Worum es Jesus wirklich geht: Nachfolge

Predigt am 25. Februar 2001 zu Lukas 18,31-43

31 Jesus nahm die Zwölf beiseite und sagte zu ihnen: »Hört zu! Wir gehen nach Jerusalem. Dort wird alles in Erfüllung gehen, was die Propheten über den Menschensohn geschrieben haben: 32 Er wird den Fremden ausgeliefert werden, die Gott nicht kennen. Er wird verspottet und beleidigt und angespuckt werden. 33 Sie werden ihn auspeitschen und töten, doch am dritten Tag wird er auferstehen.«
34 Die Zwölf verstanden kein Wort. Was Jesus sagte, blieb ihnen verborgen; sie wussten nicht, wovon er sprach.

35 Als Jesus in die Nähe von Jericho kam, saß dort ein Blinder am Straßenrand und bettelte. 36 Er hörte die Menge vorbeiziehen und fragte, was da los sei. 37 Er erfuhr, dass Jesus aus Nazaret vorbeikomme. 38 Da rief er laut: »Jesus, Sohn Davids! Hab Erbarmen mit mir!« 39 Die Leute, die Jesus vorausgingen, fuhren ihn an, er solle still sein; aber er schrie nur noch lauter: »Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!« 40 Jesus blieb stehen und ließ ihn zu sich holen. Als er herangekommen war, fragte ihn Jesus: 41 »Was soll ich für dich tun?« Er antwortete: »Herr, ich möchte wieder sehen können!« 42 Jesus sagte: »Du sollst sehen können! Dein Vertrauen hat dich gerettet.« 43 Sofort konnte der Blinde sehen. Er pries Gott und folgte Jesus. Und das ganze Volk, das dabei war, rühmte Gott.

Dass Jesus den Römern ausgeliefert, verurteilt und gekreuzigt und aus dieser Welt entfernt wurde, das hat schon den Jüngern nicht eingeleuchtet. Wenn es heißt: sie verstanden es nicht, dann bedeutet das ja nicht, dass sie nicht wüssten, was das Wort ausliefern oder das Wort töten bedeutet. Aber sie verstanden nicht, wie die Ankündigung des Sterbens mit Jesu Leben zusammenpasst. Und bis heute gibt es viele Menschen, die sagen würden: Jesus ist ein großer Lehrer und ein vorbildlicher Mensch, aber dies Ganze mit dem Kreuz und seinem Opfer, das verstehe ich nicht, und das ist auch nicht wichtig, seine Lehre ist das Entscheidende, die Nächstenliebe und die Gebote, und dies andere ist so eine Denksportaufgabe, die schenken wir uns lieber.

Dabei ist es im Neuen Testament ganz klar, dass der Tod und die Auferstehung Jesu das zentrale Ereignis ist, der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Weltgeschichte. Das andere gehört dazu, die ganze übrige Praxis Jesu wird von dorther beleuchtet und bestätigt. Aber im Zentrum steht das Kreuz, und es bedeutet, dass die Begegnung Gottes mit der Welt Kampf und Konflikt bedeutet. Wenn Gott kommt, dann stößt er auf die Feindschaft derer, die in der Zwischenzeit hier auf der Erde das Regiment übernommen haben. Und die religiösen Funktionäre sind dabei die schlimmsten. Immer wieder stößt man bei Jesus auf den Gedanken: es muss geschehen, in dem Sinn: der Zusammenstoß kann gar nicht ausbleiben. Schon die Propheten haben das vorausgesehen, und dann hat Jesus ja tatsächlich von Anfang immer wieder Ärger gehabt. Und wenn er jetzt nach Jerusalem geht, ins regionale Machtzentrum vorstößt, dann geht es um die Entscheidung in diesem Konflikt. Und er weiß, das dieser Zusammenstoß Gottes Wille ist, wie damals ganz am Anfang, nach seiner Taufe, als der Heilige Geist ihn in die Wüste geführt hatte, in die Auseinandersetzung mit Satan. Er weiß; es muss sein, jetzt ist es soweit.

So weit hätten das wohl auch die Jünger unterschrieben. Im Unterschied zu Jesus rechneten sie aber damit, dass er diesen Konflikt gewinnen würde. Vielleicht stellten sie sich vor, dass er an der Spitze einer großen Menschenmenge die Macht übernehmen würde. Er war ja schließlich jemand, der Menschenmengen um sich versammelte und großen Einfluss auf sie hatte.

Jesus dagegen wusste, dass er unterliegen würde, wenn es zum entscheidenden Konflikt kam. Er wusste, wie brutal Machthaber zuschlagen, wenn sie ihre Macht schwinden sehen. Und er wusste, dass er sich nicht auf eine aufgeputschte Menschenmenge stützen würde.

Vor allem aber war ihm klar, dass er auch bei diesem Zusammenstoß derselbe bleiben würde, und das heißt, er würde auch weiter auf die Kraft Gottes setzen, auf sein Wort und den Heiligen Geist. Aber in der direkten Konfrontation mit Schwertern, Fesseln und einer militärischen Kommandostruktur bedeutet das: er würde den Kürzeren ziehen. Jesus stand vor der Wahl, ob er seinem bisherigen Weg treu bleiben wollte, oder ob er jetzt, im entscheidenden Moment zu anderen Mitteln greifen sollte.

Nun spricht dagegen nicht nur die Lebensweisheit, dass man nicht die Pferde mitten im Strom wechseln sollte. Wenn Jesus wirklich im entscheidenden Moment nach einer anderen Logik handeln würde, dann würde er damit ja zugeben, dass Gottes Kraft für die entscheidenden Situationen eben doch nicht ausreicht. Es würde bedeuten: ich sehe es ein, die wirkliche Macht kommt eben doch aus den Gewehrläufen. Und wir wären dann im entscheidenden Moment eben doch ohne Schutz denen ausgeliefert, die über die Gewehre verfügen. Aber Jesus wollte sich ja gerade ganz auf die Macht Gottes verlassen.

Also geht Jesus Jesus nach Jerusalem, den sicheren Tod vor Augen, und doch mit der Hoffnung, dass sein Vater im Himmel ihn nicht grundlos ins Verderben schicken oder ihn sinnlos verheizen würde. Und die Hinweise der Propheten, dass der Gesandte Gottes leiden und sterben muss, die stärken ihn, die zeigen ihm, dass auch diese Situation von Gott schon längst vorbedacht ist. Die Worte der Propheten sind für ihn wie versteckte Vorräte, die Gott schon lange vorher in der Welt deponiert hat, damit er jetzt die nötigen Reserven hat, um seinen Weg bis zum Ende zu gehen.

Jetzt wird deutlich: nur weil Jesus schon immer grundsätzlich bereit war, den Willen Gottes zu tun und sich ihm zur Verfügung zu stellen, nur deshalb konnte er Menschen helfen. Nur eine Hingabe an Gott, die bereit ist, im entscheidenden Moment auch das Leben zu lassen, nur die war auch fähig, in der Kraft Gottes Menschen zu heilen wie nun schon wieder den Blinden von Jericho. In den anderen Evangelien erfahren wir seinen Namen: Bartimäus.

Und Jesus versucht, seine Jünger Anteil haben zu lassen an seiner Sicht und an seinem Schicksal, aber es ist vergeblich. Sie verstanden es nicht. Zu weit weg von unseren normalen Gedanken war das, was er sagte, zu ungewöhnlich und nicht plausibel. Und weil er keine Zeit hatte, zu warten, bis sie es vielleicht irgendwann begreifen würden, deshalb musste er ganz allein seinen schweren Weg gehen.

Die Jünger laufen hinter ihm her, aber sie gehen nicht mit. Nur äußerlich ist es Nachfolge, was wir an ihnen sehen. Der Einzige, von dem ausdrücklich gesagt wird, dass er Jesus folgt, ist der Blinde. Das ist ungewöhnlich, weil die meisten, die Jesus geheilt hat, ihm nicht nachgefolgt sind. Man denke an die 10 geheilten Aussätzigen, von denen nur einer überhaupt wieder bei Jesus auftauchte. Oder an den Beginn von Jesu Wirken, als er aus Kapernaum und anderen Städten regelrecht flieht, weil er da festgelegt wird auf die Rolle des Wunderheilers; und das, was er eigentlich sagen will, dass das Reich Gottes nun für jeden zugänglich ist, das wird überhaupt nicht mehr gehört.

Jesus hat vielen Menschen geholfen, aber der Kern seiner Mission war es, Menschen in seine Nachfolge zu rufen. Damit hat er in dieser Geschichte nur bei Bartimäus Erfolg. Wahrscheinlich ist der Name des Blinden gerade deshalb überliefert worden, weil er später zu den Jüngern Jesu und zur ersten Gemeinde gehört hat. Sonst wäre er nur der Blinde von Jericho geblieben.

Jesus wollte Menschen zu genau der Hingabe an Gott führen, in der er selbst gelebt hat. Dieser Weg des Lebens aus Gottes Willen war sein eigentliches Geschenk an die Menschen. Das war die Quelle seiner Kraft. Und das bedeutet, Menschen eben auch in den Konflikt hineinrufen, in dem er gestanden hat. »Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich«, der kämpfe mit mir den Kampf, in dem ich sterben werde. Und wir wissen alle, dass es nicht schön ist, in einem Konflikt zu leben, es läßt uns nicht gut schlafen und hat manchmal unangenehme Folgen. Wenn es mit der Kirche Konflikte gibt, sehen die meisten Menschen das als schlechtes Zeichen.

Aber der Konflikt, in den Jesus ruft, der geht noch tiefer. Er geht mitten durch einen Menschen hindurch. Nicht umsonst ist Jesus am Anfang 40 Tage in der Wüste gewesen, bevor er mit dem Teufel gekämpft hat. Am Anfang und immer wieder dazwischen steht der Kampf in uns selbst, der Kampf darum, das Leben ganz Gott zu unterstellen. Jesus musste sich von keinen Sünden und Süchten trennen, aber auch er kannte ja den ganz menschlichen Wunsch, zu leben und nicht sterben zu müssen, den menschlichen Wunsch, etwas zu haben, etwas zu sein, Menschen etwas zu bedeuten. Und er hat sich entschieden, dass er sich auch diese natürlichen menschlichen Wünsche von niemand anderem erfüllen lassen würde als von Gott allein.

Für uns fängt das natürlich schon viel früher an: beim Abschied von Sünden und Süchten, beim Abschied von den Fehlhaltungen und Ansprüchen unseres Herzens, beim Verzicht auf Empfindlichkeit und die Wahl des bequemeren Weges. Wahrscheinlich gibt es unter uns einige, die von der nächsten Woche an in der Fastenzeit diese Haltung des Sich-Trennens und Aufgebens neu einüben wollen. Das ist gut für uns, wenn wir so eine spezielle Zeit haben, wo wir ausprobieren, wie das ist: etwas aufgeben um Jesus willen, nicht jedem Wunsch nach einer leckeren Süßigkeit gleich nachgeben, nicht automatisch zur Zigarette greifen, nicht schmollen, wenn es anders geht als gewünscht. Für die einen steht an, nicht so viel zu arbeiten und mehr zu beten, für die anderen, nicht so viel zu beten und mehr zu arbeiten.

Es ist wichtig, dass es auch beim Aufgeben um etwas Positives geht: stärker mit Jesus verbunden zu sein. In meinem Herzen muss Raum sein für ihn, in meinem Leben muss Zeit sein für ihn. Man muss das betonen, weil es nicht um das Verzichten als solches geht. Es gibt leider viele Menschen, die mit dem Christentum vor allem Verzicht verbinden. Das sind nicht nur Nichtchristen, sondern leider auch manchmal Menschen, die lange in einer christlichen Umgebung gelebt haben und das dort so erlebt haben. Es gibt Menschen, die sehr lange falsche und erzwungene Selbstaufgabe erlebt oder gelebt haben. Und die sind davon manchmal so geschädigt, dass sie Worte wie Selbsthingabe, Dienen oder Verzichten nicht mehr hören möchten. Es geht ihnen ganz genauso wie den kaum noch christlich geprägten Menschen, die sich von der Stimmung unserer Gesellschaft sagen lassen, dass Geld, Fun und Action das Größte sind.

Darum ist es wichtig, festzuhalten, dass Aufgeben und Verzichten nicht das Ziel ist, sondern der Weg. Ein Teil von uns muss sterben, damit wir tiefere Gemeinschaft mit Jesus Christus haben können. Nur wenn in unserem Leben und in unserem Herzen Platz ist, können wir die Kraft Gottes empfangen. Nur wenn wir unser Leben um Christi willen aufgeben, kann er uns sein neues Leben schenken. Eine gelegentliche Zuwendung zu Jesus wird uns auch nur mickrige Gemeinschaft mit ihm einbringen. Wir sollen aber Männer und Frauen Gottes werden, die mit großen, kräftigen Schritten Jesus folgen, und deren Herz ungeteilt bei ihm ist. Wir sollen Menschen sein, für die klar ist, dass wir nötigenfalls jedes Opfer zu bringen bereit sind, wenn es für Jesus nötig ist. Wir werden dann immer noch danebengreifen und oft das übersehen, was eigentlich am wichtigsten ist. Aber da hat der Heilige Geist Mittel und Wege, und die Augen zu öffnen, und es gibt ja auch noch die anderen Christen.

Hauptsache, wir wissen, dass das Höchste hier auf Erden nicht ein glückliches, ausgewogenes, anständiges, zivilisiertes Leben ist. Dazu hat Jesus zwar auch einen entscheidenden Beitrag geleistet, aber sein eigentliches Ziel waren Menschen, die bereit sind, jeden Preis zu zahlen, um ihm dicht auf der Spur zu bleiben und so im verheißenen Reich Gottes zu leben.