Ein Gott voller Leidenschaft

Predigt am 20. Februar 2005 zu Matthäus 12,38-42

38 Da fingen einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern an und sprachen zu ihm: Meister, wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen. 39 Und er antwortete und sprach zu ihnen: Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht fordert ein Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen gegeben werden, es sei denn das Zeichen des Propheten Jona. 40 Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein. 41 Die Leute von Ninive werden auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona. 42 Die Königin vom Süden wird auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, um Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo.

Wenn ich für diese Geschichte eine Überschrift ausdenken dürfte, dann würde ich sie nennen: »Jesus beim RÜV«. Kennen Sie den RÜV? Nein? Aber den TÜV kennen Sie? Diese Burschen, die nachzählen, ob Ihr Auto noch alle Räder hat und ob man mit dem Fuß schon durch das Bodenblech durchkommt. Den TÜV kennt jeder. Aber den RÜV? Dabei ist der ist viel älter. Schon bei Jesus waren die. Der RÜV, der religiöse Überwachungsverein, der kam, um zu testen, ob Jesus ein Rad ab hatte. Und die sagten: gib mal kurz Gas, damit wir gucken können, wie es unter deiner Motorhaube aussieht. Und Jesus sagte: unter meine Motorhaube guckt ihr nicht.

Lernt von Jesus. Er macht uns vor, was die einzig sinnvolle Antwort ist, wenn der RÜV kommt und sagt: wir wollen mal kurz checken, ob dein Motor auch im Gleichtakt läuft. Die einzig sinnvolle Antwort: Finger weg von meiner Motorhaube!

Ich möchte euch erzählen, wir waren die letzten drei Tage auf einem Kongress über »Geistliche Gemeindeleitung«. Und wir haben überlegt, wie das wohl gehen kann, wenn Leiter und Mitarbeiter lernen, immer besser auf den Heiligen Geist zu hören, auf sein Flüstern und seine Wegweisung; wir haben über die Leidenschaft nachgedacht, die Menschen überhaupt erst dazu treibt, scheinbar unmögliche Ziele anzupacken; wir haben ganz realistisch gehört, wie man scheitern kann, und wie trotzdem Gott der Gott der zweiten Chance ist, der uns das Evangelium gegeben hat, das stark genug ist, um alle Zerbrochenheit zu heilen. Und noch viele andere Dinge.

Wir waren beinahe 11.000 Leute aus ganz Deutschland und darüber hinaus, Pastoren, Gemeindeleiter, Verantwortliche, engagierte Leute aus vielen Gemeinden. Die Halle war total voll. Könnt ihr euch vorstellen, wie das ist, wenn man so zusammensitzt? – Eng. Heiß. Manchmal kriegt man Kopfschmerzen von der Luft. Aber du hast Anteil an einer riesigen Hoffnung: dass die Kirche in unserem Land in nicht allzu ferner Zeit zum ersten Mal auf breiter Basis so funktionieren könnte, wie ihr Herr sich das vorgestellt hat. So viele verantwortliche Leute, die auf die richtigen Dinge hören. Denkt mal daran, was das für ein Zukunftspotential ist, was da zusammen war. Ich bin wieder nach Hause gekommen und habe meinen hier Leuten gesagt: jetzt habe ich den Anfang davon gesehen, wie Gott seine Christenheit bei uns aufrichtet. Und diese Zeit der Ohnmacht und des Sich-Schämens und des Getriebenwerdens und des Sich-Entschuldigens, die wird vorbei sein.

Geglaubt habe ich das schon immer, dass das kommen wird, aber jetzt habe ich den Anfang davon gesehen. Das wird jetzt noch dauern, vielleicht noch zehn Jahre, oder zwanzig Jahre, und es wird noch harte Arbeit kosten, und viele Tränen und Schmerzen, und es wird Irrwege geben und Enttäuschungen, aber es wird kommen. Und das, wofür so viele Generationen vor uns gebetet haben, das wird geschehen. Und ich bin zuversichtlich, dass ich das selbst miterleben werde, mindestens den deutlichen Anfang. Und wenn nicht, dann ist es auch in Ordnung.

Draußen, vor der Halle, stand der RÜV. So Leute mit Transparenten, die Flugblätter verteilten, so Heftchen; und aus der Entfernung erinnerte ich mich an die kommunistischen Splittergruppen, die ich aus meiner Studentenzeit kannte. Aber es waren Angehörige einer christlichen Gruppe, ich kannte die nicht, aber wir waren in Stuttgart, und in Württemberg gibt es da anscheinend eine ganze Menge von. Und die erklärten uns, dass Gott seinen Zorn ausschüttet über die Kirchen in Deutschland. Über die Landeskirchen. Über die Freikirchen. Über die Gemeinschaften. Ich habe es nicht ganz verstanden. Aber ich hatte den starken Verdacht, dass es in ganz Deutschland nur eine einzige Gruppe gab, die nicht unter dem Zorn Gottes ist, nämlich diese Gruppe, die da stand. Und unsere einzige Chance war, Buße zu tun über all die Dinge, die den Leiter dieser Gruppe offensichtlich in der Vergangenheit stark verletzt und verunsichert hatten.

Ich habe gedacht: Klasse! Das ist ein Zeichen dafür, dass es vorangeht. Der Religiöse Überwachungsverein taucht nur da auf, wo echt was los ist. Wo es lebendig wird. Wo alles döst und schläfrig dahinplätschert, da kommen die gar nicht erst.

Aber im Ernst: ist das nicht traurig, dass Menschen lieber dabeistehen und kritisieren, als dabeizusein, wenn Gott die Welt bewegt? Wenn ihr an diese Geschichte von Jesus denkt, kurz vorher hat er einen stummen und blinden Menschen, der auch noch geistig verwirrt war, geheilt. Und die Menschen waren außer sich. Sie fingen an zu fragen, ob Jesus nicht vielleicht der neue David sein könnte. Und genau da kommen die Pharisäer – das war damals der RÜV – und versuchen, die Sache mies zu machen.

Sie kommen und wollen von Jesus ein Zeichen, einen klaren und eindeutigen Beleg dafür, dass er von Gott kommt. Ich weiß nicht, was sie sich vorgestellt haben: sollte er einen Stern vom Himmel fallen lassen, oder sollte er aus Steinen Brot machen? Es ist verrückt: eben hat er einen stummen und blinden Menschen geheilt, und sie verlangen immer noch ein Zeichen. Warum ist diese Heilung kein Zeichen? »Er ist in Wirklichkeit mit dem Teufel im Bund« sagen sie. Na toll!

Was zeigt uns das? Wenn einer sich nicht überzeugen lassen will, wird er sich nicht überzeugen lassen, und du kannst dir den Mund fusselig reden.

Der Trick bei dieser Frage nach einem Zeichen ist ja, dass die Pharisäer am Ende entscheiden, ob sie dieses Zeichen überzeugt. Wenn Jesus sich also darauf eingelassen hätte, dann hätte er sich damit in ihre Hände gegeben, und sie hätten ihn zappeln lassen können: nein, das ist immer noch kein eindeutiges Zeichen. Nein, das war nicht gut genug. Jedes Mal hätten sie das Stöckchen ein bisschen höher gehoben und Jesus hätte springen müssen, ohne etwas zu erreichen.

So was gibt es natürlich nicht nur beim RÜV, das gibt es auch bei ganz unreligiösen Menschen. Erst erzählen sie, dass in der Bibel ja alles später umgeschrieben worden ist. Wenn du ihnen erzählst, wie präzise die Texte überliefert worden sind, dann fangen sie damit an, dass die Auferstehung ja höchstens symbolisch gemeint sein kann. Wenn du ihnen erklärst, warum das harte Fakten sind, dann fällt ihnen ein, dass es ja noch die anderen Religionen gibt, die Moslems und die Buddhisten, und darüber muss man sich ja auch erst noch gründlich informieren, bevor man sich ein Urteil erlauben darf. Und wenn du anfängst, mit ihnen über den fundamentalen Unterschied zwischen dem Christentum und allen anderen Religionen zu sprechen, dann wechseln sie das Thema auf die Kreuzzüge oder den Papst oder den Konflikt in Nordirland.

Warum sind Menschen so? Weil sie glauben, dass es am sichersten ist, niemals Farbe zu bekennen, sich nicht festzulegen, nicht Partei zu ergreifen, es mit niemandem zu verderben und keine Leidenschaft zu entwicklen. Oder, um noch mal in dem Bild zu bleiben: lieber beim TÜV Autos begutachten als selbst Rennen zu fahren. Lieber auf der Zuschauertribüne sitzen als im Cockpit eines Ferraris, wo es nach Benzin stinkt und man vielleicht im Graben landen kann.

Wer sich nie engagiert, der lebt sicher, er macht keine Fehler, er wird nie ausgelacht, er hat keine schlaflosen Nächte, er hat keinen Ärger mit dem RÜV – und er lebt völlig am Leben vorbei. Warum? Weil Gott, der das Leben geschaffen hat, selbst einer ist, der sich mit heißem Herzen engagiert. Die Bibel erzählt von Anfang an von einem Gott, der Dinge ins Leben ruft, der mit ganzem Herzen dabei ist, und der deswegen dauernd Probleme hat. Gottes Probleme sind alle selbstgemacht. Hätte er die Welt nicht geschaffen, er hätte keine Probleme mit uns. Aber Gott ist ein tätiger Gott, ein leidenschaftlicher Gott, der die Initiative ergreift, ein Gott der sich exponiert und Farbe bekennt – und er hat uns nach seinem Bilde geschaffen. Und wenn wir die Leidenschaft und das Risiko und das brennende Herz vermeiden, dann leben wir an unserer Bestimmung vorbei.

Abgeklärt zu sein, gleichmütig, leidenschaftslos und sicher vor den Niederungen und Anstrengungen der Welt, das ist ein buddhistisches Ideal, kein christliches. Und man kann sich auf einen Posten beim RÜV zurückziehen, weil es risikolos ist, zu kritisieren und zu beurteilen. Und man kann sich auf weltanschauliche Neutralität zurückziehen, weil man da auch nicht selbst Farbe bekennen muss.

Wenn Jesus solchen Leuten begegnet ist, dann hat er das Thema gewechselt und hat sie selbst zum Thema gemacht. So macht er es auch hier: ‚ein böses und ehebrecherisches Geschlecht fordert ein Zeichen. Aber ihr werdet kein Zeichen bekommen.‘ Versteht ihr, wie Jesus da draufhaut, damit die endlich sichtbar werden und Farbe bekennen. Ausgerechnet die Pharisäer, die die »alten Werte« hochhalten und »in Klarheit den Menschen sagen, was Sache ist«, ausgerechnet die nennt er Ehebrecher, Pornosüchtige. Wahrscheinlich hat er gewusst, was er da gesagt hat. Gerade die Institutionen, die sich als Hüter der Moral profilieren, die sind ganz gefährdet, weil da der Dreck im eigenen Haus unter den Teppich gekehrt wird, und auf einmal kommt es doch alles auf einmal raus, und die Menschen sind geschockt, wenn sich Priester reihenweise an Kindern vergriffen haben.

Jesus sagt: Was bildet ihr euch eigentlich ein, wer ihr seid, dass ihr ankommt und glaubt, ihr könntet ein Zeichen fordern? In die Sündenstadt Ninive kam der Prophet Jona, und das war kein besonders beeindruckender Prophet, und der lieferte auch keine sonderlich originelle Predigt ab, aber die Leute in dieser Stadt, die ein Hort der Gewalt war, ein Zentrum der Unmoral und des Götzendienstes war, die waren tief betroffen und wurden zu Büßern. Und siehe, sagt Jesus, hier bei mir passiert wesentlich mehr als die dürftige Verkündigung von Jona. Aber bei euch gibt es keine Bewegung in eurer verhärteten Seele.

Und die Königin von Saba die hat ihr ganzes Königreich allein gelassen, sie segelte über das Rote Meer und sie zog durch die arabische Wüste, und alles nur, weil sie irgendwie gehört hatte, dass es in Israel einen besonders weisen und prächtigen König namens Salomo geben sollte. Das reichte ihr, um unglaubliche Mühen auf sich zu nehmen, in einer Zeit, als man noch keine Flugzeuge hatte und keinen Intercity, alles nur, weil sie diesen Salomo erleben wollte, seine goldenen Teller und die Organisation seiner Hofes und seine Weisheit. Jesus ist wesentlich mehr als goldene Suppenterrinen. Und trotzdem gibt es Menschen, die nicht zu ihm kommen können, weil sie ihr Mittagsschläfchen machen müssen, oder weil sie das Fernsehen nicht verpassen dürfen, oder weil sie … ich sag nichts mehr.

Und Jesus antwortet ihnen: ihr bekommt kein Zeichen. Doch, ein Zeichen bekommt ihr. Der Prophet Jona war drei Tage im Bauch des Fisches. Ihr kennt die Geschichte, hoffe ich: Jona, der vom Wal verschluckt wurde. Drei Tage lang hat er dem Untier Magenkoliken bereitet, bis der ihn schließlich wieder ausspuckte. Und Jesus sagt: wie Jona drei Tage in der Hölle dieses Fischbauchs war, so werde ich drei Tage lang in der Hölle des Todes sein, in dieser Gottverlassenheit und Finsternis, und das ist das einzige Zeichen, das ihr noch bekommt: mein Tod am Kreuz.

Was sagt uns das Kreuz? Was sagt das Kreuz Leuten, die sich vornehm zurückhalten, entweder, weil sie beim RÜV sind oder weil sie sowieso lieber auf der Tribüne sitzen und zuschauen? Dieses Kreuz sagt: Gott sitzt nicht auf der Tribüne. Er ist auch nicht der Besserwisser, der uns unsere Fehler und Sünden unter die Nase reibt. Gott hält sich nicht raus. Er bleibt nicht neutral und wartet ab. Gott geht mitten hinein in die Schmerzen, in das Risiko, in das Scheitern, Gott steht da als blamiert, Gott steht da als Blödmann, der alles falsch gemacht hat. Nein, er hängt, am Kreuz. Dahin hat ihn sein brennendes Herz gebracht.

Wird dich das anstecken? Wird das dein Herz anstecken? Wirst du den Preis bezahlen, den es kostet zu leben? wirklich zu leben? Oder reicht es dir, zuzuschauen und dein Leben verstreichen zu lassen? Willst du beim TÜV sein oder willst du das Rennen fahren?

Ich gebe zu, dass dieses Bild vom Autorennen möglicherweise nur einigen von uns etwas sagt. Es ist ein sehr männliches Bild. Ich versuche es mal ein bisschen weiblicher (seid freundlich zu mir, ich habe gerade von der Gefahr gesprochen, sich zu blamieren):

Ein lebendiges Herz, ein brennendes Herz, ein Herz voll lebendiger Liebe, ist immer ein Risiko. Es macht uns verletzlich und angreifbar. Es ist sicherer, sein Herz mit einem Schutzschild zu umgeben oder es auf Sparflamme zu schalten. Es gibt so viele Menschen, die sich nicht an ihr Herz herantrauen, weil sie Angst vor dem haben, was da drin ist oder drin sein könnte. Es kann sein, dass da unglaublich viel Trauer und Schmerz herauskommt. Aber Gott sagt uns, dass dies der Weg des Lebens ist, und dass wir dazu bestimmt sind, an seiner Hand diesen Weg zu gehen. Das Zeichen des Kreuzes sagt uns: geh diesen Weg. Ring dich dazu durch. Das ist Gottes Weg, und wir sind in der besten Begleitung, die es gibt.