Gott arbeitet langfristig

Predigt am 22. Juni 2008 zu Jesaja 40,3-5

3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! 4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat’s geredet.

Wenn Gott kommt, dann sorgt er dafür, dass das vorbereitet wird. Als Jesus kam, da hatte er eine lange Vorgeschichte von Jahrhunderten und Jahrtausenden. Da gehört die ganze Geschichte des Volkes Israel dazu, von Abraham an. Ein ganzes Volk hat Gott durch Höhen und Tiefen geführt, bis alle Gedanken und Erfahrungen beisammen waren, so dass sie Jesus verstehen konnten. Jahrtausende hat es gedauert, bis die Denkwerkzeuge zur Verfügung standen, bis die Begriffe entwickelt waren, mit denen man Jesus wenigstens annäherungsweise richtig verstehen konnte. Und auch dann noch war es schwer genug.

Es ist ja überhaupt nicht selbstverständlich, dass Menschen von der Zukunft eine grundlegende Wende erwarten. Die anderen Völker in der Antike erzählten von einem Goldenen Zeitalter in der Vergangenheit, aber das war längst vorbei, und seit damals, so glaubten sie, sei es immer schlechter geworden. Andere wieder stellten sich die Welt als Kreislauf vor, in dem alles irgendwann wiederkommt und es nichts Neues gibt. Bis heute sagen ja die Einen: früher, da war alles besser! und die anderen: alles schon mal da gewesen!

Nur bei den Juden gab es dieses andere Weltbild: am Anfang das Paradies, dann leider der Sündenfall, aber am Ende wird Gott dafür sorgen, dass es wieder richtig gut wird. Übrigens, wenn wir heute von Fortschritt reden, dann ist das ein schwacher Nachhall dieser jüdischen Hoffnung. Seit ein paar Hundert Jahren erwarten wir Europäer diesen Fortschritt zwar von Technik und Wissenschaft anstatt von Gott, aber die Erwartung dieser besseren Zukunft, die ist geblieben. Und auch wenn wir inzwischen gegenüber den Versprechungen des Fortschritts skeptisch geworden sind, als Denkmuster ist dieses Geschichtsbild da, und eigentlich haben wir kein wirklich anderes.

Im Alten Testament ist langsam dieser Gedanke heran gereift, dass es in der Zukunft noch einmal eine grundlegende positive Wende geben muss. Sie kannten den Gott Israels, und sie kannten den Zustand der Welt, und sie verstanden: das passt nicht zusammen! Und sie ahnten: irgendwas wird passieren, damit das wieder passt. Immer erwartungsvoller sind in der Zeit vor Jesus die prophetischen Menschen geworden, bis hin zu Johannes dem Täufer, der ganz deutlich wusste: ich bin der direkte Vorgänger vor dem entscheidenden Ereignis. Johannes hat sozusagen gespürt, wie der Boden schon zu zittern begann.

Johannes hat sich mit dem Prediger identifiziert, den Jesaja angekündigt hat: eine Stimme in der Wüste, die davon redet, dass die Berge eingeebnet werden sollen und die Täler erhöht werden sollen. Die Berge sind ein Bild für alles menschlich Hohe, was sich Gott widersetzt, wenn er in seine Welt kommt. Und die Täler sind ein Bild für alles menschliche Elend, das so tief erniedrigt und in den Staub gedrückt ist, dass es nicht mehr mit dem Eingreifen Gottes rechnet. Das alles soll ausgeglichen werden, damit es Gott nicht im Weg steht. Und wenn er dann kommt, dann wird alle Welt seine Herrlichkeit sehen.

Das Beispiel Johannes der Täufer zeigt, dass Gott sein Handeln fast immer vorbereitet. Warum kann Jesus nicht einfach so kommen? Warum wird das über Jahrhunderte vorbereitet, und warum dann noch kurz vorher dieser eindrucksvolle Vorgänger, der alles noch einmal zusammenfasst und aktualisiert?

Die sorgfältige Vorbereitung ist fast so etwas wie ein Markenzeichen Gottes. Das gilt in der großen Geschichte des Gottesvolkes, und das gilt auch für die einzelnen Menschen. Wenn Gott mit Menschen etwas vor hat, dann bereitet er sie von langer Hand vor. Er führt sie in ihrem Leben einen Vorbereitungsweg, oft, ohne dass sie es wissen, oder er sorgt dafür, dass sie durch Propheten oder Prediger etwas von ihm hören, bevor er dann selbst in ihre Welt eintritt. Immer wieder kann man dies Muster bei den Menschen der Bibel entdecken, und wir stoßen darauf auch oft bei uns selbst und bei den Menschen, die wir gut kennen.

Es ist ein Zeichen von Gottes großer Freundlichkeit, dass er nicht unvorbereitet kommt. Er weiß, dass das nicht gut gehen würde: wir tragen ja auch zum schlechten Zustand der Welt bei, und wenn der heilige Gott unmittelbar und direkt auf uns unheilige und sündige Menschen treffen würde, das gäbe eine Katastrophe. Deshalb sorgt er selbst dafür, dass es zu keinem absoluten Crash kommt, der nur Zerstörung anrichten würde. Als vor ein paar Jahren ein großer Komet auf den Jupiter traf, das gab eine gewaltige Explosion und am Ende war vom Kometen nichts mehr übrig und der Jupiter hatte gewaltige Wunden bekommen. Wenn Gott uns ohne Vorbereitung begegnen würde, das wäre für uns so fremd und so erschreckend, dass wir es nicht ertragen könnten, wir würden es wohl nicht überleben, und wir würden es überhaupt nicht verstehen.

Wer in ein enges, positives Verhältnis zu Gott eingetreten ist, der kann im Rückblick fast immer sehen, wie sich das Stück für Stück vorbereitet hat: wie er immer wieder mal auf Gott aufmerksam geworden ist, wie er Menschen begegnet ist, die ihn an Gott erinnerten, wie er sich vielleicht sogar erst sehr geärgert hat, dass Menschen ihm zumuten, darüber nachzudenken. Wie das dann ein immer positiverer Gedanke geworden ist, wie er vielleicht neugierig geworden ist, wie sich Gott in seinen Gedanken immer breiter gemacht hat. Gerade, wer am Anfang ganz ablehnend gewesen ist und überhaupt nichts wissen wollte von dem ganzen Kram mit Gott und so, der entdeckt im Nachhinein, wie erfindungsreich Gott war, um in sein Leben hineinzukommen.

Wir haben manchmal den Eindruck: Menschen, die sich gegen Gott verschließen, die sind so stark und fest in sich – da ist gar nicht gegen anzukommen. Aber aus der Sicht dessen, der sich gegen Gott sperrt, sieht das womöglich ganz anders aus. Überall kann man daran erinnert werden, dass Menschen Geschöpfe sind. Da freut man sich einfach an einem herrlichen Sonnenuntergang – und schon kann der Gedanke aufsteigen, wer sich so viel Schönheit wohl ausgedacht hat. Oder man ertappt sich dabei, wie man in einem glücklichen Moment einfach denkt: Danke, das ist herrlich – wieso eigentlich?

Wenn man Gott aus dem Weg gehen will, dann muss man höllisch aufpassen, was man denkt und liest. Selbst in diesen vertrauten Gedanken vom technischen und gesellschaftlichen Fortschritt steckt, wenn auch in verzerrter Form, ein biblisches Erbe. Wenn man den Gedanken an Gott vermeiden will, dann kann man gar nicht vorsichtig genug sein in der Wahl seines Ehepartners und seiner Freunde. Da hat man sich ein halbes Leben lang erfolgreich gegen Gottes Liebe zur Wehr gesetzt, und dann muss man erleben, dass der Ehepartner oder ein guter Freund oder jemand anders, der einem nahe steht, anfängt, sich mit solchen Sachen zu beschäftigen und auch noch sagt: du, das wäre auch für dich genau das Richtige.

Gott ist erfindungsreich, wenn es darum geht, Menschen unmerklich auf die Begegnung mit ihm vorzubereiten und sie Schritt für Schritt da hinzuführen, dass das für sie gar nicht mehr so ein völlig abwegiger Gedanke ist.

Aber zur Vorbereitung können auch andere Dinge gehören: dass einer dem Schicksal begegnet, dem Tod oder der Krankheit, dass er auf einmal merkt, wie begrenzt unsere Möglichkeiten sind. Es kann auch sein, dass einer ein großes Glück erlebt und dass ihn das genauso durcheinander bringt wie ein großer Schmerz. Auch das Glück kann unser ganzes Lebenskonzept durcheinanderbringen. Auf alle mögliche Weise kann Gott dafür sorgen, dass die hohen Berge eingeebnet werden – also unser Stolz und unser Glaube, dass wir keinen brauchen; und dass die Täler erhöht werden, dass wir also herauskommen aus dem Elend, wo wir für gar nichts aufnahmefähig sind. Es gibt nichts, was Gott nicht gebrauchen könnte, um uns vorzubereiten.

Schließlich heißt es ja: in der Wüste bereitet dem Herrn den Weg. Die Wüste ist das Symbol für das Lebensfeindliche und Tote. Da kann nichts gedeihen. Da erwartet keiner, dass es da was Gutes gibt. So erscheinen uns auch manche Zeiten des Lebens wie eine Wüste, die man so schnell wie möglich hinter sich lassen möchte. Zeiten der Krankheit, wo man aus dem Verkehr gezogen ist oder wo man gar nicht man selbst ist vor lauter Beschwerden. Oder Zeiten, wo man sich unglücklich fühlt, wo man gar nichts hat, worauf man sich freuen mag. Zeiten voll Arbeit und Plackerei, Zeiten der Unzufriedenheit und Langeweile, Zeiten, in denen man sich an allem reibt.

Eine der wichtigsten Zeiten in der Geschichte Israels war das Exil, die Zeit in der babylonischen Gefangenschaft. Da lebten sie klein und erbärmlich in einem fremden Land, aber in dieser Zeit des Elends ist die Erwartung an Gott enorm gewachsen. Gedanklich war das eine reiche Zeit. Auch der Text heute stammt aus diesen Jahrzehnten.

Und Gott kann auch die Wüsten unseres Lebens gebrauchen, um uns vorzubereiten und zu segnen. Nicht zufällig war Johannes der Täufer in der Wüste. Und die Leute sind zu ihm hingekommen. Sie verstanden, dass Gott nicht vor der Wüste kapituliert. Er kapituliert auch nicht vor verwüsteten Zeiten in einem Menschenleben. Gott zeigt seine Herrlichkeit gerade damit, dass er das aufsucht, was andere so schnell wie möglich hinter sich lassen wollen.

Aber die Wüste bleibt nicht wüst und leer. Da ertönt eine Stimme. Wir sollen etwas verstehen. Nicht die Wüste selbst macht es schon, sondern dass da geredet wird. Nicht die wüsten Zeiten unseres Leben an sich sind das Gute, sondern dass wir dann aufmerksamer hören auf Menschen, die uns Gott erklären, damit wir ihn erkennen, wenn er kommt.

Gott hat ja schon den Weg gewählt, Mensch zu werden, uns also auf eine Art zu begegnen, die für uns fassbar ist. Und trotzdem haben sich noch viele gegen Jesus verschlossen und haben ihn angefeindet. Andere sind gleichgültig geblieben. Aber ohne Johannes wären es noch viel mehr gewesen. Der hat die Leute in Bewegung gebracht, rausgeholt aus den eingefahrenen Gleisen des täglichen Einerlei. Es war Gottes Freundlichkeit, dass er vor Jesus noch Johannes geschickt hat.

Und genauso ist es Gottes Freundlichkeit, dass er den Tag der endgültigen Wiederkunft Jesu noch hinauszögert. Wir warten darauf, dass Jesus zurückkehrt und die ganze Welt sichtbar von ihm geprägt wird. Aber dafür erst recht gibt es eine lange Vorbereitungszeit. Die ganze Zeit seit Jesu Tod und Auferstehung und Himmelfahrt, die Zeit der Gemeinde, das ist eine lange Phase der Vorbereitung, damit Jesus von Menschen begrüßt wird, die auf ihn warten und ihn willkommen heißen. Das ist eine Zeit, wo Gottes Leute ihn erklären sollen, von ihm reden und ihn verkünden sollen, damit möglichst viele Menschen, wenn es dann soweit ist, verstehen, was auf sie zukommt.

Und es kann sein, dass gerade in den wenig glanzvollen Zeiten des Volkes Gottes die wichtigen Gedanken vorbereitet werden, das Neue ausgebrütet wird. Äußerlich eher desolate Zeiten, wie wir sie im Augenblick erleben, in denen werden oft die neuen Fundamente gelegt, und man schaut irgendwann einmal darauf zurück und sagt: das war keine tolle Zeit, es hat oft weh getan, aber im Rückblick war das die Wendezeit! Und das gilt manchmal auch für unseren persönlichen Lebensweg.

Wir haben immer noch Vorbereitungszeit, und wir sollen uns aktiv an dieser Vorbereitung beteiligen. Wenn Jesus zum letzten Mal kommt, dann soll es viele geben, die sich auf ihn freuen und ihn erwarten. Dann soll es für möglichst wenige ein Schock sein und für möglichst viele ein Tag der Freude, auf den sie schon lange und intensiv gewartet haben – so intensiv, wie Kinder auf Weihnachten warten können. Und im Rückblick wird dann auch sichtbar werden, was der Sinn und der Ertrag der Wüstenzeiten war.