Die Herrlichkeit des Himmels auf der Erde

Predigt am 24. Dezember 2021 (Christnacht) zu Lukas 2,8-20

8 In dieser Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde.
9 Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie fürchteten sich sehr. 10 Der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: 11 Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr. 12 Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. 13 Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: 14 Ehre sei Gott in der Höhe / und Friede auf Erden / den Menschen seines Wohlgefallens.
15 Und es geschah, als die Engel von ihnen in den Himmel zurückgekehrt waren, sagten die Hirten zueinander: Lasst uns nach Betlehem gehen, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr kundgetan hat!
16 So eilten sie hin und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag. 17 Als sie es sahen, erzählten sie von dem Wort, das ihnen über dieses Kind gesagt worden war. 18 Und alle, die es hörten, staunten über das, was ihnen von den Hirten erzählt wurde. 19 Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen.
20 Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für alles, was sie gehört und gesehen hatten, so wie es ihnen gesagt worden war.

Als ich jetzt noch einmal die Weihnachtsgeschichte gelesen habe, da ist mir aufgefallen, wie ausführlich da von den Engeln erzählt wird. Und auch als die Hirten dann den neugeborenen Jesus besuchen, wovon erzählen sie? Von der Begegnung mit den Engeln. Erst überzeugen sie sich, dass es wirklich so ist wie angekündigt: Windeln und Krippe, und dann erzählen sie, was ihnen geschehen ist.

Diese Begegnung mit den Engeln ist der Mittelpunkt der Weihnachtsgeschichte. Sie nimmt über ein Viertel der Geschichte ein, 5 Verse. Da kommt zuerst ein Engel, und noch bevor er etwas sagt, bringt er die ganze Herrlichkeit Gottes mit sich. Die umstrahlte die Hirten, heißt es. Sie sahen sich in einem unbekannten neuen Licht.

Licht aus der himmlischen Welt

Immer wenn Menschen Engeln und anderen Himmelsbewohnern begegnen, dann nehmen sie das als helles Licht wahr. Und sie sagen dann nicht: schön, dass du mal vorbeikommst, Gabriel! Sondern sie fürchten sich, schlimmer, als Menschen sich bei einer Begegnung mit Aliens fürchten würden, wenn es die gäbe. Und diese Engelsschau auf den Feldern vor Bethlehem, das ist wahrscheinlich die heftigste Begegnung mit der himmlischen Welt, von der wir überhaupt in der Bibel lesen.

Denn da ist nicht nur einer, der eine Botschaft abliefert, sondern da kommt dann plötzlich noch ein ganzes himmlisches Heer dazu. Mit Musik und Licht und unzähligen Wesen, die die Hirten auf die Schnelle gar nicht alle richtig erkennen, geschweige denn einordnen können.

The Annunciation to the Shepherds by Adam Pynacker, Public domain, via Wikimedia Commons (anklicken zum Vergrößern)

Es ist, als ob sich ein Fenster in eine andere Welt auftut, ein Wurmloch oder ein Stargate oder so etwas, und dadurch schwappt eine leuchtende Welle rüber in unsere Welt. Und die Hirten sehen sich selbst in himmlischem Licht. So haben sie sich noch nie gesehen. In ihrem Leben öffnet sich eine Tür in ein unbekanntes Land, mit dem sie noch nie in Berührung gekommen sind.

Neue Perspektiven öffnen sich

Und genauso geht es all den anderen, die um die Geburt Jesu herum Besuch von Engeln bekommen. Maria, zu der Gabriel kommt, um sie zu bitten, ihre Rolle in dieser Geschichte zu übernehmen. Josef, der über seinen Schatten springt und an Maria festhält, obwohl er nicht wirklich versteht, was da passiert. Die Magier aus dem Osten, die einen anderen König finden, als sie erwartet haben. Und noch einige mehr. Die einen werden vom überwältigenden Glanz überflutet wie die Hirten, andere erreicht nur ein Strahl von diesem Licht – aber immer bekommt ihr Leben eine ungeahnte Wendung.

Liebe Freunde, dafür ist der Himmel da: dass sich in unseren Leben Perspektiven auftun, von denen wir vorher nichts ahnten. Wenn man die Bibel daraufhin durchsieht, dann merkt man, dass es das immer wieder gegeben hat, zu allen Zeiten. Manchmal heftig und manchmal eher still. Aber nirgendwo öffnet sich der Himmel so heftig und massiv wie um die Geburt Jesu herum. Denn hier beginnt ein ganzes Menschenleben, das randvoll ist mit Himmel. Das ist einmalig. Und so lange man das an Jesus selbst noch nicht sehen kann, so lange springen Engel ein und machen das, was da passiert, sichtbar, jedenfalls für einige.

Wir haben ja eher so merkwürdige Bilder vom Himmel, dass da die Toten auf Wolken sitzen und Harfe spielen und ähnliches. Alles ziemlich wolkig und wenig real. Aber in Wirklichkeit ist der Himmel das Einfallstor Gottes in seine Schöpfung. Im Himmel warten die unendlichen Möglichkeiten Gottes, seine Pläne und Ideen und Hoffnungen für die Welt und jeden von uns. Unsere sichtbare Welt ist umgeben von einem unendlich größeren Raum, in dem all die Möglichkeiten und Mächte verborgen sind, auf die hin Gott die Welt erschaffen hat. Da ist noch so viel verborgen und vorbereitet, dass es uns völlig aus der Bahn wirft, wenn nur ein bisschen davon zu uns durchsickert.

Wenn Möglichkeiten irdische Realität werden

Aber so herrlich und großartig diese ganzen Möglichkeiten sind: Die große Freude bricht immer dann aus, wenn sie sich unter uns auf der Erde realisieren. Wenn Gott in einem Menschen aus Fleisch und Blut Gestalt annimmt und erkennbar wird. Und wenn dann einer ausbricht aus der Gefangenschaft in unterdrückerischen Systemen wie der Zöllner Zachäus und viele andere nach ihm. Gottes Ruhm sind Menschen, in denen etwas aus dem Himmel Gestalt angenommen hat: in Fülle bei Jesus, aber dann immer wieder auch Menschen, die zu ihren großen Möglichkeiten befreit werden, die im Himmel auf sie warten.

Das Ziel Gottes ist nicht, dass wir irgendwann einmal »in den Himmel kommen«. Nein, Gott will, dass jetzt der Himmel an Menschen aus Fleisch und Blut sichtbar wird. Gott liebt die Erde, die materielle Realität. Er hat sie ja geschaffen, und jetzt kommt er, um die Kluft zwischen Himmel und Erde zu überbrücken, die aufgerissen ist, als Menschen ihm den Rücken kehrten. Am Ende werden sie nach langer Trennung wieder zusammenfinden, und jetzt beginnt das: an dieser einen Stelle in der Welt, wo Jesus geboren wird.

Da bekommt die verschlossene Realität der Erde den entscheidenden Riss. Und durch diesen Riss sickern die neuen Bilder ein: vom Friede auf Erden, der zuerst nur ein paar Außenseiter im Stall von Bethlehem ergreift. Aber heute ist das eine Vision für die ganze Menschheit: Frieden quer zu allen Einteilungen und Unterschieden, über alle Frontlinien hinweg, die Menschen sonst voneinander trennen. Aber auch Frieden mit der Natur: es muss nicht so bleiben, dass der Mensch und seine Mitgeschöpfe sich fremd und feindlich gegenüberstehen und sich voreinander fürchten müssen.

Menschen wachsen über sich hinaus

Seit Jesus wird die Geschichte davon erzählt, wie Menschen über sich hinauswachsen und die Grenzen sprengen, die unüberwindlich schienen. Erst die Jünger Jesu, dann die Gemeinschaften seiner Nachfolger überall auf der Welt. Und das erreicht sogar Menschen, die vom Ursprung dieser Bewegung gar nichts wissen. Aber sie spüren, dass die Lebensenergie Gottes in der Welt erschienen ist und dass sich die Tür zu einer neuen, reicheren Welt geöffnet hat.

Es muss nicht so bleiben, wie es ist. Da ist ein ganzer Himmel voll besserer Möglichkeiten, und den Hirten wird es schon zu viel, als sie nur einen kleinen Ausschnitt davon zu Gesicht bekommen. Das sind universale Möglichkeiten, aber es sind genauso neue Wege auch für jeden Menschen und für alle menschlichen Gemeinschaften. Niemand muss mit einem unabänderlichen Schicksal leben, das über ihn verhängt ist. Jesus hat sein Leben lang Türen zu einem neuen Leben voller Freude und Glanz geöffnet.

Wahrscheinlich kennen wir alle noch die Erzählungen vom verschlossenen Weihnachtszimmer, in das die Kinder schließlich reindurften, wenn das Glöckchen klingelte. Und dann strahlte der Weihnachtsbaum jedenfalls für die Kinder in herrlichem Glanz. Wahrscheinlich ist da viel Idealisierung bei, aber vielleicht ist das ja – bewusst oder unbewusst – der Versuch gewesen, Kindern eine Ahnung davon zu geben, dass unser aller Leben von einem Glanz umgeben ist, von dem wir in unsern besten Augenblicken doch wenigstens eine Ahnung bekommen.

Bei manchem ist das nur ein dünner Strahl, bei anderen ist das voller und klarer: aber viel wichtiger ist, dass wir diesem Licht nachgehen, dass wir sehen, woher es kommt und wie wir in diesem Glanz unseren Weg finden.