Befreiung von der Macht des Bösen (Das Reich Gottes II)

Predigt am 10. August 2003 zu Matthäus 12,22-28

22 Da wurde ein Besessener zu Jesus gebracht, der war blind und stumm; und er heilte ihn, so dass der Stumme redete und sah. 23 Und alles Volk entsetzte sich und fragte: Ist dieser nicht Davids Sohn?
24 Aber als die Pharisäer das hörten, sprachen sie: Er treibt die bösen Geister nicht anders aus als durch Beelzebul, ihren Obersten. 25 Jesus erkannte aber ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet; und jede Stadt oder jedes Haus, das mit sich selbst uneins ist, kann nicht bestehen. 26 Wenn nun der Satan den Satan austreibt, so muss er mit sich selbst uneins sein; wie kann dann sein Reich bestehen? 27 Wenn ich aber die bösen Geister durch Beelzebul austreibe, durch wen treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein.
28 Wenn ich aber die bösen Geister durch den Geist Gottes austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.

Wo Jesus ist, da muss das Böse weichen. Es sind lauter Siegesgeschichten, die uns in der Bibel überliefert werden. Und sogar aus der Kreuzigung Jesu, die doch zuerst ein Triumph seiner Feinde zu sein scheint, wird am Ende, wenn Jesus auferstanden ist, der entscheidende Sieg über die Todesmächte.

Die konzentrierte Macht des Bösen begegnet uns in den Evangelien an zwei Stellen: einmal in den Angriffen auf Jesus, die in der Kreuzigung ihren Höhepunkt haben, und dann in Menschen, von denen es heißt, dass sie von Dämonen besessen sind. Also Menschen, deren Persönlichkeit so zerstört ist, dass in ihnen etwas anderes, fremdes wohnt und die Kontrolle übernommen hat. Also, Brennpunkte des Bösen sind Staatsterror und Persönlichkeitszerstörung, könnte man sagen. Und man kann sich sogar fragen, ob das nicht zusammengehört. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass es damals in Israel soviel dämonisierte Menschen gab. Dieser ungeheure Druck, der damals auf den Menschen in diesem besetzten Land lastete, der machte auch die Seelen kaputt.

Es gibt eine andere Geschichte, in der Jesus einen Dämonisierten befreit, und da fragt er den Dämon, wie er heißt. Und die Antwort ist »Legion«. Ich glaube, dass das kein Zufall ist, dass er nach den römischen Legionen heißt. Und man hat herausgefunden, dass ganz in der Nähe des Ortes, wo sich das abgespielt hat, die römischen Truppen einmal ein fürchterliches Massaker angerichtet hatten. Das muss ein grauenhafter Anblick gewesen sein, wie dort die Leichen zu Hunderten im Wasser des Sees Genezareth herumschwammen. Ganz vergleichbar dem, was wir manchmal hören über die Massengräber, die man auf dem Balkan oder in Kambodscha oder in Ruanda gefunden hat. Vielleicht ist dieser Mann dem Massaker entkommen, weil man ihn für tot hielt, vielleicht hat er eine Nacht lang neben Leichen gelegen, bis er endlich fliehen konnte.

Natürlich ist das jetzt Spekulation, aber es geht darum, was passiert, wenn Menschen mit solchen entsetzlichen Dingen konfrontiert werden. Wenn jemand so etwas erleben muss, dann ist das so bedrohlich und schrecklich, dass er sich nicht anders helfen kann, als einen Teil seiner Seele irgendwie stillzulegen und abzuschalten, den Rest der Seele abzutrennen von dem, was da mit ihm passiert, so dass es dann fast so ist, als ob es einem anderen passiert. Das Herz schließt diese Erlebnisse sozusagen ein in eine dreifach gesicherte Kammer, hängt lauter Schlösser davor und verrammelt die Tür, damit auf keinen Fall dieses ganze Grauen jemals wieder herauskommt.

Aber natürlich bezahlt eine Seele dafür einen hohen Preis, denn es ist ja in Wirklichkeit alles noch da. Die äußere Invasion durch die römischen Legionen hat nun eine innere Fortsetzung erfahren, eine Invasion in Kopf und Herz, und es meldet sich eben doch immer wieder durch körperliche und seelische Symptome. Und anscheinend kann es dann auch passieren, dass dieser abgespaltene Persönlichkeitsteil ein Eigenleben führt, dass da auch feindliche geistige Mächte sich niederlassen, und es wird zum Brückenkopf des Bösen, weil es unverteidigtes, herrenloses Gebiet ist.

In solchen Fällen kommt auch heute die Kunst der Ärzte und Therapeuten an ihre Grenze. Es kann sein, dass sie einem Menschen das Leben nur erleichtern können, aber nicht den Schaden heilen.

Ich weiß natürlich nicht, ob die Dämonisierten, denen Jesus begegnete, genau diese Vorgeschichte hatten, aber etwas Vergleichbares muss mit ihnen geschehen sein, etwas ähnlich Schlimmes. Und dass Jesus diese armen Menschen befreien konnte, das war für die Zuschauer unglaublich erschütternd und eindrucksvoll und befreiend. Der Böse zerstört Menschen, er frisst ihre Seele, er saugt sie aus und kann neben sich nichts Heiles ertragen. Gott baut Menschen auf, er stärkt unsere Person, er freut sich an freien Menschen. Freiheit und Freude gehören bei ihm zusammen.

Die Zuschauer Jesu fühlen sich an David erinnert, der ja auch einmal Israel befreit hat von fremden Besetzungsmächten, denen das Volk ausgeliefert war, den Philistern nämlich. Und sie nennen Jesus »Davids Sohn«.

In der Tat ist eben auch Davids Geschichte eine große Siegesgeschichte. Am Ende ist Israel frei und eine goldene Zeit bricht an. Wo Gott wirkt, da geht es nicht irgendwie unentschieden aus, sondern da gibt es Siege. Manchmal lassen sie lange auf sich warten, sie kosten ihren Preis, David hat viel erdulden müssen, bevor er König wurde, aber die Handschrift Gottes ist der Sieg. Gott gibt Gelingen, nicht irgendein graues Mittelding.

Bis heute haben Geschichten, die in Filmen und Romanen erzählt werden, fast immer ein Happyend. Und in den Märchen sowieso, da heiraten sie am Ende und die böse Stiefmutter wird verbrannt – wunderbar! Vielleicht würden wir hinter die Methoden ein Fragezeichen setzen, aber die Botschaft ist deutlich: es geht um den eindeutigen Sieg über das Böse und Zerstörerische. Diese Erwartung, die mit Jesus in die Welt gekommen ist, dass das Gute siegt, gegen alle Machenschaften des Bösen, die ist uns hier im Abendland so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie auch noch die Hollywoodfilme prägt. Immer wieder hört man mal, dass das ja eigentlich langweilig sei, und es müsste weniger eindeutig ausgehen, aber wenn man sieht, wieviele Menschen z.B. in den Film »Der Herr der Ringe« strömen, dann merkt man: das braucht unsere Seele einfach, Geschichten davon, dass wir trotz allem unter einem Horizont der Hoffnung leben und nicht unter dem Fluch des Misslingens und der Mittelmäßigkeit.

Übrigens, erinnern Sie sich, in welchen Filmen sich das änderte? Ich will mich nicht festlegen aber ich glaube, zum ersten Mal richtig durchbrochen wurde das bei »Dallas«, in dieser Serie über die Intrigen in einer texanischen Ölkonzern-Dynastie. Da wurde der Fiesling J. R. nie richtig besiegt, sondern auch, wenn er Pech hatte, war er wie ein Stehaufmännchen immer wieder da. Klar, man brauchte ihn ja auch für die nächste Folge wieder, aber das war damals das ganz Neue an dieser Serie, dass da nicht immer eindeutig das Gute siegte. An solchen Punkten zeigt sich, wie das christliche Grundmuster vom Sieg des Guten inzwischen unsere Kultur nicht mehr so eindeutig prägt.

Als die Feinde Jesus ihm unterstelle, er könne das alles nur tun, weil er mit dem Bösen im Bunde sei, als sie ihm sozusagen schwarze Magie und Okkultismus unterstellen, da weist er sie darauf hin, dass das ja wohl blühender Unsinn ist, wenn man es zu Ende denkt. Denn das würde ja bedeuten, dass der Satan sich selbst bekämpft, und dann wäre sein Ende nahe.

Nein, in Wirklichkeit passiert etwas ganz anders. Gottes Reich ist hier unter den Menschen präsent. Das ist Gottes Handschrift, wenn arme, vom Bösen gequälte Menschen frei werden. Es ist der Triumph des Teufels, wenn er Personen zerstören kann, Menschen, die nach Gottes Ebenbild geschaffen sind. Aus denen Karikaturen zu machen, das ist seine kaputte Freude. Man spürt diese Freude auch in Menschen, die andere quälen, demütigen und drangsalieren. Aber dieser Triumph des Teufels wird durchkreuzt. Jesus richtet über dieser Welt das Vorzeichen des Sieges auf.

Die Machthaber missbrauchen immer noch Menschen, sie tun so, als seien sie sicher und ungestört, aber überall, wo Menschen die Verbindung zum Sieg des Reiches Gottes herstellen, da müssen sie zurückweichen. Wo unsere Kraft an ihre Grenze kommt, da macht Gott weiter. Wir können uns von den unzähligen ungelösten Problemen der Welt irritieren lassen. Wir können aber auch mutig das tun, was in unserer Verantwortung ist, und noch ein bisschen darüber hinausgehen, und dann werden wir sehen, dass tatsächlich im Namen Jesu das Zeichen des Sieges aufgerichtet ist.

Ich musste in der letzten Zeit öfter mal verschiedene Leute fragen: helfen Sie doch bitte mir hier und da mal, ich möchte da etwas Gutes tun, aber ich brauche Sie dazu. Und mir ist aufgefallen, dass ich dann öfter mal die Antwort bekam: ja, natürlich, das mache ich, selbstverständlich, aber sagen Sie mal, kämpfen Sie da nicht gegen Windmühlenflügel, Sie stehen doch auf verlorenem Posten, warum machen Sie das?

Und ich habe dann meistens geantwortet: ich tue meinen Teil, was ich eben kann, und der Rest ist nicht mehr meine Verantwortung. Das ist zwar keine falsche Antwort, aber mir ist klar geworden, dass ich da viel zu feige war. Ich hätte sagen müssen: ich stehe nicht auf verlorenem Posten, sondern ich gehöre zum Vortrupp des Reiches Gottes, und solange ich meinem Auftrag treu bleibe, bin ich am sichersten Ort der Welt, und ich weiß, dass im richtigen Moment die Verstärkung eintreffen wird.

Wodurch unterscheiden sich denn die Jünger Jesu von anderen, die auch Gutes tun? Zuerst und vor allem durch den Horizont der Hoffnung und Zuversicht, von dem sie sich nicht abbringen lassen. Wir wissen, dass wir aus der Kraft des Reiches Gottes handeln. Gutes tun ohne diese Hoffnung, dass die Verstärkung rechtzeitig eintrifft, das wird entweder Pflichterfüllung mit zusammengebissenen Zähnen, oder man wird irgendwann zynisch und lässt es sein. Aber die Menschen warten darauf, dass es welche gibt, die aus begründeter Hoffnung leben und das auch besser erklären, als ich es gemacht habe.

Warum ist die Hoffnung begründet? Weil sie sich am Kreuz bewährt hat, am schlimmstmöglichen Ort. Da stand Jesus auch auf verlorenem Posten, er hing, und er starb, und jede Hoffnung war verloren. Und dann griff Gott ein und erweckte ihn zu neuem Leben und setzte damit endgültig das Zeichen des Sieges über unserer Welt in Kraft. In diesem Zeichen hat Jesus immer gelebt, und nun ist es für die ganze Welt bestätigt. Und Gott wartet auf Menschen, die seinem Zeichen vertrauen und seiner Siegeskraft einen Kanal öffnen in ihr Leben und ihr Umfeld. Dann ist das Reich Gottes zu uns gekommen.

Übrigens erspart uns das nicht die Mühsal und die Schmerzen, die es mit sich bringt, wenn wir uns Gottes Sache in der Welt zu eigen machen. Wenn wir mit traumatisierten Menschen zu tun haben, dann werden wir sie erst einmal begleiten müssen, sie tragen und liebhaben und ihr Vertrauen gewinnen, wahrscheinlich über lange Zeit. Das kann man nicht durch Dämonenaustreibungen ersetzen. Die Befreiungsakte Jesu waren kein Ersatz für mühevolle Liebe, sondern sie waren die Frucht eines ganzen Lebens, in dem Jesus sich in Liebe geübt hat. Er hat für seine Vollmacht bezahlt, nicht zuletzt am Kreuz. Weil er diesen Preis bezahlt hat, deshalb ging das im Einzelfall dann scheinbar so mühelos und selbstverständlich. Auch wir werden nicht ohne die Mühsal der Liebe Vollmacht gewinnen.

Aber die Voraussetzungen dafür sind geschaffen. Das Reich Gottes ist präsent unter uns. Das Zeichen des Sieges ist aufgerichtet.

  • Seid ihr in Gefahr, diese Hoffnung aufzugeben?
  • Seid ihr in Gefahr, euch von euren Träumen zu verabschieden?
  • Seid ihr in Gefahr, euch mit dem Bösen zu arrangieren und nicht mehr zu kämpfen?
  • Seid ihr in Gefahr, das Böse als unvermeidlich anzusehen wie den Fiesling J.R.?

Haltet es fest: im Windschatten Jesu kann jeder von uns dem Bösen entgegentreten, im Großen und im Kleinen, wie es uns eben über den Weg läuft. Das ist unsere Berufung. Dafür bekommen wir die Kraft Jesu. Wenn wir sie gebrauchen, dann wird sie mehr. Und die Verstärkung ist unterwegs.