Jemand muß es tun!

Predigt im Besonderen Gottesdienst am 18. Juni 2000 zu Markus 8,34-35

34 Dann rief Jesus die ganze Menschenmenge hinzu und sagte: »Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. 35 Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren. Aber wer sein Leben wegen mir und wegen der Guten Nachricht verliert, wird es retten.

Man kann von einem Stock nicht nur die eine Seite aufheben. Das ist eine Weisheit, die immer gilt, aber ganz bestimmt für ein Leben mit Jesus. Jeder Stock hat zwei Enden, und wenn wir die eine Seite anfassen und hochheben, dann heben wir die andere Seite mit hoch. Das bedeutet: Wer etwas kauft, muß dafür bezahlen. Wer Geld für eine Sache ausgibt, der kann es nicht mehr für die andere ausgeben. Wer sich an einen Menschen bindet, der erlebt nicht nur seine guten Seiten, sondern auch die problematischen. Wer sich über fröhliche Kinder freuen möchte, der muß auch nachts um drei schreiende Kinder trösten. Wer starke Muskeln und Kraft haben will, muß dafür trainieren.

Man könnte die Beispiele noch lange fortsetzen – es läuft jedesmal darauf hinaus, daß wir die Welt nicht nach unseren Wünschen manipulieren können, sondern sie hat eigene Gesetze, die wir nicht wirklich umgehen können.

Und das bedeutet für die Nachfolge Jesu: zu ihr gehört es tatsächlich auch, das Kreuz auf sich zu nehmen, in den Konflikt einzutreten, in dem Jesus gelebt hat, es bedeutet auf Dinge zu verzichten, es kann sein, daß man einen Zoobesuch und manches andere nicht machen kann.

Jesus selbst macht seine Jünger auf diese Zusammenhänge aufmerksam. Aber das heißt nicht, daß es der Kern des christlichen Glaubens wäre, zu verzichten, sich zu opfern und zu leiden. Es ist ja so, man kann eine eigentlich richtige Sache ein bißchen verschieben, und dann stimmt alles nicht mehr.

Richtig ist: wenn wir zu Jesus gehören wollen, wenn unser Leben durch ihn erneuert werden soll, das ist die beste Sache der Welt. Da werden die wirklichen Bedürfnisse und Wünsche unseres Herzens erfüllt. Wir bekommen Wasser des Lebens, und wir müssen nicht aus den trüben Pfützen trinken, die uns allenthalben angeboten werden. Und das ist die Hauptsache. Das andere Ende des Stocks gibt es aber auch: daß dieses Leben mit Jesus uns in Konflikt bringt mit anderen Menschen, die das ganz anders sehen und auch in Konflikt mit unserer ganzen Prägung, mit den unangenehmen Seiten unserer Persönlichkeit. Und wer nicht bereit ist, dieses andere Ende des Stocks aufzuheben, der wird auch die gute Seite auf die Dauer nicht festhalten können.

Aber dieses andere Ende des Stocks, das wir nicht so gern haben, das ist kein Selbstzweck, das ist kein Wert in sich. Zu verzichten, etwas zu erleiden, eigene Wünsche aufzugeben, das ist manchmal nötig, aber es ist nicht so, daß wir das nun unbedingt anstreben sollten. Gott weiß, daß das manchmal für uns nötig ist, aber es ist nicht sein Ziel für uns, daß wir leiden. Wir sollen keine frommen Masochisten werden. Es gibt leider eine christliche Tradition, wo das Leiden und Verzichten so stark herausgestellt wird, daß man gar keinen Mut mehr hat, sich zu freuen.

Dabei sollten Christen diejenigen sein, die sich am meisten freuen sollten über die Schönheit der Welt, denn wir wissen am besten, daß sie Gottes Geschenk an uns ist. Christen sollten diejenigen sein, denen das Essen und Trinken am besten schmeckt, denn wir müssen uns nicht damit zustopfen und vollpumpen, und wir müssen auch nicht daran rummeckern. Christen sollten am fröhlichsten sein in der Liebe zwischen Mann und Frau, natürlich auch in der Sexualität, denn unsere Beziehungen werden durch Jesus geheilt. Christen sollten diejenigen sein, die die angeregtesten Unterhaltungen führen, denn wir machen Entdeckungen, die kein anderer machen kann, und wir erleben Dinge, die sich andere gar nicht vorstellen können. Und Christen sollten diejenigen sein, die die wenigste Angst vor dem Tod haben, sondern die sich freuen, daß wir dann endlich ohne Einschränkungen und Mißverständnisse Jesus sehen und mit ihm sprechen werden.

Und wenn dem nicht so ist, dann sollten wir diese Vision jedenfalls festhalten und beten und arbeiten, daß sie Stück für Stück eintrifft.

Das Christentum ist eine durch und durch lebensbejahende Bewegung. Aber es gehört auch zur Bejahung des Lebens dazu, daß man bereit ist, auch die andere Seite des Stockes hochzuheben. Bejahung des Lebens kann auch bedeuten, daß man auf den Zoobesuch verzichtet, weil man jemand anders einfach nicht im Stich lassen kann. Auch da gibt es Mißbrauch, auch da gibt es schamloses Ausnutzen von Hilfsbereitschaft, die man sich nicht gefallen lassen sollte, aber wenn jemand mit einem kranken Kind auf dem Arm vor einem steht, dann kann man um seiner selbst willen und um des anderen willen nicht die Tür zuschlagen.

Freunde von mir lebten als junges Ehepaar bei einer alleinstehenden alten Frau zur Miete, und die wurde bald darauf bettlägerig, und sie haben sich dann ziemlich aufwendig um sie gekümmert, obwohl sie selbst zwei kleine Kinder hatten. Sie waren nicht froh über diese Belastung, und es gab überhaupt nicht die Möglichkeit, sich einzureden, daß sie das gerne tun würden. Wenn es irgendeine Möglichkeit gegeben hätte, diese Aufgabe an andere weiterzugeben, hätten sie es sofort getan. Aber sie haben gesagt: wir mußten es tun, um unser selbst willen, weil wir sonst die Werte, die uns wichtig sind, verleugnet hätten.

Es ist weder richtig, sich selbst mit Gewalt aufopfern zu wollen und sich immer das aufzuladen, was einem keinen Spaß macht, noch ist es richtig, wenn man denkt, im Prinzip müßte ein Leben mit Jesus ein dauerndes Fest sein, das nur Spaß macht. Wir müssen uns nicht selbst Verzicht und Leiden auferlegen, die kommen auch so schon. Aber wenn Gott uns deutlich macht, daß wir an einem Punkt das Kreuz Jesu auf uns nehmen sollen, dann sollen wir es einfach tun – weil es in Gottes Augen offensichtlich notwendig ist – ohne es in die eine oder andere Richtung zu dramatisieren.

Ganz am Anfang in der Szene, wo ich diesen durch Druck geschädigten Mitarbeiter in der Gemeinde gespielt habe, da gab es ja eine hilfreiche Unterscheidung: soll jemand extra Sachen machen, zu denen er gar keine Lust hat? Ich denke, das sollte man möglichst vermeiden. Gut, es gibt Dinge wie das auf dem Gottesdienstprogramm abgebildete Abwaschen, da sollte man nicht sagen: das ist nicht meine Berufung, ich bete lieber, daß das Geschirr sauber wird. Aber sonst ist es sehr sinnvoll, genau die Dinge zu tun, die einem naheliegen. Auch bei solchen Dingen wird man irgendwann merken, daß der Stock zwei Seiten hat, und wenn man mit den Pfadfindern malt, dann wird es auch den Moment geben, wo die ersten Farbtöpfe umkippen und es ans Saubermachen geht, und wenn man dann aufgeben würde, dann stimmt irgendwas nicht.

Aber der Ansatz ist richtig: Gott möchte, daß unser Leben von Freude erfüllt ist, und Jesus beschenkt uns, bevor er uns einlädt, auch seine Mühen und Leiden zu teilen. Das Leben in der Gemeinschaft und Kraft Jesu ist ein so großes Geschenk, daß diese andere Seite des Stocks nicht ins Gewicht fällt. Und wenn wir die Ewigkeit mit in den Blick nehmen, dann sowieso nicht. Die Leiden dieser Zeit sind nichts im Vergleich zu der Herrlichkeit, die auf uns wartet, sagt Paulus.

Jemand muß es tun: solange wir in dieser unvollkommenen Welt leben, gibt es auch die dunkle Seite der Welt. Manchmal ist sie nur lästig, manchmal können wir daran fast zerbrechen. Beides ist kein Vergnügen, beides ist kein Wert an sich, wir sollen es nicht anstreben und wir sollen es auch nicht andern auferlegen. Die Rollen sind klar verteilt: Menschen Schweres aufzuerlegen, das ist Gottes Sache. Er ist der Einzige, der weiß, wann das nötig ist und der diese Verantwortung tragen kann. Unsere Sache ist es, Menschen zu helfen und ihnen zur Seite zu stehen.

Und unsere Aufgabe ist es manchmal auch, uns in der Nachfolge Jesu dieser dunklen Seite der Welt zu stellen. Jemand muß es tun. Einer hat es getan, unser Herr. Und wenn wir ganz zu ihm gehören wollen, dann werden wir auch diesen Teil des Weges mit ihm gehen. Und wir werden es hoffentlich genauso ungern tun wie er. Mit Sorgen und mit Grämen und mit selbsteigner Pein beeindrucken wir Gott überhaupt nicht. Aber wenn wir ihm zutrauen, daß er uns auch auf den dunklen Strecken des Lebensweges fest an der Hand halten wird, dann machen wir ihm wirklich Freude.