Wonach alle gesucht haben

Predigt am 24. Dezember 2004 (Heiliger Abend) zu Johannes 3,16

So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern ewiges Leben haben.

Der Mann, nach dessen Geburt Milliarden Menschen heute die Jahre zählen – über 2000 sind es nun schon – und dessen Geburtstag wir heute feiern, der war zeit seines Lebens ein armer Hund. Er sagte von sich selbst, dass er nicht mal ein eigenes Bett hatte. Als Baby schlief er in einer geborgten Futterkrippe. Er predigte in einem geborgten Boot. Er ritt auf einem geborgten Esel. Er feierte sein letztes Abendmahl in einem geborgten Saal. Er wurde begraben in einem geborgten Grab.

Auf der anderen Seite konnte dieser Mann, der selbst fast nichts besaß, Menschen so viel geben, dass sie zu Tausenden zu ihm kamen und ihn hören wollten. Das begann schon, als die Hirten zu dem neugeborenen Jesus gingen, um ihn selbst in Augenschein zu nehmen. Und sie waren nur die ersten von vielen anderen. Es ist, als ob bei Jesus eine Melodie zu hören ist, die uns bewegt wie ein vergessenes Lied aus ganz frühen Zeiten. Es ist die Melodie, die im Hintergrund der ganzen Schöpfung spielt. Manchmal dringen einige Töne davon an unser Ohr und bewegen uns. Z.B. wenn wir unter dem Sternenhimmel stehen und eine Ahnung kommt uns davon, wie große Gott sein muss, der das alles geschaffen hat. Oder wenn wir traurig und allein sind, und da begegnet uns überwältigende, unerwartete Liebe, die uns tief berührt, und wir müssen weinen vor lauter Freude und verstehen nicht wieso, aber wir bekommen eine Ahnung davon, wie Gottes Liebe wohl ist. Oder das Wunder des Lebens, wenn ein Kind geboren wird und über allen Mühen der Geburt doch der Zauber des Neuanfangs liegt und wir etwas davon ahnen, was Schöpfung bedeutet. Kennen Sie so etwas? Solche Augenblicke, wo wir in der Tiefe berührt sind oder uns ein Schauer über den Rücke läuft und wir merken, dass es im Leben mehr gibt als das tägliche Klein-Klein?

All das sind einzelne Töne und Motive aus der gewaltigen Melodie im Hintergrund der Schöpfung. Die Schöpfung redet wirklich von Gott, auch wenn wir nur Bruchstücke hören. Aber bei Jesus hören wir diese vergessene Melodie im Original, wir hören sie wieder neu und frisch, und sie bringt die Saiten unserer Seele dazu, mitzuschwingen.

Wir hören von dem Vater, der die Welt und uns schuf, damit er jemanden hat, den er lieben und beschenken kann. Wir hören, dass alle Furcht und Sorge unnötig sind, weil wir ja diesen Vater im Himmel haben. Wir sehen Jesus, wie er konsequent aus dieser Freundschaft mit seinem Vater im Himmel lebt, und der nie Mangel hat; der sich mit schlafwandlerischer Sicherheit durch die Welt bewegt und immer weiß, was zu tun ist; der nicht mit Tricks und Täuschung arbeiten muss, weil er weiß, dass Gott die Dinge in seiner guten Hand hat. So hinterlässt er im Leben von Unzähligen eine breite Spur von Hilfe und Segen. Er hat die Welt bewegt wie kein anderer, obwohl ihm nicht viel mehr gehörte als die Kleider, die er auf dem Leibe trug. Aber er brachte eine Kraft mit, die nicht von Geld und Macht abhängig ist.

Jesus ist ein unübersehbares Zeichen dafür, dass es darauf ankommt, wer wir sind, und nicht darauf, was wir haben. Die entscheidende Frage ist: wer bist du, wo sind deine Wurzeln, wo kommt deine Kraft her, woran freust du dich, wovon lebst Du, was bewegt dich und was bewegst du dann? Das sind die wirklich wichtigen Fragen. Wir haben heute so viele Möglichkeiten, uns darzustellen, ein Bild von uns zu entwerfen und es nach außen zu zeigen – und trotzdem, egal ob einer amerikanischer Präsident ist oder deutscher Kanzler oder ein normaler Bürger in einem Ort irgendwo im Land, am Ende ist die entscheidende Frage: wieviel innere Kraft hast du, wenn es darauf ankommt? Welche Triebkraft bewegt dein Herz? Wer bist du wirklich?

An Jesus sehen wir, dass es nicht die äußeren Machtmittel sind, die die Welt im Entscheidenden bewegen. Natürlich kann man viel bewirken, wenn man gegenüber Menschen äußerlich seinen Willen durchsetzen kann. Aber das ist nichts im Vergleich dazu, wenn Menschen in der Tiefe bewegt werden und sie aus freien Stücken einem Ruf folgen, der ihr Herz erreicht hat. Wer Segensspuren hinterlassen will im Leben von Menschen, der muss ihre Seele anrühren und sie erinnern an die Liebe des Vaters im Himmel. Denn es ist die Liebe Gottes, die in jedem Menschen den Grund der Seele bewegt – wenn sie uns nur klar genug begegnet. Sie ist der Schlüssel zu jedem Menschen, denn keiner kann leben ohne diese Liebe.

Kein Kind kann überleben, wenn es nicht irgendwann Liebe kennengelernt und ein Mindestmaß an Vertrauen in die Welt aufgebaut hat. Das ist jedem von uns mitgegeben, sonst hätten wir nicht überlebt. Die Welt und vor allem die Menschen können viel ertragen, wirklich, aber sie funktionieren nur mit einem gewissen Mindestmaß an Vertrauen und Liebe, und je weniger davon da ist, um so schwerer wird das Leben.

Das ist wie mit diesen robusten Autos, die alles Mögliche schlucken und trotzdem fahren. Neulich hat mir einer erzählt, wie er früher mal irgendwelche Autoprobleme hatte und er ist genau vor der Apotheke liegengeblieben, und er hatte es schrecklich eilig. Da hat ihm der Apotheker einfach eine Flasche Äther in den Tank gekippt, und dann ging es wieder. Es gibt ja solche unempfindlichen Motoren, die sich so ziemlich alles gefallen lassen. Aber nur mit Leitungswasser fahren die auch nicht. Irgendwas Brennbares muss da schon im Tank sein.

Und so suchen sich ja Menschen immer wieder auch Ersatz für die Liebe Gottes, und es geht ja auch oft ganz ordentlich, aber ganz ohne Liebe und Vertrauen kommt keiner aus. Auch die größten Tyrannen haben irgendwo ihre sentimentale Seite. Und wenn du jemanden triffst, der so tut, als ob er ganz hart und sachlich ist, ein Arbeitstier oder so was, den nichts rühren kann – auf einmal merkst du, wie der sein Gärtchen hat oder seine Eisenbahn, dass der Streichholzschachteln sammelt und Gedichte schreibt. Und du verstehst: da gibt es eine ganz unvernünftige Sehnsucht in der Seele nach Freude, nach etwas Schönem, nach dem Guten, nach Ganzheit, nach Begegnung – vielleicht auch nur mit einem Tier oder einem Ding; ja, es gibt eine Sehnsucht danach, sich an etwas zu verschenken, das größer ist als man selbst. Das kann missbraucht und ausgenutzt werden, aus dieser Sehnsucht entstehen die größten Kulturleistungen und die scheußlichsten Verbrechen – aber da ist etwas in uns, das sich meldet und nicht totzukriegen ist. Und wenn es noch so oft geleugnet oder missverstanden wird: das ist die Sehnsucht nach dem verlorenen Vaterhaus, da meldet sich der Traum von dem Leben, für das wir eigentlich geschaffen sind, ein Leben in Liebe und Vertrauen. Und so lange wir Menschen sind, wird uns dieser Traum nie völlig verlassen.

Wenn wir diese Stimme ignorieren, wenn wir sie übertönen oder verleugnen, dann ist unser Leben verloren. Dann helfen uns all die großen und guten Dinge nicht, die wir sonst tun. Wir haben vorbeigelebt am Ziel unseres Lebens und das versäumt, was wirklich glücklich macht und noch jenseits des Todes bestehen wird.

Verstehen Sie, warum Jesus die Menschen so bewegen konnte? Weil er diesen Traum verkörpert, diese Liebe Gottes, das große Leben von Gott. Nicht als Idee, sondern als gelebtes praktisches Leben auf unserer Erde. Nicht als unerfüllbare Sehnsucht, sondern als ein konkreter Lebensweg, auf den er uns mitnehmen will. Das, was alle Menschen, die auf dieser Erde gelebt haben, bewegt, das nimmt Menschengestalt an, lebt unter uns, redet und iss, freut sich und weint, wird geboren wie einer von uns und lädt uns ein an seinen Tisch.

Gott schickte seinen Sohn, um auch die ganz harten Typen zu gewinnen, die nicht mehr glauben, dass es so etwas wie Liebe gibt, jedenfalls nicht für sie. Es gibt so viel Menschen, deren Herzen voll Misstrauen und Enttäuschung sind. Die diesen Traum von der guten Welt und diese Sehnsucht nach echter Liebe am liebsten ganz los wären, weil sie das für trügerische Versprechungen halten, die einen bloß immer wieder enttäuschen. Menschen, die auf viele Enttäuschungen in ihrem Leben zeigen und sagen: wo bleibt denn nun Gottes Liebe? Wo war sie damals, als mir das angetan wurde?

Aber die alle sollen dem Original begegnen. Wer Jesus sieht, geboren im Stall und gestorben am Kreuz, der kann nicht mehr anklagen und seine Enttäuschung in den Mittelpunkt stellen. Da ist einer, der alles erlitten hat, was man Menschen antun kann, aber er wurde nicht bitter oder anklagend, sondern hielt bis zum Ende fest an Freundlichkeit, an Hoffnung, am Vertrauen in Gott. Er lebte von Anfang bis Ende aus der Liebe Gottes.

»So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern ewiges Leben haben« Gott gab seinen Sohn, das Original seiner Liebe, damit wir im Vertrauen darauf leben. Wir sollen nicht mehr von den Notrationen der Liebe leben, die unter Menschen abgepackt werden, sondern wir sollen aus der Quelle selbst leben und reichlich versorgt sein.

Glauben heißt: sich dem Weg anvertrauen, den Jesus Christus vorangegangen ist. Auf diesem Weg finden wir Gott und alles, was unsere Seele schon immer ersehnt hat. Mitten im Auf und Ab unseres irdischen Lebens, und wenn das zu Ende ist, ungehindert und ungetrübt in der neuen Welt Gottes. Wer dem echten Jesus begegnet und sich verschließt, der streicht in sich selbst die Sehnsucht nach Liebe und Vertrauen durch. Er schließt eine Tür, durch die er doch gehen könnte.

Aber wer zu Jesus findet, der findet das, was er schon immer gesucht hat. Dann bekommen unsere besten Impulse ihren richtigen Platz. Dann leben wir aus der Kraft, die von Geld und Macht unabhängig ist und deshalb die Welt bewegt wie nichts anderes.