Gott ist größer – warum wir ihn nicht klein machen sollen

Predigt im Besonderen Gottesdienst am 28. Januar 2001 zu Römer 1,16-17

Zu dieser Botschaft bekenne ich mich offen und ohne mich zu schämen, denn das Evangelium ist die Kraft Gottes, die jedem, der glaubt, Rettung bringt. Das gilt zunächst für die Juden, es gilt aber auch für jeden anderen Menschen. Denn im Evangelium zeigt uns Gott seine Gerechtigkeit, eine Gerechtigkeit, zu der man durch den Glauben Zugang hat; sie kommt dem zugute, der ihm vertraut. Darum heißt es in der Schrift: »Der Gerechte wird leben, weil er glaubt.«

»Gott ist größer« – der Titel unseres Gottesdienstes – das ist eine kurze Zusammenfassung von dem, was Paulus meinte, als er im Römerbrief schrieb: ich bekenne mich zum Evangelium offen und ohne mich zu schämen. Er war auf dem Weg in die riesige Stadt Rom mit ihren Hunderttausenden von Menschen, mit ihren -zig verschiedenen Religionen, die Hauptstadt des römischen Weltreichs, und er sagte: Trotzdem, Gott ist größer. Ich zweifle nicht daran, dass das Evangelium auch dort seine Kraft entfaltet. Das Evangelium ist die Kraft Gottes. Wenn ich davon rede, wird Gott etwas erreichen.

Lasst uns das gut festhalten: Das Evangelium ist die Kraft Gottes. Damit bewegt er die Welt. Es kann ja einer kommen und sagen: das funktioniert nicht und das kann ich mir nicht vorstellen – aber Paulus würde dazu sagen: mit weniger gebe ich mich nicht zufrieden. Wenn ich von Jesus Christus rede, dann muss sich dadurch die Welt verändern und im Herzen von Menschen muss sich was bewegen, und wenn das nicht passiert, dann stimmt irgendwas nicht. Gott regiert die Welt, aber er tut das auf seine ganz spezielle Art, nämlich durch das Evangelium von Jesus Christus, dadurch, dass Jesus lebendig wird in dem, was wir von ihm erzählen, und dass er dann in Menschen lebendig bleibt und sie verändert. Dieser Weg ist am Ende nachhaltiger als alles andere, was es sonst noch in der Welt gibt an Kräften und Einflüssen. Gott ist größer.

Für alle, die sich nicht vorstellen können, wie das gehen soll, erzähle ich von einem Gespräch, das ich neulich mit jemandem hatte, der in der Verwaltung was zu sagen hat. Worüber redeten wir? Uber Bürokratie. Und das ist ja nicht so, dass da in den Ämtern alles sture Paragrafenreiter sitzen, sondern die leiden auch darunter, dass sie viele Dinge tun, die vorgeschrieben sind und wo sie selbst merken, dass manches einfach nicht hinhaut, wie sich das Leute mal ausgedacht haben. Und ich habe dann gesagt: aber ihr könnt doch manche Vorschriften so oder so auslegen, und man kann auch mal ein Auge zudrücken, und man hat da doch einen Spielraum. Und so unter uns bekam ich dann zur Antwort: klar, natürlich habe ich einen Spielraum, der hat seine Grenzen, aber natürlich hängt da ganz viel von mir ab, wie ich diesen Spielraum nutze.

Und ich habe gedacht: es hängt so viel an den Menschen, ob die den Mut haben, Verantwortung zu übernehmen, und ihren Spielraum – den wir nämlich alle haben – im guten Sinn auszunutzen, oder ob sie einfach Dienst nach Vorschrift machen. Manchmal sind die Vorschriften längst nicht so wichtig wie die Person, die sie ausführt.

Und das bedeutet: es ist eine Frage danach, in welchem Geist einer arbeitet, und ob er die Stärke hat, seine Spielräume zu nutzen im Interesse der Menschen und ihres gedeihlichen Zusammenlebens. Und wenn er das nicht will, dann kann ihn keine Vorschrift der Welt dazu zwingen.

Ich halte es für keinen Zufall, dass es oft christlich beeinflusste Menschen sind, wie mein Gesprächspartner, die diesen Mut aufbringen, Verantwortung zu übernehmen, ich zu sagen, sich nicht einfach nur als Vollstrecker zu betrachten. Ich bin überzeugt, es würde sich in unserer Gesellschaft wesentlich schlechter leben lassen, wenn es nicht überall, auf allen Ebenen, solche Menschen gäbe. Es gehört zur Weltregierung Gottes, dass er durch das Evangelium Menschen mit dieser Stärke ausstattet.

Der Weg Gottes läuft meistens über seinen Direktanschluss zu den Herzen, und wer diesen Zugang hat, der bewegt wirklich etwas in der Welt. Aber das sind alles Zusammenhänge, die einem auf den ersten Blick überhaupt nicht auffallen. Von den Wegen Gottes in der Welt und in unserem Herzen überblicken wir bestenfalls Teilstrecken. Und dann denken wir leicht: wo bleibt denn seine Kraft, wo ist die Dynamik, von der wir immer hören?

Und deswegen müssen wir den Satz, dass Gott größer ist, ergänzen, z.B. so:

Gott ist größer … als wir denken.

Wenn Sie sich noch mal erinnern an die Szene am Anfang, mit meinem Kollegen, der sich da schwer getan hat mit der Übersetzung der Traupredigt: wenn Sie ein bisschen Englisch verstehen, dann haben Sie es ganz deutlich mitverfolgen können; wenn Sie eher Probleme haben mit der englischen Sprache wie die eine Zuhörerin in der Szene, dann haben Sie es bestimmt am Tonfall gemerkt, wie der eine überzeugt und begeistert redet und Gott gross machen will, und in der Übersetzung wurden da lauter Probleme draus. Aber das größte Problem ist es doch, wenn die Freude an Gott verloren geht! Einmal zaghaft übersetzt, und schon schrumpft unser Bild von Gott wie ein Wollpullover in der Waschmaschine. Und es passt hinten und vorne nicht mehr.

Ist das nur irgend eine merkwürdige Sorte Pastoren, die das so macht, oder betrifft uns das nicht mehr oder weniger alle? Dass wir uns schwer damit tun, diese großen Worte selbst zu sprechen, so wie Paulus das gemacht hat? Natürlich sind wir keine Apostel wie Paulus, aber ob wir uns denn nicht eine Scheibe abschneiden können von diesem Selbstbewusstsein, dass wir beteiligt sind an Gottes Projekt hier auf der Erde, und dass Gott etwas erreicht, wenn wir das Evangelium aussprechen? Wir sind beteiligt an der einflussreichsten Kraft in der Welt. Das Reich Gottes, seine Stärke und Dynamik, ist für ganz normale Menschen erreichbar. Mitten in dieser alten, zerbrochenen Welt mit all den gebrochenen und verunsicherten Menschen können wir leben in der Gegenwart des Reiches Gottes, auf die Art, die Jesus gebracht hat.

Und das können wir doch nicht klein machen, da können wir nicht so zurückhaltend von sprechen, dass keiner mehr merkt, wie sich hier eine Kraft entfaltet, die vorher keiner so gekannt hat. Es braucht Zutrauen, dass dies der Dreh- und Angelpunkt der Welt ist.

Aber da liegt natürlich auch die Schwachstelle an der ganzen Sache. Wir sind die Schwachstelle. Das Evangelium kann wirken, wenn wir ihm den Spielraum, den wir haben, auch zur Verfügung stellen. Ohne Glauben auf unserer Seite wird sich Gott hüten, irgendetwas zu erzwingen. Wenn Sie an die Leute aus Jesu Heimat denken, aus Nazareth, in der zweiten Szene, die waren blockiert, die waren zu, ein ganzer Ort, und dann heißt es im Markusevangelium: Jesus konnte dort keine Wunder tun, nur ein paar Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Offensichtlich ein ganz mageres Ergebnis im Vergleich mit anderen Städten.

Jetzt frage ich: warum konnte Jesus da keine Wunder tun? Hatte ihn seine Kraft verlassen? Funktionierte das alles plötzlich nicht mehr? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Oder war Jesus so frustriert, dass er keinen Mut mehr hatte? Da hat er aber ganz andere Dinge durchgestanden. Nein, ich glaube, die Sache ist viel einfacher. Es kam keiner zu ihm. Keiner gab Jesus die Gelegenheit, etwas gesund zu machen. Und woran lag das?

Es ist ganz schwer, jemanden in einem neuen Licht zu sehen, wenn man denkt: den kenne ich doch ganz genau. Mit dem bin ich aufgewachsen, ich kann mich noch erinnern, wie er in die Schule gekommen ist. Und wenn der eines Tages einen ganz unerwarteten Weg einschlägt, dann passt das nicht in unser Weltbild, und wir haben den heftigen Eindruck: das kann doch nicht mit rechten Dingen zugegangen sein.

Möglicherweise sind wir im christlichen Abendland genau in dieser Lage. Deswegen muss man den Satz, dass Gott größer ist, auch so ergänzen:

Gott ist größer … als wir es bisher erlebt haben.

Wir haben ja auch alle schon einiges erlebt mit Jesus und der Kirche, die auf ihn zurückgeht. Nicht nur wir persönlich, sondern unsere ganze Gesellschaft ist ja mal christlich geprägt gewesen. Und an vielen Punkten ist sie es immer noch. Ganz viele Menschen denken dabei an ihre Taufe, ihre Konfirmation, ihre Trauung, manchmal alles in ein und derselben Kirche. Und Menschen denken an die 10 Gebote und sagen: daran halte ich mich. Und das sind gute Sachen. Wenn man schaut, wie sich heute Werte verschieben, dann kann man froh sein über jeden, der sich an den 10 Geboten orientiert.

Aber die Frage ist ja, ob uns diese lange Bekanntschaft nicht auch behindern kann, weil wir uns dann so schlecht vorstellen können, dass wir mit Gott noch mehr und größeres erleben werden. Ob wir es so nicht auch schwer haben, Jesus neu und auf ungewohnte Weise zu erleben. Und dann kann er auch nicht all das heilen, was eigentlich unter uns gesund werden müsste – und könnte.

Wir brauchen nicht weniger oder dasselbe, wir brauchen mehr als das, was wir schon kennen. In einer Zeit, wo fernsehöffentlich 50 Frauen wie im Katalog einem Millionär zum Aussuchen vorgeführt werden, da muss man unbedingt ganz vollmundig davon sprechen, dass Gott einen Mann und eine Frau zusammenfügt und dass er in ihrem Bund mit drin sein will, nicht nur am Hochzeitstag, wo alle bester Laune sind, sondern dass sie ihren Spielraum, den sie in ihrer Ehe haben, dafür einsetzen sollen, dass dieses Stück Welt im Namen Jesu gestaltet wird und dass da das Evangelium zu hören und zu sehen ist.

Gott beruft Einzelne und Paare dazu, den Spielraum zu nutzen, den sie haben, in der Familie, in der Verwaltung und anderswo, damit er durch viele Menschen der Welt an ganz vielen Stellen eine neue Richtung geben kann.

Wir leben in Zeiten, in denen ein kleiner Gott uns nicht helfen kann. Wie rasant verändert sich heute die Welt, wenn man nur zehn Jahre zurückschaut. Wenn schon, dann brauchen wir den Gott, der auch jetzt nicht nervös wird, weil er nämlich weiß, dass er die Macht hat im Himmel und auf Erden, und dass seine Kraft, sein Evangelium, die Welt bewegt, bis sie zurückkehrt zu ihm.

Aber eigentlich ist es mir fast noch wichtiger, dass dies auch der Gott ist, der durch Jesus mein kleines Leben einfügt in seinen Weg durch die Welt und mir zeigt, wie in seinen Augen mein Leben gestaltet werden soll.