Das Festmahl auf der erneuerten Erde
Predigt am 21. April 2025 (Ostern II) zu Jesaja 25,6-9
6 Und der Herr Zebaoth wird auf diesem Berge allen Völkern ein fettes Mahl machen, ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist. 7 Und er wird auf diesem Berge die Hülle wegnehmen, mit der alle Völker verhüllt sind, und die Decke, mit der alle Heiden zugedeckt sind. 8 Er wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der Herr wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der Herr hat’s gesagt. 9 Zu der Zeit wird man sagen: »Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der Herr, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.«
Hier im Jesajabuch wird mit Worten ein Sehnsuchtsbild gemalt: die ganze Menschheit friedlich versammelt zu einem großen Festmahl. Und wenn wir das zu Ostern hören, dann sollen wir verstehen: das Leben Jesu und seine Auferstehung sind der entscheidende Schritt zur Realisierung dieser Sehnsucht.
Die Menschheit als Tischgemeinschaft
Die ganze Menschheit friedlich versammelt zu einem großen Festmahl! Wenn ich mir das vorstellen will, dann fällt mir zuerst ein, wie vor 7 oder 8 Jahren die drei Peiner Moscheegemeinden zum Fastenbrechen eingeladen haben. Da waren in der Südstadt in Peine zwei Straßen abgesperrt und man saß an langen Tischen: Hunderte von Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebenswegen, bunt gemischt durcheinander, es war genug leckeres Essen für alle da und niemand musste bezahlen.
Das war so ein kleiner Vorgeschmack des großen Festmahls, das hier bei Jesaja anvisiert wird: die Menschheit als eine große friedliche Tischgemeinschaft, die sich an guten Weinen und fetten Speisen freut. Wo man großzügig bewirtet wird, alle haben genug, und niemand muss am Katzentisch sitzen.
Allen geht es gut
Für uns heute klingt besonders das mit dem Fett gefährlich, wir sehen uns ja beim Gedanken an so richtig fette Speisen schon mit Herzinfarkt am Tropf im Krankenhaus liegen. Aber damals, als man jeden Tag schwer körperlich gearbeitet hat, da war Fett ein wichtiger Energienachschub. Und natürlich ist Fett ein Geschmacksverstärker, der leckere Sachen erst richtig lecker macht. Und für die Gesundheit ist der Zucker, der heute in ganz viele Lebensmittel reingepanscht wird, viel gefährlicher.
Das Gleiche beim Wein: auch da keine Vorsicht, obwohl im Wein der gefährliche Alkohol drinsteckt. Aber wenn man feiert, dann ist Alkohol gar nicht so schlecht, und damals haben sie eben nicht jeden Tag Alkohol geschluckt, und den Wein haben sie oft mit Wasser verdünnt, weil sie nicht soviel davon hatten und vielleicht auch, um den Alkoholgehalt zu reduzieren. Wein und Fett sind beides gute Gaben der Schöpfung, und das Problem entsteht nur, wenn Menschen die im Übermaß in sich reinkippen, um das große Schwarze Loch in ihrem Innern zu füllen. Das große Schwarze Loch des Trübsinns, das Fass ohne Boden, das entsteht, wenn wir von Gott abgeschnitten sind und dann nachts zum Kühlschrank schleichen und dort versuchen, das Loch irgendwie zu füllen.
Aber das ist ja gerade bei dem Festmahl, von dem Jesaja spricht, nicht der Fall. Da ist Gott der Gastgeber, und allen geht es gut. Als Gott die Welt und die Menschheit schuf, da hatte er diese große vielfarbige Gemeinschaft im Sinn, mit der er seine Freude teilen wollte. Dieses Sehnsuchtsbild beschreibt Gottes eigene Sehnsucht: sich mit einer versöhnten Menschheit mitten in der Schöpfung zu freuen. Und durch Jesaja teilt er dieses Bild mit uns, damit es auch unser Sehnsuchtsbild wird, und damit wir wissen, wo die Reise hingehen soll.
Konträre Sehnsuchtsbilder
Das ist wichtig, weil es natürlich auch ganz andere Sehnsuchtsbilder gibt. Wo an den Tischen nur weiße Menschen sitzen, und die braunen und schwarzen sind die Kellner oder waschen das Geschirr ab. Und vorne steht irgendwer am Mikrofon und erzählt pausenlos, wie großartig das ist, und dass er die Terroristen jetzt endlich alle im KZ in El Salvador eingesperrt hat. Und dass die anderen erst Zoll bezahlen müssen, bevor sie vielleicht auch mal an den Katzentisch dürfen.
Oder, um es grundsätzlicher zu sagen: es gibt eben auch den Traum davon, dass man die Menschheit in unterschiedliche Gruppen einteilt. Die einen sind die Starken und sind zum Herrschen bestimmt; die anderen haben nichts zu sagen und müssen dienen. Oder sie sind völlig überflüssig. Wo man die Grenze dazwischen zieht, das ändert sich immer mal wieder. Es kann die Hautfarbe sein oder die Nation, die Kultur oder das Geschlecht, die Bildung oder das Alter, die Abstammung aus berühmten Familien oder ganz einfach die Macht und das Geld. Und immer gab es dann Gründe, weshalb Gott oder die Natur oder das Schicksal oder irgendwer sonst die einen angeblich zum Herrschen bestimmt hat und die anderen zum Dienen.
Gottes Sehnsuchtsbild dagegen ist demokratisch. Ich glaube, das muss man wirklich so sagen. Denn am Tisch Gottes herrscht Gleichheit. Und als Jesus seinen Leuten das Abendmahl hinterlassen hat, da hat er es als ein kleines Vorausbild des großen Friedensmahls gestaltet, das Gott mit uns feiern will. Auch am Tisch Jesu gibt es kein Zwei-Klassen-System und keinen Katzentisch. Und das hat dann allmählich auch auf das allgemeine Denken abgefärbt, und wer heute die Menschen in verschiedene Gruppen einteilen will – die einen sind dann wertvoller als die anderen – , der muss das gut tarnen oder sich gute schlechte Gründe dafür ausdenken.
»I have a dream«
Die Gleichheit und die gleiche Würde aller Menschen ist eine ganz große Errungenschaft, die aus solchen Sehnsuchtsbildern Gottes entstanden ist. Als Martin Luther King 1963 seine berühmte »I habe a dream«-Rede hielt, gegen die Rassentrennung in den USA, da hat er dieses Sehnsuchtsbild aus dem Buch Jesaja für seine Gegenwart fortgeschrieben:
»Ich habe den Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne der früheren Sklavenhalter brüderlich zusammen an einem Tisch sitzen können.«
King lebte aus seiner Bibel, er hat natürlich Jesaja gekannt, und dieser Traum Gottes ist in seinem Mund zu einer Kraft geworden, die die Welt real umgestaltet hat. So arbeitet Gott in der Welt, dass er die Sehnsuchtsbilder der Menschen neu prägt. Worte und Gedanken sind nicht schwach. Von ihnen hängt ab, wie Menschen zusammenleben. Wie Menschen aufeinander schauen, mit Furcht und Groll oder mit Liebe und Hoffnung.
Die Bilder sind umkämpft
Und so stark sind Gottes Gedanken heute schon unter uns geworden, dass ganze Trollarmeen im Internet damit beschäftigt sind, sie wieder aus den Herzen zu löschen. Sie wollen die alten Alpträume von Ungleichheit und Herrschaft, Furcht und Gewalt von neuem in uns hineinpressen, Stück für Stück, Post für Post. Wieviel Angst sie vor der Wahrheit haben, das sieht man an den immer dreisteren Lügen, zu denen sie greifen müssen.
Ja, diese Sehnsuchtsbilder Gottes sind heute massiv umkämpft. Dass alle Menschen gleich erschaffen sind, wie es in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung heißt, das ist nicht mehr für alle plausibel. Manche träumen ja wieder von einer in Herrscher und Beherrschte geteilten Menschheit, aber keiner träumt davon, dass er dann zu den Schwachen gehören könnte. Alle sehen sich als die Herrschenden. Da kann man nur sagen: träumt weiter, das böse Erwachen wird kommen.
Deswegen steht ja schon bei Jesaja, dass die Decke von den Völkern genommen werden soll. Sie brauchen es, dass ihre Augen geöffnet werden, damit sie die Schönheit und Güte der Schöpfung und der Menschen erkennen. Natürlich sind Menschen auch verführbar, Menschen können manipuliert werden, aber Gott wird diese Hülle »verschlingen«, wie es im Original wörtlich heißt.
Das Bild muss geschützt werden
Bei Jesaja ist dieses Bild nämlich umgeben von zwei Passagen, in denen Gott dafür gedankt wird, dass er gewalttätigen Nationen entgegentritt und den Siegesgesang der Tyrannen dämpft. Heute müsste man sagen: er zieht den Großsprechern das Mikrofonkabel. Und ohne Ton sehen sie albern aus mit ihren arroganten wütenden Gesten und dem Geheule, wer ihnen alles Unrecht getan hat.
Dieses Sehnsuchtsbild vom Friedensmahl Gottes mit einer versöhnten Menschheit muss also heute noch geschützt und umgeben werden von Texten, in denen die Gewalttäter und Lügner in die Schranken gewiesen werden. Lest zu Hause ruhig mal das ganze Kapitel 25 von Jesaja. Die Leute, die die Predigttexte zuschneiden, die lassen solche konflikthaften Bibeltexte gerne weg, weil man die den Gemeinden und den Predigern und den anderen empfindsamen Gemütern ja nicht zumuten kann.
Aber es stimmt natürlich, dass das große fette Mahl auf dem Gottesberg die Mitte des Kapitels ist. Darum geht es, und wenn die Völker das erleben werden, dann gehen ihnen die Augen auf, wie irrsinnig verblendet diese Alpträume von Ungleichheit und Dominanz in Wirklichkeit sind.
Auferstehung ist die Bestätigung
Jesus hat seine Gemeinden als Orte gegründet, an denen wir das jetzt schon erleben sollen. Das Abendmahl ist die Erinnerung an den Auszug aus Ägypten, aus dem Land des Todes und der Ungleichheit, die Erinnerung an das Kreuz, das Jesus erleiden musste, dieses brutale Werkzeug von Herrschaft und Unterdrückung, und es ist die Vorabbildung des Mahles auf der endgültig befreiten Erde, aus der die Verblendung und das Misstrauen endgültig verschwunden sind. Das Abendmahl ist jetzt schon die Gemeinschaft der neuen bunten Menschheit quer durch alle Sprachen, Klassen und Kulturen. Und es lebt aus der Kraft der Auferstehung Jesu, durch die dem Tod das Rückgrat gebrochen worden ist.
Denn all diese Sehnsuchtsbilder, die sich im Alten Testament schon lange vor Jesus finden, und die immer wieder hochkommen und ihre Kraft entfalten, nicht zuletzt im Abendmahl, die könnten ja auch einfach nur schöne Träume sein. Vielleicht sind die ja nur von Menschen erträumt, die unter der Gewalt der Tyrannen leiden und sich zum Trost eine andere Welt fantasiert haben. Bilder und Gedanken sind schön, aber die Frage ist: werden die auch zur Realität, oder bleiben das schöne Träume? Das ist ein entscheidender Unterschied. Kein Hungriger wird satt von einem geträumten Brot.
Und deshalb ist es so wichtig, dass Jesus wahrhaftig und leibhaftig auferstanden ist. Zum Glück gibt es dafür auch genügend historische Belege, die sich eigentlich nur so deuten lassen, dass er wirklich auferstanden ist. Aber stellen wir uns nur einen Augenblick vor, dass Jesus nicht auferstanden wäre! Dann würden all diese Sehnsuchtsbilder bei Jesaja und King und anderen wie Seifenblasen zerplatzen. Wenn Gott es noch nicht einmal schafft, die Zerstörung seines Sohnes zu verhindern, des einzigen wahren Menschen, der bisher auf dieser Erde gelebt hat, wie soll er dann seine ganze Schöpfung erneuern? Wie soll er die Verblendung der verführten Menschheit überwinden?
Aber der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden. Und das ist Gottes Siegel nicht nur auf Jesus und seinen Weg. Das ist auch Gottes Bestätigung und Siegel auf den ganzen langen Weg seines Volkes, wie er im Alten Testament beschrieben ist. Weil Gott diesen Einen, Allerersten vom Tod auferweckt hat, deshalb hat er auch die Kraft, diese ganze Erde wahrhaftig zu erneuern.
Das Rätsel ist geklärt!
Dann werden alle Tränen abgewischt und der Tod ist verschlungen auf ewig. Schon Jesaja wusste, dass ohne die Heilung der Wunden und der Schmerzen die neue Welt unvollständig ist. Er wusste, dass der Tod nicht in diese Schöpfung passt, und dass er vertrieben werden muss.
Aber er wusste nicht, wie das geschehen sollte. Erst als der Auferstandene seinen Freunden und Freundinnen begegnete, war das Rätsel gelöst, jedenfalls im entscheidenden Punkt.
Und bis heute leben wir von den Augenblicken, wo jemand aufsteht und sagt: »I have a dream« und den Traum Gottes so schildert, dass er Gestalt annimmt mitten unter uns und uns herausholt aus der Gewöhnlichkeit und Mittelmäßigkeit unseres Lebens.
Wir leben wirklich von diesen Momenten, und die Auferstehung Jesu ist das Siegel darauf, das Siegel der Gewissheit und der Beginn des großen Festes.