Gemeinschaften freier Menschen

Predigt am 5. November 2006 mit Markus 14,12-26 und Psalm 23

12 Es kam der erste Tag der Festwoche, während der ungesäuertes Brot gegessen wird, der Tag, an dem die Passalämmer geschlachtet werden. Da fragten die Jünger Jesus: »Wo sollen wir für dich das Passamahl vorbereiten?« 13 Jesus schickte zwei von ihnen mit dem Auftrag weg: »Geht in die Stadt! Dort werdet ihr einen Mann treffen, der einen Wasserkrug trägt. Folgt ihm, 14 bis er in ein Haus hineingeht, und sagt dem Hausherrn dort: ‚Unser Lehrer läßt fragen: Welchen Raum kannst du mir zur Verfügung stellen, dass ich dort mit meinen Jüngern das Passamahl feiere?‘ 15 Dann wird er euch ein großes Zimmer im Obergeschoß zeigen, das mit Polstern ausgestattet und schon zur Feier hergerichtet ist. Dort bereitet alles für uns vor.« 16 Die beiden gingen in die Stadt. Sie fanden alles so, wie Jesus es ihnen gesagt hatte, und bereiteten das Passamahl vor.
17 Als es Abend geworden war, kam Jesus mit den Zwölf dorthin. 18 Während der Mahlzeit sagte er: »Ich versichere euch: Einer von euch wird mich verraten – einer, der jetzt mit mir isst.« 19 Sie waren bestürzt, und einer nach dem andern fragte ihn: »Du meinst doch nicht mich?« 20 Jesus antwortete: »Einer von euch zwölf wird es tun; einer, der sein Brot mit mir in dieselbe Schüssel taucht. 21 Der Menschensohn muss zwar sterben, wie es in den Heiligen Schriften angekündigt ist. Aber wehe dem Menschen, der den Menschensohn verrät! Er wäre besser nie geboren worden!«
22 Während der Mahlzeit nahm Jesus ein Brot, sprach das Segensgebet darüber, brach es in Stücke und gab es ihnen mit den Worten: »Nehmt, das ist mein Leib!« 23 Dann nahm er den Becher, sprach darüber das Dankgebet, gab ihnen auch den, und alle tranken daraus. 24 Dabei sagte er zu ihnen: »Das ist mein Blut, das für alle Menschen vergossen wird. Mit ihm wird der Bund in Kraft gesetzt, den Gott jetzt mit den Menschen schließt. 25 Ich sage euch: Ich werde keinen Wein mehr trinken, bis ich ihn neu trinken werde an dem Tag, an dem Gott sein Werk vollendet hat!«
26 Dann sangen sie die Dankpsalmen und gingen hinaus zum Ölberg.

Als Jesus den Jüngern nach seiner Auferstehung wieder begegnete, da erkannten sie ihn zuerst nicht. Er war ja so verändert. Aber es gab einen Moment, wo es ihnen sofort deutlich wurde, dass er es war: das war in dem Moment, als er mit ihnen zu Tisch saß, das Brot nahm, es brach und an sie austeilte. Da gingen ihnen die Augen auf. Sie erkannten ihn daran, wie er ihnen das Brot brach.

Das muss eine charakteristische Geste gewesen sein, Jesus hatte anscheinend eine ganz besondere Art, das Brot auszuteilen. Und das ist kein Zufall. Jesus hat ja Gott widergespiegelt, Gottes ganze Art, übersetzt in ein Menschenleben. Und Gottes grundlegender Charakterzug ist das Geben und Schenken. Er lässt seinen Segen hineinströmen in die Schöpfung, er sättigt und versorgt seine Geschöpfe. Alles Gute, was wir haben, ist ein Zeichen, das er uns gibt, ein Zeichen seiner Güte und seiner Fülle. Und wenn Jesus das Essen ausgeteilt hat, dann hat er das wohl so gemacht, dass alle es sofort verstanden: das ist ein Geschenk aus der Hand Gottes.

Es gibt in der Bibel immer wieder solche Gelegenheiten, wo Menschen essen und dabei Gott loben für seine Wohltaten. Das Passahfest, wo sie jedes Jahr wieder die Befreiung der hebräischen Sklaven aus Ägypten feiern, ist vor allem ein fröhliches und leckeres gemeinsames Essen und Trinken. Da ist die Freude an den Gaben Gottes verbunden mit der Freude an der Freiheit. Immer wieder schafft Gott Gruppen von freien Menschen. Das ist seine Leidenschaft, dass die Freude an der Freiheit nicht zerstört werden soll von gemeinen Menschen und armseligen Verhältnissen.

Und dann, am letzten Abend, an dem Jesus noch mit seinen Jüngern zusammen ist, am Vorabend seines Todes, da feiert noch einmal mit ihnen das Passahfest, und er erweitert die Bedeutung, indem er da Symbole hinzufügt, die auf seinen Tod hindeuten. Brot und Wein, sein Leib und sein vergossenes Blut. Da ist wieder so eine Gruppe freier Menschen zusammen, aber Jesus muss einen Preis dafür bezahlen.

Er muss einen Preis dafür bezahlen, dass die Fülle Gottes von neuem zu den Menschen strömen kann. Die Jünger werden sich beim Abendmahl immer daran erinnern, dass die Fülle Gottes wieder fließt, weil Jesus durch seinen Tod dafür den Weg von neuem geöffnet hat.

In unserer Welt kann man nicht mehr einfach so von der Güte Gottes leben wie die ersten Menschen im Paradies. Die mussten nur die Hand ausstrecken und die Früchte pflücken. Wir müssen unser Brot mit Arbeit verdienen, und unter den Menschen ist oft Streit und auch Neid, wenn einer glaubt, dass der andere mehr hat. Deshalb musste erst einer kommen und vormachen, dass man trotzdem so leben kann, dass man Zugang hat zur Güte Gottes. Und an Jesus haben sie das beobachten können.

Aber so zu leben, das war für Jesus ein totales Gegen-den-Strom-Schwimmen. Das war unheimlich mühsam, unbeirrt bei dieser Lebensweise zu bleiben, mit der er die Segensströme Gottes angezapft hat – viele haben ihn immer wieder falsch verstanden, und in den entscheidenden Augenblicken war er ganz allein, nur an seinem Vater im Himmel konnte er sich orientieren. Aber weil er anders war, deshalb brachten ihn seine Feinde am Ende ans Kreuz, und selbst da ist er bei seiner Art zu leben geblieben, und auf seine Art ist er auch gestorben. Bis zum letzten Moment hat er sein Leben geöffnet für Gottes Leben – und das war richtig, denn Gott hat ihn dann auferweckt und ihm ein neues, unzerstörbares Leben geschenkt.

Wenn Jesus also in das Passahmahl die Symbole für seinen Tod hineinbringt, dann sagt er damit: ich musste sterben für eure Freiheit – damit ihr wisst, dass auch im Tod und in der Finsternis noch ein Weg Gottes ist, den man gehen kann. Ich habe ihn für euch gefunden. Ich habe für euch die Angst ausgehalten, die Angst, dass es vielleicht doch nicht stimmt und Gott nicht hilft. Aber er war treu und hat mich gerettet, das könnt ihr jetzt wissen. So hat Jesus die Angst besiegt, den stärksten Feind der Freiheit. Und zur Erinnerung daran gibt es das Essen, bei dem diese Gruppe freier Menschen in Zukunft beieinander sein wird.

Diesen Zusammenhang von Gefahr, Rettung und – Essen, den hat auch ein großer Vorgänger Jesu gekannt, nämlich der König David. König David ist ja nicht als Königssohn geboren worden, sondern er hat viele harte Jahre erlebt, bevor er König wurde. Lange Zeit war er ein Flüchtling und musste sich vor der Feindschaft von König Saul verstecken, eine Zeit lang musste er ins Ausland gehen, er hatte kein sicheres Zuhause und oft wusste er nicht, ob er genug zu essen haben würde. Aber er hat in dieser langen Verfolgungszeit genau das erlebt, dass Gott ihn beschützt und ihm geholfen hat. Und er wusste: das Allerwichtigste ist, dass ich diese Verbindung zu Gott auf jeden Fall festhalte.

Von David gibt es ein Lied, das zu den bekanntesten Stellen der Bibel gehört, und das ist der 23. Psalm:

1 Ein Psalm Davids. Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.
2 Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.
3 Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
4 Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.
5 Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.
6 Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.

Wenn man diesen Satz hört: »Du bereitest mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde«, dann denke ich immer, dass da eigentlich schon genau diese Situation von Jesus beim ersten Abendmahl vorweggenommen ist. Sie sitzen mitein­ander zu Tisch, und derweil warten schon die Tempelpolizisten auf das Signal von Judas, um sofort loszugehen und Jesus gefangen zu nehmen. An seinem Tisch, mitten unter seinen Freunden, sitzt der Verräter. Und trotzdem feiern sie miteinander die Güte Gottes und die Freiheit für alle Unterdrückten und Verfolgten, für die Gott sorgt. Im Angesicht der Feinde beschenkt Gott Jesus mit diesem letzten festlichen Abend, und Jesus beschenkt seine Jünger mit Essen und Trinken, mit Freude und Hoffnung. Gott richtet einen Raum auf, aus dem er die Angst vertreibt. So wie Gott ganz am Anfang das Himmelsgewölbe geschaffen hat: einen Raum, wo das Chaos ausgesperrt war, wo das schreckliche Wasser draußen blieb, so schafft Jesus jetzt einen Raum, wo die Angst draußen bleibt, wo die Bosheit keinen Raum zur Entfaltung bekommt, und in diesem Raum kann man leben von der Kraft der Güte und Barmherzigkeit Gottes.

Und zum Abendmahl zu gehen, das bedeutet: ich mache deutlich, dass ich in diesen Raum hinein will. Ich möchte leben aus der Güte und Barmherzigkeit Gottes. Ich will mich dagegen nicht verhärten und abschotten, sondern ich will die Hand öffnen und Seinen Segen empfangen.

Liebe Freunde, wir wollen doch diejenigen sein, die die Leitungen verstopfen, wenn Gott seine Liebe und seine Befreiung in die Welt bringt. In dem Moment, wo einer wie Jesus sich von ganzem Herzen und mit ganzer Seele für Gott öffnet, da ist der Segen sofort und in Fülle wieder da. Wir versperren uns meistens nicht so sehr bewusst und gewollt, sondern mit unserer ganzen Art, mit den Ängsten, die in uns sitzen, mit unseren Gewohnheiten, mit Gedankengängen, die wir einfach so übernommen haben und die jetzt wie Festungen die Grenze bewachen und Gott abweisen. Wir kommen dagegen so schwer an, weil uns das Wenigste davon bewusst ist.

Aber was wir tun können, das ist: entschlossen den Bereich ausnutzen, den wir haben. Und der fängt ganz einfach an: wenn wir uns klarmachen, was wir wirklich wollen. Dazu ist das Abendmahl da: damit wir uns selbst und anderen deutlich bestätigen können, was wir wollen. Freie Menschen sein in einer Gemeinschaft freier Menschen. Und das ist etwas, woran jeder teilnehmen kann. Es ist sozusagen eine Basisübung. Da muss man nur gehen und die Hand ausstrecken und damit sagen: ja, ich will. Ich will in diesen Raum des Segens und der Freiheit hineinkommen. Ich will ganz äußerlich deutlich machen, dass ich zu Jesus gehöre. Ich weiß, dass viele Regungen meines Herzens noch nicht zu Jesus passen, ich weiß, dass ich nie hätte so leben und sterben können wie Jesus, aber ich weiß, wo das gute und richtige Leben zu finden ist. Und deshalb komme ich und strecke die Hand aus und vertraue darauf, dass Jesus dann seinen Weg auch mit mir gehen und mich weiterbringen wird. Dass wir das wollen, damit fängt es an. Und wenn wir diesen Spielraum der Freiheit nutzen, den wir haben, dann wird er sich ausweiten.