Am Ende wird es gut werden

Predigt am 12. Mai 2002 zu Römer 8,26-29

26 Aber ebenso wie wir seufzt und stöhnt auch der Geist Gottes, der uns zu Hilfe kommt. Wir sind schwache Menschen und unfähig, unsere Bitten in der rechten Weise vor Gott zu bringen. Deshalb tritt sein Geist für uns ein mit einem Seufzen, das sich nicht in Worte fassen läßt. 27 Und Gott, vor dem unser Innerstes offenliegt, weiß, was sein Geist in unserem Innern ihm sagen will. Denn so, wie es vor Gott angemessen ist, legt er Fürsprache ein für die, die Gott als sein Eigentum ausgesondert hat.

28 Was auch geschieht, das eine wissen wir: Für die, die Gott lieben, muss alles zu ihrem Heil dienen. Es sind die Menschen, die er nach seinem freien Entschluss berufen hat. 29 Sie alle, die Gott im voraus ausgewählt hat, die hat er auch dazu bestimmt, seinem Sohn gleich zu werden. Nach dessen Bild sollen sie alle gestaltet werden, damit er der Erstgeborene unter vielen Brüdern und Schwestern ist.

»Wir wissen nicht, was wir beten sollen« schreibt Paulus. Das ist eigentlich ein ganz erstaunlicher Satz. Es geht nicht darum, ob wir besser laut oder leise beten, mit erhobenen Armen oder äußerlich unbewegt, allein oder mit anderen. Nein, wir wissen noch nicht einmal, worum wir beten sollen. Wir wissen nicht einmal, ob das, was wir erbitten, denn in Gottes Sinn ist.

Unser Augenmerk richtet sich vor allem auf unser Leben und was wir dazu brauchen, und das ist nicht falsch. Schon gar nicht in dem Sinn, dass wir bescheidener sein müssten und nicht immer an uns denken sollten. Nein, das ist in Ordnung, Gott denkt ja auch dauernd an uns und unser Wohlergehen. Aber Gott hat dabei die Perspektive der ganzen Ewigkeit: hier in diesem Leben will er uns vorbereiten auf die Ewigkeit, damit wir uns dort zurechtfinden und zu Hause fühlen. Gott nutzt unsere Zeit auf der Erde dazu, uns auf den Geschmack zu bringen und uns dahin zu bringen, dass wir uns freuen, wenn wir den Himmel sehen werden.

Wir haben diese Perspektive nur in viel geringerem Maß, wir sind beschäftigt mit den Sorgen des Tages und eingezwängt in die Gegenwart. Nur manchmal, wenn etwas zerbricht bei uns, oder wenn wir für einen Augenblick deutlich innewerden, dass unser Leben begrenzt ist, oder wenn wir große Freude erleben, wenn wir Gott sehr stark erleben, dann weitet sich unser Horizont, und unser Geist wird stärker. Dann verstehen wir eine Spur besser, wie wichtig es ist, uns eines Tages in der Ewigkeit zu Hause zu fühlen, wichtiger als all die anderen Sachen, die uns sonst soviel Sorgen machen.

Wie kann so ein Moment aussehen wo sich aus Gottes Perspektive die Prioritäten verschieben? Mir fällt dazu eine Erzählung von Ernest Hemingway ein, die heißt: »Das kurze, glückliche Leben des Francis Macomber«. Dieses kurze glückliche Leben dauert ungefähr eine Stunde. Und doch ist es wohl Hemingways Meinung, dass sich diese Stunde gelohnt hat.

Francis Macomber, 35 Jahre alt, ein reicher Amerikaner, ist auf Safari in Afrika. Als unerwartet ein angeschossener Löwe vor ihm auftaucht, bekommt er es mit der Angst zu tun und läuft einfach weg. Er ist feige und blamiert sich bis auf die Knochen. Der Großwildjäger, den er angeheuert hat, tötet das Tier für ihn. Seine Frau hat gesehen, dass er feige war; sie macht ihn dafür fertig und betrügt ihn mit dem Jäger. Francis Macomber ist ziemlich am Ende.

Am nächsten Tag jagen sie Büffel. Und auf einmal überkommt ihn Mut. Auf einmal weiß er, dass er nicht mehr weglaufen wird, vor wilden Tieren nicht und nicht vor den Problemen seiner Ehe. Ein angeschossener Büffel hat sich im hohen Gras versteckt, so wie am Tag vorher der Löwe, und jetzt kann Francis Macomber es kaum erwarten, die Beute aufzuspüren. Als der Büffel auf sie losstürmt, steht er kaltblütig da und gibt ruhig Schuss auf Schuss ab. Er hat seinen Mut gefunden. In diesem Moment trifft ihn eine tödliche Kugel aus dem Gewehr seiner Frau. Offiziell ist es ein Unfall, aber Hemingway macht deutlich, dass sie in Wirklichkeit nicht auf den Büffel geschossen hat, sondern auf ihn, weil sie Angst bekommen hat vor diesem mutigen Mann, der er plötzlich geworden ist.

Gut, das ist eben Hemingway, bei dem ein Mann noch ein richtiger Mann ist, wenn er Löwen schießt und viel Alkohol trinkt. Aber interessant finde ich, dass Hemingway offensichtlich der Meinung ist, dass sich diese eine Stunde gelohnt hat, wo Francis Macomber seinen Mut gefunden hat und glücklich darüber ist. Ein glückliches Leben von einer Stunde, aber es hat sich gelohnt. Es war richtig. Sogar ein völlig weltlicher Schriftsteller weiß etwas davon, dass es in unserem Leben vor allem darum geht, dass wir die Menschen werden, zu denen wir bestimmt sind, und dass dieses Glück wichtiger ist als ein langes Leben.

Und nun erst recht Gott weiß, dass das Ziel unseres Lebens nicht darin liegt, möglichst bequem und ruhig möglichst viele Jahre hinter uns zu bringen. Gott weiß, dass es sich für einen Menschen lohnt, Hartes und Schwieriges zu ertragen, wenn ihn das Jesus näher bringt. Aus Gottes Sicht ist das eindeutig das Wichtigste für uns. Dass er uns dafür manchmal ziemlich massiv durchrütteln muss, damit uns die Augen geöffnet werden für ein falsches Lebenskonzept, das nie und nimmer in der Ewigkeit aufgeht, das ist in seinen Augen ein geringer Preis. Aber wir verstehen es nicht und fragen oder schreien vielleicht: was soll das? Was hast du mit mir vor? So grausam kannst du doch nicht zu mir sein! Und Gott schweigt – nicht weil er uns im Unklaren lassen will, sondern weil wir ihn noch gar nicht verstehen könnten. Er sieht, wie es uns weh tut, aber er denkt an den Menschen, zu dem wir berufen sind, und er lässt uns in dem Feuer, aus dem wir so gerne entkommen würden. Denn er will, dass wir nach dem Bild Jesu gestaltet werden.

Jesus will nicht allein bleiben, sondern nur der Erstgeborene sein, der aber viele Geschwister hat. Das ist das Ziel, das Gott hat, wenn er uns beruft: wir sollen das Bild Jesu tragen. Das ist so eine umfassende Perspektive, dass wir sie nur mit Mühe erahnen.

Deswegen greifen auch unsere Gebete in den meisten Fällen zu kurz, wir haben zu wenig im Blick, worauf Gott uns vorbereiten will, und wenn wir doch eine Ahnung davon haben, dann wissen wir immer noch nicht, in welche Richtung das gehen soll.

Und deswegen betet in uns der Heilige Geist. Paulus hat vor Augen, wie in den Gottesdiensten in Zungen geredet wird, eine Sprache, die mehr ausdrückt als es der menschliche Sprachapparat normalerweise kann, so wie etwa auch Musik mehr ausdrücken kann als reiner Text. Aber der Heilige Geist kann sich auch ganz anders ausdrücken. Z.B. durch Weinen. Jedenfalls sagt Paulus: Auch wenn du nicht weißt, was richtig ist für dich, Gottes Geist betet in uns und durch uns.

Das ist ein Zeichen unserer Armut. Wir durchschauen nicht Gottes Absichten mit uns, aber da springt der Heilige Geist ein, und der kennt Gottes Willen, und er betet in unserem Herzen im Sinne Gottes. Er signalisiert Gott die Bereitschaft, diesen schweren und harten Weg zu gehen, bis wir da sind, wo er uns haben will. Der Heilige Geist ersetzt unsere Antwort, er betet in uns an unserer Stelle, und er betet um das Richtige. Wir würden nur darum bitten, dass das alles schnell vorüber geht. Der Heilige Geist sagt: Gott, ich vertraue dir, dass du es alles gut machst.

Deswegen heißt es dann: denen, die Gott lieben, muss alles zum Besten dienen. Liebe Freunde, das ist eine fundamentale Verheißung. Ein ganz großes Versprechen: Was dir auch begegnet, Gott kann daraus etwas Gutes machen. Und er wird es tun bei denen, die Gott lieben. Diejenigen, die Gott lieben, das sind die, in denen der Heilige Geist betet. Da kann Gott auch aus dem Niederdrückendsten und Bösesten etwas Gutes machen.

Das müssen wir uns ganz fest einprägen. Was auch immer uns begegnet – und es gibt ja viele Dinge, von denen wir hoffen, dass sie uns nie begegnen werden – es gibt nichts, was Gott fürchten müsste, nichts, wo er sagen müsste: ja, da weiß ich auch nicht, was ich daraus machen soll. Gott ist nie ratlos, er schüttelt nie den Kopf und sagt: das ist wirklich schlimm, was sollen wir da nur tun? Wir warten voll Angst auf das Happy-end, das wir nicht schreiben können. Wir warten im Dunkeln auf ein Licht, das wir nicht entzünden können. Warten ist die härteste Arbeit der Hoffnung. Mit Warten ist nicht ein passives Abwarten gemeint. Es ist ein angespannte Ausschau-halten, es gehört dazu, dass wir immer wieder an die Stellen gehen, die Gott uns als Treffpunkt genannt hat – die Gemeinde, die Bibel, das Beten. Wir sind Geschöpfe, die die wirklich wichtigen Dinge nicht selbst hervorbringen können. Deswegen schauen wir aus nach Gott, manchmal ganz verzweifelt. Und die vertrauensvolle Erwartung, dass Gott es zur rechten Zeit tun wird, das ist die Gabe des Heiligen Geistes in unserem Herzen.

Sehen Sie, wir haben ja auch unsere Ideen, wie Gott eine verfahrene Situation in Ordnung bringen könnte. Mir fallen manchmal wunderschöne Kombinationen ein, wie er einen Haufen Probleme auf einen Schlag aus der Welt schaffen könnte. Aber meistens tut er es nicht. Ich habe den Eindruck, dass es bei Gott oft länger dauert, als wir es gern hätten. Es ist manchmal, als ob er alle Zeit der Welt hätte und einfach geduldig abwartet, dass wir etwas lernen oder bis etwas in uns kaputtgeht, was ihm im Weg steht. Und er geht nicht weiter mit uns, bis das passiert ist. Und wir brauchen vielleicht Jahre, bis es in uns wächst oder wir etwas verstehen.

Ich habe manchmal eine Ahnung, was Gott bei einem anderen Menschen jetzt vorhaben könnte. Wahrscheinlich geht es Ihnen auch gelegentlich so, dass Sie bei einem anderen ahnen, was Gott jetzt von ihm will. Die Ahnung mag falsch oder richtig sein, eins ist eigentlich meistens klar: du kannst das dem Betreffenden nicht sagen, bevor die Zeit gekommen ist. Natürlich kann durch gute Seelsorge manches vorangebracht werden, aber auch in der Seelsorge kannst du einem Menschen viele wichtige Dinge erst sagen, wenn es soweit ist. Vorher wird er sie nicht verstehen oder empört zurückweisen, und du wirst Schaden anrichten, wenn du zu früh damit herausplatzt.

Aber nun lasst uns überlegen: wenn das bei anderen so ist, dann wird es bei uns selbst ja sicherlich genauso sein. Was andere vielleicht schon längst bei uns sehen, und Gott auf jeden Fall, das ist uns selbst oft noch ganz unzugänglich. Im Rückblick, aus dem zeitlichen Abstand, da meinen wir dann einige Zusammenhänge zu erkennen, aber selbst das ist unsicher. In der Frage, was für uns selbst wirklich gut ist, da tappen wir ganz oft im Dunkeln.

Kein Wunder, dass wir so oft nicht verstehen, weshalb Gott uns immer noch weiter warten lässt. Wenn wir es verstehen würden, dann wären wir ja schon um diese Klippe herum. Und es bleibt uns gar nichts anderes, als es Gott zuzutrauen, dass er weiß, was er tut, und ihm zu sagen, dass wir ihn lieben und an seiner Hand gehen wollen. Und das kann uns manchmal auch schon sehr helfen, wenn wir so deutlich Ja zu ihm sagen, aber selbst das ist nicht garantiert.

Manchmal ist Gott aber auch ungeduldiger als wir es möchten. Kaum haben wir einen Schritt getan, da drängt er uns schon wieder zum nächsten. Wirklich, wir übersehen immer nur ein paar Fäden vom ganzen Gewebe.

Aber Gott sieht schon voraus auf den Tag, an dem er alle Tränen abwischen wird, der Tag, an dem auch die Vergangenheit noch einmal hervorgeholt wird und verändert wird. Wir werden dann sehen, dass es wirklich alles zu unserem Besten gedient hat.

Aber bis dahin ist es in Ordnung, wenn wir weiter ausschauen nach ihm; wenn wir tun, was wir können; wenn wir Rat suchen; wenn wir uns bemühen, ihn zu verstehen, so gut wir das können; wenn wir den Heiligen Geist bitten, dass er in uns das Richtige sagt.

Mit unaussprechlichem Seufzen spricht der Geist aus, was uns bedrückt und quält, und welcher Schmerz hier in dieser gebrochenen Schöpfung herrscht, und Gott wird es hören.