Wie ist das, wenn man tot ist?

Predigt am 25. November 2001 (Ewigkeitssonntag) zu Matthäus 22,23-33

Noch am selben Tag kamen Sadduzäer zu Jesus. Die Sadduzäer bestreiten, dass die Toten auferstehen werden. 24 »Lehrer«, sagten sie, »Mose hat angeordnet: ‚Wenn ein verheirateter Mann kinderlos stirbt, dann muss sein Bruder die Witwe heiraten und dem Verstorbenen Nachkommen verschaffen.‘ 25 Nun gab es hier einmal sieben Brüder. Der älteste heiratete und starb kinderlos. 26 Darauf heiratete der zweite die Witwe, starb aber auch kinderlos; und dem dritten erging es nicht anders. So war es bei allen sieben. 27 Zuletzt starb auch die Frau. 28 Wie ist das nun bei der Auferstehung der Toten: Wem von den sieben soll die Frau dann gehören? Sie war ja mit allen verheiratet!«

29 »Ihr denkt ganz falsch«, antwortete Jesus. »Ihr kennt weder die Heiligen Schriften, noch wisst ihr, was Gott in seiner Macht tun kann. 30 Wenn die Toten auferstehen, werden sie nicht mehr heiraten, sondern sie werden leben wie die Engel im Himmel.

31 Was aber die Auferstehung der Toten überhaupt betrifft: Habt ihr nicht gelesen, was Gott euch in den Heiligen Schriften gesagt hat? Er sagt dort: 32 ‚Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.‘ Und er ist doch nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebenden!«

33 Die ganze Menschenmenge, die zugehört hatte, war tief beeindruckt von dem, was Jesus da lehrte.

Ein Junge aus dem Kindergarten fragte nach einem Gang über den Friedhof: „Wie fühlt sich das an, wenn man tot ist?“ Ich glaube, so direkt würden wir Erwachsenen diese Frage nicht stellen, jedenfalls nicht laut. Aber das ist schon eine Frage, die uns beschäftigt: wie ist das, tot zu sein? Wie fühlt sich das an, was erwartet uns da? Auch wenn mancher lieber nicht so oft daran denkt, weil wir wissen oder spüren, dass wir es da mit einer feindseligen Macht zu tun haben: mit einer Macht, die lange Schatten ins Leben werfen kann, die Krankheit, Angst und Verlust heißen.

Trotzdem, die Frage, wie das wohl aussehen wird nach dem Tod, die haben sich die Menschen zu allen Zeiten gestellt, und jede Religion und jede Weltanschauung hat ihre eigene Antwort darauf zu geben versucht. Und so machten sich die Menschen auch zur Zeit Jesu Gedanken darüber, wie das wohl sein würde, wenn unser irdisches Leben zu Ende gegangen ist. Damals diskutierten sie darüber, ob es wohl eine Auferstehung gebe, und wie das Leben in der Welt Gottes dann wohl aussehen würde. Und da gab es die Sadduzäer, die behaupteten: das ist alles Unsinn. Das Leben geht mit dem Tod zu Ende, und das ist es dann. Und sie versuchen das mit einer Geschichte zu beweisen, so einem verqueren, ausgeklügelten Beispiel.

Damals gab es die Regelung der sogenannten Schwagerehe, das heißt: wenn ein Mann kinderlos starb, dann musste sein Bruder die Witwe heiraten, und dann galten die Kinder aus dieser Ehe als Kinder des Verstorbenen und traten später sein Erbe an. Uns scheint das heute eine sehr merkwürdige Regelung, wenn da die Frau wie ein Erbstück in der Verwandtschaft weitergegeben wird. Aber es hatte damals den Sinn, dass eine Familie nicht ausstarb, sondern dass das Land und der Besitz dieser Familie als Wirtschaftseinheit erhalten blieb, und nicht unter soundsoviel andere aufgeteilt wurde.

Und nun konstruieren die Sadduzäer einen Fall, wo eine Frau auf diese Weise nacheinander mit sieben Brüdern verheiratet ist, die alle bald nach der Hochzeit kinderlos sterben. Was das für eine Zumutung wäre, so von einem Mann zum andern weitergereicht zu werden, oder was das für ein menschliches Leid wäre, einen Verlust nach dem andern zu erleiden, darüber denken sie keinen Augenblick nach. Sie wollen nur zeigen: die Auferstehung ist absurd. Denn wenn die Frau ganz legal, nach dem Gesetz Gottes, sieben Ehemänner hatte, wie soll das dann gehen, wenn sie sich im Himmel alle wiedersehen? Zu wem gehört sie dann?

Und sie versuchen auf diese Weise Jesus lächerlich zu machen und ihn in eine Lage zu bringen, wo er nur falschen Antworten geben kann. Sie benutzen dazu die Gedanken und Vermutungen, die Menschen sich über das Leben nach dem Tode machen. Und viele von diesen Vorstellungen über das Leben nach dem Tod haben eins gemeinsam: sie sind nach dem Vorbild des irdischen Lebens gestaltet. Das ist nun mal so, dass wir uns etwas völlig andersartiges sehr schlecht vorstellen können, und deshalb greifen wir auf die Erde zurück, wenn wir uns den Himmel vorstellen wollen.

Deshalb reden die Sadduzäer in der Geschichte auch so, als sei es ganz selbstverständlich, dass nach dem Tod alles so weiterläuft wie auf der Erde, mit Heirat und Ehe usw. Und das ist der erste Punkt, in dem Jesus sie korrigiert. Er sagt: es wird ganz anders sein. Da leben Menschen auf eine so neue Art, dass sie unsere Lebensprobleme wirklich nicht mehr haben. Auferstehung bedeutet doch nicht, dass das Leben einfach auf einer anderen Bühne so fortgesetzt wird wie vorher. Es geht nicht um die Wiederholung alter Probleme und Regeln. Es wird alles verwandelt sein. Da wird noch nicht mal mehr geheiratet – und wir können es fortsetzen: da wird nicht mehr gehungert und geschwelgt, nicht mehr gehorcht und befohlen, und da gehören Frauen nicht mehr ihren Männern. In der Auferstehung gehören alle Menschen nur noch Gott.

All die Bilder, die wir uns davon machen, wie das einmal sein wird, die greifen zu kurz. Vielleicht brauchen wir für unser Herz solche Bilder, aber wir dürfen nicht vergessen, dass es Bilder sind, die meilenweit zurückbleiben hinter der Wirklichkeit. Die neue Welt Gottes ist so anders, dass wir sie uns nicht angemessen vorstellen können.

Aber es reicht Jesus nicht, nur die Kurzsichtigkeit dieser Argumente aufzudecken. Er bleibt nicht im Negativen stehen, sondern sagt positiv, was wir zu hoffen und zu erwarten haben. Er erinnert an Mose, der Gott begegnet ist in der Wüste, am brennenden Dornbusch. Was hat Gott da gesagt? »Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs«, also der Gott der längst verstorbenen Erzväter Israels. Das ist das entscheidende Argument: hat sich Gott etwa von Abraham, Isaak und Jakob getrennt, sobald sie tot waren? Nein, er sagt ja: ich bin ihr Gott. Trennt sich Gott überhaupt jemals von einem Menschen, der zu ihm gehört? Ist er nicht ein Gott, der die Treue hält, ganz gleich, was geschieht? Er ist der Gott, der Leben schafft und erhält. In seiner Nähe kann es gar nichts Totes geben. Seine Lebendigkeit ist viel zu ansteckend.

Wenn einer also zu Gott gehört, und Gott hält ihn in seiner Treue fest, und sagt: ich bin dein Gott! dann kann dieser Mensch gar nicht im Tod versinken, weil Gott viel zu lebendig ist. Der lebendige Gott ist der Grund für die Hoffnung auf ein zukünftiges Leben. Um es ganz deutlich zu machen: Jesus sagt nicht »Es gibt etwas Unsterbliches im Menschen« – eine unsterbliche Seele oder einen anderen Kern des Menschen, der so stabil wäre, dass er den Tod überstehen würde. Jesus erwartet auch nicht, dass wir in anderer Gestalt wiedergeboren werden oder so. Er redet überhaupt nicht von einer genauen Analyse des Menschen aus. Die Hoffnung auf ein Leben aus dem Tod kommt von außerhalb des Menschen. Sie liegt in seiner Beziehung zum lebendigen Gott. Und Jesus erwartet die Auferstehung, weil er Gott kennt.

Jesus weiß: von Gott geht Leben aus. Ein nicht abreißender Strom, der auf alle übergeht, die ihm nahekommen und sich dafür öffnen. Auf die, die auf der Schattenseite des Lebens seufzen und leiden. Auf die, die mit den Hilfstruppen des Todes zu kämpfen haben, mit Krankheit, Angst und Verlust. Und dieses Leben geht auch über auf die Verstorbenen und macht vor ihnen nicht Halt, weil Gott ihnen über den Tod hinaus die Treue hält.

Jesus spricht das aus wenige Tage vor seiner Kreuzigung. Das ist also der Glaube, mit dem er dem Sterben entgegengegangen ist. Er hat darauf vertraut, dass er auch im dunklen Abgrund des Todes nicht von seinem Vater im Himmel getrennt sein würde. Er kannte Gott als den Gott des Lebens. Und weil er immer zu ihm gehört hatte, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass dieser Vater im Himmel ihn jemals im Stich lassen würde, deshalb konnte er auf seinen Tod zugehen, ohne zu fliehen. Er hielt stand bis in seine letzte Stunde. Als seine Kräfte vergangen waren, als die Schmerzen ihn halb wahnsinnig gemacht hatten, als er in sich nichts mehr spürte von Gottes Gegenwart, da rief er immer noch nach Gott, und er starb mit einem Schrei nach Gott auf den Lippen.

Und es zeigte sich, dass diese Hoffnung nicht zuschanden wurde, die er mit letzter Kraft festgehalten hatte. Gott erwies sich als Gott des Lebens und ließ Jesus auferstehen. Er war und blieb der Gott Jesu. Er schob die Mächte des Todes zur Seite. Sie haben keinen Bestand vor ihm. Nur wo Menschen nichts mit Gott zu tun haben wollen, da gewinnen die Todesmächte Boden und können sich ausbreiten.

Aber Jesus hat uns gerufen, mit hineinzukommen in sein Verhältnis zum Vater im Himmel. Er soll auch unser Gott sein. Und das bedeutet, dass er uns auch nicht dem Tod überlassen wird. Auch wir werden im Abgrund des Todes nicht von ihm getrennt sein. Aber es wird ganz anders sein als alles, was wir bisher kennen. Es wird Glanz und Herrlichkeit sein, mehr, als wir uns jetzt auch nur vorstellen können. Und das Halbe und Bruchstückhafte und auch das Schlechte und Verlogene muss zurückbleiben. Zum Glück.

Das ist es, was wir wissen können über das Schicksal der Verstorbenen, und was wir sagen können gegen unsere eigene Todesangst. Wir wohnen in einer Welt tödlicher Mächte, und wir spüren, je älter wir werden, immer mehr Zeichen des Todes an Leib und Seele. Aber sofern wir uns an Jesus halten, ist mit uns der lebendige Gott. Als die Herrscher in Jerusalem Jesus erledigen wollten, da hat er ihn aus dem Tod gerettet. Er wird auch uns befreien aus der Gewalt des Todes in unzerstörbares Leben.

Bleibt noch die Frage des kleinen Jungen: „Wie fühlt sich das an, wenn man tot ist?“ Ja, es hat uns noch keiner, der es erlebt hat, davon erzählen können. Und die Leute, die durch Ärzte noch einmal von der Schwelle des Todes zurückgeholt worden sind, die waren ja eben noch nicht ganz tot und können also auch nicht davon erzählen, wie es jenseits dieser Schwelle ist.

Aber wenn es derselbe Gott ist, der uns aus dem Tod retten wird, und der uns schon hier auf der Erde begegnen und beschenken will, dann können wir doch ein wenig schon jetzt wissen. Wenn Sie zurückdenken an einen dieser kostbaren Momente, wo wir es erleben, dass Gott sehr nahe ist, einen dieser glücklichen Augenblicke, wo er uns berührt und ermutigt und uns seine Liebe zeigt, einen dieser Augenblicke, die fast jeder Mensch irgendwann erlebt, und die wir doch oft wieder vergessen, weil wir sie gar nicht einordnen können – einen dieser Augenblicke, wo wir eine starke Ahnung davon haben, dass da draußen jemand ist, eine Person, die uns etwas deutlich machen will und auf unsere Antwort wartet: wenn Sie daran zurückdenken, dann wissen Sie jedenfalls die Richtung, wie es einmal sein wird.

Natürlich wird es im Himmel unvergleichlich stärker und schöner sein, aber so wie wir an einer einzigen Blume schon etwas ahnen können von der Herrlichkeit einer großen blühenden Wiese, so können wir hier auf der Erde wenigstens schon etwas davon ahnen, wie das dann einmal sein wird im Himmel, in welcher Richtung das liegen wird. Und wir sind herzlich eingeladen von Gott, hier auf der Erde zu Jesus zu gehören und die Blumen zu pflücken, die er uns schon hier blühen läßt. Und so werden wir vorbereitet sein auf die große Wiese, unsere Heimat beim Vater, die auf uns wartet, bis für uns die Zeit gekommen ist, einzutreten in sein Licht.