Die geheime Botschaft von Jesus (2)

Predigt am 29. April 2007 zu Johannes 3,1-13

Dieser Gottesdienst war ein Follow-up des Besonderen Gottesdienstes am 22. April. Am Anfang war ein Ausschnitt aus dem Video von der dort gezeigten Theaterszene zu sehen; zu dieser Szene gab es in diesem Gottesdienst eine Fortsetzung.

Am darauffolgenden Sonntag gab es den dritten und letzten Gottesdienst in dieser Reihe.

1 Einer von den Pharisäern war Nikodemus, ein Mitglied des jüdischen Rates. 2 Eines Nachts kam er zu Jesus und sagte zu ihm: »Rabbi, wir wissen, dass Gott dich gesandt und dich als Lehrer bestätigt hat. Nur mit Gottes Hilfe kann jemand solche Wunder vollbringen, wie du sie tust.«
3 Jesus antwortete: »Amen, ich versichere dir: Nur wer von oben her geboren wird, kann Gottes neue Welt zu sehen bekommen.«
4 »Wie kann ein Mensch geboren werden, der schon ein Greis ist?«, fragte Nikodemus. »Er kann doch nicht noch einmal in den Mutterschoß zurückkehren und ein zweites Mal auf die Welt kommen!«
5 Jesus sagte: »Amen, ich versichere dir: Nur wer von Wasser und Geist geboren wird, kann in Gottes neue Welt hineinkommen. 6 Was Menschen zur Welt bringen, ist und bleibt von menschlicher Art. Von geistlicher Art kann nur sein, was vom Geist Gottes geboren wird. 7 Wundere dich also nicht, dass ich zu dir sagte: Ihr müsst alle von oben her geboren werden. 8 Der Wind weht, wo es ihm gefällt. Du hörst ihn nur rauschen, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht. So geheimnisvoll ist es auch, wenn ein Mensch vom Geist geboren wird.«
9 »Wie ist so etwas möglich?«, fragte Nikodemus.
10 Jesus antwortete: »Du bist ein anerkannter Lehrer Israels und weißt das nicht? 11 Amen, ich versichere dir: Wir sprechen über Dinge, die wir kennen, und bezeugen das, was wir gesehen haben. Aber keiner von euch ist bereit, auf unsere Aussage zu hören. 12 Wenn ich zu euch über die irdischen Dinge rede und ihr mir nicht glaubt, wie werdet ihr mir dann glauben, wenn ich über die himmlischen Dinge mit euch rede? 13 Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen als nur der eine, der vom Himmel herabgekommen ist, der Menschensohn.«

Dies ist eine ganz besonders geheime Geschichte. Nikodemus möchte nicht gesehen werden, wenn er mit Jesus spricht, deshalb kommt er in der Nacht. Und Jesus redet so mit ihm, dass er nichts versteht. Ich weiß noch, als wir uns im Studium mit Johannes beschäftigt haben, da haben wir immer gesagt: das ist ein ganz unsympathischer Jesus, der einem da begegnet. Du stellst ihm eine einfache Frage, und er antwortet völlig verrückte Sachen. Du fragst ihn, wieviel Uhr es ist, und er sagt: »Glaube mir, es wird die Zeit kommen, wo keiner mehr nach dem großen und dem kleinen Zeiger sehen wird, sondern die Zeit selbst wird die Uhr sein.« Und dann stehst du da und weißt nicht, was er gesagt hat.

Warum sind manche Gespräche mit Jesus so komisch? Weil da etwas passieren soll, was eigentlich nicht geht. Da sollen Menschen lernen, die Welt noch einmal neu zu sehen, mit neuen Augen, und dazu müssen sie aus den gewohnten Denkbahnen heraus. Und deswegen ist das nicht einfach mit ein paar vernünftigen Worten zu erklären. Unser Gehirn funktioniert ja so, dass wir zwischen den Nervenzellen eine Art Trampelpfade anlegen, und die werden dann durch häufige Benutzung immer breiter. Und Jesus versucht, unsere Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass jenseits der Trampelpfade auch noch etwas liegt, und wir sagen dann: o nein, Jesus, warum soll ich da mitten durch die Brennnesseln gehen? Ich wusste schon, weshalb ich die ganze Zeit darum herum gegangen bin!

Wenn Menschen davon sprechen, dass Glaube unbequem sein kann, dann ist vor allem das gemeint, dass wir die alten Orientierungen verlassen und zwischen den Nervenzellen im Kopf neue Verbindungen schaffen. Und davor scheuen wir viel mehr zurück als vor einer guten Tat, die uns Zeit oder Geld kostet.

Nikodemus bringt aber eine wichtige Voraussetzung mit: eine hohe Motivation. Obwohl er als Mitglied des Hohen Rates eigentlich ein Gegner Jesu sein müsste, hat er in Jesus etwas gesehen, was er auch haben möchte. Und deshalb besucht er Jesus, wenn auch heimlich. Er will etwas, er will es wirklich. Und mit so einem redet Jesus echt. Er belohnt ihn damit, dass er ihn durcheinander bringt. Richtig: durcheinanderbringt. Das ist die Belohnung.

Bitte überlegen Sie mal, was Sie von einem Gottesdienst erwarten! Möchten Sie von einem Gottesdienst durcheinander gebracht werden? Sind Sie schon mal aus der Kirchentür gestolpert und haben gesagt: »jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr! Ich weiß nicht mehr, ob ich ein Christ bin, ich weiß nicht mehr, ob Jesus ein Christ ist, ich weiß noch nicht mal, ob unsere Katze ein Christ ist!« Ist doch toll! So ungefähr ist Nikodemus aus diesem Privatgottesdienst bei Jesus rausgekommen. Verwirrt, ohne zu verstehen, worum es geht, ohne einen Plan, was jetzt passieren soll: genau im richtigen Zustand.

Diese Augenblicke, in denen man nicht genau weiß, wie es weitergehen soll, die sind kostbar. Die sind unheimlich fruchtbar und hoffnungsvoll, für Menschen und für ganze Völker. Da ist es, als ob man mitten in der Wildnis ausgesetzt worden ist, wo es fast keine Trampelpfade gibt, und man muss sich neu orientieren und sieht alles mit anderen Augen. Da ist endlich die Chance da, dass wir etwas wirklich Neues lernen. Dass wir die Scheuklappen verlieren, unsere begrenzte Sichtweise, und bekehrt werden zur ganzen Wirklichkeit, nicht nur zu einem Ausschnitt, den wir längst kennen.

Also, erwarten Sie das von einem Gottesdienst, dass er Sie durcheinander bringt? Die Vernünftigen unter uns werden jetzt sagen: ein bisschen schon, aber nicht zu sehr, und schließlich muss man ja auch etwas haben, woran man sich festhalten kann. Und das ist vernünftig. Aber so ist das Leben nicht. Das Leben ist nicht vernünftig. Im echten Leben gehen wir durch Unruhe hindurch, durch Nächte, in denen wir nicht schlafen konnten, durch Zeiten, in denen wir unzufrieden sind und für unsere Umgebung eine Zumutung. Glauben Sie denn, Nikodemus ist nach Hause gekommen, hat sich ins Bett gelegt und ist behaglich eingeschlafen? Der ist durchs Haus getapert, hat sich noch einen Kaffee gekocht, hat aus Versehen alle wach gemacht, nur weil er dauernd nachdenken musste über das Gespräch, und hat am nächsten Morgen grau ausgesehen. Und nur weil er die ganze Zeit gegrübelt hat, was Jesus wohl für ihn bedeuten könnte.

In so einer Situation der Verwirrung haben wir vor einer Woche die Journalistin zurückgelassen, aber sie hat es nur für eine Sekunde ausgehalten und hat dann schnell wieder mit jemandem telefoniert und ist zurückgefallen in ihre alten Denkbahnen. Heute wollen wir schauen, wie es weitergeht. Wir gehen davon aus, dass es ihr keine Ruhe gelassen hat, und wie Nikodemus kommt sie noch einmal zu Jesus, um der Sache irgendwie auf den Grund zu gehen.

Szene: Der zweite Besuch bei Jesus

Was haben Nikodemus und die Journalistin gemeinsam? Beide stecken in einem System drin, das ihnen deutlich vorgibt, was sie zu tun haben und was sie zu denken haben. Die Journalistin hat ihren Chef und Nikodemus ist eingebunden in die Disziplin des jüdischen Rates. Und wenn sie sich nicht mehr an die Regeln halten, dann kann das böse Folgen für sie haben. Ihre ganze bisherige Existenz könnte dann auf dem Spiel stehen.

Es ist schon ein kleines Wunder, dass die sich überhaupt beschäftigen mit Gedanken, die so weit weg sind von dem, was sonst in ihrer Umgebung gilt. Aber so selten ist das gar nicht. Wie viele Menschen schimpfen unter Kollegen auf den Chef, oder schütteln den Kopf über die unsinnige Politik der Geschäftsleitung. Aber Jesus weiß, wenn so etwas nicht umgesetzt wird, dann bleibt es folgenlos, dann ist es nur Geschimpfe.

Deshalb fordert er Nikodemus heraus, ein neuer Mensch zu werden, wiedergeboren zu werden, sich nicht mit halben Sachen zufrieden zu geben. Wenn Nikodemus auf Dauer etwas ab haben will von dem Neuen, was ihn so anzieht an Jesus, dann muss er die Seiten wechseln. Genauso die Journalistin: sie kann nicht auf Dauer ihren Job machen wie immer – und gleichzeitig von Jesus fasziniert bleiben. Auf die Dauer geht nur eins. Und deshalb sagt Jesus: mach es richtig, mach es ganz, sieh zu, dass du mit deinem Inneren und deinem Äußeren den Schritt machst hin zu mir.

Aber dieser Schritt ist so schwer zu beschreiben. Wir sollen uns in etwas hineindenken, was wir noch gar nicht kennen. Das ist ein grundsätzliches Problem, keine Frage von gutem Erklären. Das ist wirklich so, als sollte man einem ungeborenen Kind erklären, dass es jetzt geboren wird, hinein in eine neue, viel größere Welt, wo es Licht gibt, wo man Luft atmet, wo man isst und trinkt. Selbst wenn das Kind sprechen und verstehen könnte – wie könnte man ihm das auch nur annähernd verständlich machen? So kann man auch jemandem, der das nicht kennt, kaum verständlich machen, was ein Leben mit Jesus in der neuen Welt Gottes ist. Selbst der große Lehrer Nikodemus hat das nicht verstanden. Es ist, als ob er eine Glühbirne sieht, aber er kennt den Strom nicht, der sie zum Leuchten bringt.

An der Journalistin eben haben Sie die Schwierigkeiten sehen können, die Jesus hatte: wenn er ihr sagt: du musst von neuem geboren werden, dann versteht sie nicht, was er meint – es ist zu abstrakt. Es geht ja auch wirklich nicht darum, irgendwelche theologische Formeln zu sprechen. Wenn er ihr aber sagt, dass sie dann anders denken und arbeiten muss, dann sagt sie: das geht nicht, das kriege ich nicht hin, da gibt es zu viele Widerstände. Und beides ist nur ein Zeichen dafür, wie fest sie gefangen ist in ihrem alten Leben. Wer nicht weiß, worum es geht, der irrt herum und greift dauernd daneben.

Es ist nicht das Problem, dass die Wahrheit unklar wäre, sondern wir sind so verstrickt in Unklarheiten, dass sie kaum den Weg zu uns findet. Wir haben uns so an die Trampelpfade gewöhnt, dass wir die Landschaft jenseits davon nicht sehen. Deshalb muss es einfach verwirrend sein, wenn Jesus versucht, und die Augen zu öffnen. Wenn es anders ist, dann ist das wahrscheinlich ein Zeichen dafür, dass wir noch gar nicht richtig verstanden haben, worum es geht.

Und diese Phase der Verwirrung und Irritation lassen wir nicht hinter uns. Wir können im Lauf der Zeit höchstens lernen, mit mehr Vertrauen und Neugier da hineinzugehen, wir können lernen, dass solche Umbrüche am Ende zu etwas Gutem führen, aber Jesus schickt uns auf einen Weg, auf dem wir auch so etwas immer wieder erleben werden. Und das wird immer wieder mit Zittern und Zagen verbunden sein, mit Unsicherheit und Nächten, in denen wir nicht schlafen können.

Aber in all den Unsicherheiten lernen wir dann, auf Gott zu hören und auf das, was er uns erzählt über uns. Dieses neue Leben, in das wir hineingeboren werden sollen, ist ja in Wirklichkeit gar nicht neu, sondern es ist das Leben, zu dem wir geschaffen sind. Es ist unser wahres Leben, das zu uns passt wie eine zweite Haut. Deswegen spüren wir auch sofort: das ist es! Wenn wir nur einem Fitzelchen von unserem wahren Leben begegnen, dann lässt uns das nicht kalt. Aber wir vergessen es ganz schnell wieder, weil es jenseits der Trampelpfade liegt.

Ein ganzes Leben lang ist uns ja etwas anderes über uns erzählt worden. Wir haben erfahren, dass wir ein Problem sind, wir haben gemerkt, dass wir nur dann Zuwendung kriegen, wenn wir uns so verhalten, wie die anderen das wollten. Unsere Familie, die Schule, die Gesellschaft, die Medien, sie alle haben daran gearbeitet, dass wir so sind, wie wir heute sind. Sie alle haben uns geformt, beschränkt auf ein paar Muster, auf ein paar Trampelpfade, und jetzt kommen wir davon nicht los.

Die wirklichen Barrieren sitzen in unseren Köpfen. Es ist nicht die Disziplin des Hohen Rates, nicht der Redaktionsleiter und die Kollegen. Es ist das, was uns in unserem Kopf begrenzt, die Scheuklappen, die Trampelpfade, die wir nicht hinter uns lassen.

Aber Jesus sieht in uns den Menschen, an den Gott gedacht hat, als er uns schuf. Jesus sieht in uns den Menschen, der wir werden können. Und er versucht uns eine neue Geschichte zu erzählen, unsere wahre Geschichte. Eine Geschichte davon, wie wir von Gott gewollt sind, wie wir uns verloren haben, und wie er gekommen ist, um die Verlorenen zu suchen, damit wir zurückfinden zu unserem wahren Leben. Vor allem aber eine Geschichte davon, wer wir sein können, welche Möglichkeiten in uns liegen, wie wir zum Segen werden können.

Eine Geschichte davon, wie wir in der neuen Welt Gottes leben werden. Wie die Welt anders aussehen wird. Wir werden lernen, es alles mit den Augen eines Kindes zu sehen, das neu geboren ist, und das sich jeden Tag neu überraschen lassen muss. Erst ganz allmählich formen sich die Dinge in seinen Augen.

Unser Herz wird uns sagen, dass das unsere richtige Geschichte ist. Unser Herz wird das wahre Leben erkennen, wenn es uns begegnet. Aber die Entscheidung fällt daran, ob wir diese Unsicherheit aushalten können, ob wir den Schritt ins Freie wagen, ohne genau zu wissen, was da noch alles kommen könnte. Ob wir dran bleiben, auch wenn es schlaflose Nächte bedeutet. Oder ob wir schnell zurück gehen zu irgendwelchen Sicherheiten, wo alles an seinem Platz ist und wir auf gewohnten Wegen gehen können.

In welcher Geschichte wollen wir leben? Auf wen wollen wir hören? Welche Schwierigkeiten wollen wir dafür riskieren?

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