Warten auf die gute Fee? Warum im echten Leben Zaubern selten hilft

Predigt im Besonderen Gottesdienst am 14. Oktober 2001 mit Kolosser 1,26-29

Im Gottesdienst war vorab eine Szene zu sehen, in der eine gute Fee Wünsche erfüllt. Außerdem Texte von einer Christin aus der Gemeinde, die unter schweren Auisfallerscheinungen durch ALS leidet.

26 Ich soll das Geheimnis enthüllen, das Gott seit Urzeiten allen Generationen verborgen gehalten hatte, jetzt aber denen offenbart hat, die er in seine Gemeinschaft rief. 27 Ihnen wollte er zeigen, was der herrliche Reichtum dieses Geheimnis für euch, die nichtjüdischen Völker, ist: Christus mitten unter euch, die Hoffnung auf Gottes Herrlichkeit. 28 Diesen Christus verkünden wir. Und wir ermahnen jeden Menschen und belehren jeden Menschen mit der ganzen Weisheit, die uns gegeben ist, um jeden Menschen in Christus vollkommen zu machen.
29 Eben dafür kämpfe ich und mühe mich ab, und Christus selbst wirkt durch mich mit seiner Kraft, die sich in mir als mächtig erweist.

Eine große Spannweite haben wir in diesem Gottesdienst durchmessen: Auf der einen Seite dieser Traum, den wir alle irgendwann mal träumen, dass eine Zauberfee in unser Leben kommt und die Probleme wegzaubert – und auf der anderen Seite der Bericht von einer, die gerade durch ihre Lähmung herausgefordert ist, den geringen Spielraum, den sie hat, maximal zu nutzen und nicht aufzugeben. Und mitten dazwischen zwei Taufen als Zeichen der Verbindung zu Jesus Christus, der in unserem Leben wirksam sein will, aber nicht wie eine Märchenfee.

Der Traum von der guten Fee ist ein irrealer Traum von der Welt. Nicht umsonst stellen wir uns Feen in pastellfarbenen, hellen Farbtönen vor, und sie sind unheimlich lieb und wunderbar sanft. Im realen Leben würden wir uns allerhöchstens Babies so vorstellen – aber wir wissen, dass Babies in Wirklichkeit die Welt sehr dramatisch erleben, dass sie viele Ängste haben und Schmerzen erleben, ohne zu verstehen, warum das so ist. Die Großeltern, die dürfen Babies einfach nur wohlverpackt und niedlich genießen, aber die haben es sich auch verdient: schließlich haben sie die anderen Seiten schon einmal bei ihren eigenen Kindern miterlebt und durchlitten.

Das wirkliche Leben packt uns nicht in Watte, und auch nicht in pastellfarbene Strampelanzüge. Wir würden uns da ja auch nicht wohlfühlen. Dieser Traum von der Fee, die uns alles aus dem Weg räumt, das ist ein Traum, der nicht zu Ende geträumt ist. Es gibt Wünsche, die kann man sich nur gestatten, weil man sich nicht vorstellt, wie es aussähe, wenn sie eintreffen würden. Wir haben das in der Szene am Anfang mal zu Ende durchgespielt, und die Konsequenz wäre ja, dass wir das Leben vermeiden müssten, weil es alles zu gefährlich ist und überall Leid entstehen kann. Dass das Leben lebensgefährlich ist, das hat schon Erich Kästner festgestellt. Aber es deshalb zu verschlafen, das ist auch keine Alternative.

Trotzdem wohnt in unseren Köpfen doch diese Sehnsucht, dass jemand anders für uns unser Leben in Ordnung bringt. Wenn der sich doch einfach nur anders verhalten würde, wenn mein Partner mehr Rücksicht nehmen würde auf mich, wenn meine Kinder kooperativer wären, wenn meine Eltern mich verstehen würden, wenn mir dieser Nachbar oder jener Kollege oder eben mein Chef das Leben nicht so schwer machen würde, wenn es doch überhaupt einen gäbe, der sich mehr um mich kümmern würde … ja, dann wäre alles anders. Und wenn wir es zu Ende denken, dann wissen wir: es wäre zunächst wohl eine Erleichterung, aber es würden neue Probleme kommen, und es bliebe uns nicht erspart, uns dann um die zu kümmern. Es bleibt uns nicht erspart, unser Leben selbst zu leben. Es gibt niemanden, der das für uns tun könnte.

Und nun kann man ja auch Gott in diese Rolle bugsieren, dass der sich doch eigentlich um mich kümmern müsste und mir die Probleme aus dem Weg räumen müsste, denn eigentlich könnte er das doch, und eigentlich würde ihn das doch keine Anstrengung kosten, genausowenig, wie Felinda sich mit ihrem Zauberstab anstrengen muss.

Aber Gott die Verantwortung für unser Leben zuzuschieben, das ist genauso falsch wie wenn wir einen Menschen dazu ausersehen. Wer sich das wünscht, der hat die Sätze über die Hilfe und den Beistand Gottes in den falschen Hals bekommen. Gottes Ziel ist es, uns durch die Gemeinschaft mit sich stark und verantwortlich zu machen. Unsere Wurzeln sollen bis zur Quelle des Lebens hinabreichen und uns von dort aus versorgen. Und dann werden wir behütet werden und wunderbare Dinge erleben. Aber der Kern ist diese Verbundenheit mit Gott, mit Jesus. Wie wir es vorhin im Kolosserbrief gehört haben, und wie es auch auf dem Gottesdienstblatt abgedruckt ist: wir möchten alle dahin bringen, dass sie vor Gott dastehen in der Vollkommenheit, die aus der Verbindung mit Christus erwächst. Das ist Gottes Ziel, denn der Apostel, der das geschrieben hat, teilt Gottes Ziele: Vollkommenheit durch die Verbindung mit Jesus. Mit Vollkommenheit ist nicht die Hundert-Prozent-Marke gemeint, die wir per Definition sowieso nie erreichen, sondern es ist gemeint, dass wir ganz von Jesus geprägt werden, ohne Lebensbereiche, wo wir ihn nicht heranlassen. Dass es keine Tabuzonen gibt, wo wir beleidigt reagieren, wenn jemand da den Finger drauf legt.

Vollkommenheit durch die Verbindung mit Jesus – das bedeutet, dass wir auch die dunklen Seiten des Lebens so angehen, wie er es getan hat. Jesus hat sich den nicht pastellfarbenen Seiten des Lebens immer gestellt. Er hat den Dämonen ins Angesicht gesehen und hat die Kranken angerührt. Und vor seinem Tod ist er nicht weggelaufen, sondern er ist offensiv auf die Auseinandersetzung mit seinen Feinden zugegangen, im Wissen, dass ihn die das Leben kosten würde. Jesus konnte das, weil er sich sein Vertrauen in die lebensspendende Kraft Gottes nie hat nehmen lassen. Sein Verständnis war nicht, dass Gott ihm das Schwere ersparen sollte, sondern er erwartete, dass er in jeder Lage aus seiner Verbindung zu Gott handeln könnte, und dass das nicht vergeblich sein würde. Jesus ging nicht am Dunkel vorbei, sondern hindurch, und dadurch brachte er Licht ins Dunkle, und es wurde hell.

Damit hat er etwas einmaliges getan. Das hätten wir nicht gekonnt, ohne Vorbild und ohne Garantie, dass es gut ausgeht. Er war der erste, der das getan hat. Aber er hat Nachfolger berufen, die auf diesem Weg hinter ihm hergehen sollten. Er hat ihn uns ja gebahnt. Und auch in unserem Leben sollen sich Kreuz und Auferstehung widerspiegeln: das Kreuz bedeutet alles Dunkle, Böse und Bedrückende in der Welt, an das sich ein Mensch im Vertrauen auf Gottes Lebenskraft heranwagt. Und die Auferstehung bedeutet den Sieg darüber: dass Gott uns erleben lässt, wie Tod und Unfreiheit zurückweichen müssen. Das beides soll im Leben eines Christen sichtbar werden, das ist die Vollkommenheit, von der Paulus schreibt.

Wir werden die Konfrontation mit dem Dunkel nur selten selbst suchen. Oft ist das ein Schicksal, das über uns kommt, ein Los, das wir uns nicht selbst ausgesucht haben, wie so eine Muskelkrankheit, die völlig ungeplant ein Leben in eine andere Richtung lenkt. Und dann muss man sich besinnen und sich fragen: wie will ich jetzt damit umgehen? Und aus welchen Wurzeln lebe ich?

Und so eine Weltlage, wie wir sie jetzt haben, die hat sich keiner gewünscht, und die Menschen, die jetzt vor Krieg und Bomben fliehen, erst recht nicht. Aber wenn die Zeiten schlecht werden, dann muss man lernen, aus tieferen Wurzeln zu leben. Und nun ist es ja doch nicht so, dass wir vor allem in Reaktion auf Schicksalsläufe zu Gott finden sollen, auch wenn das oft passiert; und wenn es nur dazu führt, dass wir Gott neu entdecken, dann ist das in Ordnung. Aber eigentlich hat Jesus uns dazu berufen, dass wir nicht abwarten, bis es uns trifft, sondern damit wir aktiv und offensiv Bürger seines Reiches sind. Dass wir uns für ihn nicht erst dann öffnen, wenn gar nichts anderes mehr hilft, sondern dass wir uns schon lange vorher mit seiner Kraft füllen lassen, damit wir dann auf alles zugehen können, was in der Welt versöhnt und geheilt werden muss. Dabei wird es genügend Gelegenheiten geben, die Dynamik von Kreuz und Auferstehung am eigenen Leibe und in der eigenen Seele zu durchleiden. Und das bereitet uns am besten vor auf die ungewählten Begegnungen mit dem Dunkel, die es dann immer noch genügend geben wird.

Nicht die Märchenfee, sondern Kreuz und Auferstehung, das ist die Logik, nach der Gott in der Welt wirkt. Er sucht nach Menschen, die bereit sind, sich auf diesen Weg einzulassen. Menschen mit dem Kreuzzeichen zu segnen und sie zu taufen, das heißt: wir sprechen diese Logik über ihnen aus, und nach dieser Logik sollen sie leben. Auch über uns selbst ist diese Logik einmal ausgesprochen worden. Gott ruft uns dazu, dieser Logik von uns aus Raum zu geben. Nicht abzuwarten, bis uns nichts anderes mehr übrig bleibt.

Wenn diese Logik uns bestimmt, dann werden wir reife Menschen. Dann stehen wir der Welt frei gegenüber. Dann fürchten wir uns nur noch so lange, bis wir uns wieder an die Kraft Gottes erinnert haben. Nur reife Menschen sind frei. Unreife Menschen sind nicht frei, auch wenn sie hartnäckig darauf bestehen, dass ihnen niemand etwas zu sagen hat. Frei werden Menschen, die sich den Dunkelheiten der Welt gestellt haben und gelernt haben, an der Hand Jesu da hindurchzugehen. Er hat uns diesen Weg gebahnt, und er gibt uns die Hand, damit wir ihn nicht allein gehen müssen.