Das Herz folgt dem Schatz

Predigt am 30. September 2001 (Erntedankfest) zu Matthäus 6,19-21

Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen. 20 Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen. 21 Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.

Es ist anscheinend ein Unterschied, ob wir mit den Dingen, die wir zum Leben brauchen, ein fröhliches Erntedankfest feiern, oder ob wir Schätze sammeln. Das sind zwei unterschiedliche Dinge.

Jesus war ja jemand, der die guten Dinge im Leben wirklich gern gehabt hat. Ein leckeres Essen, bei dem einem das Wasser im Munde zusammenläuft, wird bei ihm zu einem Gleichnis für das Reich Gottes (Matthäus 22,4). Er war oft bei Menschen eingeladen und hat ihnen beim Essen wichtige Dinge gesagt. Das ging so weit, dass seine Feinde ihn einen Fresser und Säufer genannt haben – die redeten anscheinend ohne Essen und Trinken mit den Menschen. Sein erstes Wunder bestand darin, sechs große Krüge mit Wein für eine Hochzeit zu stiften, und auch später hat er auf wunderbare Weise dafür gesorgt, dass Menschen satt wurden. Schließlich hat er seinen Jüngern kurz vor seinem Tod die Anweisung gegeben, zur Erinnerung an ihn ein Fest zu feiern, das Abendmahl. Er hat uns kein Gesetzbuch hinterlassen, sondern ein Fest. Und bei diesem letzten Fest mit seinen Jüngern kündigte er an, dass er auch nach seiner Auferstehung wieder Wein trinken würde – offensichtlich konnte er sich auch die kommende Welt Gottes nicht ohne Wein vorstellen.

Jesus hat sich an den guten Dingen des Lebens gefreut, aus vollem Herzen. Die Lebensmittel und überhaupt alle guten Dinge im Leben sind dafür da, uns das Leben zu ermöglichen und uns Freude zu machen. Die einzigen seelischen Funktionen, die sie haben dürfen, sind Freude daran, und Dank an Gott, der das alles geschaffen hat.

Deshalb sagt Jesus: macht daraus keine Schätze. Ihr macht euch die Güter der Erde kaputt, wenn ihr sie zur Grundlage eures Lebensgefühls macht. Das geben sie nicht her. Dafür sind sie viel zu unsicher. Das haben schon zu viele Menschen erlebt, dass sie sich auf Geld und Güter verlassen haben und bitter enttäuscht worden sind. Es gibt viel zu viele böse Menschen auf der Welt, die mit irgendwelchen Tricks an unser Erspartes kommen wollen, per Einbruch, mit Betrug, durch Inflation, durch Krieg und Zerstörung, es gibt Räuber, Terroristen, Mafiosi, Geschäftemacher und andere unerfreuliche Typen, die auch immer wieder Erfolg haben. Es gibt Unfälle und Erdbeben und Börsenkräche und Feuer und kleine und große Katastrophen jeder Art. Und wenn wir unser Lebensgefühl auf das gründen, was wir haben, dann können wir ganz schnell zu denen gehören, deren Lebensgefühl fundamental erschüttert ist.

Nicht umsonst gehört es zu den Alpträumen, aus dem Urlaub zurückzukommen, und die Wohnung ist durchwühlt und ausgeraubt. Auch wenn keine Kostbarkeiten weg sind – es ist einfach die gewohnte Umgebung, in der man sich sicher fühlt, und da sind fremde Leute brutal eingebrochen. Das ist ein Schock. Mehr, als wir es wissen, hat unsere Wohnung Bedeutung für unser inneres Gleichgewicht. Denn an unserer Wohnumgebung macht sich unser normales Lebensgefühl fest, unser Gefühl, dass alles in Ordnung ist. Es gibt Menschen, die lange gebraucht haben, um nach so einem Einbruch ihr seelisches Gleichgewicht wiederzufinden.

Deswegen sollen wir unseren seelischen Haushalt so gestalten, dass er möglichst wenig abhängig ist von den unsicheren Dingen der Welt. Dafür gibt es zwei Wege:

entweder wir ziehen uns innerlich aus der Welt zurück und werden ganz bedürfnislos, nach dem Motto: was mir nichts bedeutet, kann mir auch nicht genommen werden. So machten es im Abendland die Stoiker, daher kommt unser Wort »stoisch«, und wir meinen z.B. mit stoischer Ruhe, dass einer ganz unerschütterlich ist, weil ihm die Dinge sowieso nichts bedeuten. Unter den Religionen wäre das der buddhistische Weg. Aber da wird die Unabhängigkeit von den Dingen auch erkauft mit dem Verzicht auf Freude daran.
Der andere Weg ist: positiv so eng mit Gott verbunden zu sein, dass die anderen Dinge da gar nicht heranreichen.

Dann muss ich sie nicht verachten und nicht überschätzen, sie bekommen eben ihren richtigen Platz, sie sind einfach weniger als Gott, aber deswegen sind sie ja nicht schlecht:

  • Gutes Essen ist dafür da, um uns Freude zu machen und uns satt zu machen. Wenn es darüber hinaus noch andere seelische Funktionen bekommt, werden wir krank davon: Wenn Essen uns trösten soll oder unsere innere Leere ausfüllen soll, dann ist das kein Genuss mehr.
  • Erst recht gilt das für das Trinken: wenn Wein oder andere alkoholische Getränke uns über Probleme hinwegbringen sollen, dann geht das nicht gut, und am Ende haben wir mehr Probleme als vorher.
  • Wenn Geld uns Sicherheit gibt, anstatt einfach ein Mittel zum Leben zu sein, dann kaufen wir uns entweder zu wenig oder zu viel oder das Falsche. Wir knausern oder wir protzen, aber wir geben es nicht sachgerecht aus. Aber dazu ist es doch da. Dagobert Duck hat zwar Freude daran, in seinen geliebten Talern zu baden, aber ich glaube, den meisten von uns würde das eigentlich gar keinen Spaß machen. Geld macht nur Sinn als Mittel zu etwas anderem, das man damit kauft.

Wenn wir den Dingen mehr Bedeutung für unsere Seele einräumen, als ihnen zukommt, wenn sie Sicherheit und Trost werden, wenn sie zum Schatz werden, dann können sie gerade das nicht mehr tun, wozu sie doch eigentlich da sind: nämlich Freude machen.

Und nun sagt Jesus: ich zeige euch einen Weg, wie ihr die guten Dinge der Welt zusätzlich dazu nutzen könnt, eure Bindung an Gott zu vertiefen: sammelt euch Schätze bei Gott! Ihr könnt durch eure ganz äußerlichen Entscheidungen eure Bindung an Gott entscheidend vertiefen. Ganz einfach: wo dein Schatz ist, da schlägt auch dein Herz. Wo du dein Kostbarstes investierst, das wird auch zum Mittelpunkt deines Lebens. Wenn du dir für viel Geld ein teures Auto kaufst, dann wird dir dieses Auto auch enorm ans Herz wachsen, es wird dir lieb und teuer. Und je mehr du es polierst und streichelst, um so wichtiger wird es dir.

Wir kennen das eher andersherum: Wo dein Herz ist, da wirst du auch deinen Schatz investieren. Was dir wichtig ist, dafür hast du immer Zeit und Geld. Wo ein wirklicher Wille ist, da ist auch ein Weg. Das ist auch völlig richtig. Aber hier macht Jesus auf den umgekehrten Zusammenhang aufmerksam: Wenn du viel von deinem Schatz für etwas einsetzt, dann wird es dir wichtig werden. D.h.: du kannst die Prioritäten deines Herzens beeinflussen, dein Herz wird auf die Dauer das lieben, wofür du Zeit und Geld und Kraft einsetzt.

  • Wenn du also ein Fußballfan werden willst, obwohl du keine Ahnung hast, was ein Freistoß ist oder eine Ecke, dann kauf dir die entsprechenden Klamotten, fahr am Wochenende zu den Spielen, lies den Kicker, häng dir Vereinswimpel in dein Zimmer, und irgendwann wirst du ein echter Fan.
  • Wenn du ein Pferdefreund werden willst, dann beschäftige dich mit Pferden, lern reiten, lies Bücher über Pferde.
  • Oder wenn du einen Menschen lieben willst, dann hilf ihm da, wo er Probleme hat, denke über ihn nach, bete für ihn, investiere Zeit in ihn, irgendwann wirst du merken, wie dein Herz Anteil nimmt an ihm.

Ich finde an diesem Wort Jesu wirklich hilfreich, dass es uns befreit von dem Glauben: so ist nun mal mein Herz, so sind meine Vorlieben, so ist meine Motivation, daran ändert sich nichts, da kann ich nichts machen. Es ist richtig, dass unser Herz nicht einfach auf ein Kommando hört. Aber wenn wir ganz äußerlich etwas für eine Sache investieren von unserer Zeit und unserer Energie, dann glaubt es uns nach einiger Zeit, dass wir es ernst meinen, und es setzt die entsprechenden Prioritäten. Motivation für irgendetwas fällt nicht willkürlich vom Himmel, wir bauen oder zerstören sie dadurch, wie wir unseren Schatz einsetzen, also unsere Zeit, unsere Energie und unser Geld.

Jesus sagt: macht euch diesen Zusammenhang zunutze! Du möchtest eine tiefere Bindung an Gott? Du möchtest, dass nichts zwischen dir und Gott steht? Du möchtest, dass sich Gottes Art in deinem Herzen immer mehr niederschlägt? Dann investiere deinen Schatz in Gottes Sache! Und dein Herz wird deinem Schatz folgen.

Wir können theoretisch wissen, dass es richtig ist, Gott von ganzem Herzen zu vertrauen und ihn mit aller Kraft zu lieben. Aber unser Herz wird das erst dann nachvollziehen, wenn wir anfangen, auch ganz praktisch auf Gott zu setzen. Wenn du Zeit einsetzt, um zu beten und über Gott nachzudenken, dann wird er dir immer wichtiger werden. Wenn du zum Gottesdienst kommst, wird dir das, was da gesagt wird, größer und wichtiger werden; wenn du wegbleibst, wird es immer blasser und kraftloser werden. Wenn du Geld einsetzt für das Reich Gottes, dann wirst du immer überzeugter werden, dass das eine wichtige Sache ist; wenn du nichts opferst, dann wirst du auch nicht glauben, dass Gottes Sache eines Opfers wert ist.

Jesus sagt: wir haben einen Vater im Himmel, der diese ganze Schöpfung ins Leben gerufen hat und erhält. Es ist für ihn ein Kleines, uns am Leben zu erhalten und zu versorgen. Und auch, wenn wir Schweres erleben, dann es ist für ihn kein Problem, da etwas Gutes draus zu machen. Aber so richtig von Herzen glauben werden wir das erst, wenn wir unsern Schatz ins Reich Gottes investieren und dann miterleben, wie sich das schon hier auszahlt. Dann wird uns Gott wichtig, dann machen wir gute Erfahrungen mit ihm, und dann werden wir viel überzeugter von seiner Güte und Zuverlässigkeit.

Deswegen ist es jeden Preis wert, die Kommunikationskanäle zu Gott offenzuhalten. An seiner Sache hier auf der Erde beteiligt zu sein, das ist die beglückendste Wahl, die wir treffen können und gleichzeitig die sicherste. Schon die Jünger haben die Erfahrung gemacht: was wir aufwenden müssen, um mit Jesus zusammenzusein, das bekommen wir vielfach zurück. Und obendrein kommt im Leben alles an seinen richtigen Platz, und die Früchte der Erde machen uns die Freude, zu der sie auch wirklich da sind.