Nicht großartig, sondern dienend
Predigt am 8. Juni 2025 (Pfingsten I) zu Johannes 14,15-27
Der Predigttext stammt heute aus dem 14. Kapitel des Johannesevangelium. Ausnahmsweise werde ich den heute nicht am Anfang vorlesen, sondern ihn stückweise in die Predigt einbauen. Er ist nämlich ziemlich lang und kompliziert. Das fängt schon damit an, dass die Szene, um die es geht, am Abend vor Karfreitag spielt, also am Gründonnerstag, als Jesus zum letzten Mal vor seinem Tod mit den Jüngern zusammen ist. Er gibt ihnen aber schon einen Vorblick auf die Zeit nach seiner Auferstehung, wenn er ihnen den Heiligen Geist senden wird. Deshalb ist dieser Gründonnerstagstext tatsächlich ein Text für Pfingsten.
Der Rahmen: die Fußwaschung
Drei Evangelien erzählen davon, dass Jesus am Gründonnerstag den Jüngern gezeigt hat, wie sie Abendmahl feiern sollen. Johannes macht es in seinem Evangelium anders. Ich glaube, er hat gedacht: über das Abendmahl ist genug geschrieben worden, ich schreibe deshalb über die Fußwaschung, das hat noch kein anderer gemacht.
Abends die Füße zu waschen war damals dringend nötig, wenn man den ganzen Tag nur mit Sandalen über dreckige Straßen und Wege gelaufen ist. Kehrmaschinen waren unbekannt, Müllabfuhr ebenso, und so waren die Wege nicht nur voller Staub, sondern da hatten auch Tiere und Menschen hingeschissen, und die Reste aus der Küche flogen auch in hohem Bogen auf die Straße. Was da alles abends an den Füßen klebte, das war eklig.
Kein Wunder, dass reiche Leute Bedienstete hatten, die ihnen die Füße waschen mussten. Aber selbst jüdische Sklaven durfte man zu dieser unreinen Arbeit nicht zwingen. Deswegen mussten dann ausländische Sklaven ran. Das heißt: anderen die Füße zu waschen war ein Zeichen, dass man ganz unten auf der sozialen Leiter stand.
Das wahre Bild Gottes
Und dann wäscht ausgerechnet Jesus seinen Jüngern die Füße. Jesus, ihr Meister und Chef, der Sohn Gottes, zieht den Schmutzkittel an und putzt seinen Jüngern den Modder ab. Und er zeigt damit: ich vertrete den Gott, der sich um euren Dreck kümmert.
Aber es geht noch weiter. Anschließend sagt er: macht das auch so. Wascht einer dem anderen die Füße. Seht zu, dass ihr euch zum Diener der anderen macht. Kümmert euch um den Dreck, der an anderen klebt. Ich habe es euch vorgemacht, macht es mir nach, und dadurch werdet ihr sein wie Gott.
Menschen sind ja bestimmt zum Bild Gottes. Das heißt aber gerade nicht, dass wir besonders imponierend, großartig oder dominierend sein sollen. Es heißt auch nicht, dass wir uns entrüsten sollen über den Dreck, der an anderen klebt. Es bedeutet, dass wir ihn geduldig wegputzen, auch wenn wir dabei dreckige Finger bekommen. Und es bedeutet, dass wir uns nicht blenden lassen von Menschen, die den Eindruck verbreiten, sie wären besonders wichtig. Damit wir auf diese Weise Gott widerspiegeln, brauchen wir seinen Geist, den Heiligen Geist.
Eine Gemeinschaft des Dienens
Das ist der Rahmen für den Text heute: Jesus wäscht den Jüngern die Füße und zeigt damit, dass er auf Erden eine Gemeinschaft des Dienens hinterlassen will, wenn er zu seinem Vater zurückgeht. Und der Heilige Geist wird die Jesusleute immer wieder an dieses Ziel erinnern. Dafür ist er da. Wenn man das im Kopf hat, versteht man die ersten Verse des Predigttextes aus Johannes 14:
15 »Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten. 16 Und der Vater wird euch ´an meiner Stelle` einen anderen Helfer geben, der für immer bei euch sein wird; ich werde ihn darum bitten. 17 Er wird euch den Geist der Wahrheit geben, den die Welt nicht bekommen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Aber ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. 18 Ich werde euch nicht als hilflose Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. 19 Nur noch kurze Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber werdet mich sehen, und weil ich lebe, werdet auch ihr leben.
Wenn man diesen Text aus seinem Zusammenhang heraus versteht, dann bekommen die Worte eine etwas andere Bedeutung, als wir sie spontan verstehen. Zuerst die »Gebote« Jesu. Wir denken dabei an eine Liste wir die 10 Gebote – aber es geht gerade nicht um eine Liste von Vorschriften, die man abhaken kann, sondern es geht um dieses Vorbild des dienenden Jesus, der den Jüngern die dreckigen Füße wäscht.
Was ist Wahrheit?
Und die »Wahrheit«, die der Heilige Geist bringt, ist nicht einfach, dass man tut, was man sagt und sagt, was man tut. Wahrheit heißt, dass man in Übereinstimmung ist mit den Mustern, nach denen die Welt funktioniert, weil Gott sie in die Schöpfung hineingelegt hat. In der Schöpfung dient eins dem anderen, nichts und niemand ist nur für sich selbst da. Die Schöpfung ist eine große vernetzte Gemeinschaft, wo alle Teile wichtig sind. Und wenn Jesus den Jüngern die Füße wäscht, dann wird an ihm die göttliche Wahrheit sichtbar, dass niemand für sich selbst da ist.
Und wir haben zusätzlich zu dem Gebot »dient einander« dieses Bild von Jesus, der den Jüngern die Füße wäscht. Damit haben wir einen Maßstab: wer macht die Dreckarbeit? Wer kümmert sich wirklich, und wer möchte nur selbst glänzen? Das passiert leider oft, dass Menschen hereinfallen auf Figuren, die nur ihre eigene Großartigkeit im Sinn haben. Jesus macht hier deutlich: ihr sollt eine Gemeinschaft sein, in der solche Blender keine Bühne bekommen. Einfach weil alle sie sofort durchschauen. Weil ihr eine Gemeinschaft seid, die von Gottes heiligem Geist inspiriert wird. Das ist hier mit »Wahrheit« gemeint.
Was ist Leben?
Genauso, wenn Jesus über das »Leben« spricht: damit meint er nicht einfach nur, dass wir atmen und das Blut in unseren Adern kreist. »Leben«, wie Jesus es versteht, ist das volle, große Leben, durch das alle Geschöpfe aufblühen. Dieses Leben kann man nicht für sich allein haben, sondern immer nur mit anderen zusammen. Und deshalb sollen die Leute Jesu eine Gemeinschaft sein, in der man sich gegenseitig »die Füße wäscht«, also sich nicht zu schade ist für die Beschmutzungen und Beschädigungen, die andere mit sich tragen. Das ist das »Leben«, das Jesus meint.
Das ist vielleicht schwer zu tun, aber doch wohl gut zu verstehen. Einer von den Jüngern hat jedoch ein Problem entdeckt und fragt folgendermaßen nach:
22 Da fragte ihn Judas (der andere Judas, nicht Judas Iskariot): »Herr, wie kommt es denn, dass du dich nur uns zu erkennen geben willst und nicht der Welt?« 23 Jesus gab ihm zur Antwort: »Wenn jemand mich liebt, wird er sich nach meinem Wort richten. Mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen. 24 Wer mich nicht liebt, richtet sich nicht nach meinen Worten. Und was ich euch sage, ist nicht mein Wort; ihr hört das Wort des Vaters, der mich gesandt hat.
Der Einwand ist: warum beschränkst du die Wirkung des Heiligen Geistes auf deine Leute? Wäre es nicht besser, du würdest alle Menschen so beeinflussen, dass sie nach diesem Muster des Dienens handeln? Wäre die Welt dann nicht viel besser?
Und in etwas anderer Formulierung fragen das ja Menschen bis heute: könnte Gott nicht einfach die Menschen so erschaffen, dass sie von vornherein friedlich und freundlich sind? Wäre das nicht viel einfacher?
Gott zwingt nicht
Aber Jesus sagt: Es gibt eben Menschen, die mögen das nicht, was ich verkünde. Dann kann der Heilige Geist auch nicht zu ihnen kommen. Das ist kein Geist, der Menschen überwältigt gegen ihren Willen. Er kommt, wenn du ihn haben möchtest. Er kommt, wenn dich dieses Bild des demütigen Jesus überzeugt, wenn es dir einleuchtet und du auch so sein möchtest. Dann kommt der Geist und hilft dir dabei. Aber nicht jeder will das. Viele wollen lieber glänzen. Und dann kommt der Geist nicht. So ist es nun mal.
Jesus hätte vielleicht noch sagen können: indem Gott Menschen schuf, die frei sind, haben sie auch die Freiheit, sich von ihrem Schöpfer abzuwenden. Gott zwingt niemanden, ihn und seine Wahrheit zu lieben. Aber dann werden sie auch seinen Frieden nicht erleben. Davon redet der letzte Teil unseres Textes:
25 Diese Dinge sage ich euch, solange ich noch bei euch bin. 26 Der Helfer, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, wird euch alles ´Weitere` lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. 27 Was ich euch zurücklasse, ist Frieden: Ich gebe euch meinen Frieden – einen Frieden, wie ihn die Welt nicht geben kann. Lasst euch durch nichts ´in eurem Glauben` erschüttern, und lasst euch nicht entmutigen!
Jesus sagt: der Weg, den ich euch zeige, ist der Weg zum Frieden. Wo Menschen mit ihrem Ego glänzen wollen, gibt es über kurz oder lang Streit, Zank und manchmal sogar Krieg. In der vergangenen Woche haben wahrscheinlich viele von uns mitbekommen, wie Elon Musk und Donald Trump aneinander geraten sind: der reichste Mann der Welt und der mächtigste Mann der Welt. Beide nicht bekannt für ihre Bereitschaft zu demütigem Dienst an anderen. Die bewegen sich beide in gesellschaftlichen Bereichen, an die wir nie herankommen würden. Aber wie gewöhnlich und banal geht es auch da zu, wenn sie sich gegenseitig mit Schmutz bewerfen. Wie wenig friedlich sind die in sich selbst, wie unglücklich müssen die sein, dass sie das nicht anders hinkriegen. Wie abhängig von ihrem Geld und von dem, was andere über sie sagen.
Was ist Frieden?
An solchen Punkten müsste auch dem Uneinsichtigsten klar werden, wohin diese ganze Großartigkeit führt. Der Friede, den Jesus gibt, funktioniert ganz anders. Und deswegen sollen wir uns nicht von den Blendern und ihrem Scheinglanz beeindrucken lassen. Über kurz oder lang ist da immer der Lack ab. Wir sollen es ihnen nicht nachmachen und wir sollen uns von solchen Leuten nicht täuschen lassen, weder auf der politischen Bühne noch in unserem persönlichen Umfeld. Wir sollen den Unfrieden in einem Menschen spüren, nicht erst, wenn er unübersehbar ist, sondern schon lange vorher, wenn die anderen noch darauf hereinfallen.
Dazu lasse ich euch den Heiligen Geist da, sagt Jesus. Er wird euch alles lehren, das heißt: er wird euch helfen, immer wieder neu dieses Muster zu erkennen, das ich euch hinterlassen habe, und auch das Gegenteil. Im christlichen Zeitalter müssen ja sogar die Mächtigen so tun, als ob es ihnen tatsächlich ums Dienen ginge. Es ist nicht mehr so einfach zu erkennen, wer wirklich anderen dient, und wer nur so tut als ob. Aber der Heilige Geist soll uns so in der Wahrheit verankern, dass wir einen klaren Blick haben. Und er soll uns immer neu an das Bild des dienenden Jesu erinnern, der seinen Jüngern die Füße wäscht. Das könnte uns immun machen gegen die Großartigen, die meinen, sie wären der eigentliche Mittelpunkt der kleinen oder großen Welt, in der sie leben.
Ein wirksames Muster
Jesus hat eine inspirierte Gemeinschaft hinterlassen, in der es anders zugeht als in den Reichen der Welt. Sie ist nicht dasselbe wie die organisierte Kirche« , obwohl das – Gott sei Dank! – auch nicht ganz auseinander fällt. Es ist die Gemeinschaft derer, die Jesus lieben und sich an seinem Bild orientieren. Die sich von diesem Bild prägen lassen und sich mit Hilfe des Heiligen Geistes allmählich von allem trennen, was diesem Bild widerspricht.
Das ist ein sehr bescheidenes Bild von der Art, wie die Christenheit in der Welt wirken soll. Aber damit sind wir das Bild Gottes in dieser Welt. Gott wirkt auch in dieser bescheiden dienenden Art. Und auf die Dauer hat er damit tiefere Spuren hinterlassen als alle glänzenden Persönlichkeiten, die sich von anderen bedienen und bewundern lassen wollten.