Auf der Suche nach dem Glück

Predigt am 17. Februar 2008 zu Matthäus 6,22-23

gd2008-02-17gross

Was Glück ist, das ist für einzelne Menschen sehr unterschiedlich. Tatsächlich sollte jeder sich selbst gut kennen und wissen, was ihn glücklich macht. Auf sich selbst achten und herausfinden, was einen wirklich glücklich oder auch unglücklich macht, das ist ein ganz wichtiger Anfang. Denn unglücklich machen wir uns selbst sehr oft, weil wir das Glück auf falschen Wegen suchen.

Trotzdem gibt es eine ganze Menge Ratschläge, wie man glücklich leben kann. Die Weisen aller Zeiten haben dazu schon immer etwas zu sagen gehabt. Und das Verblüffende ist, dass es da nicht nur große Übereinstimmungen unter den Ratschlägen der Weisen gibt, sondern dass diese Ratschläge sich heute auch meistens auf dem Weg der wissenschaftlichen Untersuchung bestätigen lassen. Auch in der Bibel gibt es ja Weisheits-Sammlungen, gegründet auf generationenlange Beobachtung des menschlichen Verhaltens.

Die meisten dieser Einsichten sagen: du kannst selbst ganz viel dazu tun, dass du zufrieden und sogar glücklich durchs Leben kommst. Dein Glück hängt ganz stark von der Art ab, wie du die Dinge, die du erlebst, deutest und verarbeitest. Klar, es gibt Ereignisse, die du nicht unter Kontrolle hast. Die kannst du nicht verhindern. Und trotzdem ist unsere Einstellung dazu viel entscheidender, als wir normalerweise merken. Die ganze Art, wie man das Leben in die Hand nimmst, die ist ganz stark dafür verantwortlich, wie wir all das erleben, was von draußen reinkommt.

Die Leute, die untersuchen, wie unser Gehirn denkt, die sagen, dass es zum größten Teil mit sich selbst beschäftigt ist. Beim Plattwurm, einem Tier mit einem der einfachsten Nervensysteme überhaupt, antworten die Nervenschaltungen auf jeden Reiz von draußen mit einem Impuls. Der Plattwurm ist wie einen Marionette, die immer den Arm hebt, wenn man am Faden zieht. Schon bei Salamandern, deren Gehirn die Größe eines Stecknadelkopfes hat, kommen auf jeden Reiz von außen schon ein paar Tausend Impulse aus dem Gehirn selbst. Bei uns, mit unserem hochentwickelten menschlichen Gehirn, stehen jedem Impuls, der von draußen hereinkommt, einige Millionen innerer Impulse gegenüber. Jeder Impuls wird also auf eine umfangreiche Weise verarbeitet. Unser Hirn ist vor allem mit sich selbst beschäftigt. Wie wir z.B. ein Bild, das wir sehen, deuten, und welche Empfindungen es bei uns auslöst, das ist zum größten Teil hausgemacht.

Jesus hat einmal (in Matthäus 6) diesen Zusammenhang folgendermaßen ausgedrückt:

22 Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist, so wird dein ganzer Leib licht sein. 23 Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!

Das heißt: die Dinge da draußen kommen nicht direkt in unsere Seele hinein, das ist keine 1:1 – Abbildung. Sondern das Auge, also unser Wahrnehmungsapparat, entscheidet darüber, wie die Außenwelt bei uns ankommt. Das Auge, der Wahrnehmungsapparat, ist das Fenster nach draußen, und wie er die Dinge deutet und nach innen weiterreicht, das entscheidet darüber, wie es in uns aussieht. Es ist nicht so, dass eine bestimmte Geldsumme, die wir bekommen, automatisch auch eine bestimmte Glücksmenge bedeutet. Das haben wir vorhin an den verschiedenen Ländern mit unterschiedlichem Glücksniveau gesehen. Wir haben Kontakt nach draußen tatsächlich nur über unseren Wahrnehmungs- und Deutungsapparat. Und der kann uns glücklich oder unglücklich machen.

Deswegen haben die Weisen immer gesagt: wie du dich zu den Dingen stellst, das entscheidet sehr stark über dein Glück und dein Unglück. Das Wort Glück hat bei uns im Deutschen ja eigentlich eine doppelte Bedeutung: es kann gemeint sein, dass etwas geklappt hat, dass man Schwein gehabt hat, dass etwas gelungen ist. Und es kann auch die damit einhergehende Freude bezeichnen, das gute Gefühl, das wir meistens haben, wenn uns etwas gelungen ist. Aber das muss nicht immer zusammengehören, es gibt genug Menschen, die sich mit ihren Gedanken die Freude am äußeren Glück kaputtmachen. Deswegen kommen hier zuerst ein paar Ratschläge zum Unglücklichsein, aber Sie müssen das ja nicht machen, ich habe nichts dagegen, wenn Sie diese Ratschläge benutzen, um diesen Fallen aus dem Weg zu gehen.

Also, hier fünf Tipps zum Unglücklichsein (es gibt natürlich noch viel mehr, und zwar z.B. hier):

  1. Vergleiche dich stets mit anderen.
    Es gibt immer jemanden, der mehr hat und dem es besser geht als dir. Konzentriere dich auf solche Leute, und du entgehst der Gefahr, dass du dich an dem freuen könntest, was du hast.
  2. Denk darüber nach, was alles noch schief gehen könnte.
    Die Zahl der unglücklichen Ereignisse in unserem Leben ist normalerweise begrenzt. Aber wenn du intensiv darüber nachdenkst, was dir alles noch zustoßen könnte, dann kannst du ein Vielfaches davon wenigstens in deiner Fantasie erleben, und das zieht dich auch schon ganz schön runter.
  3. Sieh dich als Opfer deiner Lebensumstände an.
    Das wird dich wirkungsvoll davon abhalten, deine Lage zu verbessern und stattdessen Ohnmachtsgefühle wachsen lassen.
  4. Gehe allem Unangenehmen und Schwierigen aus dem Weg.
    Nimm stattdessen immer den leichtesten Weg. Dann wirst du nie das Gefühl haben, dass du etwas schaffen kannst. Und je länger und öfter du vor den Problemen wegläufst, umso schneller werden aus kleinen Unannehmlichkeiten Monster, die ständig an dir nagen und dich aufzufressen drohen.
  5. Glaube, dass du deinen Gefühlen hilflos ausgeliefert bist. Sage dir: »Ich bin hilflos und schwach. Ich kann mich nicht ändern. Meine Gefühle überfallen mich. Ich kann nichts dagegen tun.« Das ist eine todsichere Strategie für dauerhafte schwere Depressionen bis hin zu Panikattacken und massiven Angstzuständen. Wenn du nämlich glaubst, deinen Gefühlen ausgeliefert zu sein, dann fühlst du dich hilflos und ohnmächtig. Und Hilflosigkeit und Ohnmacht zählen zu den Gefühlen, die den größten Schaden im Leben von uns Menschen anrichten.

Soweit ein paar Tipps zum Unglücklichsein. Merken Sie, was sich da als rote Linie durchzieht? Es ist das Gefühl, ohnmächtig und schwach zu sein und nichts ändern zu können. Wer das auch noch selbst kultiviert, der hat schon verloren. Von allen schlechten Gefühlen macht uns das am meisten fertig. Deswegen sind die Menschen auch in den Ländern am unglücklichsten, wo sie am wenigsten mitbestimmen können, und deswegen geht es den Menschen in einer alten Demokratie wie der Schweiz so viel besser. Und deswegen geht es den Menschen so schlecht, wenn ihre Lebensbedingungen zusammenbrechen und sie können nichts daran ändern. Deswegen ist Arbeitslosigkeit eine so schlimme Bedrohung, so schlimm wie der Tod eines nahen Angehörigen, weil Menschen sich da ohnmächtig und fremdbestimmt fühlen. Deswegen ist Sklaverei so etwas Unmenschliches, weil Menschen da den Status von Sachen bekommen, den Status von ohnmächtigen Dingen, mit denen etwas gemacht wird. Und deshalb ist es Gottes Kennzeichen von alters her, dass er aus der Sklaverei befreit und den Menschen ihre Würde zurück gibt.

Gott arbeitet daran, den Menschen stark zu machen, so dass er nicht Opfer der Umstände wird. Die Todesmächte wollen uns unsere Kraft rauben, bis wir nur noch Bündel voller Angst, Ohnmacht und Schmerz sind, bis wir nicht mehr wir selbst sind. Gott arbeitet daran, dass wir als Personen stark, frei und ermächtigt sind. Selbst dann, wenn wir äußerlich gesehen ohnmächtig sind. Jesus ist das Urbild der Stärke, die Gott uns geben will, und er hat diese Stärke bis hinein in das Grauen des Kreuzes bewahrt.

An Jesus sehen wir, dass niemandem in dieser Welt Schmerz und Unglück erspart wird. Und trotzdem glaube ich, dass der Recht hatte, der sagte, dass Jesus der glücklichste Mensch gewesen sei, der je gelebt hat. Und das hängt noch mit etwas anderem zusammen: Glück bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Unglück. Glück bedeutet auch nicht nur, die angenehmen Augenblicke im Leben zu vermehren. Das ist ja eine durchaus sinnvolle Sache, herauszufinden, was einem echte Freude macht und dann dafür zu sorgen, dass man das öfter erlebt: auch wenn es zunächst ganz unscheinbare Dinge sind wie der Blick aus dem Fenster am Morgen oder eine duftende Tasse Kaffee oder Tee in einem netten Lokal.

Aber dann gibt es noch etwas, was uns über diese behagliche, freudige Zufriedenheit hinaus mit wirklichem, herrlichem Glück erfüllt: und das ist immer dann, wenn wir uns selbst vergessen, weil uns etwas anders voll beschäftigt. Wenn wir ganz konzentriert mit einer Arbeit beschäftigt sind, und es geht gut voran; wenn wir mit einem Menschen, den wir lieben, in Freude und Begeisterung verbunden sind; wenn wir etwas Schönes anschauen und beinahe weinen könnten, weil es so schön ist; wenn wir mit Gott eins sind und uns an ihm freuen; kurz, wenn wir voll aufgehen in der freien Begegnung mit etwas anderem und ganz bei diesem anderen sind – das ist der Stoff, aus dem das wirklich tiefe Glück gemacht ist. Die Forscher haben das »Flow« genannt, das »Fließen«, wenn alles stimmt und wir uns ganz an etwas Gutes hingegeben haben. Das kann eine Tätigkeit sein, es kann aber auch einfach Betrachten und Begeistert-Sein bedeuten.

Hören Sie einfach mal auf diesen Ausschnitt aus einem Brief, der vor etwa 90 Jahren geschrieben wurde:

»Wissen Sie, wo ich bin, wo ich Ihnen diesen Brief schreibe? Ich habe mir ein kleines Tischchen herausgestellt und sitze nun versteckt zwischen grünen Sträuchern. Rechts von mir die gelbe Zierjohannisbeere, die nach Gewürznelken duftet, links ein Ligusterstrauch, und vor mir rauscht langsam mit ihren weißen Blättern die große, ernste und müde Silberpappel. Wie ist es schön, wie bin ich glücklich, man spürt schon die volle, üppige Reife des Sommers und den Lebensrausch.«

Dieser Brief ist aus einem Gefängnis geschrieben worden – immerhin wohl aus einem Gefängnis, in dem es nicht nur betonierte Höfe, sondern auch ein paar Pflanzen gab. Er stammt von Rosa Luxemburg, einer der Gründerinnen der KPD. Sie schrieb ihn 1917 während des ersten Weltkrieges, und da war sie als Kriegsgegnerin schon drei Jahre im Gefängnis. Und es war dort keine Idylle, sondern sie erzählt in ihren Briefen auch von Finsternis, Langeweile, Schikanen und der ungewissen Zukunft. Und trotzdem wundert sie sich, wieviel Freude sie immer wieder erleben kann. Diese außergewöhnliche Gabe, sich zu freuen, verdankt sie ihrer intensiven Wahrnehmung, ihrer Begeisterungsfähigkeit, die sich auch an einem Ligusterstrauch und einer Zierjohannisbeere entzünden konnte.

Rosa Luxemburg war Kommunistin, aber sie hat in der Schöpfung eine Stimme vernommen, die sie wirkungsvoll vom Kreislauf der trüben Gedanken befreit hat. Zu lernen, in allen Dingen diese Stimme wahrzunehmen, die Handschrift des Schöpfers wahrzunehmen, alles als einen Liebesbrief Gottes an uns zu lesen – das ist einer der größten Schritte auf dem Weg zum Glück. Und das fliegt einem meistens nicht zu. Oder jedenfalls nur ein bisschen. Aber dann kann man es lernen und bewusst üben.

Und ich möchte das mit Ihnen, mit euch heute am Ende dieser Predigt tatsächlich einmal üben. Wenn wir das einmal bewusst getan und verstanden haben, dann können wir das immer wieder tun. Wir können lernen, in allem Gottes Handschrift und seine Liebe zu entdecken. Ich lade euch dazu ein. Ich lade Sie dazu ein, sich auf diese Entdeckungsreise zu begeben und das Leben und seinen Schöpfer tiefer zu verstehen, zu spüren und zu lieben (es folgte eine geführte Meditation zu Schöpfungsbildern).