… durch Umkehr und Neuanfang hindurch

Predigt am 31. Dezember 2004 (Sylvester) zu Lukas 22,32 (Jahreslosung 2005)

Jesus Christus spricht zu Petrus: »Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.«

Das ist ein merkwürdiger Spruch. Was hat sich wohl die Kommission gedacht, als sie diesen Spruch ausgewählt hat für das Jahr 2005?

Man könnte sich jetzt vorstellen: da haben sie beieinander gesessen und gesagt »das Christentum in Deutschland geht immer mehr den Bach runter, die Finanzen stimmen nicht mehr, die Leute treten aus, wir verlieren an gesellschaftlicher Bedeutung – wird es uns morgen noch geben? Was kann man denn noch Mutmachendes und Hoffnungsvolles finden? Was kann man nur sagen?« Und dann hat einer gemeint: »Aber da gibt es doch diesen Satz von Jesus zu Petrus ‚ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre‘. Das ist doch beruhigend zu wissen, dass Jesus für uns bittet. Dann kann es doch nicht allzu schlimm kommen.«

Also, ich weiß nicht, ob es so gewesen ist, aber vielleicht sind das ja die Überlegungen im Hintergund. Wenn das so wäre (und auch wenn nicht …), dann lohnt es sich, den ganzen Zusammenhang zu hören. Das ist aus der Geschichte vom letzten Abendmahl. Da sitzen sie am Abend vor dem Tod Jesu beieinander, Judas ist auf dem Weg, um Jesus zu verraten, und da sagt er zu Petrus:

»Simon, Simon, Satan hat sich erbeten, euch schütteln zu dürfen wie den Weizen im Sieb. Ich aber habe für dich gebetet, dass du deinen Glauben nicht verlierst. Wenn du dann umgekehrt und zurechtgekommen bist, stärke den Glauben deiner Brüder.«

Jesus sieht voraus, wie es den Jüngern gehen wird: wenn er stirbt, dann wird das auch für seine Jünger eine Erschütterung sein, bei der sie sich fühlen wie Weizenkörner, die in einem Sieb hin- und hergeworfen werden. Und dahinter steht Satan, der Feind, der Glauben und Vertrauen auf der Erde ausrotten will. Aber genau diesen Prozess benutzt Gott, um unseren Glauben herauszufordern und zu vertiefen. Gott lässt solche Zeiten der Verwirrung zu, weil er uns zu größerer Klarheit und Tiefe führen will. Und es ist erstaunlich, wieviel Gott riskiert, um uns mit den Bruchstellen und Defiziten unseres Glaubens zu konfrontieren und uns zu der einzig sicheren Hoffnung zurückzutreiben, die wir haben.

Vielleicht kennen Sie das von anderen oder aus eigener Erfahrung, dass manchmal alles auf einmal kommt. Es gibt Jahre, in denen erleben Menschen einen Schicksalsschlag nach dem anderen. Erst stirbt jemand in der Familie, dann wird Krebs diagnostiziert, bei der Arbeit gibt es Ärger und Konflikte, ein Kind macht Probleme und schließlich geht auch noch das Auto kaputt. Und man kann sich noch viele andere solcher Ereignisse dazudenken – wenn Menschen so etwas erleben, dann werden sie herumgeworfen wie Körner im Sieb. Und sie fühlen sich auch so.

Und dieses Chaos nutzt Gott, um uns mit unseren schlimmsten Ängsten zu konfrontieren, damit wir vor ihnen nicht mehr weglaufen, sondern ihnen auf den Grund gehen und uns ihnen stellen, damit wir wachsen als Kinder Gottes.

Gott, der uns liebt, geht das Risiko ein, dass wir dabei zerbrechen, dass wir Schmerz und Leid erleben, dass wir uns von Gott und Menschen verlassen fühlen. Gott geht das Risiko ein, dass unser verwirrter und oberflächlicher Glaube dabei nicht wächst, sondern umschlägt in Verzweiflung, Trotz oder Gleichgültigkeit.

Ich weiß nicht, wie Gott das aushält oder welche Möglichkeiten er noch hat, von denen wir nichts wissen. Ich sehe nur, wie unheimlich viel Gott offensichtlich daran liegen muss, dass wir nicht nur oberflächlich und mit dem Mund zu ihm gehören, sondern dass Jesu Art sich durch unser ganzes Wesen zieht und wir von Grund auf erneuert und geheiligt werden. Gott riskiert es, uns zu verlieren, er sagt nicht: der spricht immerhin christliche Worte und hat christliche Werte, das ist ja schon was, jedenfalls ist es besser als nichts – nein, Gott ist viel stärker an unserer Weiterentwicklung und Neugründung interessiert, als wir uns das normalerweise vorstellen.

So lässt er Petrus und die Jünger durch die schrecklichen Tage der Kreuzigung Jesu hindurchgehen, damit sie ihre Angst vor dem Tod verlieren und jeden Zweifel an der Macht Gottes vergessen. Und am Ende, wenn die Jünger dem auferstandenen Jesus begegnen und merken: der Tod ist verschlungen in den Sieg! dann kann sie nichts mehr schrecken.

Die Absicht Satans war, die Jünger zu zerstören und zu zerstreuen. Gottes Absicht war, dass sie miterleben, wie er der Herr auch über Chaos und Unglück ist und dass sie nie wieder vor Furcht weglaufen. Und Gott hat seine Absicht durchgeführt. Petrus, der angesichts der Kreuzigung Jesu das Weite suchte, der redete später furchtlos vor dem ganzen Hohen Rat über Jesus.

Jesus hat für ihn gebetet, damit sein Glaube auch in dieser Prüfung bestehen bleibe. Diese ganzen Schrecken erlebt er im Schutz des Gebetes Jesu, auch wenn er vermutlich nichts davon merkt. Jesus will nicht, dass unser Glaube im Härtetest kaputtgeht, sondern er will, dass er hinterher klarer und stärker ist als vorher.

Wenn man mittendrin steckt, dann ist das aber nur schwer zu verstehen. Deshalb kündigt Jesus dem Petrus diese Zeit der Belastung an, damit er vorbereitet ist. Und auch wir sollen vorbereitet sein, dafür steht dieser Vers in der Bibel. Ich hoffe, dass für keinen von uns das Jahr 2005 so ein Schreckensjahr wird, wo ein Unglück dem nächsten folgt. Aber nehmen Sie sich heute ganz fest vor, dass Sie auch in so einem Fall sich daran erinnern, dass Gott dabei ein gutes Ziel mit Ihnen hat. Bonhoeffer hat einmal gesagt: wir müssen nicht darum beten, dass uns die Prüfungen erspart bleiben, sondern wir müssen darum beten, dass wir uns ihrer würdig erweisen. Nehmen Sie sich jetzt vor, dass Sie in so einem Fall nicht Gott und die Welt anklagen oder aufgeben. Das muss man sich vorher vornehmen, rechtzeitig, es wird dann immer noch schwer genug. Aber dann haben wir die Voraussetzung, um im entscheidenden Moment wenigstens für uns selbst eine Linie zu finden.

Wir haben keine Lösung, um zu verstehen, was der Sinn des ganzen Leides in der Welt ist. Was da jetzt über Weihnachten passiert ist rund um den indischen Ozean, diese Todeswelle mit hunderttausend oder mehr Toten, dieses Unglück, gegen die der Einsturz des World Trade Centers 2001 fast noch harmlos aussieht, dafür können wir keine passende Theorie oder Erklärung geben. Warum das so passiert ist, diesem Wissen kann nur Gott standhalten. Wir können nur wissen, dass zu dieser Welt scheinbar sinnloses Leid dazugehört, und zwar in einem erschreckenden Ausmaß. Die Frage ist nicht, ob auch wir persönlich dem Leid begegnen werden – das werden wir, früher oder später. Die Frage ist lediglich, wie wir auf Leiden reagieren werden.

Wenn einer von uns mal in so eine Lage kommt, wenn einer von uns in einer Katastrophe schwer verletzt wird oder Menschen verliert, die die ihm viel bedeutet haben, – und es ist ja letztlich egal, ob man Menschen durch eine Jahrhundertkatastrophe verliert oder durch einen dummen Verkehrsunfall – dann sollen wir vorbereitet sein, das als ein persönliches Handeln Gottes mit uns zu verstehen und anzunehmen. Nur so kann man persönlich dem Leid gegen die Intention Satans einen Sinn geben.

So etwas kann man immer nur für sich selbst tun, es sind schreckliche Leute, die in so einer Situation auch noch den Finger heben und anderen sagen »Siehst du …!«. Aber nehmen Sie sich das für sich selbst vor, dass Sie es als einen Ruf Gottes zur Umkehr nach vorn verstehen werden, wenn Ihnen so etwas zustößt.

Jesus sagt ja zu Petrus: wenn du dich dann bekehrt haben wirst, wenn du dann umgekehrt bist, dann stärke deine Brüder. Es geht Gott um unsere Bekehrung, und zwar offensichtlich auch dann noch, wenn einer wie Petrus sich schon längst für Jesus entschieden hat und schon mehr mit Jesus erlebt hat als wir alle. Bekehrung und Umkehr gehören zum Anfang des Glaubens, aber wir haben sie nicht eines Tages hinter uns, sondern sie müssen immer wieder neu passieren.

Und es sind immer wieder schmerzhafte Schritte, die wir dann gehen müssen. Wenn Gott wieder etwas tut, um uns zu dem Menschen zu machen, zu dem wir berufen sind, dann fühlen wir uns kurzfristig manchmal noch elender als vorher – aber auf lange Sicht bringt uns das viel mehr Freude. Schon in diesem Leben, und erst Recht jenseits der Grenzen dieser Welt. In der Ewigkeit werden wir sehen, dass Gott es gut mit uns meinte, als er uns Leiden schickte. Leiden und Veränderung gehen Hand in Hand. Auch Loslassen tut weh. Manche Menschen mögen deshalb Veränderung nicht.

Aber wenn ich mich weigere, das Leid anzunehmen, das mit Veränderung einhergeht, dann werde ich noch schlimmere Konsequenzen zu tragen haben. Gott wird nicht aufhören, mich auf diesen Punkt hinzuweisen. Und mir entgeht eine ganz wichtige Erfahrung: dass Gott auch inmitten von Schmerz und Enttäuschung immer wieder da ist. Schmerz und schwierige Zeiten sind dafür da, um uns zu zeigen, worauf wir unsere Hoffnung setzen. Und wir sollen die falschen Hoffnungen aufgeben zugunsten des wahren und lebendigen Gottes, der unser irdisches Leben voller Schmerz geteilt hat bis zum bitteren Ende.

Wenn ich noch einmal zurückkomme auf diese Überlegung am Anfang, was die Jahreslosung-Auswahlkommission sich wohl bei diesem Vers für2005 gedacht hat, und wenn man überlegt, was er denn wohl bedeutet für die Kirche und ihre schwierige Situation, dann würde das heißen: auch für die Kirche gibt es Hoffnung nur durch Umkehr und und Neuanfang hindurch. Wir werden gesiebt und geprüft werden. Das ist keine beruhigende Aussicht, aber eine hoffnungsvolle: Gott hat uns noch längst nicht aufgegeben, sondern er fordert uns heraus, Tiefe und Vollmacht zu gewinnen.

Für uns alle gilt: werden wir im Augenblick der Prüfung die Herrlichkeit hinter dem Leid suchen, oder werden wir zulassen, dass wir unter Trauer und Schmerz begraben werden? Trauern ist zulässig, das ist in Ordnung, aber wir trauern nicht als Menschen, die keine Hoffnung haben. Werden wir uns von Gott befreien lassen zu einem Leben der ganzheitlichen Nachfolge und zu einer Persönlichkeit, die auch in der Tiefe von ihm geprägt ist?