Maria – der erste Mensch, der zu Jesus »Ja« sagte

Predigt am 16. Dezember 2001 (3. Advent) zu Lukas 1,26-38

Die Vorkonfirmandengruppe hatte im Gottesdienst ein Adventsspiel gezeigt, bei dem eine Blume aus dem Paradies weitergegeben wurde.

26 Als Elisabet im sechsten Monat war, sandte Gott den Engel Gabriel nach Nazaret in Galiläa 27 zu einem jungen Mädchen mit Namen Maria. Sie war noch unberührt und war verlobt mit einem Mann namens Josef, einem Nachkommen Davids. 28 Der Engel kam zu ihr und sagte: »Sei gegrüßt, Maria, der Herr ist mit dir; er hat dich zu Großem ausersehen!«

29 Maria erschrak über diesen Gruß und überlegte, was er bedeuten sollte. 30 Da sagte der Engel zu ihr: »Hab keine Angst, du hast Gnade bei Gott gefunden! 31 Du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären. Dem sollst du den Namen Jesus geben. 32 Er wird groß sein und wird ‚Sohn des Höchsten‘ genannt werden. Gott, der Herr, wird ihn auf den Thron seines Vorfahren David erheben, 33 und er wird für immer über die Nachkommen Jakobs regieren. Seine Herrschaft wird nie zu Ende gehen.«

34 Maria fragte den Engel: »Wie soll das zugehen? Ich bin doch mit keinem Mann zusammen!« 35 Er antwortete: »Gottes Geist wird über dich kommen, seine Kraft wird das Wunder vollbringen. Deshalb wird auch das Kind, das du zur Welt bringst, heilig und Sohn Gottes genannt werden. 36 Auch Elisabet, deine Verwandte, bekommt einen Sohn – trotz ihres Alters. Sie ist bereits im sechsten Monat, und es hieß doch von ihr, sie könne keine Kinder bekommen. 37 Für Gott ist nichts unmöglich.«

38 Da sagte Maria: »Ich gehöre dem Herrn, ich stehe ihm ganz zur Verfügung. Es soll an mir geschehen, was du gesagt hast.« Darauf verließ sie der Engel.

Gott hat gewartet — Jahrhundert um Jahrhundert. Bis es endlich so weit war, dass er Jesus zu uns schicken konnte. Aber es ist so, als ob Gott es gar nicht aushalten konnte, ohne wenigstens ein bisschen davon zu erzählen, was da noch passieren soll. Soviel er konnte hat er schon vorher erzählt.

Es sind ja nicht nur die Kinder, die auf ihre Geschenke warten, die es manchmal nur schwer bis zum Heiligen Abend aushalten. Auch wer ein tolles Geschenk für einen anderen gefunden hat, der kann es ja oft kaum abwarten, bis er es endlich geben kann. Und er würde am liebsten schon zu Nikolaus sagen: Weißt du, was du zu Weihnachten bekommst? Du wirst es nicht glauben: einen Elefanten! Aber das kann man ja nicht sagen, und deshalb macht man dann Andeutungen: ach, zu Weihnachten, da wirst du dich wundern, was du bekommst! Magst du eigentlich Afrika? Und hast du dir schon mal überlegt, was man alles in unsere Garage stellen könnte?

So hat Gott auch immer wieder Andeutungen gemacht, dass er noch ein ganz großes Geschenk für uns hat. Soviel er konnte, hat er schon angedeutet, und die Propheten, das waren die, die das schon am klarsten gehört haben, aber es hat dann doch noch lange gedauert, bis Maria zum ersten Mal erfuhr, was passieren sollte. Und auch sie hat sich kaum vorstellen können, was für ein Mensch ihr Sohn werden sollte.

Möchten Sie, möchtet ihr mit Maria tauschen? Als der Engel zu ihr kam, war Maria ungefähr 13 oder 14. Sie haben damals halt früh geheiratet, aber trotzdem – die war wirklich noch ziemlich jung. Und Gott nimmt sie trotzdem ganz ernst. Er fragt sie erst, ob sie bei seinem großen Plan mitmachen will. Sie hätte antworten können: »Nein, das ist mir zu riskant. Wie werden die Leute sich das Maul zerreißen, wenn ich jetzt ein Kind bekomme! Und was wird Josef sagen? Und überhaupt kommt mir das alles viel zu plötzlich. Such dir eine andere dafür.«

Aber sie sagt Ja. Sie übernimmt die Blume, die noch aus dem Paradies stammt, die beschädigt und zerrupft war durch die Irrwege der Menschen – aber jetzt ist sie wieder heil.

Gott hat schon gewusst, warum er gerade Maria gefragt hat. Er kannte sie gut genug, um zu wissen: bei der handele ich mir keine Absage ein. Die hat Mut genug, um sich auf so etwas einzulassen. Wenn sie dann sagt: »Ich gehöre dem Herrn, es soll an mir geschehen, was du gesagt hast«, das heißt: ich willige ein in ein ziemlich ungewisses Schicksal. Aber ich vertraue darauf, dass du für mich einen Weg findest, Gott. Du meinst es nicht schlecht mit mir, das weiß ich.

Aber auch wenn Maria am Ende gut reagiert, zuerst kriegt sie einen Schreck. So ein Engel begegnet einem ja nicht alle Tage. Und was er ihr dann sagt, da können wir uns was drunter vorstellen, weil wir jetzt Jesus kennen; aber zu hören: dein Sohn wird ‚Sohn des Höchsten‘ genannt werden, und er wird für immer über die Nachkommen Jakobs regieren – was wird Maria sich dabei wohl nur gedacht haben?

Aber sie hat sich diese Worte genau gemerkt. Wahrscheinlich hat Lukas, als er sein Evangelium schrieb, noch mit Maria selbst gesprochen, und sie hat ihm davon erzählt. Da war sie schon alt, eine richtige Oma, aber sie wusste noch gut, was damals alles passiert war bei der Geburt Jesu und davor.

Ich glaube, eins hat Maria damals gleich gewusst: von jetzt an ist nichts mehr wie früher. Jetzt ist etwas ganz anderes in meinem Leben drin, und ich kann nicht übersehen, wohin mich das noch führt. Gut, dass sie damals noch nicht wusste, was sie erwartete: ein Jahr später schon musste sie nach Ägypten fliehen mit dem Kind, weil der König Herodes es beseitigen wollte. Später verstand sie nicht, weshalb ihr Sohn Menschen um sich versammelte und zu ihnen redete. Und am Ende musste sie miterleben, wie er gekreuzigt wurde. Aber sie erlebte auch, dass er auferstanden ist und lebt und überall den Menschen durch ihn geholfen wird.

Maria war der erste Mensch, der Jesus sein Leben zur Verfügung gestellt hat. Und das macht auf der einen Seite Angst: auf was lasse ich mich da ein? Und auf der anderen Seite ist es ganz toll, wenn man miterlebt, wie Gott etwas Neues ausgerechnet in meinem Leben beginnt.

Man muss sich klarmachen, auch wenn Maria eine hoffnungsvolle junge Frau war – sie hatte im Grunde von ihrem Leben nicht mehr viel zu erwarten. Irgendwo hinter den sieben Bergen in Kleinkleckersdorf lebte sie. So ein Nest war Nazareth nämlich. Ihr Leben wäre normalerweise ziemlich festgelegt gewesen: erst der Mutter im Haushalt helfen, dann heiraten mit dem Hochzeitsfest als einsamen Höhepunkt des ganzen Lebens, und dann arbeiten, Kinder kriegen, arbeiten, und die Chancen waren groß, dass sie irgendwann bei der Geburt ihres soundsovielten Kindes sterben würde. Und das wäre es dann gewesen.

Verstehen Sie, versteht ihr, was ihr der Engel da ankündigt: nicht auf einem voraussehbaren Lebensweg gehen, sondern mit dabeisein, wenn Gott Neues schafft. Das ist ein gefülltes Leben in der Nähe Gottes. Und das geht nicht ohne Risiko, das geht nicht, ohne dass man sich einen Ruck gibt und die Probleme und Bedenken nach hinten schiebt und sagt: Ja, Gott, ich gehöre dir. Es soll mit mir so gehen, wie du es willst. Auch wenn ich noch nicht genau weiß, wo es hingeht. Aber ich gebe Jesus den Platz in meinem Leben, um den du mich bittest.

Und dieser Moment entscheidet über Marias Leben, so ein Moment entscheidet auch über unser Leben und gibt ihm die neue Richtung, und in diesem speziellen Fall hat die Antwort Marias Folgen für die ganze Welt. Gott will die ganze Welt retten, aber er bittet vorher ein dreizehn- oder vierzehnjähriges Mädchen um ihre Zustimmung dazu, dass er ihr Leben dafür in Anspruch nimmt.

Er will sie nicht überfahren und gegen ihren Willen in ihr Leben kommen, selbst für diesen wichtigen Zweck nicht. Gott stärkt immer unsere Person und unsere Freiheit. Er stärkt unsere Würde. Maria soll wissen, was mit ihr passiert, und es soll nur mit ihrer Zustimmung geschehen.

Gott weiß, wie schwer das für uns ist, weggeholt zu werden von dem Lebensweg, auf den wir uns eingestellt hatten. Aber genau das brauchen wir: dass Gottes Geist in unserem Leben einen Neuanfang setzt, nicht ein bisschen Flickwerk und Kosmetik, sondern ein Neuanfang, der nicht eine Weiterentwicklung des Vorhandenen ist.

Darum geht es, wenn hier so betont wird, dass Jesus ohne Zutun eines Mannes entstanden ist. Jesus ist ein Neueinsatz von Gott her, er ist nicht eine neue Kombination von alten Erbanlagen. Da kommt etwas von außen in unsere Welt hinein, was nicht hier seinen Ursprung hat. Wir hätten uns Jesus nie ausdenken können, wenn es ihn nicht gegeben hätte.

Wir haben vorhin im Spiel gesehen, wie sich im Laufe der Zeit die Erwartung eines Retters immer mehr zugespitzt hat. Die Blume, die wir weitergegeben haben, die ist ja ein Symbol dafür, wie Menschen etwas von Gott wussten und auf ihn gewartet und gehofft haben. Geknickt und beschädigt durch menschliche Sünde und Schwachheit, aber immer gab es Menschen, die auf Gott warteten. Immer wieder liest man im Alten Testament Hinweise auf den, der einmal kommen soll. Die Leute wünschten sich so sehr, dass sie das noch miterleben würden. Sie wussten: so viel Ungerechtigkeit und Unglück in der Welt – das passt einfach nicht mit Gott zusammen. Er wird etwas tun, damit es anders wird.

Und trotzdem, auch wenn man all diese Hinweise zusammennimmt, man würde nicht auf jemanden wie Jesus kommen. Deshalb haben viele Leute dann auch nicht geglaubt, dass Jesus der Retter von Gott wäre, weil sie sich den anders vorgestellt haben.

Aber weil Gott diesen Neuanfang macht, deshalb kann jeder von uns das Unerwartete erwarten. Die Welt, in der wir leben, ist kein abgeschlossenes System, das nur seinen eigenen Gesetzen gehorcht. Sondern sie ist offen dafür, dass Gott hineinwirkt. Deshalb können wir auch in ganz hoffnungslosen Situationen auf Gott hoffen, weil er Möglichkeiten hat, die nicht voraussehbar sind. Das passiert doch oft genug, dass man glaubt: diese Sache ist so verfahren, es kann doch nicht gut ausgehen – und dann betet man trotzdem, und am Ende gibt es eine Lösung, wo man sich sagt: so was Einfaches, da hätte ich doch auch drauf kommen können – aber man ist eben nicht darauf gekommen.

Noch einmal zum Schluss klar gefragt: Was ist die Blume hier, wofür steht sie? Die Blume ist ein Bild für die Gegenwart Gottes in unserem Leben. Im Paradies war das ganz unproblematisch, Gott kam zu Besuch und unterhielt sich mit Adam und Eva. Als sie sich nicht an seine Worte gehalten hatten, da kam auf einmal ein Riss zwischen Gott und die Menschen. Und mit jeder bösen Tat wurde der Riss schlimmer. Und die Menschen kannten Gott immer weniger. Das haben wir damit ausgedrückt, dass die Blume immer mehr Blätter verliert. Aber als Jesus kam, da war der Riss zwischen Gott und uns wieder überbrückt. Seit Bethlehem können wir wieder Gott begegnen. Die Blume blüht wieder voll. Und Gott bietet sie jedem an und fragt: willst du das, dass Jesus in dein Leben kommt? Er wird niemanden bedrücken, er respektiert unsere Würde und unseren Willen wie damals bei Maria. Aber es ist das Beste, was uns passieren kann: die Blume anzunehmen, und in unserem Leben Platz für Jesus zu machen.