Große und kleine Geschenke

Predigt im Besonderen Gottesdienst am 7. Dezember 2003 (2. Advent) zu Micha 6,6-8

 

Im Gottesdienst war zu Beginn eine Theaterszene zu sehen, in der es um das Weitergeben unerwarteter Geschenke ging; außerdem ein fiktives Interview mit Johannes Falk, dem Verfasser des Liedes „O du fröhliche“.

6 »Womit soll ich mich dem HERRN nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Soll ich mich ihm mit Brandopfern nahen und mit einjährigen Kälbern? 7 Wird wohl der HERR Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Übertretung geben, meines Leibes Frucht für meine Sünde?« 8 Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Recht tun und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.

Ich weiß nicht, wer von uns das schon mal erlebt hat, dass ihm das Leben neu geschenkt wird. Ich kann das von mir nicht sagen, aber mir haben manchmal Menschen davon erzählt. Wenn man das Leben sozusagen noch einmal neu geschenkt bekommt, weil es eigentlich schon so gut wie verloren war. Auf dieses ganz besondere Geschenk antworten Menschen manchmal so, dass sie ihr Leben Gott zurückgeben und sagen: du hast es mit noch einmal gegeben, jetzt werde ich es dir zur Verfügung stellen. Anscheinend ist das bei Johannes Falk so gewesen.

Man kann an solchen besonderen Geschenken gut sehen, worum es bei Geschenken eigentlich überhaupt geht. Haben Sie das schon mal überlegt, wozu Geschenke eigentlich gut sind? Wir machen sie, und wir wissen, es kann Probleme geben, wenn wir das Schenken vergessen, aber haben Sie mal überlegt, wozu das eigentlich gut ist? Aus welchem Grund tauschen wir zu Weihnachten Socken gegen Pralinen? Oder Plätzchen gegen Nussknacker? Warum kaufen wir uns das Buch nicht selber, dann wüssten wir wenigstens, dass es das richtige ist. Denken Sie mal: die ganzen Geschenke, die irgendwo im Schrank auf das übernächste Weihnachtsfest warten, wo man sie dann mit Anstand weiterverschenken kann! Das ist doch eine gigantische Verschwendung von Geschenkpapier! (Oder gehören Sie zu den Leuten, die ihre Geschenke noch in der Verpackung weiterverschenken? Das will ich nicht hoffen!) Warum tun wir das? Weil es Sitte ist. Ja, aber warum ist das Sitte? Warum tauschen wir unter erheblichem Aufwand Gegenstände von etwa gleichem Wert aus und nehmen die ganzen Peinlichkeiten in Kauf, die dabei entstehen können und das Grübeln, was man denn schenken soll? Macht das Sinn? Und wenn ja, welchen?

Also, ich sage Ihnen jetzt mal meine Theorie zum Thema Geschenke: Bei Geschenken geht es nicht in erster Linie um den materiellen Wert. Geschenke sind eigentlich Symbole, mit denen wir unsere Beziehung zu einer andern Person ausdrücken und sichtbar machen. Wenn ich ein Geschenk mache, sagt das etwas über mich, z.B. über meine Interessen und Vorlieben, und es sagt etwas darüber, was ich über den anderen denke, z.B. wie wertvoll er mir ist, oder meine Vermutungen, worüber er sich freut. Und so ein Symbol kann die Beziehung bestätigen und ausbauen, aber man kann aber natürlich auch in sämtliche Fettnäpfchen treten, die auch sonst am Weg auf uns warten. Wo Socken gegen Pralinen getauscht werden, da könnte man vermuten, dass die Beziehung vielleicht überhaupt ein bisschen schematisch ist und etwas mehr Fantasie ihr sicher gut täte. Wieviel schöner ist es, wenn wir Weihnachten hören: oh, ich habe mir dieses Spiel so oft im Schaufenster angeguckt, aber es war mir dann doch zu teuer. Woher wusstest du, dass ich mir genau das schon so lange gewünscht habe?

Wenn die Beziehung und das Geschenk zusammenpassen, dann ergänzt sich das wunderbar. Dann kann die Tiefe und Schönheit der Beziehung in einem Geschenk sichtbar werden, und die Freude, die der Geber und der Beschenkte aneinander haben, kommt in dem Geschenk zum Leuchten. Aber auch die Disharmonien können zu spüren sein – wenn ein Geschenk zwar teuer war, aber am Geschmack des Beschenkten einfach vorbeigeht, und man kann sich noch nicht beklagen und muss dankbar sein für das teure Geschenk, aber um so schmerzlicher spürt man, dass die Beziehung in Wirklichkeit überhaupt nicht besonders innig ist.

Im Buch des Propheten Micha kann man etwas lesen über so eine verkorkste Beziehung, die auch durch kostbare Geschenke nicht repariert werden kann. Die kostbaren Geschenke bekommt Gott, aber es sind Geschenke, mit denen in Wirklichkeit niemand froh wird:

6 »Womit soll ich mich dem HERRN nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Soll ich mich ihm mit Brandopfern nahen und mit einjährigen Kälbern? 7 Wird wohl der HERR Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Übertretung geben, meines Leibes Frucht für meine Sünde?«

Da hört man jemand stöhnen über die Unersättlichkeit Gottes. Er redet über die Opfer im Tempel, das waren ja sozusagen die Geschenke für Gott. Und diesem Mann wird es zu viel, und er sagt: was will Gott denn noch alles! Ich opfere doch schon so viel! Beim wievielten Schaf reicht es ihm endlich? Oder will er lieber Menschenopfer? Bitte, bitte, ich tue ja alles, Gott ist uns natürlich lieb und vor allem teuer. Aber ein bisschen anspruchvoll ist er schon!

Merken Sie, dass da etwas nicht stimmt in der Beziehung? Es klingt, als ob jemand über die anspruchsvollen Verwandten spricht, die eigentlich erwarten, dass der Sohnemann anlässlich des Führerscheins ein Auto geschenkt bekommt. Im Unterschied dazu will Gott aber in Wirklichkeit gar nicht die teuren Geschenke. Es geht ihm um die Beziehung, die soll stimmen. Deshalb geht es folgendermaßen weiter:

8 Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Recht tun und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.

Gott antwortet auf dieses Klagelied: Hör mal, ich hab dir doch gesagt, was ich mir von dir wünsche. Ich wünsche mir etwas ganz einfaches: dass du auf mich hörst und entsprechend lebst. Deine Tiere kannst du ruhig im Stall lassen. Du machst dir viel Mühe mit Sachen, die ich mir nie von dir gewünscht habe.

Wenn Sie noch einmal an den Johannes Falk denken, der ist ja zuerst ein bissiger Satiriker gewesen. Der hat sich aufgelehnt gegen ein Christentum, das er erlebt hat, wo ihm alle schönen Sachen verboten waren. Da hat er eine Last aufgelegt bekommen, ein Opfer, aber in Wirklichkeit hat Gott das nie verlangt. Er hat nur drei Dinge verlangt: Gerechtigkeit, Liebe und ein Leben in Verbindung mit Gott, also die Beziehung leben und sie nicht durch große oder kleine Geschenke ersetzen.

Der Johanes Falk musste das auf die ganz harte Tour lernen, der musste erst seine Kinder verlieren, damit Gott ihn von diesem falschen Bild vom Christentum befreien konnte. Das ist ja so ermüdend, wenn Christen leben mit dem Gefühl: Gott will immer noch mehr, er ist nie zufrieden, er lässt mich keine Minute zur Ruhe kommen, er fordert und verlangt, und für mich selbst bleibt nichts mehr übrig. Diesen Gott kann man nicht wirklich lieben.

Aber in Johannes Falk lebte zum Glück nicht nur dieses verfälschte Christentum. Seine frommen Eltern hatten ihm nicht nur eine Last aufgelegt, sondern sie hatten ihm auch ein Herz voll Liebe mitgegeben. Aber die Liebe konnte sich neben dieser Belastung nicht entfalten. Und Gott musste ihn erst beinahe sterben lassen und ihm dann das Leben neu schenken, damit sich das bei ihm auseinander sortierte. Soviel liegt Gott daran, dass wir die Güte kennen und leben und nicht ein System aus religiösen Formeln und Vorschriften.

Immer wieder finden wir in der Bibel solche kurzen Zusammenfassungen, was in Gottes Augen gut ist. Hier bei Micha: Recht tun, also sich an die Gebote halten und jedem das geben, worauf er ein Recht hat. Dann Liebe üben, und damit ist dieses Herz voll Liebe gemeint, von dem Johannes Falk sprach. Güte, Freundlichkeit, Erbarmen. Und damit man nicht bei aller Gerechtigkeit verhärtet oder durch lauter Liebe weichlich wird, deswegen kommt das dritte dazu, demütig sein vor deinem Gott. Auch ein liebevolles Herz braucht immer noch Gott und seine Impulse, und demütig sein bedeutet: hörbereit bleiben, offen bleiben, wissen, dass man Gott braucht.

Das sind die Grundlinien eines Lebens mit Gott. Gott will keine aufwendigen Geschenke, wenn sie überdecken, dass die Beziehung zwischen ihm und uns in Wirklichkeit gar nicht auf diesen Grundlinien verläuft. Er will einerseits viel weniger, er will gar nicht, dass wir auf schöne Dinge verzichten und alles ihm opfern. Andererseits will er mehr: ein ganzes Leben, das von ihm geprägt ist. So wie jemand in einer Ehe sagen könnte: ich brauche gar keinen Diamantring von dir, aber ich will, dass du mich in dein Leben einbeziehst und mich an allem Anteil nehmen lässt. Das kann durchaus anstrengend werden.

Aber vergleichen Sie mal, was ist besser? Als Johannes Falk Gott sein ganzes Leben als Geschenk gab, da bekam er es so zurück, wie er es sich nie gedacht hätte. Sein bisheriges Leben als Schriftsteller und Mitglied der guten Gesellschaft von Weimar hatte er verloren, und er bekam dafür ein ziemlich aufregendes Leben unter halbwilden Waisenkindern zurück. Ein Leben mit dem Versprechen, Gott bei der Arbeit zu erleben. Jeden Tag neu beim Kampf und Sieg der Liebe dabeizusein. Was ist besser?

Oder die Szene am Anfang: die beiden haben ein Auto weniger in der Garage. Aber sie können dabeisein und miterleben, wie Gott die Situation der anderen Familie zum Guten wendet. Was ist besser?

Es gibt Menschen, die aus verschiedenen Gründen sagen: ich bleibe lieber bei dem, was ich habe und kenne. Das ist mir zu unsicher, mich auf so einen Tausch einzulassen. Jesus hat uns gesagt, dass das eine Rechnung ist, die nicht aufgeht. »Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren, und wer sein Leben für mich verliert, der wird es erhalten« – wir haben es vorhin in der Evangelienlesung gehört. Das Leben und die Sicherheit festzuhalten, das ist der sicherste Weg, es zu verlieren. Die gefährlichste Sache ist es, auf jeden Fall das Risiko zu vermeiden. Dann vermeiden wir das Leben selbst. Aber wenn wir uns dieser Struktur des Gebens und Schenkens anvertrauen, dann werden wir das Leben gewinnen.

Es gehört zur Grundstruktur der Welt, dass man geben und nehmen muss, und wir haben nie eine Garantie, dass das gut ausgeht. Das ist immer ein Wagnis. So hat Gott die Welt konstruiert. Wir können uns dieses Wagnis im normalen Leben schon nicht ersparen, und in der Nachfolge Jesu schon gar nicht.

Das ist wirklich wie Weihnachten: wenn du etwas bekommen willst, musst du auch geben. Und du gehst das Risiko ein, dass du etwas anderes bekommst, als du dir vorgestellt hast. Und trotz all dieser Risiken haben wir den Eindruck, dass Weihnachten etwas Gutes ist.

Wir feiern zu Weihnachten die Grundstruktur der Welt. Ihr Schöpfer war davon so überzeugt, dass er sich persönlich dieser Welt anvertraut hat. Er wurde ein schutzloses, schwaches Kind. Er gab sein Leben im Vertrauen darauf, dass er es wiederbekommen würde. Wir sind eingeladen, es ihm nachzutun.

Die Frage, was besser ist, das Alte festzuhalten oder es wegzugeben für das Neue, die werden Sie beantworten. So oder so. Mit Ihrem Leben. Keinem von uns bleibt diese Entscheidung erspart.