Die Alternative leben in der Kraft des Heiligen Geistes

Predigt am 19. Mai 2002 (Pfingsten I) zu Römer 8,1-13 pass.

1-2 Müssen wir denn nun noch damit rechnen, verurteilt zu werden? Nein, für die, die in Jesus Christus sind, gibt es keine Verurteilung mehr. Denn wenn du in Jesus Christus bist, bist du nicht mehr unter dem Gesetz der Sünde und des Todes; das Gesetz des Geistes, der lebendig macht, hat dich davon befreit.

10-11 Wenn nun aber Christus in euch ist, dann habt ihr aufgrund der Gerechtigkeit, die Gott euch geschenkt hat, den Geist empfangen und mit ihm das Leben, auch wenn euer Körper als Folge der Sünde dem Tod verfallen ist. Nun ist ja der Geist, der in euch wohnt, der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat. Und weil Gott Christus von den Toten auferweckt hat, wird er auch euren sterblichen Körper durch seinen Geist lebendig machen, durch den Geist, der in euch wohnt.

13 Wenn ihr euer Leben von eurer eigenen Natur bestimmen lasst, müsst ihr sterben. Wenn ihr euch jedoch von Gottes Geist bestimmen lasst und dadurch die alten Verhaltensweisen tötet, werdet ihr leben.

Christsein bedeutet: in der Gegenwart des Heiligen Geistes leben, es bedeutet, dass sich in unserem Leben ein neues Muster zeigt: das »Gesetz des Geistes« nennt es Paulus. Es ist eine neue Logik, nach der wir leben, die alternative Logik des Heiligen Geistes. Eigentlich sind wir mit Leib und Seele eingebunden in die Todeslogik der gottlosen Welt, und wir können uns da nicht abkoppeln. Überall begegnen uns die Grundmuster und Selbstverständlichkeiten, nach denen die Welt funktioniert – Habgier, Egoismus, Angst, Mitleidslosigkeit. Und wir kommen da nicht heraus. Das heißt nicht, dass wir nicht manchmal großzügig oder mitleidig sind. Aber das kann sich nicht entfalten, weil es immer wieder mit der Logik der gefallenen Welt kollidiert.

Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten in einem Supermarkt, und kurz vor Ladenschluss kommt ein ziemlich abgerissener Mensch und fragt etwas verschämt, ob Sie vielleicht ein paar Lebensmittel haben, bei denen das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, und ob er die haben kann, weil er Hunger hat. Und Sie wissen, dass im Lager zwei Paletten mit abgelaufenem Joghurt stehen, die in den Müll kommen, aber Sie wissen auch, dass die Firmenleitung entschieden hat, dass solche Ware nicht verschenkt wird. Und Ihr Marktleiter drückt da kein Auge zu. Und Sie würden diesem Menschen eigentlich gerne etwas geben, aber Sie sagen zu ihm: nein, tut mir leid, wir haben nichts. Und Sie fühlen sich schlecht dabei.

Das ist ein Beispiel dafür, wie sich das Gesetz der Sünde und des Todes in unserem Leben durchsetzt, obwohl wir eigentlich mitleidig sind und diesem Menschen gerne geholfen hätten. Es kommt immer darauf an: wer hat die Kommandohöhen unter Kontrolle? Und dann können wir, du und ich, eigentlich noch so mitleidig sein, faktisch werden wir von einem anderen Gesetz beherrscht, und auf das Faktische kommt es an, nicht auf unsere guten Absichten. Wir unterstehen dem Gesetz der Sünde und des Todes und deshalb unterliegen wir der Verurteilung Gottes.

Und schlimmer noch, weil wir das Gute nicht tun, werden wir im Laufe der Zeit anfangen, die Entscheidung der Firmenleitung richtig zu finden, wir werden unser Mitleid verlieren, arrogant werden und irgendwann auch harte Worte gebrauchen, damit wir uns nicht mehr so schlecht beim Lügen fühlen. Wir werden immer stärker in diese tödliche Logik hineingezogen. Und sie wirkt sich aus in unserem Leben, schon jetzt, wir leben immer weiter weg von Gott, unser Herz wird immer härter und ärmer, und die Verurteilung breitet sich in unserem Leben aus: die Verurteilung anderer, die Ablehnung anderer und die Selbstablehnung.

Aber nun ist etwas Grundlegendes geschehen: wir sind in Christus und der Heilige Geist kommt zu uns. Und Jesus hat es sich unheimlich viel kosten lassen, dich und mich da herauszulösen aus dieser unbarmherzigen Logik, aus diesem Gesetz der Sünde und des Todes. Durch seinen Tod hat er die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich ein anderes Muster in unserem Dasein ausbreiten kann, das Muster des Lebens, die göttliche Logik, nach der die Welt geschaffen ist: leben, schenken, segnen.

Weil Jesus für uns gestorben ist, deshalb sind wir nicht mehr festgelegt auf die Muster, nach denen wir vielleicht ein ganzes Leben lang gehandelt haben. Er hat uns freigekauft, er hat die gottlosen Bindungen durchschnitten, mit denen wir an diese Welt und ihr Gesetz gebunden waren, er hat den Kanal geöffnet, durch den der Heilige Geist mit seiner göttlichen Logik zu uns kommen kann. Vorher waren wir mit Leib und Seele verkauft an das Gesetz des Todes. Jetzt breitet sich in unserem Leben das Gesetz des Heiligen Geistes aus. Vorher lebten wir unter der Ablehnung und unter dem Zorn Gottes, der uns zurückgewiesen hat, solange wir Werkzeuge des Todes waren. Jetzt leben wir unter den freundlichen Blicken Gottes, weil die Kommandohöhen unseres Lebens jetzt ihm gehören und sich eine andere Logik in unserem Leben ausbreitet.

Vorher lebten wir unter der Verurteilung: wir wurden von Gott zu Recht verurteilt, wir fühlten uns verurteilt, wir verurteilten uns selbst, wir verurteilten andere, obwohl wir pausenlos beteuern, dass man niemanden verurteilen darf.

Jetzt gibt es keine Verurteilung mehr für alle, die in Jesus Christus sind. Wo der Geist Gottes herrscht, da gibt es keine Verurteilung mehr.

Ist Ihnen klar, wie viele Menschen unter Verurteilung leiden? Und wie viele Menschen sich selbst verurteilen? Das muss gar nicht in religiöser Form geschehen – obwohl die eigentliche Quelle aller Verurteilung darin besteht, dass wir Gottes Urteil über uns spüren. Jede Religion weiß irgendwie, dass wir vor Gott nicht o.k. sind, und jede Religion lebt davon, irgendeinen Deal anzubieten, irgendeine angebliche Lösung, wie wir da wieder herauskommen.

Aber das Gespür, dass wir unter der Verurteilung Gottes leben, die gibt es genauso in einer ganz nichtreligiösen, säkularen Form. Wieviele Menschen fühlen sich verurteilt und abgelehnt, weil sie versagt haben, weil sie nicht so erfolgreich sind wie andere, weil sie weniger haben als andere, weil sie nicht das Auftreten haben wie andere. Menschen kaufen teure Sachen, um sich nicht abgelehnt zu fühlen und um von anderen akzeptiert zu werden. Viele unserer Mitmenschen haben es aufgegeben, sich vor Gott zu fürchten, dafür fürchten sie sich um so mehr vor der Ablehnung durch Menschen.

Ja – wovor fürchten sich Menschen am meisten? Vor Ablehnung. Irgendwo habe ich neulich gelesen, dass Wissenschaftler über die Motive geforscht haben, warum Menschen telefonieren. Es wird ja über die merkwürdigsten Dinge geforscht. Aber die haben dann herausgefunden, dass der Grund für viele Telefonate und SMS-Nachrichten einfach darin besteht, dass Menschen sich nur überzeugen wollen, dass sie noch gemocht werden. Dass man sie nicht ablehnt. Abgelehnt zu werden, das ist eine Verurteilung durch Menschen, und es ist die größte Angst, dass einem das passieren könnte.

Ich habe gerade einen Artikel in einer christlichen Zeitschrift gesehen, wo einer darüber schreibt, wie tief es ihn beunruhigt hat, als er las, dass weiße Tennissocken inzwischen völlig von gestern sind. In einer Lifestylezeitschrift wurde eine junge Frau damit zitiert, dass sie selbstverständlich nie jemanden heiraten würde, der weiße Tennissocken trägt.

Dieser Mann ist zwar schon verheiratet, aber er liebt weiße Tennissocken. Und dann beschreibt er, wie er merkte, dass ihn das beunruhigte, dass seine Tennissocken völlig out sind. Und er ärgerte sich, als er merkte, wieviel Gedankenenergie er damit verschwendet. Und er sagt: das passiert uns Christen genauso wie den andern, dass wir lange darüber nachdenken, wie wir wohl von den anderen gesehen werden und was sie von uns halten. Auch bei Christen: Angst vor Ablehnung, Angst vor Verurteilung. Und auch Selbstverurteilung, Selbstablehnung, weil man bestimmten Maßstäben nicht entspricht, weil man mit dem eigenen Körper oder dem eigenen Aussehen nicht zufrieden ist, weil man nicht glaubt, dass man o.k. ist, weil auch Christen nicht wirklich glauben, dass Gott sie nicht verurteilt.

Die Kehrseite der Selbstverurteilung ist dann die Verurteilung anderer. Und die ganze Strenge, mit der wir an anderen aufspießen, was an ihnen falsch ist und was sie auf dem Kerbholz haben, die wendet sich gegen uns selbst. Das gehört zusammen: die Verurteilung anderer und die Selbstverurteilung, die sind ein einziges Paar Schuhe, und man wird sie nur gemeinsam los.

Dagegen heißt es hier im Römerbrief: es gibt keine Verurteilung für die, die in Jesus Christus sind. Unser Gott verurteilt uns nicht. Es gibt Menschen, denen müsste man das in riesigen Buchstaben an alle Wände ihrer Wohnung schreiben: UNSER GOTT VERURTEILT DICH NICHT. Ein Großteil der Befreiung, die Jesus brachte, bestand immer wieder darin, dass er das den Menschen klar machte: Gott verurteilt dich nicht. Immer, wenn er Sünden vergab, bestätigte er das: Gott hat kein Interesse daran, dich zu verurteilen. Und als der auferstandenen Jesus seinen Jüngern wieder begegnete, die ihn bei seinem Tod im Stich gelassen hatten, da machte er ihnen wieder deutlich: ich verurteile euch nicht.

Liebe Freunde, es gibt einige Dinge, die kann man bei Gott absolut ausschließen: Gott gerät z.B. niemals in Panik, und panische Gedanken, die in uns aufsteigen, sind niemals von ihm. Und Gott verurteilt keine Menschen, die zu Christus gehören und seinen Geist haben. Wenn du also in dir Stimmen hörst, die dich angreifen und verurteilen und die dir ein schlechtes Gewissen machen wollen: die sind nicht von Gott. Vielleicht ruft dich Gott zu mehr Entschiedenheit, vielleicht macht er dich auf Schwachstellen in deinem Leben aufmerksam (das macht er sogar ganz bestimmt), aber er verurteilt dich nicht. Lerne die Stimme Gottes so gut kennen, dass du sie mit keiner anderen verwechselst! Und zum ABC in der Schule des Heiligen Geistes gehört es, dass Gott dich nicht verurteilt. Und nur, wenn du anfängst, dir das wieder zurückzuholen, indem du dich selbst oder andere verurteilst, dann wirst du wieder diese Ablehnung spüren, aber es ist nicht Gottes Stimme, denn es gibt keine Verurteilung für die, die in Jesus Christus sind.

Es gibt immer wieder Menschen, die sagen: das kann doch nicht sein, wo kommen wir da hin, wenn die Leute gar keine Angst mehr vor Verurteilung haben. Dann werden sie anfangen, ein sorgloses, wüstes Leben zu führen! Ein bisschen Angst muss doch sein! Aber das ist nicht die Art, wie Gott mit uns umgeht. Gott fordert uns heraus, er bringt uns in Bewegung, er warnt uns, er hilft uns wieder auf, wenn wir auf die Nase gefallen sind, aber er verurteilt uns nicht. Nur wenn wir wieder zurückgehen in die alte Logik des Todes, dann gehen wir auch wieder zurück unter seinen Zorn.

Das gibt es. Ein gläubiger Christ, der Jesus bewusst und willig angenommen hat, kann verlorengehen. Diejenigen werden verlorengehen, die Jesus willentlich abgelehnt haben, aber auch die werden verlorengehen, die Jesus angenommen haben, aber nicht zu einem Leben in Gehorsam gefunden haben und in Halbherzigkeit stecken geblieben sind. Nicht, dass wir »Her, Herr« sagen, rettet uns, sondern dass wir den Willen tun unseres Vaters im Himmel. Aber das können wir erst durch den Heiligen Geist. Und wenn wir den haben, dann wird Gott uns nicht verurteilen, sondern dann sieht er unsere ungeschickten und ahnungslosen Versuche, seinen Willen zu tun, so an, als ob es makellos gelungene Versuche wären.

Vielleicht fragt jetzt einer: was soll ich aber tun, wenn ich an der Supermarktkasse sitze und in so eine Lage komme und der Chef erlaubt es wirklich nicht, dass ich den Joghurt verschenke? Ja, da gibt es mehrere Möglichkeiten: Man kann auf jeden Fall für dieses Problem beten, und der Heilige Geist hilft uns weiter, wenn wir wirklich Gottes Willen tun wollen. Man kann versuchen, trotzdem den Joghurt zu verschenken und das Risiko eingehen, dabei erwischt zu werden. Man kann privat etwas verschenken. Man kann versuchen, die Geschäftsleitung umzustimmen – so aussichtslos ist das nicht. Man kann zur Not den Arbeitsplatz wechseln. Es gibt sicherlich noch viel mehr Möglichkeiten. Der Heilige Geist ist der Geist der vielen Möglichkeiten.

Wenn wir aber das Gefühl haben, wir hätten keine Alternative, das ist das sicherste Zeichen dafür, dass wir nicht nach der Logik des Heiligen Geistes leben, sondern unter dem Gesetz der Sünde und des Todes. Das ist gerade das Kennzeichen der Todeslogik, dass einer sagt: ich kann nicht anders, ich habe keine andere Wahl, ich muss tun, was nicht gut ist. Wenn eine Regierung so denkt, dann ist sie der Todeslogik verfallen und wird vermutlich abgewählt werden. Wenn einer persönlich feststellt, dass er so denkt, der muss um Befreiung beten. Denn der Glaube, wir hätten keine Alternative, ist einer der entscheidenden Schritte auf dem Weg zur Hölle.

Wir können es niemals akzeptieren, dass wir keine andere Wahl haben, als uns einer schlechten Sache einfach einzufügen. Denn Jesus hat uns befreit aus der Alternativlosigkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Und wenn wir auf dieser Freiheitsstraße vorangehen, ob wir am Anfang, in der Mitte oder schon fast am Ziel sind, dann gibt es für uns keine Verurteilung.