Das entscheidende Signal

Predigt am 14. März 2021 zu Johannes 12,20-25

20 Unter den Pilgern, die beim Fest Gott anbeten wollten, gab es auch einige Griechen. 21 Diese traten an Philippus heran, der aus Betsaida in Galiläa stammte, und baten ihn: Herr, wir möchten Jesus sehen. 22 Philippus ging und sagte es Andreas; Andreas und Philippus gingen und sagten es Jesus.

23 Jesus aber antwortete ihnen: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird. 24 Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht. 25 Wer sein Leben liebt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.

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Bild von Ulrike Leone auf Pixabay

Wir sind hier an einem Wendepunkt im Johannesevangelium. Es ist der Tag, an dem Jesus endgültig realisiert, dass es nun so weit ist: jetzt steht sein Tod bevor.

Es ist die Woche vor dem Passafest. Jesus ist schon in Jerusalem, im Zentrum des Landes. Die Stadt füllt sich allmählich mit Touristen und Pilgern, die beim Fest dabei sein wollen. Die Hauptstadt ist die Bühne der Nation, das Zentrum, wo sich die gesellschaftlichen Kräfte zusammenballen, wo sich die Konfliktlinien schneiden. In Galiläa, der entfernten Provinz, wo Jesus herkommt, das war es einfacher. Übersichtlicher. Entspannter.

Jetzt wird es ernst

In Jerusalem wird es ernst. Der Tempel ist das Machtzentrum, und gleich daneben liegt die römische Garnison, die militärische Macht. Was hier passiert, hat internationale Bedeutung. Erst recht, wenn sich Menschen aus der ganzen Mittelmeerwelt zum Fest versammeln.

Und da werden Besucher aus Griechenland auf Jesus aufmerksam. Irgendwie hat sich rumgesprochen, dass hier ein außergewöhnlicher Mensch zu finden ist. Vielleicht sind diese Griechen einfach nur neugierige Touristen, die sich nichts entgehen lassen wollen. Vielleicht treibt sie aber auch ein ehrliches spirituelles Interesse. Und sie versuchen, einen Termin bei Jesus zu bekommen.

Und als Jesus das hört, ist es für ihn ein Signal: jetzt ist die Zeit gekommen, dass ich meine Mission hier zu Ende bringe. Jetzt ziehe ich schon die ersten Kreise über Israel hinaus. Damit ist meine Mission fast erfüllt – nur noch eins fehlt, und das ist mein Tod. Und deshalb kommt der – jetzt.

Jesus: das Volk Gottes in 1 Person

Es war Jesu Auftrag, als wahres Glied des Volkes Gottes das zu erfüllen, was eigentlich der Auftrag des ganzen Gottesvolks war. Jesus sollte zeigen, wie ein Menschenleben aussieht, das ganz von Gottes Geist geprägt ist, ein Menschenleben, das anders ist als das Leben, wie wir es sonst kennen. Ein Leben, das richtig und gerecht ist in Gottes Augen.

Unsere Normalerfahrung vom Leben ist, dass menschliche Existenz tief hineinverwickelt ist in Unrecht und Gewalt, Angst und Überheblichkeit und viele andere zerstörerische Dinge. Bei den einen ist das offensichtlich, bei anderen gut versteckt. Und auch wir hier in einem zivilisierten Land wie Deutschland, wo man verhältnismäßig selten unter Gewalt und Willkür leidet, auch wir sind hineinverwickelt in die globalen Zerstörungen. In vielen Ländern wird mit deutschen Waffen getötet, in vielen Ländern arbeiten Menschen unter miesen Bedingungen für uns, und die ganze Schöpfung leidet auch unter unserem Lebensstil. Und all das versperrt dem Heilgen Geist den Weg, und wir leben dann ohne ihn.

Und alle denken, das wäre alternativlos.

Deshalb ist es die Aufgabe des Gottesvolkes, eine Alternative zu sein. Zu zeigen: eine andere Art zu leben ist möglich. Und wenn das Volk Gottes das nicht hinkriegt, dann schickt Gott Jesus, damit jedenfalls er die Alternative ist: ein Mensch, der zeigt, dass man auch mitten im falschen Leben ein richtiges und gerechtes Leben leben kann, ein Leben mit Gott und in seinem Sinn.

Eins fehlt noch

Und das hat er getan: hat Menschen geheilt und befreit, ermutigt und ihnen die Augen geöffnet für die Gegenwart Gottes auch in dieser beschädigten und beschmutzten Welt. Auf immer neue Weise hat er das getan, und die Menschen waren fasziniert davon.

Aber eins fehlt noch. Zu jedem Menschenleben gehört auch der Tod. Und viel zu oft ist das kein friedlicher, geschützter, begleiteter Tod, sondern ein brutales, grausames, gewaltsames Ende. Wie kann man mitten in so einem Lebensende immer noch Mensch Gottes sein und bleiben? Wie kann man da durchgehen, ohne zu zerbrechen, und ohne dass diese Todeswelt sich in einen hineinfrisst und ihre Spuren von Hass und Verzweiflung auch im eigenen Herzen hinterlässt? Kann man noch Mensch Gottes sein in der Hölle von Folter und grausamem Sterben? Wie soll das gehen?

Wenn Jesus das ganze Menschenleben annehmen soll, dann kann er sich diese Wirklichkeit des Sterbens nicht ersparen. Auch das muss er auf sich nehmen. Und jetzt, als die Griechen auf ihn aufmerksam werden, da versteht Jesus: jetzt ist es soweit. Das ist das Letzte und Schwerste, was ich noch zu tun habe, um meine Mission zu erfüllen. Alles andere ist fertig. Und er sagt: »Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird.« Die entscheidende Stunde, mit der er sein Werk vollendet. Seinem Weg treu bleiben bis zum letzten Atemzug. Das wird er tun, und das nennt er »Verherrlichung«.

Die Logik der neuen Welt Gottes …

Und dann gibt es einen Schwenk und Jesus spricht davon, wie er das auf sich nehmen wird, welche Wahrheit ihn leiten wird, welche Einsichten seinem Handeln zugrunde liegen, und wie das dann auch für seine Jünger gelten soll: »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.« Was heißt das?

Alles Leben will sich vermehren. Alles hat seinen Sinn nicht in sich selbst. Und wenn ein Weizenkorn auch das schönste, vollendetste, aromatischste, größte und wohlgestaltetste Weizenkorn der Welt wäre – was würde es nützen, wenn es nicht ausgesät würde und neue Weizenkörner hervorbringt? Im Klartext heißt das: Was würde das gute und gerechte und geisterfüllte Leben Jesu nützen, wenn es keine Nachfolger hervorbringt?

Aber das gerechte Leben Jesu muss erst diese Todesprobe bestehen, Jesus muss erst den Tod besiegen, bevor er Menschen aus der Todeswelt herausholen kann. Neues Leben wächst immer nur so, dass Menschen etwas von sich selbst einsetzen. Menschen müssen etwas aufgeben, etwas opfern, damit Neues wachsen kann. Liebe fordert immer auch einen Preis, einen Einsatz. Das ist nicht immer gleich das Leben, aber es kostet etwas. Das ist schon in unserer alten Welt so, und das gilt erst recht für die neue Welt, die mit Jesus beginnt.

… sogar mitten in Bedrückung

Deshalb fährt Jesus fort: »Wer sein Leben liebt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.« Das heißt nicht, dass wir unser Leben künstlich arm und karg machen oder dass wir jetzt nur noch in Sack und Asche herumlaufen sollen. Aber es heißt, dass es das Leben verdirbt, wenn wir es um jeden Preis festhalten und kontrollieren wollen.

Wer seine Kinder nicht zu erwachsenen Menschen heranwachsen lassen will, sondern sie gern für immer klein und knuddelig haben möchte, der wird sie verlieren. Wer glaubt, er hätte ein Recht darauf, im Urlaub zu seiner Trauminsel am anderen Ende der Welt zu düsen, trägt dazu bei, dass die Trauminsel vom steigenden Meeresspiegel verschluckt wird. Wer immer nur nehmen will und niemandem etwas schenken, der ist am Ende wirklich tot, und keiner weint ihm eine Träne nach.

Aber andersherum: wer die Sorge um sein Leben Gott überlässt und Gottes Reich und Gottes Gerechtigkeit an die erste Stelle setzt, für den sorgt Gott. Dessen Leben wird Gott verwandeln, erneuern; umformen in das große und starke Leben, das aus Gott fließt und das nicht mehr von der Todeswelt geprägt ist. Und so ein Leben kann sogar mitten in Not und Katastrophen wachsen.

Tod und Auferstehung in einem Satz

Das ist die Überzeugung, mit der Jesus auf seinen Tod zugeht: Gott wird für mich sorgen, wenn ich tue, was er von mir will. Gott ist Liebe, und er wird das Seine tun, wenn ich nach der Logik der Liebe handle. Und Gott blieb wirklich seinem Versprechen treu: Er erweckte ihn von den Toten in das neue, große Leben hinein, über das der Tod keine Macht mehr hat. Jesus wurde nicht enttäuscht.

Tod und Auferstehung, Karfreitag und Ostern, es ist alles drin in diesem Satz: »Wer sein Leben liebt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.« Das ist die Logik der neuen Welt Gottes, und sie gilt im Großen wie im Kleinen.

Das Allergrößte war es, als Jesus so sein Leben Gott anvertraut hat; und er wurde nicht enttäuscht. Und wenn dieser Satz an jenem Tag in Jerusalem wahr wurde, dann wird er erst recht bei all den kleinen und großen Gelegenheiten wahr werden, bei denen hoffentlich auch wir auf ihn vertrauen.