Von Jesus Beten lernen

Predigt am 20. Mai 2001 zu Matthäus 6,5-13

5 »Wenn ihr betet, dann tut es nicht wie die Scheinheiligen! Sie beten gern öffentlich in den Synagogen und an den Straßenecken, damit sie von allen gesehen werden. Ich versichere euch: Sie haben ihren Lohn schon kassiert. 6 Wenn du beten willst, dann geh in dein Zimmer, schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird dich dafür belohnen.

7 Wenn ihr betet, dann leiert nicht Gebetsworte herunter wie die Heiden. Sie meinen, sie könnten bei Gott etwas erreichen, wenn sie viele Worte machen. 8 Ihr sollt es anders halten. Euer Vater weiß, was ihr braucht, bevor ihr ihn bittet.

9 So sollt ihr beten:

Unser Vater im Himmel!
Mach deinen Namen groß in der Welt.
10 Komm und richte deine Herrschaft auf.
Verschaff deinem Willen Geltung, auf der Erde genauso wie im Himmel.
11 Gib uns, was wir heute zum Leben brauchen.
12 Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir allen vergeben haben, die an uns schuldig geworden sind.
13 Lass uns nicht in die Gefahr kommen, dir untreu zu werden, sondern rette uns aus der Gewalt des Bösen.

Als Jesus seinen Jüngern das Vaterunser anvertraute, da gab er ihnen Zugang zum kostbarsten, was er hatte: zu seinem Verhältnis zum Vater im Himmel. Das Vater Unser ist nicht in erster Linie dazu da, dass man es regelmäßig aufsagt, obwohl auch das seinen Sinn hat, sondern es ist in erster Linie eine Einführung in das richtige Reden mit Gott. Es ist ein Muster, eine Vorlage, in die wir unsere Gebete hineinschreiben sollen. So dass man also z.B., wenn man an die Stelle mit dem täglichen Brot kommt (da ist das am einfachsten zu sehen), um Geld bitten kann, das man braucht, oder um einen Arbeitsplatz oder um Gesundheit für die Familie. Oder was anliegt.

Welche Leitlinien für unser Verhältnis zu Gott können wir also im Vaterunser finden? 3 Punkte!

1. Es geht um ein Verhältnis exklusiv zu Gott

Jesus sagt das in seinem Vorwort zum Vaterunser. Mach aus deinem Verhältnis zu Gott nicht eine Frömmigkeit, die auf Anerkennung durch Menschen abzielt. Nun ist es bei uns heute sicher so, dass man in der Öffentlichkeit keinen Blumentopf gewinnt, wenn man sich an die Straße stellt und auffällig betet. Heute in unserer aktivistischen Zeit würde man eher mit guten Taten und besonderem Engagement Aufmerksamkeit und Anerkennung gewinnen. Aber so lange sind die Zeiten noch nicht her, dass man sein Ansehen aufpolieren konnte, wenn man – sagen wir mal – einen Posten in der Kirche übernahm und regelmäßig zum Gottesdienst kam. Und dann gar noch die Frage, wer vorne sitzen durfte und wer sich irgendwo in den hinteren Bänken herumdrücken musste – das ist manchen noch in Erinnerung, und diese Erinnerung wird auch in manchen Familien bis heute weitergegeben. Falsche Frömmigkeit versperrt Menschen den Zugang zu Gott. Leider oft den Besten, denen, die für Heuchelei einen klaren Blick haben.

Jesus sagt hier an und vielen anderen Stellen immer wieder: entscheide dich, von wem du gesehen werden möchtest: von Gott oder von Menschen? Das gehört zu den harten Entscheidungen, die Jesus immer wieder von uns verlangt, dass wir an dieser Stelle ganz klar sind. Von wem erwarte ich meinen Lohn, von Menschen oder von Gott? Es gibt hier nur Entweder-Oder. Den Weg, zu sagen: ich tue es für Gott, aber ein bisschen Anerkennung von Menschen muss doch auch dabei sein, diesen Kompromiss hat Jesus uns nicht offen gelassen. Er sagt einfach: wenn du schon von Menschen Lohn kassiert hast, wird Gott dir nichts mehr geben. Dass Gott uns als Geschenk und oft unerwartet schon hier auf der Erde reichlichen Lohn geben wird, auch durch Menschen, das steht auf einem anderen Blatt. Davon können wir uns nur überraschen lassen.

Vielleicht kann man noch anfügen, dass Jesus dies auch in unserem Interesse so massiv sagt, weil wir uns ganz viel Unfrieden einhandeln, wenn wir auf Lohn durch Menschen schauen. Menschen geben uns nie das, was wir verdienen, sie geben uns immer zu wenig, sie sind undankbar, wir müssen es einklagen oder wenigstens diskret darauf hinweisen, und das alles beschädigt den Frieden mindestens in unserer Seele. Gott dagegen wird nicht das kleinste bisschen übersehen, er wird nicht das kleinste Gebet vergessen, und er wird genau die richtige Antwort finden.

2. In unserem Interesse steht Gottes Sache an Platz 1

Das Vaterunser beginnt mit Gottes Namen, Gottes Reich und Gottes Willen. Im zweiten Teil geht es dann um unser täglich Brot, unsere Schuld, unsere Versuchung. Der Sinn dabei ist nicht, dass Gott uns auf den zweiten Platz drängt und wir als Aschenbrödel die Reste bekommen, sondern uns geht es genau dann am besten, wenn Gottes Sache zum Zuge kommt. Wenn Gottes Name – und Name bedeutet: Kenntnis davon, wie Gott ist, und wie er zu finden ist – in der Welt gross und bekannt wird, dann ist das für uns gut.

Wir beten damit ja immer besonders darum, dass Gottes Name bei uns und durch uns zu Ehren kommt. Und genauso, dass Gottes Reich, Gottes Herrschaft in der Welt aufgerichtet wird, aber zuerst in unserem Leben. Das ist das, was wir am nötigsten brauchen – das tägliche Brot und alles andere wird Gott uns geben, wenn wir uns seine Sache zu eigen machen.

Der Schwerpunkt des Vaterunser liegt darauf, dass Gottes Sache in der Welt vorangeht, dass das Leben von ihm her erleuchtet und erneuert wird. Und dass dieser Prozess vor allem bei uns an Boden gewinnt. Jesus sagte: das Reich Gottes ist nahe – und das heißt, dass normale Menschen, jeder Mensch, von seiner Kraft ergriffen und verwandelt werden kann. Um diese Erneuerung bei uns selbst und anderen sollen wir als erstes und zentral und immer wieder beten.

Liebe Freunde, ich habe so viele Menschen vor Augen, bei denen das geschehen ist und geschieht, und ich kann trotzdem hier öffentlich immer nur ein bisschen sagen, weil das so persönlich Dinge sind, und mindestens einige würden es auch dann schnell erraten, wenn ich es ohne Namen erzähle. Und manchmal ist es sogar überhaupt nicht gut, wenn über den Wachstumsprozess eines Menschen zu früh geredet wird, weil wir dann leicht dem Heiligen Geist ins Handwerk pfuschen. Gott wirkt an uns allen, und wir merken es meistens erst viel später oder nie. Und auch um diesen uns zeitweise verborgenen Dienst beten wir, wenn wir sagen: dein Reich komme.

Denn darum geht es ja, dass Menschen befreit werden, dass sie innerlich stabil werden und genügend Kraft haben, um Probleme selbst zu lösen. Das soll passieren, dass du Menschen anschaust, und du merkst:: da stößt du auf keine Fassade, sondern da ist jemand, der echt und er selber ist. Und Menschen sollen Klarheit bekommen, um selbst sehen zu können, wie die Dinge sind, und nicht anderen nachzureden. Menschen sollen die Opferhaltung hinter sich lassen, wo man für Gutes und Böses die Verantwortung bei anderen sucht. Menschen sollen selbst die Kraft finden, ihr Leben zu ordnen und gesund zu werden. Menschen sollen sich nicht mehr von anderen einschüchtern und schuldig machen lassen, sie sollen ihr Leben nicht mit Banalitäten verbringen, sondern wesentliche und starke Dinge tun. Und mit weniger sollen sie sich nicht begnügen.

Und das alles passiert, oft nur Schritt für Schritt, und manchmal mit traurigen Rückschritten, aber es geschieht, weil Gottes Herrschaft unter uns aufgerichtet wird und Menschen in ihrem Zentrum Zugang finden zu Gott und seiner Energie.

Und es geschieht, dass Menschen lernen, ihr Leben – jedenfalls immer öfter – auf geistliche Weise zu leben, und ihre Umgebung – jedenfalls manchmal – zu öffnen für die Gegenwart Jesu. Und siehe da, die Menschen lehnen das keineswegs immer ab, sondern mögen das und entdecken, dass ihnen das gefehlt hat, und dass es ihnen hilft. Nicht immer, und nicht konsequent, und natürlich verstehen sie oft nicht, was ihnen da passiert, weil sowas in unserer Gesellschaft eigentlich nicht vorgesehen ist, aber es geschieht, dass Gottes Name gross wird, dass seine Herrschaft, sein Reich, Herzen bewegt. Die Wirklichkeit Gottes ist präsent in der Welt, und wir bitten im Vaterunser, dass sie unter uns erkennbar und mächtig werde. Das ist das Erste und Wichtigste. Das ist wahres Leben. Das macht gesund. Das brauchen wir am meisten.

3. Wir reden mit einen Gott, der für uns ist

Jesus redet am Anfang von den Heiden, die viele Worte machen. Ich glaube, dass es da nicht um die pure Anzahl der Worte geht. Sonst hätte Jesus sich an seine eigene Anweisung nicht gehalten – im Johannesevangelium wird ein Gebet von ihm wiedergegeben, das ein ganzes Kapitel lang ist, das Kapitel 17, 26 Verse. Aus dem Zusammenhang wird deutlich, dass wir nicht leere Worte machen sollen, auch keine frommen Formeln wiederholen, es geht darum, dass wir Gott nicht behandeln wie einen Menschen, den wir mit unserem Reden zu manipulieren versuchen, damit er tut, was wir uns von ihm wünschen.

Wenn wir nämlich versuchen, Gott zu beschwatzen, mit ausdauerndem oder besonders heiligem Reden oder mit den richtigen Worten, vielleicht mit Formulierungen, die sogar aus der Bibel entnommen sind, dann gehen wir davon aus, dass Gott unsere Sache selbst eigentlich nicht am Herzen liegt, und wir ihn erst mit Tricks rumkriegen müssen.

Das wäre so, wie wenn ein Kind kommen würde und sagen: »Verehrte Eltern, ich bin es ja nicht würdig, aber ich bitte euch demütiglich, weil ich so großen Hunger habe, dass ihr mich jetzt am Mittagessen teilnehmen lasst, nur dies eine Mal, und ihr hättet doch auch nur Scherereien, wenn ich verhungern würde, und ich nehme auch nur ein ganz bisschen, und ich wäre euch ja so dankbar dafür.« Ich glaube, wenn mich meine Kinder so bitten würden, dann würde ich sagen: jetzt ist nicht Mittagessen angesagt, sondern Beziehungsklärung. Denn so eine Bitte wäre in all ihrer Unterwürfigkeit eine Beleidigung für Eltern, weil das Kind nämlich damit unterstellen würde, dass es Rabeneltern hat.

Und so sagt Jesus: ihr sollt nicht so beten, als ob ihr einen Rabenvater im Himmel habt. Euer himmlischer Vater weiß, was ihr braucht, und wenn ihr ihn bittet, dann freut er sich, dass er es euch geben kann.

Ich glaube, dass manche unserer Gebete daneben gehen, weil wir sie im Grunde an einen Rabenvater adressieren, und dann fühlt sich Gott nicht angesprochen, oder er antwortet nicht, damit wir merken, dass etwas nicht stimmt.

Jesus sagt dagegen: Gott war schon immer auf eurer Seite. Sein Anliegen ist euer Interesse, und ihr müsst ihn nicht mühsam überzeugen, dass er etwas für euch tut. Es ist auch nicht so, dass ihr erst etwas für Gottes Namen, Gottes Reich und Gottes Willen tun müsst, damit ihr euch das Recht verdient, dann auch für euer tägliches Brot zu bitten. Sondern Gott liegt an euch, und deshalb will er die Sehnsucht nach seinem Reich in euer Herz pflanzen, und deshalb wird er euch das täglich Brot geben, weil ihr das beides braucht.

Das Vaterunser ist die Einladung, auch von uns aus das zu bestätigen, dass unser Interesse bei Gott in den besten Händen ist, und dass es da sogar in besseren Händen ist als bei uns.

Und deshalb schließt das Gebet mit der Bitte, dass Gott uns vor der Gefahr bewahren möge, ihm untreu zu werden. Wir wissen, wie anfällig wir sind für andere Impulse, wie vergesslich wir sind für Dinge, die uns gestern noch völlig klar waren. Oder jedenfalls sollten wir es wissen und damit rechnen. Und Gott schon jetzt bitten, dass er uns festhält, wenn wir uns von ihm lösen.