Lebenszentrum Herz

Predigt im Besonderen Gottesdienst am 2. Juli 2006 zu 1. Samuel 16,7; Psalm 12,3; Matthäus 5,8 und Sprüche 4,23

Am Anfang des Gottesdienstes war in einer kurzen Szene das Gespräch zwischen einem Menschen und seinem Herzen zu sehen.

Das »Herz« ist in der Bibel ein zentraler Begriff, wenn es um den Menschen geht. Das Herz steht im Zentrum des Menschen, da fallen die wirklichen Entscheidungen, und wie das Herz eines Menschen beschaffen ist, so ist der Mensch wirklich.

Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an.

heißt es in 1. Samuel 16,7. Gott lässt sich nicht vom äußerlichen Eindruck täuschen, sondern er sieht den Menschen ins Herz. Und ähnlich wird auch später von Jesus gesagt, dass er wusste, was im Herzen eines Menschen war.

Immer und immer wieder werden wir aufgefordert, hinter die Kulissen zu schauen, uns über das Herz eines Menschen Gedanken zu machen, und natürlich ganz besonders über unser eigenes Herz. Es gibt eigentlich kaum einzelne Geschichten, in denen speziell das Thema »Herz« eine Rolle spielt. Aber viele Hundert Male, immer und immer wieder, wird vom Herzen gesprochen, wenn es um den wirklichen Zustand eines Menschen geht. Wie einer in seinem Herzen wünscht und fühlt und denkt, so ist er wirklich. Was einer von Herzen tut, da legt er tatsächlich seine ganze Energie hinein. Wenn man den wirklichen Zustand eines Menschen verstehen will, dann muss man sein Herz verstehen. Das ist aber gar nicht so einfach, denn oft versuchen Menschen zu verbergen, was sie wirklich in ihrem Herzen tragen.

»Einer redet mit dem anderen Lug und Trug, sie heucheln und reden aus zwiespältigem Herzen.

heißt es in Psalm 12,3. Die Gedanken des Herzens müssen manchmal erst offenbar werden, aufgedeckt werden, damit ein Mensch in der Wahrheit leben kann.

Warum ist es eigentlich so problematisch, wenn ein Mensch ein zwiespältiges Herz hat? Einmal, weil das Herz das Lebenszentrum ist, und wenn wir im Zentrum unseres Lebens unklar sind, geteilt, hin und her gerissen, dann büßen wir einen großen Teil unserer Kraft ein. Wir werden dann nicht viel erreichen, weil unsere Kräfte nicht konzentriert sind. Aber wenn wir uns ein Herz fassen, wenn unser Herz in unserem Leibe entbrennt, wenn wir etwas von ganzem Herzen machen, dann werden wir große Dinge tun. Leben kann man eigentlich nur aus ganzem Herzen, alles andere ist unter unserem Niveau. Der Zustand des Herzens entscheidet darüber, wieviel Kraft wir haben, und deshalb beginnen die Wege Gottes mit einem Menschen in seinem Herzen, da muss sich erst etwas ändern, ja, eigentlich müssen wir ein neues Herz bekommen, damit Gott mit uns etwas anfangen kann.

Ein zwiespältiges dagegen Herz schwächt unsere Lebensenergie. Aber nicht nur das: ein zwiespältiges Herz kann seine Aufgabe als Wahrnehmungsorgan nicht mehr erfüllen. Denn das Herz haben wir auch dazu, dass wir wissen, was mit uns los ist. Wer ehrlich auf sein Herz hört, der weiß über sich Bescheid, und wer das lieber nicht wissen will, der hört seinem Herzen nicht zu.

Darum ging es ja vorhin in der Theaterszene, dass der Stefan diese Rückmeldungen seines Herzens einfach nicht mehr hören wollte. Er wollte einfach glauben, dass es ihm gut ging, und nichts anderes. Wenn wir schon die Tatsachen nicht so hinbiegen können, wie wir es wollen, dann wollen wir wenigstens den Boten zum Schweigen bringen: unser Wahrnehmungsorgan, das Herz. Und damit machen wir es schwach und töten es am Ende.

Und trotzdem schaffen wir es nie ganz, die Stimme unseres Herzen zum Schweigen zu bringen. Für mich war das vorhin beim Spielen die schwierigste Stelle, und ich weiß nicht, ob ich das wirklich hingekriegt habe: dieser Versuch, nach außen zu signalisieren »es geht mir blendend«, der aber nie wirklich ganz glaubwürdig klingt, weil eben das Herz nicht mitspielt.

Solange wir nicht wirklich die Wahrheit wissen wollen, werden wir immer versuchen, unser Herz wenigstens teilweise zum Schweigen zu bringen oder seine Stimme zu überhören. Aber dann ignorieren wir einen Teil der Wirklichkeit und machen uns künstlich dumm.

Deswegen wird in der Bibel auch die Klugheit im Herzen angesiedelt, nicht nur die Gefühle. Z.B. steht in den Sprüchen, dass ein Ehebrecher kein Herz hat. Und wir würden spontan sagen: wieso denn das, er ist doch äußerst aktiv mit seinem Herzen! Aber gemeint ist: er hat keinen Verstand! Er ignoriert die Folgen, er denkt nicht daran, welche Probleme er sich ins Haus holt, er hat seinen Verstand vorübergehend ausgeschaltet und wird das noch bitter bereuen.

Mit dem Herzen nehmen wir aber nicht nur uns selbst wahr, das Herz ist gleichzeitig der Ort, zu dem Gott spricht. »Herz« ist in der Bibel das Wort, das dem, was wir »Gewissen« nennen, am nächsten kommt. Wo wir davon reden, dass ein Gewissen abgestumpft ist, unempfindlich geworden, da nennt das die Bibel ein verhärtetes Herz. Und wenn wir unser Herz verhärten, dann verhärten wir uns damit nicht nur gegen Teile von uns selbst, sondern auch gegen Gott. Genauso wie in der Bibel Verstand und Herz zusammengehören, so gehören auch Gott und Herz zusammen. Ein gesundes Herz ist Gott zugewandt, das ist nicht etwas, wozu wir uns irgendwann erst entscheiden, sondern am Anfang gehören Gott und das Herz zusammen. Deswegen strahlen Kinder oft noch etwas von dieser ursprünglichen Einheit aus, wenn man es ihnen noch nicht ausgetrieben hat. Anders könnten wir gar nicht unser Leben beginnen. Aber dann geht es darum, ob die Verbindung bestehen bleibt, oder ob sie allmählich austrocknet und verödet.

Jeder Mensch kennt diese Augenblicke, in denen sein Herz lebt, wo es mit Kraft und Freude erfüllt ist. Denken Sie noch einmal an die Anfangsszene: wie Stefan von seinem Herzen daran erinnert wird, wie sie in der Kindheit fröhlich zusammen durch den Garten gerannt sind, wie er am Anfang der Pubertät, als er am See gebetet hat, noch diese Einheit von Schönheit, Freude und Gebet gekannt hat, und wie er später in schweren Zeiten daraus Kraft geschöpft hat.

Aber dann gibt es diese Augenblicke, in denen wir einen harten Schnitt machen, und uns solche Anwandlungen verbieten. Manchmal tun wir das unter dem Druck von anderen, die uns auslachen, manchmal tun wir das mit dem Gedanken: so was ist Luxus, und das Leben ist zu hart dafür, manchmal tun wir das unter dem Druck einer Weltanschauung, die sagt: das ist alles Einbildung. Und dann besuchen wir unser Herz nicht mehr, und es verkümmert. Und wir werden herzlos und fähig,schreckliche Dinge zu tun. Und vielleicht kommt unser Herz auch unter die Kontrolle anderer Mächte.

König Salomo z.B. hatte als junger Mann zwei beeindruckende Begegnungen mit Gott. Ihm verdankte er seine legendäre Weisheit. Er forderte sein Volk auf, mit ungeteilten Herzen an Gott zu hängen, damit sie auf Gottes Wegen gehen. Trotzdem wandte er sein Herz im Alter von Gott ab, und Gottes Zorn entbrannte gegen ihn. Viel später sagt Jesus (Matthäus 5,8):

Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.

Mit einem reinen Herzen ist in erster Linie ein ungeteiltes Herz gemeint, das ohne Nebengedanken an Gott hängt. Überhaupt gibt es beim Thema »Herz« kaum Unterschiede zwischen Altem und Neuem Testament. In der Beschreibung des Herzens gibt es eine große Übereinstimmung durch die Jahrhunderte hindurch.

Ja, man kann sagen, dass die Gedanken über das Herz zu den zentralen Entdeckungen des biblischen Denkens gehören. Sonst überall in der alten Welt machten die Menschen das, was alle taten, sie handelten so, wie ihre Vorfahren es schon immer getan hatten, sie sahen sich als ein winziges Teilchen im ewigen Kreislauf des Kosmos. Aber als Gott sich das Volk Israel erschuf, da holte er sie da heraus und lehrte sie, auf seine Stimme zu hören, die jeden Morgen neu und frisch war und in den Herzen auserwählter Menschen sprach. Erst Abraham, den Gott aus seiner Familie und aus seiner Verwandtschaft herausrief, dann Mose, der ganz allein auf den Berg Sinai stieg und mitten in der leeren Wüste seinem Volk die Kunde von einem unsichtbaren Gott brachte. Und immer wieder Propheten, die diese Stimme hörten und auch gegen Widerstand davon redeten.

Damals hat es zum ersten Mal wirkliche Individuen gegeben, Menschen mit einer persönlichen Geschichte, die nicht einfach nur Teil ihres Volkes waren. Menschen, deren persönliche Geschichte von dieser sanften Stimme eines persönlichen Gottes angestoßen wurde. Daher kommt unser abendländisches Konzept der Menschenwürde: jeder Mensch hat seine unantastbare Würde, weil Gott zu ihm ganz persönlich und individuell reden will. Es gibt nicht unterschiedlich wertvolle Gruppen von Menschen, weil Gott zu jedem Einzelnen gleichermaßen sprechen will. Die anderen Völker der alten Welt hätten das als Witz empfunden, dass z.B. Sklaven und Freie die gleiche Menschenwürde haben sollten. Einen Sinn macht das nur, wenn wir voraussetzen, dass Gott zu jedem menschlichen Herzen spricht. Wenn das verloren geht, dann fallen wir zurück und werden wieder anonymes Teilchen einer Masse, dann gibt es lebenswertes und lebensunwertes Leben je nach Nützlichkeit.

Die Menschenwürde kann noch so oft in unserem Grundgesetz stehen, aber das Grundgesetz allein wird sie auf Dauer nicht verteidigen. Werte müssen von lebendigen Menschen praktiziert werden. Nur wenn da genügend Menschen sind, die ihre Menschenwürde ausüben, indem sie auf ihr Herz hüren und dort auf Gott hören, und dann danach handeln, nur so wird dieser Gedanke der Menschenwürde auf Dauer bestehen bleiben.

Wir sind in unserem Innern so eingerichtet, dass wir nur dann ein wirkliches, volles, ganzes, heiles Leben leben künnen, wenn unser Herz heil ist. Und unser Herz bleibt nur heil, wenn wir mit ihm in Kontakt bleiben, wenn es den Raum hat, den es zum Atmen braucht, und wenn es sich nicht von Gott abwendet. Es ist nicht so, dass wir uns unsere Weltanschauungen und Religionen wie in einem Katalog auswählen künnten, und der eine nimmt die und der andere die, ganz nach individuellem Geschmack, und jede Wahl wäre gleichwertig. Nein, es steht dabei auf dem Spiel, ob wir uns einen Raum freihalten, in dem das Herz lebendig bleibt, oder ob wir diesen Raum erst ignorieren oder missverstehen und dann zerstören.

Wir haben ein Organ, um zu merken, wie es um uns steht, das Herz. Aber dieses Herz lebt nur, wenn wir ihm nicht die Luft abdrücken. Wenn wir mit ihm in Kontakt bleiben. Und wenn wir ihm erlauben, mit Gott in Berührung zu bleiben. Auf Gott zu hören. Dann ist unser Herz eine Quelle des Lebens in der Mitte unserer Person. Dafür müssen wir ihm Raum geben. Wir müssen es gut behandeln. Wie es in den Sprüchen steht (4,23):

Behüte dein Herz mit allem Fleiß, denn daraus quillt das Leben.