Raus aus der Kommunikationsfalle – komm mit mir!

Predigt am 11. Februar 2001 zu Matthäus 9,9-13

9 Jesus ging weiter und sah einen Zolleinnehmer an der Zollstelle sitzen. Er hieß Matthäus. Jesus sagte zu ihm: »Komm, folge mir!« Und Matthäus stand auf und folgte ihm. 10 Als Jesus dann im Hause zu Tisch saß, kamen viele Zolleinnehmer und andere, die einen ebenso schlechten Ruf hatten, um mit ihm und seinen Jüngern zu essen.

11 Die Pharisäer sahen es und fragten die Jünger: »Wie kann euer Lehrer sich mit Zolleinnehmern und ähnlichem Volk an einen Tisch setzen?« 12 Jesus hörte es und antwortete: »Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken! 13 Überlegt doch einmal, was es bedeutet, wenn Gott sagt: ‚Ich fordere von euch nicht, dass ihr mir irgendwelche Opfer bringt, sondern dass ihr barmherzig seid.‘ 13 Ich bin nicht gekommen, solche Menschen in Gottes neue Welt einzuladen, bei denen alles in Ordnung ist, sondern solche, die Gott den Rücken gekehrt haben.«

Die Pharisäer und so weiter haben ein Problem mit Jesus: sie wünschen sich, dass er sich um sie kümmert, aber sie mögen es nicht sagen. Wenn sie ehrlich wären, würden sie fragen: Jesus, was du hast, ist so viel besser als das, was wir den Leuten erzählen; gegen das, was du sagst, ist unser Bibelstudium öde; und bei dir zu sein macht viel mehr Spaß als unsere trockenen Gebete. Obwohl wir so tun, als ob wir über alles Bescheid wissen, kommen wir Gott nicht näher. Können wir bei dir abgucken? Dürfen wir auch was abhaben von dem, was du hast?

Und magst du uns überhaupt, obwohl wir in Wirklichkeit auch nicht mehr über Gott wissen als all die Leute, die wir dauernd belehren?

Aber das wäre ja peinlich, wenn sie zugeben müssten, dass sie auch auf der Suche sind und es im Entscheidenden nicht besser wissen als die Leute, denen sie sonst immer erzählen, wie sie leben sollen. Dass sie viel über Gott wissen, aber ihm trotzdem nicht nahe sind, jedenfalls nicht so, wie Jesus es ist.

Deswegen sagen sie nicht: »bitte lass uns auch dabei sein!«, denn wer sagt schon gern bitte? Sondern sie machen daraus ein scheinbar ganz unpersönliches Problem, sie sagen: »die andern dürften aber eigentlich nicht dabei sein, die haben das nicht verdient«. Und sie kleiden das in die Form einer Frage, die sie noch nicht mal Jesus stellen, sondern den Jüngern: »Wieso macht euer Chef das? Läßt sich von denen zum Essen einladen!« Und der Ton dabei ist: »Unmöglich. Findet ihr das etwa gut?« Und wenn sie Glück haben werden die Jünger antworten: »Ja, eigentlich verstehen wir das auch nicht. Ganz richtig ist das wohl nicht.« Und dann hat Jesus das Problem im eigenen Hause, dann ist ein erster Keil getrieben zwischen ihn und seine Jünger.

Aber sie haben das wohl nicht vorsichtig genug gesagt, irgendwie kriegt Jesus zum Glück mit, was da läuft, und er geht selbst hin und antwortet. Anscheinend ist das so gefährlich, dass er sich selbst darum kümmert. Er will verhindern, dass in seiner Umgebung Misstrauen gesät wird. Wenn er sich da nicht drum kümmert, ziehen sie womöglich seine Jünger auf ihre Seite. Die sind ja in sich noch nicht so klar. Die finden es spontan gut bei Jesus, aber sie wissen ja gar nicht, warum er das alles so macht.

Und dann sagt Jesus ganz schlicht: »Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.« Eine ganz simple Wahrheit, und doch hebelt er sie damit am entscheidenden Punkt aus. Er fängt nicht an, den Pharisäern zu beweisen, wie sehr sie ihn brauchen, und dass die Zöllner und Sünder Gott viel näher sind. Er sagt nur: natürlich dürft ihr kommen, jeder darf kommen, aber habt ihr mich eigentlich nötig? Das würde ja bedeuten, dass ihr in Wirklichkeit krank seid, hilfsbedürftig und heilungsbedürftig. Das wusste ich ja gar nicht, dass ihr Pharisäer, die ihr so klug seid und es natürlich auch besser wisst als ich, dass ihr in Wirklichkeit meine Hilfe braucht.

Das bedeutet: Jesus stößt zum Kern dieses Konflikts vor, und – wie so oft – da geht es nicht um abstrakte Werte, ob man sich mit solchen Leuten abgeben darf oder nicht, sondern es ist ein Beziehungskonflikt, es ist in Wirklichkeit ganz simpel Eifersucht. Die Pharisäer reden ganz allgemein, aber Jesus macht den Beziehungskonflikt dahinter sichtbar.

Und auf einmal ist nicht mehr er das Thema, wie sie es gern hätten, sondern sie sind gefragt: seid ihr nun gesund oder nicht? Wenn ihr gesund seid, braucht ihr mich doch nicht, oder solltet ihr mich doch brauchen? Dann wäret ihr ja ebenso krank und hilfsbedürftig wie die, auf die ihr sonst herabschaut!

Liebe Freunde, den Weg zu Gott versperrt man sich am gründlichsten mit dieser Unklarheit: einerseits sich irgendwie zu Gott hingezogen fühlen, und andererseits so tun, als ob man es nicht nötig hätte. Bis heute ist das ein Grund, weshalb Menschen nicht zum Gottesdienst kommen: weil das ja für andere so aussehen könnte, als ob sie es nötig hätten, und, schlimmer noch, auch vor einem selbst könnte es so aussehen, und vielleicht ist es ja tatsächlich am schwierigsten, das vor sich selbst zuzugeben.

Keiner sagt gern »Bitte« – ich meine jetzt nicht die Höflichkeitsfloskel, sondern »Bitte« im vollen Sinn, wenn ich damit zugebe, dass ich etwas brauche, und deshalb angewiesen bin auf jemand anders.

Ich habe neulich an so einem Kurs teilgenommen, wo uns zwei Profis beigebracht haben, wie man unangenehme Telefonate führt und wie man umgehen kann mit Querulanten und verärgerten, wütenden Leuten. Und es war ganz deutlich, dass auch ein wütender, schimpfender Mensch im Grunde sagt: sei doch nett zu mir, tu mir was Gutes! Wer sich am stärksten beschwert, der ist ja oft selbst eigentlich ein armes Schwein, sonst hätte er es nicht nötig, so einen Aufstand zu machen.

Aber das Problem ist, dass er das ja gerade nicht zugeben will, dass er eigentlich ein Defizit hat, und dass er das meistens auch vor sich selbst versteckt. Manchmal kann man solche Menschen dann mit Freundlichkeit überrumpeln, aber so richtige Querulanten, bei denen ist das schon längst Lebensstil und Kommunikationsstil geworden, zu schimpfen, zu meckern, sich zu beschweren, zu beschuldigen, anzugreifen, mies zu machen usw. Und das ist dann kaum noch aufzubrechen. Statt zu sagen: sei nett zu mir! (was ehrlich wäre), greifen sie an und bekommen dann natürlich die entsprechende Reaktion. Am Ende passiert genau das, was sie von Anfang an befürchtet haben: keiner mag sie. Dann stimmt immerhin das Weltbild wieder. Aber man bezahlt einen hohen Preis dafür.

Übrigens gehören dazu auch die Menschen, die auf den ersten Blick ihre Schwäche und Probleme vor sich hertragen und damit bei anderen hausieren gehen. Auch wenn man in einer christlich geprägten Umwelt so Hilfe einfordert, weil man doch ein Recht darauf hat, dass anständige Menschen einem helfen, auch dann sagt man nicht »Bitte«.

Auch Jesus, der ein Weltmeister der Kommunikation war, hat es nicht geschafft, diese Kommunikationsfalle aufzubrechen. Vielleicht mal beim einen oder anderen, aber jedenfalls nicht bei den Pharisäern allgemein. Die sind bis zuletzt seine Gegner geblieben. Er konnte nur verhindern, dass sie bei seinen Jüngern und anderen Menschen Land gewinnen. Aber sie selbst hat er im Großen und Ganzen nicht erreicht.

Wer zu Gott kommen will, der muss eben diese coole Maske ablegen, dass er es eigentlich nicht nötig hat, oder dass er ein Anrecht darauf hätte. Für den Kontakt zu Menschen gilt das natürlich auch, obwohl die sich leichter täuschen und überrumpeln lassen. Und die Pharisäer sind nicht losgekommen von diesem Bild, dass bei ihnen ja alles richtig ist und sie es wären, von denen die anderen etwas zu lernen hätten.

Die sogenannten Zöllner und Sünder, deren Weg zu Gott ist oft kürzer, weil die sich nicht in dieser Kommunikationsfalle befinden. Deswegen kamen sie leichter zu Jesus, weil sie sich ganz unbefangen und natürlich anziehen ließen von der zugewandten Atmosphäre, die um ihn herum herrschte. Die kamen aus so einer harten und unfreundlichen Umgebung, dass sie diesen anderen Lebensstil bei Jesus einfach genießen konnten. Deswegen waren bei ihm, um mit heutigen Vorstellungen zu arbeiten, die Drücker von der Vertriebskolonne, die Leute, die anderen windige Spekulationspapiere andrehen, die Tierärzte mit dem illegalen Medikamentenhandel (aber wahrscheinlich nur die kleineren Fische), die Beamten aus dem Baudezernat, die sich von einem Baulöwen schon mal einen Luxusurlaub spendieren lassen, die kleinen Dealer, die noch wissen, wie schäbig sie mit ihren Kunden umgehen, und der Penner von Parkbank 17 ist natürlich auch dabei.

Aber man muss sich die Umgebung Jesu beileibe nicht als eine Ansammlung von sozialen Problemfällen und Gescheiterten vorstellen. Der Matthäus z.B., den Jesus zu seinem Jünger macht, das ist kein Gescheiterter, sondern ein findiger Mann, der gelernt hat, wie man sein Schäfchen ins Trockene bringt. Wir stellen uns Jesus immer als Treffpunkt der Elenden und Zerbrochenen vor, und das war er auch, keine Frage. Aber es ist interessant, dass er in den innersten Kreis seiner Jünger starke und tüchtige Menschen berufen hat. Der Zöllner Matthäus hatte sicherlich Dreck am Stecken – aber schwach war er nicht, eher ein Typ, der eine Nase dafür hatte, wie man gute Geschäfte macht. Oder Maria Magdalena, aus der er sieben böse Geister ausgetrieben hatte, aber danach macht sie den Eindruck einer starken und gesunden Persönlichkeit.

Die Zöllner und Sünder bei Jesus machen den Eindruck, dass sie kraftvoller und klarer sind als die Pharisäer, die nur mit ihrer religiösen Krücke durchs Leben kommen. Noch im Galaterbrief, in dem Paulus sich mit solchen Leuten auseinandersetzen muss, heißt es: die sollen sich doch kastrieren lassen. Und damit zielt Paulus darauf, dass es tatsächlich Religion und Frömmigkeit gibt, die von Schwäche geprägt ist, ein kastriertes Christentum, das versucht, aus Angst allen anderen die Kraft zu nehmen, damit keiner merkt, wie schwach man selbst in Wirklichkeit ist.

So ein Christentum ist für die Zöllner und Sünder nicht attraktiv, die durchschauen das instinktiv und sagen: wenn ihr mir nichts Besseres anzubieten habt, dann lebe ich lieber mein altes Leben weiter. Da ist wenigstens was los, da geht es um echte Sachen wie Geld, Autos und Mädchen. Das hat zwar auch seine Schattenseiten, aber ich will doch nicht den Rest meines Lebens darüber nachdenken, ob ich mir vor Tisch die Hände gewaschen habe oder ob ich jetzt schon wieder 5 km schneller gefahren bin als die Polizei erlaubt.

Jesus hat die Leute herausgefordert, sich auf die wirklichen Abenteuer einzulassen, für die es sich tatsächlich lohnt, Kraft und Zeit und Fantasie und Energie einzusetzen. Den Pharisäern war das wahrscheinlich zu heftig. Aber er hat seine Leute gefunden unter den unseriösen Typen, die wussten, dass man mit seinem Leben Besseres anfangen kann, als andere auszunutzen. Und genauso unter den tüchtigen Fischern vom See Genezareth, die Ihr Können in den Dienst der besten Sache der Welt stellen wollten. Beide Sorten von Menschen wussten, dass sie ihn brauchten, um aus vollem Herzen zu leben. Und sie haben es nicht bereut.