Jesus als Mittel für unsere Zwecke?

Predigt am 10. Juli 2005 zu Johannes 6,30-35

30 Da sprachen sie zu Jesus: Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du? 31 Unsre Väter haben in der Wüste das Manna gegessen, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): »Er gab ihnen Brot vom Himmel zu essen.«
32 Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. 33 Denn Gottes Brot ist das, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben.
34 Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot.
35 Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.

Kurz bevor die Menschen zu Jesus kommen und von ihm ein Zeichen verlangen, hat er gerade 5000 Menschen gesättigt mit zwei Broten und fünf Fischen, am Ufer des Sees Genezareth. Genau das Zeichen hat er ihnen gegeben, aber anscheinend reicht das nicht, damit ihnen die Augen aufgehen. Was klemmt da eigentlich?

Wir haben vorhin in der Lesung die Geschichte gehört, wie die erste Gemeinde in Jerusalem gelebt hat (Apostelgeschichte 2,41-47). Und da gibt es ja im Grunde auch ein Speisungswunder: die Menschen teilen das Hab und Gut miteinander, und auch da werden alle satt, wirklich nicht nur einmal, sondern allezeit, Tag für Tag.

Das ist natürlich auf den ersten Blick längst nicht so erstaunlich und wunderbar, wie wenn Jesus mit einer kleinen Menge Lebensmittel eine riesige Menschenansammlung ernährt. Aber wenn wir es mal vergleichen: die größere Veränderung hat es ohne Zweifel später in der ersten Gemeinde gegeben. Wenn Menschen ganz selbstverständlich die ärmeren Brüder und Schwestern miternähren, das ist ein ziemliches Wunder; da muss sich schon viel bewegt haben in den Herzen. Wir kennen so was nur innerhalb staatlicher Pflichtinstitutionen, also über Sozialhilfe und Kranken- und Rentenversicherung, und auch da scheint es ja im Augenblick schwierig zu sein, die Bedürftigeren mit durchzuziehen. Aber damals in Jerusalem gab es eine große Gruppe von Menschen, die ohne Gesetz und ohne irgendeine Vorschrift dafür sorgte, dass unter ihnen niemand Mangel leiden musste. Was muss sich da verändert haben! Die 5000 Leute dagegen, die von Jesus am See auf wunderbare Weise mit Essen versorgt wurde, die konnten dieselben bleiben, auch wenn sie wunderbares Brot gegessen hatten.

So gesehen, ist die Geschichte von der ersten Gemeinde in Jerusalem und ihrer selbstverständlichen Solidarität eine viel überzeugendere Erfolgsgeschichte. Veränderte Menschenherzen sind eine viele größere Sache als wunderbar gefüllte Mägen. Tatsächlich – auch für Jesus war das viel schwieriger. Er hat es damals am See Genezareth zwar geschafft, die Menschen satt zu bekommen, aber er hat es nicht geschafft, ihre Herzen zu verändern. Wir denken heute: wenn er aus ein bisschen Nahrung genug für 5000 machen kann, dann müssten sie doch völlig von ihm überzeugt sein. Aber so hat es nicht funktioniert! Im Gegenteil, sie fangen an, mit ihm zu streiten, und etwas später verliert er deswegen den größeren Teil seiner Jünger. Das muss man sich mal klar machen: Jesus tut ein Riesenwunder, und was ist die Folge? Ein Haufen seiner Anhänger verabschiedet sich.

Menschen nehmen in der Regel gern Wunder entgegen, aber sie sind nicht unbedingt begeistert, wenn sie sich in ihrer Person ändern sollen. Ich habe mal die Geschichte von jemandem gehört, der Lungenkrebs hatte, und Lungenkrebs ist eine der brutalsten Krebsarten, der wächst rasend schnell, drei Monate nach der Diagnose kann man tot sein. Aber dann hat jemand für ihn gebetet, und der Tumor war weg, einfach weg, das Röntgenbild war wieder einwandfrei. Ein wirkliches Wunder. Nur – nach einem halben Jahr kam er zurück und sagte: du musst noch einmal für mich beten. Da ist schon wieder so ein Schatten auf dem Röntgenbild. Und dann haben sie sich gefragt: wie kann Gott das zulassen, erst so wunderbar geheilt, und dann kommt die Krankheit zurück? Wie kann das sein? Du hast doch jetzt nicht weiter geraucht. Doch, sagte der Mann, geraucht habe ich weiter. Was soll man dazu sagen? Das Herz kann schwerer zu heilen sein als die Lunge.

Wie gesagt, ich kenne das nur vom Hörensagen und weiß nicht, wie es dann ausgegangen ist, aber das ist genau der Punkt, an dem Jesus die Hauptschwierigkeit mit Menschen hat, und gerade im Johannesevangelium kommt das wieder und wieder. Statt zu überlegen, wie ihr Leben mit ihm in Einklang kommen kann, kommen sie zu Jesus und fordern: Damals bei Mose haben sie Manna vom Himmel bekommen, wunderbares Brot, Himmelsbrot, und was tust du, damit wir dir glauben?

Und dann sagt Jesus: Moment mal, ihr bringt da was durcheinander. Nicht Mose hat den Leuten das Brot gegeben, sondern Gott selbst, ohne Beteiligung eines Menschen. Das Manna fiel direkt vom Himmel. Und das ist nicht nur eine Frage der demütigen Ausdrucksweise, so nach dem Motto: wir als Menschen können ja doch nichts tun, das muss alles Gott tun. Nein, wenn ihr vergesst, dass das Manna ohne Beteiligung des Mose direkt vom Himmel kam, dann vergleicht ihr die falschen Dinge miteinander. Das Brot bei meiner Speisung der 5000 kam nicht direkt von Gott wie das Manna, das Brot kam von mir. Deswegen müsst ihr das Speisungsbrot vom See Genezareth nicht mit dem Manna vergleichen, und ihr müsst auch nicht mich und Mose miteinander vergleichen, sondern mich und das Manna. Das Manna kam direkt von Gott, auch wenn es nur schlichte Nahrung war und kein Engelsbrot oder so. Auch ich komme direkt von Gott, aber ich bin das Brot des Lebens. Es gibt also zwischen mir und dem Manna eine Gemeinsamkeit – der Ursprung ist Gott selbst ohne Umweg. Aber es gibt auch einen gravierenden Unterschied – das Manna in der Wüste ist schlicht Nahrung und nichts anderes. Man kann sich 40 Jahre von dem Manna ernähren, ohne im Herzen verändert zu werden, und am Ende stirbt man so wie alle anderen. Aber wer sich von mir ernährt, wer an mich glaubt, wer mich in sich aufnimmt, der wird verändert, er wird ein neuer Mensch.

Deswegen war das Manna nicht das Brot des Lebens, auch wenn es eine wunderbare Gabe Gottes war und das Volk Israel damit 40 Jahre überlebt hat. Das Brot des Lebens kommt erst jetzt, und zwar bin ich das, sagt Jesus.

Tut mir leid, dass das so kompliziert ist, aber Jesus war ziemlich gut im Argumentieren, der konnte auch die schwierigsten Knoten aufdröseln, und Johannes hat es dann so an uns weitergegeben. Sie können es auch noch mal nachlesen.

Wichtig ist dieser Unterschied: Gott hat damals bei Mose einfach Essen vom Himmel fallen lassen, das hatte keinen tieferen Sinn, als das Volk zu sättigen. Jesus dagegen ist das Brot des Lebens, der Inbegriff und Ursprung aller guten Gaben selbst. Jesus ist das, was hinter allen guten Gaben steht. Die Nahrung für das ganze Leben, nicht nur für einzelne Bedürfnisse. Und das Verrückte ist, dass den Menschen die einzelnen Gaben viel lieber sind als ihr Ursprung selbst. Sich umsonst satt essen – gerne! An Jesus glauben? Da muss man noch mal in Ruhe drüber nachdenken! Geheilt werden? Ja, bitte! Ein neues Leben beginnen? Muss das wirklich sein?

Immer wieder missbrauchen Menschen Jesus: sie wollen etwas von ihm haben, Beistand, Heilung, ein gutes Gewissen, Hoffnung für die Zukunft, Erfüllung ihrer Herzenswünsche – aber ihn selbst, den Ursprung von allen, den wollen sie eigentlich nicht, oder sie nehmen ihn halt in Kauf, weil es nicht ohne ihn geht. Wirkliche Liebe zu Jesus erkennt man aber daran, dass wir so sein möchten wie er, dass wir ihn so gut wie möglich kennen wollen, dass die Verbindung so stark wird, dass seine ganze Art auf uns übergeht. Die Grundlage ist die Freundschaft mit ihm und nicht seine Gaben, obwohl er gerne und reichlich schenkt.

Stellen Sie sich vor, da haben zwei Leute geheiratet, und dann schauen sie sich glücklich an und sagen zueinander: ich bin ja so froh über dich, endlich weiß ich, wer mir die Strümpfe stopfen wird, wer für mich Geld verdienen wird, mit wem ich Kinder haben werde, wer sich um mich kümmert, wenn ich krank bin oder schlechte Laune habe, und endlich weiß ich, mit wem ich ins Altersheim gehe.

Ist das richtig oder falsch? In einer guten Ehe wird vermutlich das alles passieren. Aber wer deswegen heiratet, der ist ein Barbar, und die Chance ist groß, dass er genau das alles nicht bekommt – weil die Grundlage nicht da ist, aus der das alles kommt. Heiraten muss man aus Liebe zum Partner und nicht aus Kalkül, und glauben muss man aus Liebe zu Jesus und nicht aus Kalkül.

Natürlich gibt Jesus seinen Freunden ganz viel, er beschenkt uns reichlich, aber es muss immer deutlich sein, dass er für uns der Freund und der Herr bleibt und nicht der Geschenkeonkel wird, an dem selbst man gar kein großes Interesse hat.

In der ersten Gemeinde in Jerusalem waren endlich die Prioritäten klar. Da war Jesus das Zentrum, sie lebten von ihm und mit ihm und durch ihn – und dann wurden sie auch alle satt. Dieses Wunder geschah, aber es geschah durch sie selbst hindurch, weil sie verändert waren, neue Menschen voller Erbarmen, voller Großzügigkeit. Menschen wurden gesund, Menschen kamen zum Glauben, weil die Gemeinde deutlich mit Gott lebte. Aber sie lebten nicht mit Gott, damit Menschen geheilt werden konnten. Sie lebten mit Gott, weil sie von Jesus begeistert waren. Weil sie so froh waren, dass endlich der Tod besiegt war. Weil sie begeistert waren vom Leben. Weil sie dem Heiligen Geist die Tür geöffnet hatten. Weil es wunderbar ist, in der Nähe Gottes zu sein, ihn zu erkennen und von ihm bewegt zu werden. Und dann passieren auch Wunder, und Menschen werden beschenkt und bekommen eine Heimat und haben Hoffnung auf die kommende Welt, und werden mutig und stark und herrschen in ihrem Leben und lassen sich nicht mehr herumschubsen. Das alles passiert, wenn Menschen mit Gott leben, aber man kann nicht sagen: ich glaube jetzt an Gott, damit ich diese ganzen Sachen kriege. Die Sache ist mir so viel wert, da nehme ich sogar Gott in Kauf?! Jesus ist kein Mittel zum Zweck, er will um seiner selbst willen geliebt werden.

Jesus ist tatsächlich die Lösung für alle Probleme der Welt – aber nur dann, wenn wir ihn nicht als Problemlöser vom Dienst missbrauchen oder gar anpreisen. Um da eine Sicherung einzubauen weigert er sich meistens, die Probleme ohne uns zu lösen, an uns vorbei, so dass wir die alten bleiben können. Natürlich wäre Jesus die Lösung für – nun, sagen wir mal, unsere ganzen Sozialversicherungssysteme. Die erste Gemeinde in Jerusalem war auch eine wirksame Sozialversicherung, und es kann gut sein, dass wieder Zeiten kommen, wo die christliche Gemeinde auch diese Funktion für ihre Mitglieder hat, eine kleine Gruppe zu sein, wo man sich materiell unterstützt, weil der Staat diese Aufgabe nicht mehr wahrnimmt. Das halte ich für ziemlich realistisch, zum Teil machen wir das ja schon, und wir sollten uns darauf einstellen, dass das in Zukunft immer wichtiger werden wird. Das ist ja auch biblisch gesehen in Ordnung.

Aber man kann nicht das Christentum wollen, damit es die sozialen Probleme löst. So läuft das nicht. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben – aus oft christlicher Überzeugung – da hineingeschrieben, dass wir ein sozialer Staat sind, der sich um die Schwachen kümmert. And wenn die christliche Überzeugung schwindet, dann funktioniert das nicht mehr. Nicht das Geld wird knapp, wie es immer heißt, sondern die Überzeugung wird knapp. Noch nicht mal die christlichen Werte können wir auf die Dauer ohne Jesus behalten.

Und individuell gesprochen: man kann nicht zur Gemeinde kommen, damit immer jemand für einen sorgen wird. Man kann nicht zur Gemeinde kommen, seine ganzen Unarten beibehalten und erwarten, dass dort immer jemand auf einen Rücksicht nimmt. Man kann nicht zur Gemeinde kommen, seine ungesunde Lebensweise beibehalten und hoffen, durch Gebet gesund zu bleiben. Man kann nicht zur Gemeinde kommen, um Freude zu empfangen, ohne sich auf einen Veränderungsprozess einzulassen.

Ich glaube, ihr habt es verstanden. »Ich bin das Brot des Lebens« sagt Jesus. Er ist das eine Brot, das viele verschiedene Gestalten annehmen kann, er hilft uns auf vielen Wegen, dem einen so und dem anderen so, manchmal so, wie wir es uns vorstellen, manchmal ganz anders. Aber wir sollen uns nicht an den verschiedenen Kanälen festhalten, sondern es geht um ihn, ohne ihn läuft es nicht, jedenfalls nicht auf Dauer. »Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes, so wird euch das andere alles zufallen.«