Freie, königliche Menschen

Predigt am 16. September 2007 zu Lukas 17,5-6

Lesung: Markus 4,35-41

35 Und am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: Lasst uns hinüberfahren.36 Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. 37 Und es erhob sich ein großer Windwirbel und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde. 38 Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? 39 Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich und es entstand eine große Stille. 40 Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? 41 Sie aber fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der? Auch Wind und Meer sind ihm gehorsam!

Predigttext: Lukas 17,5-6

Die Apostel baten den Herrn: »Gib uns doch mehr Glauben!« Der Herr antwortete: »Selbst wenn euer Glaube nur so groß wäre wie ein Senfkorn, könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum hier sagen: ‚Heb dich samt deinen Wurzeln aus der Erde und verpflanze dich ins Meer!‘, und er würde euch gehorchen.«

Ich muss gleich am Anfang sagen: dieser Ausspruch Jesu ist ebenso kurz wie schwierig zu verstehen. Jesus hat manchmal sehr pointiert gesprochen, mit Bildern, in Sinnsprüchen, die vielleicht weniger Lehrsätze sein sollten, als dass sie die Jünger zum Nachdenken bringen sollten.

Das Merkwürdige an diesem Ausspruch ist ja einmal, dass weder Jesus noch irgendwer von den Jüngern noch jemals irgendein anderer Christ später auf wunderbare Weise Maulbeerbäume durch die Luft ins Meer transportiert hat. Und es würde auch überhaupt nicht zu dem passen,was wir von Jesus wissen, dass er so mit Wundern rumspielt. Es geht also um ein extremes Bild, das eine tiefe Wahrheit durch die Übertreibung zum Ausdruck bringen soll.

Aber was ist gemeint mit diesem Bild? Könnte es sein, dass Jesus damit so eine Art Positives Denken meint: ihr müsst nur fest an eine Sache glauben, dann wird sie eintreffen? So wie die Menschen manchmal sagen: naja, wenn man einen starken Glauben hat, dann kann man das schaffen. Dann müssten wir uns also nur lange genug einreden, dass wir irgendwie schon Maulbeerbäume zum Fliegen bringen können, und dann würde es irgendwann klappen damit, wenn wir es nur fest genug glauben.

Aber das kann nicht sein – es geht doch im Glauben nicht darum, dass man so eine Selbsthypnose macht. Und tief im Inneren würden wir es wissen, dass wir es uns nur eingeredet haben, und deshalb würde es dann nicht funktionieren.

Es kommt noch dazu, dass dies ja eigentlich gar kein Gebet ist. Da bittet nicht jemand Gott, er möge doch den Maulbeerbaum fliegen lassen, sondern er befiehlt es dem Baum ganz direkt. Es geht also weniger um Gebetserhörung, sondern um ein vollmächtiges, effektives Reden, das etwas bewirkt in der Welt – und zwar etwas eigentlich Unmögliches. Jesus hat das vorgemacht, als er auf dem See Genezareth einen Sturm mit Autorität anredete und zum Schweigen brachte. Wir haben die Geschichte vorhin als Lesung gehört. Und er traut das auch seinen Nachfolgern grundsätzlich zu, dass sie die gleiche Autorität ausüben, die er hatte: im Namen Gottes Dingen und Verhältnissen etwas zu befehlen, und zwar so, dass es wirklich geschieht.

So wie Jesus mit seiner Anwesenheit die Welt verwandelt hat, so sollen das auch die Jünger tun. Sie sollen als freie, königliche Menschen den Mächten der Zerstörung entgegentreten und sie zurückweisen, damit sie aufhören, die Welt zu bedrohen.

Als ich darüber nachdachte, ist mir eine Geschichte eingefallen, die ich vor längerer Zeit mal gelesen habe. Ich muss sie aber aus dem Gedächtnis erzählen, weil ich die Stelle nicht mehr gefunden habe.

Die Geschichte spielt in der Zeit, als Hitler Deutschland beherrschte, in einem Konzentrationslager. Das waren die schlimmsten Orte, wo das Leben eines Häftlings nichts wert war. Oft haben die Wachmannschaften aus Langeweile die Häftlinge geschlagen oder auch getötet. Eines Tages kam einer der Insassen dazu, wie ein Wachmann einen anderen Häftling fürchterlich zusammen schlug. Spontan fuhr er den SS-Mann an: »Hören Sie auf, Sie schlagen ihn ja tot!« Und ein Wunder geschah: der SS-Mann ließ von seinem Opfer ab und ging einfach weg.

Das war wirklich ein Wunder in einem Lager, wo Häftlinge manchmal schon dafür getötet werden konnten, dass sie zu spät die Mütze abnahmen, wenn ein SS-Mann vorbei kam. Man kann sicher eine Erklärung finden, dass dieser SS-Mann vielleicht doch einen Funken Anstand hatte, sich geschämt hat oder einfach keine Lust mehr hatte. Aber wie kommt ein Häftling darauf, genau im richtigen Moment so etwas Mutiges zu tun, was normalerweise auch für ihn das Ende gewesen wäre?

Es muss so ein Moment der Vollmacht gewesen sein, durch den einfacher Häftling eine königliche Freiheit bekommen hat, der auch dieser SS-Mann nichts entgegen zu setzen hatte. Ein Augenblick der Freiheit, der zeigt, welche Vollmacht Menschen manchmal auch in ganz aussichtslosen Lagen bekommen können.

Es gibt zu viele solcher Geschichten, als dass man da einfach drüber weggehen könnte: bei Jesus die Dämonenaustreibungen, oder als er mit einem gebieterischen Wort verstorbene Menschen ins Leben zurückholte. Franz von Assisi, dem auch ein Wolf gehorchte. Geschichten, wie Menschen Fieber und Schmerzen zum Verschwinden gebracht haben. Oder diese Geschichte aus dem KZ. In all diesen Geschichten zeigt sich etwas vom Kampf Gottes gegen die Gewalt des Verderbens, die uns Menschen in dieser Welt immer wieder knechtet und zerstört. Auch wenn wir einem Hungernden zu essen geben oder einen Heimatlosen aufnehmen, ist das ein Akt im Kampf gegen die Todesmächte, aber es gibt bestimmte Handlungen, in denen dieser Kampfcharakter des Reiches Gottes ganz besonders zu erkennen ist.

Und ich denke, wenn wir hier untereinander sprechen würden, dann würde doch auch der eine oder andere davon erzählen können, wie er in irgendeinem Augenblick so ein Zipfelchen von dieser Vollmacht Gottes gespürt und sie dann auch selbst ausgeübt hat. Das fängt ja schon damit an, wenn einem im richtigen Moment Worte kommen, die eine Situation einfach klären, und man bleibt ganz ruhig dabei, weil man weiß, dass dies jetzt einfach richtig ist und stimmt. Und dann ergreift die Dunkelheit tatsächlich die Flucht und Menschen werden von der Bedrückung frei.

Aber die Frage ist ja: wie kommt es dazu, dass so etwas geschieht? Was muss man machen, damit man das öfter erlebt? Anscheinend haben sich das die Jünger ja gewünscht, sie ahnten, dass das mit Glauben zu tun hat und baten Jesus also: »Gib uns mehr Glauben«, damit das leichter geht, damit wir mehr bewegen können in der Welt, damit wir nicht immer so viel Sorgen und Unsicherheit erleben müssen. So wie vielleicht auch von uns schon jemand gebetet hat: Ach, gib mir doch mehr Glauben!

Aber irgendwie weist Jesus das zurück. An der Bitte stimmt etwas nicht. Was könnte es sein?

  • Zunächst einmal sieht es mir danach aus, dass Jesus sagt: fangt doch erstmal an, mit dem Glauben zu arbeiten, den ihr schon habt. Auch wenn der nur ganz winzig ist, er hat trotzdem ein gewaltiges Potential. Und vielleicht denkt Jesus ja auch daran, dass sich da etwas entwickeln kann, dass etwas wachsen kann. Jedenfalls: bevor ihr von mir mehr wollt, nutzt das,was ihr habt. Wer im Kleinen treu ist, dem wird man auch die großen Dinge anvertrauen.
  • Zweitens scheint aber Jesus auch zu sagen, dass dieses ganze Modell, in dem die Jünger denken, nicht stimmt. Glaube funktioniert anders als normale menschliche Fähigkeiten. Wenn man Geige spielen oder Schreibmaschine schreiben kann, das ist einigermaßen berechenbar, es ist steigerungsfähig, man kann es trainieren, man kann sich besondere Mühe geben. Aber Glaube ist nicht in dieser Weise berechenbar. Diese Vorstellung von den Menschen mit besonders »starkem Glauben«, was auch immer das sein mag, die ist ein Trugbild. Glaube ist eigentlich nicht eine besondere Kraft oder Fähigkeit im Menschen, sondern die Verbindung zur Kraft Gottes, und deshalb hat er etwas damit zu tun, wer man ist.
    Es gibt in der Apostelgeschichte eine Episode (19,13-17), wo sich nichtchristliche Dämonenaustreiber bei Paulus abgucken wollen, wie er das eigentlich macht. Und dann probieren sie, einen Dämon zu auszutreiben, indem sie sagen: »Wir beschwören dich bei dem Jesus, den Paulus verkündet.« Aber der Dämon antwortet aus dem Munde des Menschen, in dem er wohnt: »Jesus kenne ich, und Paulus auch, aber wer seid ihr?« Und dann stürzt sich der Mensch unter dem Kommando dieses Dämons auf die Beschwörer und schlägt sie gnadenlos zusammen.
    Um Vollmacht zu haben, reicht es eben nicht, die richtige Formel zu kennen und anzuwenden. Viel wichtiger ist die Frage: »wer seid ihr?« – also: wie steht ihr zu dem Jesus, den ihr da anruft? Und auch da geht es ja nicht um die Frage, ob man mal die richtige Formel gesprochen hat, sondern darum, ob man tatsächlich mit Jesus verbunden ist, welche Rolle er in unserem seelischen Haushalt spielt. Diese Autorität, um die es geht, die besitzt man nicht so berechenbar, wie man ein Instrument spielen kann, sondern sie wird immer verliehen und wird nie unser Eigentum. Wir bekommen Anteil an der Autorität Gottes. Aber sie wird uns nicht gegeben, damit wir zum Spaß Bäume durch die Luft fliegen lassen, sondern damit wir am Kampf Gottes gegen die Zerstörungsmächte in dieser Welt teilnehmen.

Es könnte sein, dass wir erst dann wieder mehr von der Vollmacht Gottes verliehen bekommen, wenn wir uns bei den einfachen Dingen treu erwiesen haben. Dass wir erst wieder lernen müssen, unser ganz normales Leben im Namen Jesu zu führen, dort am Kampf des Reiches Gottes teilzunehmen: Tag für Tag Barmherzigkeit zu erweisen, im Namen Jesu zu trösten, Selbstdisziplin zu entwickeln, im Namen Jesu Menschen zu korrigieren, in der Wahrheit zu leben, in unserem Umfeld Freude und Hoffnung zu verbreiten, all die einfachen Dinge zu tun. Und gleichzeitig offen dafür zu sein, dass uns darüber hinaus erstaunliche Macht gegeben wird und unser Wort eingreift und die Welt verändert.

Wenn wir noch einmal zurückdenken an die Geschichte vom Sturm auf dem See Genezareth, wo Jesus seine Jünger fragt: »Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr immer noch keinen Glauben?« Da haben die Jünger ja etwas getan, was in anderen Geschichten etwa den Kranken, die zu Jesus kommen, durchaus als Glaube angerechnet wird: sie kommen zu Jesus und rufen um Hilfe. Das heißt, sie haben irgendwie geahnt, dass er auch angesichts der Seenot etwas tun könnte, aber als es dann passiert, kriegen sie einen Schreck. Sie sind mit Jesus verbunden, sie haben eine Geschichte mit ihm, sie ahnen völlig zu Recht, dass er auch in dem Sturm helfen kann, aber das ist alles nicht zur Klarheit durchgebrochen. Und Jesus schaut sie an und wundert sich und sagt: es ist doch so einfach, ich dachte, das hättet ihr schon gelernt.

Die Vollmacht, die Jesus den Jüngern zutraut und die sie später auch wirklich haben, die wächst heraus aus ihrer Verbindung mit ihm. Hier auf dem See ist es so, dass die Verbindung schon fester ist als die Jünger ahnen. Es kann auch mal anders herum sein, dass die Verbindung zu Jesus noch sehr schwach ist, und trotzdem fließt darüber schon viel Kraft, und dann muss Jesus auch das ans Licht holen und sagt: »Dein Glaube hat dich gerettet«. Es ist eben nicht mechanisch, sondern bunt wie das Leben selbst, und wenn man denkt, jetzt hat man eine Regel gelernt, dann erlebt man die Ausnahme von der Regel.

Aber so ist es wirklich gedacht, dass in uns schwachen und unbeständigen Menschen das Licht und die Wahrheit Gottes aufleuchten, dass sie durch uns hindurch diese Welt hell machen und die Todesmächte in die Flucht schlagen. Wir nehmen teil am Krieg des Geistes gegen die Herrschaft der Dunkelheit. Wir brechen die Macht von Flüchen und Irrglauben. Wir leben in der Siegeskraft des nahe herbei gekommenen Reiches. Das ist die Verheißung über unserem Leben. Vielleicht erscheint sie uns heute sehr groß oder unerreichbar. Aber festhalten, das wollen wir sie trotz allem.