Gottes Stimme in unserer Seele (Mit Gott reden III)

Predigt am 25. September 2005 mit Matthäus 28,20b

Vorhin bei der Taufe haben wir Jesu letzte Worte gehört, als er sich von seinen Jüngern verabschiedete, um zu seinem Vater im Himmel zurückzukehren:

»Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt«.

Was ist damit eigentlich genau gemeint, dass er von nun an immer bei seinen Nachfolgern sein wird?

Bis dahin war er in leiblicher Gestalt bei den Jüngern gewesen, und sie waren natürlich traurig, weil das nun nicht mehr so sein würde. Wenn er ihnen trotzdem verspricht »ich bin bei euch alle Tage«, dann ist das eine Antwort auf ihre Angst, ihn zu verlieren.

Wenn wir zu einem Kind, das traurig und ängstlich ist, sagen: »Papa ist doch bei dir«, dann meinen wir damit: ich halte den Kontakt zu dir aufrecht, die Kommunikation bleibt bestehen. Bei einem Kind sind solche Worte normalerweise mit Körperkontakt verbunden, bei Erwachsenen auch oft, oder jedenfalls damit, dass man räumlich eng beieinander ist. Genau das geht aber nun bei Jesus nicht mehr. Deshalb kann er eine Begegnung, wo man die körperliche Anwesenheit eines anderen sieht, hört und fühlt, nicht meinen.

Wenn das also nicht geht, wie meint er es dann?

Das, was uns tröstet, ist ja eigentlich auch nicht der Körperkontakt selbst oder das Sich-sehen-Können. Das sind die Wege, auf denen etwas anderes zu uns kommt: die tröstliche Gegenwart eines anderen Menschen. Da ist eine andere Person jedenfalls ein Stück weit innerhalb unserer Seele präsent und bringt etwas mit, was uns hilft. Bei einem Kind z.B. bringt der Erwachsene etwas von seinem Vertrauen in die Welt mitten hinein in die verzagte Kinderseele, die das so noch nicht kann. Ein Erwachsener bringt die Erfahrung mit: ich habe auch schon mal schlimme Zahnschmerzen gehabt, ich weiß, dass das weh tut, aber ich weiß, dass das irgendwann auch mal wieder vorbei ist und dass das Leben trotzdem weitergeht. Und diese größere Sicht, die Gelassenheit und das Vertrauen hilft dem Kind jedenfalls ein bisschen, damit es nicht ganz überwältigt wird vom aktuellen Schmerz.

Was uns also eigentlich hilft, das ist die tröstende oder freundliche oder befreiende Gegenwart einer anderen Person in unserer Seele. Und der Weg, auf dem die zu uns kommt, sind ihre Worte. Genau das war es, was die Jünger von Anfang an zu Jesus gezogen hat: der Einfluss, den das, was er sagte, auf ihre Herzen hatte. Und Jesus verspricht nun am Ende seiner Erdenzeit: das wird auch in Zukunft zwischen uns so sein. Bis ans Ende der Welt wird es Kontakt geben zwischen mir und euch, zwischen meinem Herzen und eurem Herzen. Wir werden auch weiter miteinander reden, aber von mir her nicht über körperliche, materielle Kanäle, sondern durch den Heiligen Geist. Das ist der neue Kanal.

Und sein Versprechen ist, dass das zwar anders sein wird als in der Zeit seiner leiblichen Präsenz, aber nicht weniger wirklich, nicht weniger wirksam. Wenn das für Sie unwahrscheinlich klingt, dann möchte ich immerhin daran erinnern, dass auch leibliche Gegenwart nicht unbedingt eine Garantie für eine Verbindung von Herz zu Herz ist. Menschen können sich räumlich sehr nahe sein, Arbeitskollegen oder Ehepartner vielleicht, und sie können trotzdem einfach nebeneinander her leben und ihre Herzen bleiben sich fremd.

Man sieht an solchen traurigen Beispielen, dass die besten Kanäle nichts nützen, wenn das Verhältnis nicht stimmt. Aber Jesus sagt ja: mein Verhältnis zu euch wird auch in Zukunft so eng sein wie bisher. Nur: wie geht das? Wie kommen seine Worte, wie kommt seine Nähe in unsere Seele hinein, wenn die Zeit der leiblichen Begegnung vorbei ist? Wie sieht das aus, wenn der Heilige Geist das Gespräch mit Jesus vermittelt?

Es gibt tatsächlich hin und wieder Menschen, die Gottes Stimme so klar hören wie die Stimme eines anderen Menschen. Aber das ist eigentlich die seltene Ausnahme. Normalerweise läuft das Gespräch mit Gott über drei Faktoren: Die Bibel; die Umstände und ihre Botschaft; und schließlich persönliche Eindrücke vom Reden Gottes. Diese drei Faktoren sind normalerweise unterschiedlich stark beteiligt, aber im Zusammenspiel können wir durch sie Gottes Willen kennen.

Gehen wir das mal der Reihe nach durch:

1. Die Bibel
Aus der Bibel erfahren wir zuverlässig, wie Gott ist, wie Jesus ist, und wie er die Dinge normalerweise anfasst. Durch die Bibel kennen wir Jesus, wir können uns ein Bild von seiner Persönlichkeit machen. Wenn etwas nicht zu ihm passt, kann es nicht von Gott sein. Darüber habe ich vor einer Woche gesprochen.

Aber obwohl wir dieses dicke Buch über Gott haben, würden wir mit ihm allein doch nicht wissen, welches von den vielen Worten Gottes in der Bibel gerade jetzt auf mich zutrifft. Gott sagt z.B. an einer Stelle zu seinem Volk (Hesekiel 21,8): »ich will mein Schwert aus der Scheide ziehen und in dir ausrotten Gerechte und Ungerechte«. An einer anderen Stelle sagt er (Jesaja 43,1): »Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst!« Das widerspricht sich in der Bibel nicht, weil es zu ganz verschiedenen Zeiten gesprochen ist. Aber wenn ich das heute lese, welches davon gilt mir? Ist Gott zornig auf mich oder spricht er mir Mut zu? Oder noch etwas ganz anderes? Damit wir wissen, welches von den Worten Gottes in der Bibel aktuell für uns gültig ist, brauchen wir auch einen Blick auf den zweiten Faktor,

2. die Umstände.
Um zu wissen, was ein Wort der Bibel für mich heute bedeutet, muss ich auch die Wirklichkeit von heute einbeziehen.

Wer also etwa vor einer Woche gerne einen Tipp von Gott haben wollte, was er wählen soll, der hätte in die Bibel schauen können und wäre vielleicht an vielen Stellen darauf gestoßen, was für einen großen Wert Gott darauf legt, dass die Regierung sich um die Armen kümmert und dafür sorgt, dass die genug haben. Ganz besonders liegen Gott die Fremden, die Ausländer am Herzen, und wir lesen da immer wieder, dass man die Ausländer nicht bedrücken soll. Das ist gut zu wissen, aber das reicht natürlich noch nicht. Man muss dann auch real schauen: welcher Partei liegen die Armen am Herzen, welche Partei tritt für Gastfreundschaft gegenüber Fremden ein? Wobei da das tatsächliche Handeln natürlich wichtiger ist als ein Programm. Und so würde doch schon die eine oder andere Partei ausscheiden, weil ihr diese Zentralanliegen Gottes nicht wirklich wichtig sind.

In vielen Fragen reicht aber auch der Blick auf die Umstände noch nicht. Die Umstände sind manchmal sehr unübersichtlich. Es gibt viele gute Dinge, die ich tun kann – was davon soll ich tun? Und gerade wenn es darum geht, dass wir initiativ werden sollen, dann kann es sein, dass die Umstände uns gerade blockieren wollen. Und deswegen brauchen wir auch ein lebendiges Reden Gottes, das und ermutigt und uns sagt, was Jesus jetzt von uns erwartet. Und das geschieht über den dritten Faktor –

3. Persönliche Eindrücke:
Auf irgendeine Weise muss ein persönlicher Eindruck dazukommen, der uns bestätigt, uns sicher macht: genau, das ist jetzt Gottes Sicht der Dinge, das will er von mir, das möchte er mir sagen. Da bleibt die Bibel nicht Buchstabe, sondern aus ihr erhebt sich ein lebendiges Reden Gottes. Oder eine sanfte Stimme erinnert mich immer wieder an etwas, was ich sonst schon längst vergessen hätte. Eine Person geht mir nicht aus dem Kopf. Aber es kann auch ein Satz sein, der wie von ungefähr in meinen Gedanken auftaucht und innerhalb der breiten Bahn des biblischen Denkens einen Gedanken herausgreift, der für mich wichtig ist, und ihn mir ganz besonders ans Herz legt.

Ich weiß, dass das für manchen ein merkwürdiger Gedanke sein kann. Ist das denkbar, dass tatsächlich Gott zu mir redet, so wie er zu den Propheten oder Aposteln geredet hat? Aber genau das verspricht Jesus ja, dass eine lebendige Kommunikation mit ihm fortbestehen wird bis ans Ende der Welt. Seine Stimme wird für uns nicht verstummen. Jesus lebt in uns, und deshalb wird er in unserem Herzen zu hören sein. Da wird eine Quelle sein, die uns und andere versorgt. Vorhin in der Lesung haben wir gehört: wir haben den Geist von Gott, damit wir erkennen, was Gott uns gibt. Und wir sollen lernen, die Stimme Jesu immer besser zu erkennen, mit ihr vertraut zu werden und sie herauszuhören aus allen anderen Stimmen in der Welt. Und auch da gibt es drei Merkmale, die das Reden Gottes kennzeichnen, und die uns Hinweise geben, ob er das wirklich ist. Es sind der Inhalt, das Gewicht und der Geist seines Redens.

1. Der Inhalt
Da kann ich mich kurz fassen. Der Inhalt muss zu dem früheren Reden Gottes passen, wie es in der Bibel gesammelt ist. Es muss natürlich nicht der gleiche Wortlaut sein, aber es muss inhaltlich passen.

2. Das Gewicht
Das ist schwer in Worte zu fassen. Gottes Reden hat in sich eine Autorität, die durch sich selbst wirkt. Wir kennen das ja auch unter Menschen. Es gibt z.B. Lehrer, die Autorität haben, und sie brauchen nicht schreien oder drohen, um sie zu bekommen, es ist keine Sache von Tricks, die man lernen könnte, jedenfalls nicht in erster Linie. So zeichnet sich Gott nicht durch Lautstärke aus, sondern durch Autorität, durch Sicherheit, durch eine ruhige Kraft, dadurch, dass er vertrauenswürdig klingt. Natürlich gibt es auch Kinder, deren Sinn für Autorität so gründlich verdorben ist, dass sie niemandem mehr vertrauen und auch wirklich vorhandene Autorität kaum noch wahrnehmen. Und genauso kann es sein, dass wir die Autorität Gottes nicht wahrnehmen. Aber was Gott sagt, trägt das Siegel der Wahrheit. Und gleichzeitig ist es vertrauenswürdig. Das ist seine Kraft. Wir wissen: es stimmt, und Gott wird nie streiten und argumentieren wie überforderte Eltern. Entweder er überzeugt uns, oder wir ignorieren ihn und werden sehen, was daraus wird.

Das weist schon hin auf

3. Der Geist seines Redens
Die Stimme Gottes, die man in der eigenen Seele vernimmt, bringt mit sich einen Geist großen Friedens und Vertrauens. Sie bringt Freude, sanfte Vernunft, guten Willen und die Hoffnung auf einen guten, klaren Weg. Unsere eigenen Gedanken sind oft zwiespältig, stürzen uns in Ratlosigkeit, machen uns Vorwürfe, bedrängen uns mit Anklagen und Schuldgefühlen, locken uns zu Dingen, von denen wir andererseits auch wissen, dass sie nicht ok sind. Gottes Stimme lädt uns ein auf einen Weg, der Zuversicht und ruhige Freude ausstrahlt. Wenn wir danach handeln, erfüllen uns Hoffnung und Freude. Auch da wieder: unser Empfangsorgan darf nicht so verdorben sein, dass wir so etwas gar nicht mehr wahrnehmen können, weil wir von Unfrieden überflutet sind.

Diese Überlegungen haben uns immer mehr weggeführt von der Frage nach den Kanälen, über die die Kommunikation mit Gott läuft, zu der Frage nach den Inhalten. Egal, auf welchem Weg uns seine Stimme erreicht – entscheidend ist, dass wir ihre Art erkennen. Es geht um einen Weg des Lernens, auf dem wir Gottes Stimme immer besser verstehen. Am Anfang wird das nur manchmal gelingen, und wir werden oft unsicher sein. Gott muss manchmal zu besonderen Mitteln greifen, damit wir ihn nicht überhören. Aber wenn wir vorankommen auf dem Weg, dann geht es leichter, dann werden wir aufmerksamer, wir verstehen Gott besser, und wir gewöhnen uns daran, zu tun, was er uns sagt. So entsteht eine Gesprächsbeziehung zu Gott, seine Stimme ist uns vertraut, und daraus ziehen wir unsere Lebenskraft. Gott begleitet unser Leben Tag für Tag, und sorgt dafür, dass das Feuer in unserem Herzen nie verlöscht.