Christliche Wirtschaftstheorie

Predigt am 5. Oktober 2003 (Erntedankfest) zu Lukas 12,15-21

15 Und Jesus sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.
16 Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen. 17 Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. 18 Und sprach: Das will ich tun: ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte 19 und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!
20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast? 21 So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.

Dieser Mann, von dem Jesus erzählt, träumt den Traum von der Unabhängigkeit: so viel haben, dass man für den Rest seines Lebens nicht mehr arbeiten muss. Von den Zinsen leben: das hat er vor.

Aber wenn man es recht überlegt, dann erkennt man, dass dieser Plan doch nicht so einfach ist, wie er auf den ersten Blick aussieht. Vorräte für viele Jahre: ich denke daran, dass auf allen Lebensmitteln, die man kauft, ein Verfallsdatum aufgedruckt ist. Ich glaube, das längste, was ich mal gefunden habe, waren zwei Jahre, es war Knäckebrot oder Zwieback oder so etwas. Gut, man kann ja viele Lebensmittel auch nach dem Verfallsdatum durchaus noch essen. Aber wer will schon jahrelang von Zwieback leben? Und Korn ist nicht Zwieback, Korn ist empfindlicher. Für die Mäuse sind solche riesigen Scheunen voller Vorräte natürlich ein Paradies, und im Lauf der Jahre fressen die ziemlich viel.

Also, es ist gar nicht so einfach, so große Vorräte unbeschadet über die Jahre zu bringen. Gut, wenn der Mann heute leben würde, dann hätte er das Problem mit den Scheunen nicht gehabt, er hätte einfach alles verkauft und aufs Konto gelegt, Geld verschimmelt nicht, es wird nicht von Mäusen gefressen. Aber die Älteren unter uns erinnern sich bestimmt noch an die letzte Inflation, als das Geld auf einmal gar nichts mehr wert war, und vielleicht haben sie auch die Erzählungen von der Inflation davor noch gut in Erinnerung, als ganz viele das Geld verloren haben, das sie sich für später mal zurückgelegt hatten. Und den Absturz der Aktienkurse vor ein paar Jahren, da erinnern sich sicher auch viele von uns dran. Selbst die Lebensversicherungen sind heute nicht mehr das, was sie mal waren.

Also, das mit den Vorräten, das ist nicht so einfach wie es aussieht. Und wenn man das für die ganze Menschheit betrachtet, dann geht das schon gar nicht: ich habe vor einiger Zeit mal gelesen, wie lange eigentlich die weltweiten Getreidevorräte reichen. Ich weiß die Zahl leider nicht mehr genau, aber wenn von heute auf morgen kein Korn mehr wachsen würde, kein Mais, kein Reis, keine Gerste, kein Weizen, wie lange könnten wir dann von den Vorräten leben? Ich glaube, es sind ungefähr sieben Monate. Stellen Sie sich vor, vom Verhungern trennen uns sozusagen nur sieben Monate. Ich war entsetzt, als ich das hörte. Ich dachte: wir leben ja am Rande des Abgrunds. Und ich wusste bisher nichts davon. Ich habe überhaupt nichts davon gemerkt. Im Grunde geht es uns nicht anders als den früheren Generationen, die von Ernte zu Ernte gelebt haben. Im Grunde leben wir immer noch von der Hand in den Mund.

Aber – es scheint zu funktionieren. Inzwischen gleichen wir Missernten in einem Teil der Erde durch Import aus anderen Ländern aus, das geht heute besser als früher. Aber sonst: wir leben von der Hand in den Mund, und es funktioniert gar nicht so schlecht.

Sollte das also vielleicht gar kein Horrorszenario sein mit den Vorräten für sieben Monate, sondern eine ganz zuverlässige Methode, die seit Jahrtausenden, seit Millionen Jahren funktioniert? Es sieht so gefährlich und wackelig aus, aber die Menschheit hat immer nur so gelebt. Ohne größere Sicherheit als die Hoffnung auf die nächste Ernte. Aber so ist es immer weitergegangen. Wir haben noch nie von unsern Vorräten gelebt, sondern vom Prozess des Lebens, von Saat und Ernte, vom Wachsen und Gedeihen. Bessere Sicherheiten haben wir nicht, aber die sind gar nicht nötig, im Gegenteil, wir leben ganz zuverlässig vom Wachsen und Gedeihen. Es sieht so verletzlich aus, so ungesichert, aber es ist zuverlässiger als jedes Aktiendepot und jedes Bankkonto.

Verstehen Sie, diese Zusammenhänge sind gemeint, wenn wir sagen, dass wir von Gottes Gnade leben. Das ist etwas, was wir nicht unter Kontrolle haben, aber es ist ganz zuverlässig und beständig, und wir können ihm unser Leben und unsere Versorgung anvertrauen. Die Welt lebt schon immer vom Geben und Schenken Gottes, und wir leben gut davon.

Das geht ja sogar so weit, dass wir selbst, unser Körper, durch lauter solche Prozesse leben. Das Brot, das ich heute esse, das ist morgen ein Teil von meinem Zeigefinger, und Übermorgen ist es wieder ein Teil einer Pflanze. Dauernd wird umgebaut in unserem Körper, man könnte es mit der Angst zu tun bekommen, aber wir leben davon, und wir leben gut.

Wenn wir jetzt wieder an den reichen Mann aus dem Gleichnis denken, der wollte also für sich persönlich genau davon wegkommen, von dieser Abhängigkeit von der neuen Ernte, von diesem beständigen sich-kümmern um den Nachschub. Der wollte nicht aus der lebendigen Versorgung Gottes leben, sondern aus seinen kontrollierbaren toten Vorräten. Und das geht nicht. Nur das Leben ist robust genug, um mit Problemen und widrigen Umständen fertig zu werden. Tote Vorräte sind immer nur begrenzt haltbar.

Und Gott erinnert ihn drastisch daran und sagt: heute Nacht bekommst du, was du willst, du wirst diese ganzen unsicheren Lebensprozesse los, von denen du nicht abhängig sein willst, und was ist dann? Dann bist du tot.

Man müsste geradezu die Wirtschaftswissenschaft auf dieser Grundlage neu schreiben: der Kern der Wirtschaft ist nicht der menschliche Egoismus und das Habenwollen, sondern die Grundlage ist das Geben und Schenken und das Vertrauen. Und das Einzige, was diesen Prozess wirklich gefährden kann, ist Festhalten und Habenwollen, weil es aus Misstrauen geboren ist und Misstrauen produziert.

Misstrauen und menschliche Habgier gefährden unsere Versorgung. Dieser reiche Kornbauer lässt ja seine Vorräte verrotten, während wahrscheinlich andere Leute dieses Korn gerne haben würden. Gar nicht umsonst, sondern zu einem vernünftigen Preis. Aber wenn einer wie er solche Mengen vom Markt nimmt, dann gehen mindestens in seiner Gegend die Preise hoch. Da, wo jemand diesen Kreislauf des Gebens und Schenkens stoppt, da ist die Versorgung ernsthaft gefährdet. Da breitet sich Misstrauen aus, da fangen die Leute an zu horten, und schon wird es knapp.

Früher nannte man die Konjunkturkrisen »Stockungen«. Der Wirtschaftsprozess stockte. Der Austausch, das Geben und Nehmen war unterbrochen, er ging nicht voran. So eine Unterbrechung des Wirtschaftskreislaufes, das war es, was der Bauer in der Geschichte von Jesus gemacht hatte. Er hatte seine persönliche Mini-Wirtschaftskrise produziert.

Worin bestehen denn Wirtschaftskrisen? Es sind im Grunde Vertrauenskrisen. Weil keiner so recht weiß, wie es weitergeht, halten sich alle mit Ausgaben zurück, und prompt fängt die Konjunktur an zu lahmen. Misstrauen ist das eigentliche Problem hinter wirtschaftlichen Krisen.

Wenn Sie mal an die ganzen Fragen mit der Rente denken, die uns im Augenblick bewegen. Bisher ist das über den Generationenvertrag geregelt: die arbeitende Generation versorgt die, die nicht mehr arbeiten können. Da ist ein uraltes menschliches Prinzip in eine gesellschaftliche Regelung umgesetzt worden: dass man nämlich seine alten Eltern versorgt hat, wenn sie nicht mehr arbeiten konnten.

Kann es denn jemals anders sein? Wenn wir mal nicht mehr arbeiten können, dann werden wir immer von denjenigen versorgt werden müssen, die dann arbeitsfähig sind. Wir können heute keine Vorräte sammeln für die Zeit, wenn wir mal alt sind. Dan würden wir in der Tat genau so handeln wie der reiche Bauer, von dem Jesus erzählt. Und Geld heil über diese langen Jahre zu bringen, das ist auch Glückssache. Man kann doch seine Altersversorgung nicht darauf bauen, dass dreißig oder fünfzig Jahre keine Inflation kommt. Das ist doch eine ganz abenteuerliche Erwartung.

Das einzige, worauf wir bauen können, das ist das Vertrauen, das unsere Kinder mal für uns sorgen werden, wenn wir alt sind. Entweder persönlich oder durch eine gesellschaftliche Regelung. Das hat immer so funktioniert, mal besser und mal schlechter. Das Einzige, was diese Grundlage wirklich kaputtmachen kann, das ist das Misstrauen, die Angst, dass eine Seite übers Ohr gehauen wird, der Glaube, dass wir die Sache unter Kontrolle bekommen müssen. Aber das geht nicht, das funktioniert nicht, weil Gott die Welt anders eingerichtet hat. Wenn die nächste Generation beschließt, die Senioren am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen, dann können wir nichts dagegen machen. Aber wir sollten darauf vertrauen, dass sie es nicht tun wird.

Auch hier wieder. wir leben ganz zuverlässig von Zusammenhängen, die wir nicht unter Kontrolle bekommen werden. Und die beste Investition in die Zukunft besteht darin, dass wir, wo wir nur können, Vertrauen schaffen in die Welt und in den Vater im Himmel, der sie so geschaffen hat und Tag für Tag erhält.

Gott hat in diese Welt dieses Prinzip des Gebens, der Lebendigkeit und des Vertrauens hineingelegt. Überall lebendige Prozesse, Kreisläufe, die empfindlich und verletzlich aussehen, aber im Endeffekt ganz zuverlässig und stark sind. Es ist ein lebendiger Gott und er hat eine Welt voller Leben geschaffen. Nichts bleibt, wie es ist, sondern es verwandelt sich, es bewegt sich, und es ist immer wieder für Überraschungen gut.

Alles menschliche Misstrauen und Sicherheit-haben-wollen hat diesen Lebensprozess bisher nicht kaputtmachen können. Vielleicht kommt ja mal der Tag, wo es uns gelingt. Aber Jesu sagt uns: wählt das Leben, auch für eure ganz persönliche Versorgung! Vertraut darauf, dass diese Welt einen Schöpfer hat, einen Vater im Himmel, der hinter ihr steht. Er gibt immer wieder seinen Segen in die Welt hinein. Er gibt ihn der ganzen Welt, und er beschenkt uns auch persönlich. Jesus hat immer wieder gesagt: lasst das Sorgen! Sorgen löst keine Probleme, Sorgen produziert Probleme, die Sorge und das Misstrauen, das ist das Problem. Wir sollen uns für Gott öffnen, damit wir von ihm her neues Vertrauen bekommen und das Vertrauen in der Welt vermehren und es nicht unterhöhlen.

Jesus selbst ist im Vertrauen auf Gott sogar in den Tod gegangen, und er ist nicht enttäuscht worden: Gott hat ihm neues Leben gegeben. Das Prinzip des Gebens und Schenkens gilt nicht nur in dieser Welt, sondern erst recht jenseits der Grenzen unserer Welt.