In Gemeinschaft beten

Predigt am 16. August 2009 zu Matthäus 18,19-20 (Predigtreihe Beten 5)

Als wir vorhin die Lesung (1. Kor. 14,24-33a) gehört haben, da haben wir hineingeschaut in die Praxis des gemeinsamen Gebets in der ersten Gemeinde von Korinth in Griechenland. Wenn ihr zusammenkommt, sagt Paulus, wie ist es da? Jeder bringt etwas mit: einen Gedanken oder ein Lied oder ein Gebet oder die Erklärung eines Gebetes. Und wenn ein Fremder dazukommt, dann wird ihm nach kurzer Zeit klar: hier ist Gott! Hier ist solch ein Reichtum, so eine Klarheit vorhanden, dass mir mein bisheriges Leben dagegen arm und schief vorkommt.

Und das muss damals wirklich ziemlich heftig abgegangen sein, denn die Sorge von Paulus ist: Bitte nicht alle auf einmal! Am Mikrofon muss ein Mindestmaß an Ordnung herrschen! Spontaneität ist ja schön, aber wir wollen doch Gelegenheit haben, über die Dinge, die ihr alle beitragt, auch nachzudenken!

Und Paulus versucht das zu ordnen in einem Geist der Demut: nicht jeder muss immer sofort reden, und wenn einer eine frische Eingebung von Gott bekommt, dann sollen die anderen ihn vorlassen. Man sieht an dieser Passage, dass es auch schwierig sein kann, wenn zu viel da ist von göttlicher Eingebung und Offenbarung. Und zwar deswegen, weil die durch fehlbare Menschen kommt, und wir neigen alle dazu, sogar göttliche Gaben zu missbrauchen. Jesus hat das mit seinen Jüngern erlebt, die fühlten sich in seiner Gemeinschaft so stark, dass sie sofort um die besten Plätze rangelten, und er musste sie runterholen und ihnen sagen: Moment, diese Gaben sind zum Dienst da, und nicht dazu, dass ihr euch gegen die anderen profiliert! Wer sowieso schon dazu neigt, sich selbst zu zelebrieren, der benutzt dazu auch göttliche Eingebungen. Und das ist sofort auch in der Gemeinde von Korinth passiert.

Das ist das Problem, das deshalb auftaucht, weil Jesus der Gemeinschaft seiner Jünger so Großes anvertraut hat. Die Gemeinde ist der Ort, an dem die Größe und Kraft Gottes sichtbar und erfahrbar werden soll. Die Gemeinde ist das Zeichen, an dem man erkennen kann, wie Gott ist. Und wenn die Gemeinde nicht richtig funktioniert, dann werden die Menschen Gott falsch sehen. Deswegen hängt alles daran, dass die Gemeinde in Form ist und dass sie deutlich vom Geist Jesu geprägt ist.

Man kann sich das vorstellen wie bei den Radiowellen: die sind überall, wir sind völlig von ihnen umgeben, sie gehen durch uns durch, aber wir spüren von ihnen nichts, solange wir kein Radio haben. So ist es mit der Wirklichkeit Gottes: sie ist längst da, sie umgibt uns von allen Seiten, aber wir erkennen sie erst dann, wenn sie in der Gemeinde sichtbar wird. Und genauso wie ein Radio kaputtgehen kann, und dann hört man alles nur noch schwach und verzerrt, so kann auch die Gemeinde so außer Form geraten, dass man Gott in ihr kaum noch finden oder erkennen kann.

Deshalb ist es eigentlich ein Fehler, wenn ich in unserer Reihe erst heute zum Thema »Gemeinsames Gebet« kommen. Das sieht so aus, als ob es viele Arten zu Beten gibt, man kann mit vorformulierten Texten beten und mit der Bibel und meditativ, und man kann eben auch gemeinsam beten. Und damit wird das ganze Bild schief. Denn die Gegenwart Gottes auf Erden ist in erster Linie seine Gegenwart in einer Gruppe von Menschen. Sie ist im Normalfall nicht für den Einzelnen im stillen Kämmerlein gedacht, sondern für die Gemeinschaft der Gemeinde.

Jesus hat das deutlich gemacht in dem bekannten Satz aus Matthäus 18: Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen. Das heißt einerseits: keine Sorge, wenn ihr wenige seid, auch dann könnt ihr einen Raum bilden, in dem ich dabei bin, und darauf kommt es an. Dieser Satz bedeutet aber auch: einer allein reicht nicht, um solch einen Raum zu bilden. Deshalb hat Jesus seine Jünger immer mindestens zu zweit losgeschickt. Auch eine so profilierte Persönlichkeit wie Paulus hatte immer andere dabei, er hat nur in ganz seltenen Notfällen für begrenzte Zeit allein gearbeitet, sonst war er immer mit Timotheus, Titus, Priszilla und Aquila oder anderen zusammen.

Natürlich haben die auch damals allein gebetet, aber das war nicht der Kern ihrer Frömmigkeit. Der Kern ihres geistlichen Lebens war die Gemeinde. Man kann auch sagen: der Gottesdienst, aber das war eben keine Veranstaltung in einem extra Haus mit Altar und Orgel und Talarträgern, sondern das waren Treffen am Küchentisch oder im Wohnzimmer oder im Innenhof eines großen Hauses. Und da haben sie zusammengetragen, was ihnen im Lauf des Tages an geistlichen Zusammenhängen klargeworden ist, was sie nun wieder von Gott empfangen haben.

Merken Sie, dass das Menschen waren, die den ganzen Tag über immer wieder den Gedanken an Gott im Kopf hatten? So wie andere den ganzen Tag über dauernd an ihre Gesundheit denken, oder an ihre Termine, oder an Sex oder an ihren Hund oder warum der und der nicht anruft, so haben die anscheinend dauernd daran gedacht, wo die neue Welt Gottes vorangeht. Also, so im Vergleich ist das doch keine schlechte Alternative, oder? Sie dachten immer wieder über etwas nach, was Hoffnung und Freude und Perspektive in ihr Leben brachte, obwohl sie vielleicht Sklaven waren, die Tag für Tag hinter dem Chef her putzen mussten. Und dann kamen sie trotzdem reich beschenkt in die Gemeinde und erzählten und hörten darauf, was die anderen mitbrachten.

Und das stärkte und ergänzte sich gegenseitig, und sie waren alle gemeinsam daran beteiligt, wie Jesus sich immer mehr Teile der Wirklichkeit eroberte. Und das alles konzentrierte sich, wenn sie das Mahl des Herrn feierten, das Abendmahl, da aßen sie alle von einem Brot und tranken aus einem Kelch, und es wurde sichtbar, dass sie gemeinsam der Ort waren, wo der auferstandene Jesus in der Welt wirkt. Da war ein Kraftfeld, das die Gegenwart Gottes für alle erkennbar werden ließ.

Das war damals etwas völlig Neues: man brauchte keine Tempel mehr, um irgendwie mit dem Göttlichen in Kontakt zu kommen. Bis dahin sind Menschen in Tempel gegangen, haben dort geopfert und angebetet, wenn sie etwas von den Göttern wollten. Tempel waren eine teure Angelegenheit: so ein Tempel musste ja etwas hermachen, man brauchte Tausende von Arbeitern, um ihn zu bauen, man brauchte Opfer und Weihrauch und Gold und Priester und Tempeldiener und Chöre und werweißnoch was, um ihn zu betreiben. So etwas konnten nur Könige und vergleichbare Leute auf die Beine stellen.

Und dann kommt Jesus und sagt: es reichen zwei oder drei, die sich in meinem Namen versammeln, dann bin ich mitten unter ihnen, und damit ist Gott da. Auf einmal reichen zwei Leute am Küchentisch, wo man früher einen königlichen Tempel brauchte. So wie man vor zwanzig Jahren in eine Druckerei gehen musste, wenn man einen Text ordentlich gesetzt bekommen wollte, man brauchte komplizierte Setzmaschinen und Leute, die sie bedienen konnten, und heute kann das jeder sebst machen mit einem Computer und einem Drucker für 50 €.

Merken Sie, was für eine Revolution Jesus gebracht hat? Was haben Menschen im Lauf der Geschichte für Bauten erstellt, um mit Gott in Kontakt zu kommen: Pyramiden, Tempel, tonnenschwere Steinkreise, Bethäuser. Und auf einmal geht es am Küchentisch, und wenn es mehr werden, zieht man in den Wintergarten um oder in die Cafeteria eines Betriebes oder wie es sich eben ergibt.

Auf einmal braucht man keine Fachleute mehr, die den Kontakt mit Gott herstellen, man muss nicht zu den Reichen gehören, es müssen sich nur mindestens zwei oder drei in Jesu Namen versammeln, und das ist die Konstellation, in der Gottes Herz und unser Herz zusammenkommen. Menschen nehmen die Religion in die eigenen Hand, sie fragen nicht um Erlaubnis, sie machen es einfach. Selbstorganisiert und in eigener Verantwortung, aber sie können dann auch nicht mehr andere verantwortlich machen, wenn etwas schief läuft.

Es hängt nur noch daran, dass diese kleine Gruppe den richtigen Geist bewahrt und sich richtig organisiert. Deshalb kämpft Paulus so darum, dass da in der Gemeinde von Korinth nicht die Selbstdarsteller das Klima prägen. Konzentriert euch nicht darauf, wie ihr selbst groß rauskommt, sondern verhaltet euch so, dass Jesus durch die ganze Gemeinde sichtbar wird! Das ist ein Kampf, von dem jede Gemeinde betroffen ist. Dietrich Bonhoeffer, der ja immer wieder Gemeinschaften gegründet hat, hat es in unseren Tagen so formuliert: kaum sind ein paar Leute beieinander, da gibt es schon ein Gerangel darum, wer der Chef ist.

Was ist da zu tun? Darauf hat es im Laufe der Zeit zwei Antworten gegeben, die beide zu Problemen führen. Die eine Antwort ist: wenn die Leute immer nur Probleme produzieren, dann müssen sie eben doch wieder beaufsichtigt werden. Sonst könnte ja jeder kommen und einfach so am Küchentisch Gemeinde spielen. Das geht nicht! Also wieder zurück in die Sakralgebäude. Und deswegen war in Europa lange Zeit jede Religionsausübung bei der Kirche monopolisiert. Religion durfte nur unter kirchlicher Aufsicht stattfinden. Und als vor 300-400 Jahren die ersten Haus- und Bibelkreise entstanden, »Konventikel« nannte man die, da wusste keiner mehr so richtig, wie so etwas eigentlich geht, weil keiner mehr damit Erfahrung hatte. Und sie wurden polizeilich beobachtet, weil sie verdächtig waren.

Die andere Antwort, etwas moderner, bestand darin, dass Menschen sagten: wenn es so schwierig ist, miteinander eine geistliche Gemeinschaft zu sein, dann lassen wir es lieber ganz und beten eben allein, persönlich. Und so ist das Gebet des Einzelnen in die Mitte der Frömmigkeit gerückt. Obwohl im Neuen Testament der Kern der christlichen Spiritualität die Gemeinde war. Und durch diesen religiösen Individualismus haben wir ein kraftloses Christentum bekommen, das sich im Inneren abspielt, das in den normalen spontanen Gesprächen der Menschen keine Rolle spielt, und in ihren Gedanken auch nicht, ein Christentum, das die Welt nicht gestaltet und sich stattdessen auf die Frage konzentriert, wie man am einfachsten in den Himmel kommt.

Wo man die mindestens zwei oder drei, die in Jesu Namen beieinander sind, in der Praxis durch Einzelne ersetzt, die gelegentlich religiöse Regungen haben, da wird das Christentum zu einer Karikatur, und alle merken, wie das nicht funktioniert. Denn die Kraft Gottes ist an eine funktionierende Gruppe gebunden.

Vor diesem Satz Jesu von den 2 oder 3, bei denen er ist, wenn sie in seinem Namen beisammen sind, da steht nämlich noch ein anderer:

19 Wahrlich, ich sage euch auch: Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel.

Und damit ist ja nicht gemeint, dass du und ich uns darauf einigen, dass wir morgen schönes Wetter haben wollen, und dann muss Gott uns das geben. Sondern mit dem Einswerden ist ein ganzer Weg gemeint, bei dem man auf eine Wellenlänge kommt, bei dem man sich immer klarer darüber verständigt, wie man denn als die Leute Jesu beieinander sein will. Und wenn das geschieht, dann ist das Gebet einer Gemeinde keine Formalie mehr, sondern dann bekommt es tatsächlich Kraft. Deshalb geht Paulus nicht den Weg zurück in die Tempel, aber er weicht auch nicht aus in religiösen Individualismus, sondern er arbeitet an dieser Kultur der Selbstorganisation. Auch was er schreibt über den demütigen Umgang mit dem Mikrofon gehört mit zu dieser ganzen Kultur des Miteinander-Umgehens. Es geht aber auch um ein Klima der Leidenschaft und des Engagements, in dem Menschen selbst die Verantwortung für ihre Motivation übernehmen und nicht von anderen erwarten, dass die sie immer wieder heiß machen und in Bewegung bringen.

So wie Einzelne sich Gedanken machen, wie sie eigentlich beten wollen und es immer mal wieder erneuern und verändern, so braucht eine Gemeinschaft auch das Nachdenken darüber, wie ihre Kultur aussieht und wie sich organisiert, um ein funktionierender Raum für den Geist Gottes zu sein. Große Teile des Neuen Testaments kreisen um diese Frage, wie eigentlich eine Gemeinschaft aussehen muss und wie man da denken muss, damit man tatsächlich der Leib des auferstandenen Christus ist, wie Paulus es nennt. Mit einem Leib, einem Körper kann man die Welt beeinflussen. Und wenn der auferstandene Jesus die Welt beeinflussen will, dann tut er es durch seine Gemeinde, seine Jüngerinnen und Jünger. Es ist für die Welt inzwischen eine Frage auf Leben und Tod, dass die Gemeinde Jesu in Form kommt und lernt, die Kraft Gottes wieder hier auf der Erde in vollem Maß wirksam werden zu lassen. Und genauso für die Einzelnen: so viele Menschen laufen durch die Gegend und haben das Gefühl, dass sie nicht glücklich sind mit ihrem Leben. Im Großen wie im Kleinen wartet alles darauf, dass von neuem der Raum der Gemeinde aufgeht als der Ort, an dem Menschen erkennen: ja. hier ist wirklich Gott!