bergpredigt steht, hat in sich das Gefälle vom Reich Gottes zum täglichen Brot. Und etwas später findet sich in 6,33 der Satz: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.“ Man kann das aber z.B. auch schon am Anfang finden in der 3. Seligpreisung: „Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen“ (in den anderen sicher auch).

Eine andere Art zu „argumentieren“

Die „Argumentationsstruktur“ der Bergpredigt ist also eher nicht so, wie wir es gelernt haben zu argumentieren: These oder Fragestellung darlegen, entfalten, sich mit Einwänden auseinandersetzen, logisches Ergebnis am Ende – also eine aufeinanderfolgende Reihe. Obwohl man auch das finden kann.

Man könnte die Argumentationsstruktur eher „kreisend“ nennen: alte Fragen werden in neuem Gewand wieder hervorgeholt, am Anfang sind die Lösungen schon präsent (in den Seligpreisungen), aber die Begründung wird eigentlich nicht geliefert, jedenfalls nicht so, wie man es erwarten würde. Stattdessen werden neue Themen eingeführt (Ehebruch, Schwören …). Sind das jetzt Beispiele, an denen das Prinzip klar gemacht werden soll, oder geht es um „ethische Fragen“? Vermutlich beides. Das Gravitationszentrum der ganzen Rede liegt bei 6,24-34 („Niemand kann zwei Herren dienen – trachtet zuerst nach dem Reich Gottes“), aber danach geht es weiter mit der Warnung vor dem Richten (7,1), die wiederum von der Warnung konterkariert und begrenzt wird, das Heilige den Hunden zu geben (7,6). Die folgende Passage ab 7,7 („Bittet, so wird euch gegeben …“) würde hingegen viel besser direkt zum oben beschriebenen „Gravitationszentrum“ passen. So kann man eigentlich nicht argumentieren. Ist das jetzt Kraut und Rüben? Hatte Matthäus einen Schnipsel Text übrig, den er schnell noch unterbringen musste?

Old-school-mäßig würde man das natürlich traditions- oder redaktionsgeschichtlich auseinandersortieren, aber das ist ja so was von öde … Langweiliger Rationalismus, der glaubt, er selbst wäre die einzig richtige Art, die Welt zu sehen.

kreisend, spiralig, musikalisch, … fraktal!

Angemessener ist es, sich auf diese ungewohnte Art der Argumentation einzulassen: nicht geradlinig, sondern kreisend, oder spiralig, wie eine musikalische Komposition vielleicht, oder eben: fraktal. Das Ganze spiegelt sich im Detail. Die Details ergeben ein Ganzes, das mit ihnen zusammenstimmt, aber voller ist. Du kannst es in einem Satz oder auf vielen Seiten zusammenfassen, und immer bleibt etwas übrig, was nicht reinpasst, und trotzdem richtig ist. Oder mindestens für produktive Unruhe sorgt.

Und schaut man weiter, dann ist eigentlich die ganze Bibel so: in einem Vers spiegelt sich die ganze Geschichte. In einem Kapitel ein ganzes Buch. Gott hat uns nicht ein Lehrbuch der Dogmatik gegeben, auch nicht vier geistliche Gesetze, auch keinen großen oder kleinen Katechismus, sondern – einen Blumenkohl.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Katrin

    Ein schönes Bild. Ich wollte schon besserwisserisch schreiben, dass das ein Romanesco ist aber ja, ich las nach und Romanesco ist eine Variante des Blumenkohls. Ich fragte mich natürlich warum Matthäus diese Variane des Kohls und damit eben genau eine solche fraktale Struktur gewählt hat, um seine Zeilen zu verkohlen, wenn ein Kohl ihm dabei tatsächlich vor Augen gestanden haben sollte. Dieser Kohl wurde in der Nähe von Rom gezüchtet und enthält viel Vitamin C lt. Wikipedia. Ein Grund? Zwei Grund? Aber vielleicht war es ja auch etwas anderes Fraktales was ihn da inspiriert hat.Wir wissen es nicht. In der Mathematik wird zwar Wert auf den Rechenweg gelegt aber das richtige Ergebnis hat Gewicht. Wie oben schon gschrieben – ein sehr schönes Bild. Danke. (P.S.: Steuerrecht hat auch ’ne interessante Struktur. Für Juristen ist das nix, sagte zumindest mal ein Vorgesetzter.Vielleicht macht Steuerrecht einem Mathematiker Spaß und er findet das passende Gemüse dazu. Das wär mal interessant. Kraut oder Rüben, oder so. 🙂

  2. HG Unckell

    Dazu gibt es als Illustration ein inspirierendes Bibel-Buch 3:16 von D. Knuth, einem einflussreichen Informatikprofessor.
    Er hat aus jedem Buch der Bibel ,,zufällig“ einen Vers ausgewählt und näher beleuchtet.
    Dazu Schriftsetzer aus aller Welt motiviert, diesen Vers zu gestalten.
    Gibt es wohl nur in Englisch.

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