Nebengeschäfte im Reich Gottes

Predigt am 6. August 2000 zu Philipper 2,1-4

1 Bei euch gibt es doch die Ermahnung im Auftrag von Christus; es gibt den tröstenden Zuspruch, der aus der Liebe kommt; es gibt Gemeinschaft durch den Heiligen Geist; es gibt herzliches Erbarmen. 2 Dann macht mich vollends glücklich und habt alle dieselbe Gesinnung, dieselbe Liebe und Eintracht! Verfolgt alle dasselbe Ziel! 3 Handelt nicht aus Selbstsucht oder Eitelkeit! Seid bescheiden und achtet den Bruder oder die Schwester mehr als euch selbst. 4 Denkt nicht an euren eigenen Vorteil, sondern an den der anderen, jeder und jede von euch!

In diesen Worten peilt Paulus den Faktor an, der wahrscheinlich schon immer die stärkste Bremse des Evangeliums war: der Wunsch, auf unauffällige Weise sein kleines vorteilhaftes Nebengeschäft mit dem Reich Gottes zu machen. Selbstsucht und Eitelkeit nennt die Übersetzung die Motive, um die es geht, andere übersetzen mit Streitsucht, Ehrgeiz, Eigennutz oder Prahlerei. Mindestens das erste der beiden Worte, die dort stehen, ist nicht leicht präzise zu übersetzen., aber in der Sache ist es deutlich: es geht einmal darum, dass jemand in der Gemeinde auf seinen Vorteil, seinen Eigennutz aus ist, und es ihm andererseits darauf ankommt, möglichst wichtig zu sein, beachtet und anerkannt zu werden.

Und Paulus sagt: das ist die Wurzel, wenn in einer Gemeinde die Menschen nicht am selben Strang ziehen, daran liegt es, wenn da nicht nur Liebe und Einigkeit herrscht.

Und dadurch wird eben wirklich ganz viel gebremst, weil Menschen dann ihre Energien und Gedanken darauf lenken, ob für sie selbst auch genügend abfällt in der Gemeinde. Man kann sagen, dass alle Irrwege der Kirche bis hin zu Kreuzzügen und Handel mit Vergebung und blutige Verfolgung von Abweichlern alle aus dieser Wurzel stammen: weil Menschen aus der Kirche ihren finanziellen Vorteil ziehen wollten, weil sie durch die Kirche Macht haben wollten, weil sie unangefochten die Spitze haben wollten. Und das ruft natürlich – zum Glück! – Gegenbewegungen hervor, es gibt Kämpfe, Konflikte, und irgendwann haben alle die Nase voll und kümmern sich um andere Sachen.

Immer, wenn die Mitte der Gemeinde, das, worum es wirklich geht, aus dem Blick gerät, dann macht jeder sein eigenes Ding, dann achtet er zunächst einmal darauf, dass er selbst nicht zu kurz kommt. Das ist wie mit den Jagdhunden: solange sie hinter dem Hasen herlaufen, haben sie nichts anders im Kopf, als den Hasen zu kriegen, da sind sie alle hinter einer Sache her, aber wenn kein Hase in Sicht ist oder sie ihn aus dem Blick verloren haben, dann fangen sie an, sich gegenseitig zu kabbeln und zu beißen.

Dietrich Bonhoeffer, der viele Erfahrungen mit christlichen Gemeinschaften gemacht hat, hat in einem Buch daran erinnert, wie schon unter den Jüngern Jesu die Frage aufkam, wer wohl der Größte sei. Und er schreibt dazu: »Vielleicht bedenken wir … nicht genug, dass keine christliche Gemeinschaft zusammenkommen kann, ohne dass alsbald dieser Gedanke auftaucht als Saat der Zwietracht.« Und seine Diagnose ist: »Es ist der Kampf des natürlichen Menschen um Selbstrechtfertigung.« Das heißt, auch in der christlichen Gemeinde flackert immer wieder der Kampf auf um die Rechtfertigung, darum, dass einer seinen Platz hat im Leben und unter den Menschen.

Eigentlich müssten wir das gelernt haben, dass Gott für unseren Platz sorgt, dass wir durch ihn anerkannt sind, dass er die Sehnsucht unseres Herzens stillt und dass wir uns darum keine Gedanken mehr machen müssen. Aber manchmal beschleichen uns die Zweifel, ob wir nicht doch lieber selbst ein bisschen nachhelfen sollten. Nicht sehr, aber doch ein wenig. Sollten wir nicht ein wenig unsere Sache in die Hand nehmen? Oder, noch besser, jemand anderen suchen, der es für uns tut?

Wie gewaltig das Motiv ist, das dahinter steckt, das muss man sich überhaupt erst klar machen. Die christliche Tradition nennt es Rechtfertigung, wir verstehen es heute vielleicht besser, wenn wir es mit »Anerkennung« übersetzen. Und wenn wir uns mit wachen Augen umschauen, dann merken wir, was für ein zentrales Motiv Anerkennung ist. Was Menschen alles investieren an Geld und Zeit und Aufmerksamkeit, um anerkannt zu werden, oder, umgekehrt wird es noch deutlicher, um nicht von anderen abgelehnt zu werden! Was sind Menschen bereit, zu kaufen, anzuziehen, sich anzupassen in ihrem Verhalten, nur damit sie nicht hören müssen: »was ist denn das für einer?« Was tun Menschen alles, um wenigstens in einer Gruppe anerkannt zu sein! Warum gehört es zum Hauptinhalt von vielen Festen, dass Ehrungen verteilt und Namen erwähnt werden? Wieviele Signale senden Menschen aus, um zu zeigen: hier bin ich! Mich gibt es! Und ich bin gar nicht so schlecht!

Ganz stark verbreitet ist dies Lebensgefühl: ich muss um mein Recht und um meinen Platz in der Welt kämpfen! Wer davon geprägt ist, der gibt keine Ruhe. Und im Kampf gegen Menschen, die ihm sein Recht nicht geben wollen, kämpft er eigentlich um etwas, was uns letztlich nur Gott geben kann.

Sollte es uns wundern, dass davon auch immer wieder etwas in der christlichen Gemeinde auftaucht? Vielleicht bei uns nicht ganz so plump, nicht so offensichtlich. Die Zeit der fetten geistlichen Würdenträger, die ganz ungeniert ihren Geltungsdrang ausleben, ist vielleicht doch eher vorbei. Und eigentlich wissen wir, dass unsere Anerkennung von Gott kommt, weil nur er diesen unendlichen Wunsch stillen kann. Aber irgendwie wollen auch wir nicht nur von Gottes Zuwendung leben, sondern auch ein bisschen wenigstens einen Anspruch darauf haben, dass Menschen uns wahrnehmen und anerkennen.

Auch wenn das nicht so offensichtlich ist – aber es zeigt sich indirekt, an Empfindlichkeiten, Einschnappen, Beleidigtsein und ähnlichem. Und es gehört zu den Dingen, die die Energie einer Gemeinde in hohem Maß absorbieren und lahmlegen können.

Soweit die Beschreibung. Aber was ist zu tun?

Ganz wichtig ist, dass wir gegenüber uns selbst so ehrlich sind, dass wir spüren, wie sehr wir alle hungern nach Anerkennung, Beachtung und, ja, eigentlich, nach Liebe. Es kann weh tun, wenn man das an sich selbst wirklich spürt, dieses riesige Defizit, diesen unendlichen Wunsch, dass jemand meine Sache in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit stellt, dass mir immer wieder gesagt wird, wie wichtig ich bin, dieses Fass ohne Boden, das wir alle in uns tragen und mehr oder weniger geschickt verstecken, auch vor uns selbst. Aber es ist der Anfang der Heilung, dieses Defizit vor sich selbst zuzugeben, und vielleicht auch vor einem Seelsorger, der der uns dabei helfen kann.

Solange in unserem Kopf die Gedanken sind: und ich habe doch ein Recht und das muss man doch sehen und das ist eine Gemeinheit, und ich werde schon dafür sorgen, und wenn der nicht, dann werde ich auch nicht – solange das in unserem Kopf kreist, werden wir keinen Frieden haben. Und sympathischer für andere macht es uns auch nicht. Es ist ja das Verrückte, dass es oft gerade unser Kämpfen ist, das verhindert, dass Menschen uns das geben, was wir uns wünschen.

Wenn wir aber anfangen zu merken, dass wir eigentlich bedürftig sind, arm, voll Sehnsucht nach guten Worten, hungernd nach Liebe, voll Angst um unseren Platz in der Welt, dann werden wir echt, dann stellen wir endlich die Frage, auf die Gott seine Antwort geben kann. Dann endet das Kämpfen, und es ist Raum zum Bitten und zum Empfangen. Das, was einer und eine mit allem Kämpfen nicht erreicht hat, das wird zum Geschenk, das Gott uns gibt.

Wer gemerkt hat, wie bedürftig er ist, der wird demütig. Er hat verstanden, wie sehr er die anderen braucht. Bei Demut geht es nicht um einen Haufen von angelernten Regeln, dass man sich selbst nicht zuerst nennt und dass man den anderen den Vortritt läßt, bevor man sich selbst das gute Essen greift, sondern es geht um die erlebte Bedeutung der anderen. Als ich jetzt neulich im Urlaub mit Zahnschmerzen bei einem anglikanischen Kollegen anklopfte um nach einem Notdienst für Zahnschmerzen zu fragen, was meinen Sie, wie ich die freundliche Atmosphäre dieses Hauses genossen habe. Wie mir das gutgetan hat, nachdem ich eine Nacht lang völlig verzweifelt kein Auge zutun konnte. Ich hatte da wirklich kein Recht darauf, morgens, viel zu früh, als ich da klingelte. Es war ein echtes Geschenk.

Wenn es mir rundum gutgegangen wäre, dann hätte ich das vielleicht nie so stark empfunden. Aber wenn man wirklich schon auf dem Zahnfleisch geht, dann ist man eben viel aufnahmefähiger für jedes kleine Zeichen von Freundlichkeit.

Paulus beschreibt noch ein paar andere Hilfen, die in einer Gemeinde bereitliegen, um Menschen wieder zurückzuholen zu dem Fundament, auf dem alle stehen, die mit Christus verbunden sind, und damit dem Streit und dem Kämpfen in der Gemeinde eine Grenze zu setzen.

Da ist einmal die Ermahnung in Christus, Zuspruch und Korrektur in einem. Das ist übrigens Aufgabe aller. Vielleicht kann man das so verstehen, dass in dem Moment, wo einer anfängt, beleidigt oder empfindlich zu sein, die anderen die Weisheit haben, das zu durchschauen, sich selbst nicht anstecken zu lassen, ihn freundlich wieder runterzuholen und daran zu erinnern, dass wir doch woanders verankert sind und da unsere Heimat haben, ihn zurückzuholen zu der Basis, auf der er doch eigentlich steht.

Dann gibt es den freundlichen Zuspruch der Liebe, der das gibt, was Menschen wirklich brauchen. Gott gibt uns ja seine Liebe nicht nur direkt und vom Himmel her, sondern auch durch Menschen, die ein freundliches Herz haben und anderen das Herz leichter machen können, ob sie nun Zahnschmerzen haben oder Schlimmeres. Und wer das kennt, weiß, dass dieser freundliche Zuspruch viel tiefer geht als viele Zeichen der Anerkennung, die man sich mühsam verdient.

Paulus nennt auch die Gemeinschaft im Heiligen Geist. Das bedeutet, dass die Verbindung, die der Heilige Geist unter Menschen schafft, ja viel stärker ist als alles andere, was auch in der Gemeinde zwischen Menschen tritt. Er erinnert sie und sagt: das war euch doch klar, dass der Heilige Geist so eine wunderbare Gabe Gottes ist – wollt ihr das aufs Spiel setzen? Besinnt euch auf diese gemeinsame Basis! Von da aus geht es viel besser!

Schließlich erinnert er an das herzliche Erbarmen. Da, wo Erbarmen herrscht, ist es leichter, den eigenen Mangel zu erkennen und ihn vor sich selbst, vielleicht sogar auch vor anderen zuzugeben. Ein Umfeld, in dem man Fehler machen darf, wo man nicht dauernd unter Beobachtung steht, das macht es leichter, da muss man nicht um jeden Preis verbergen, wie groß die eigene Zweifel an sich selbst sind.

Eigentlich ist es immer das Gleiche: Paulus ruft die Gemeinde zurück zur Basis, zu Jesus, von dem her dem offenen und versteckten Gerangel um die vorderen Plätze der Boden entzogen ist. Nicht in dem Sinn, dass man sich zusammenreißt und sagt: ich darf das nicht (obwohl das auch ganz hilfreich sein kann), sondern so, dass er versucht, die Motivation für dieses Gerangel abzudrehen. Er erinnert uns daran, dass es ja eigentlich auch in unserem psychischen Haushalt eine Verschiebung gegeben hat, dass wir jetzt aus anderen Quellen leben und doch eigentlich kein Interesse daran haben, diese neue Quelle wieder zu verstopfen.