Ja, Gott ist meine Rettung (Jahreslosung 2002)

Predigt am 31. Dezember 2001 (Silvester) zu Jesaja 12,1-3

1 Am Tag deiner Rettung wirst du sagen: »Herr, ich preise dich! Du bist zornig auf mich gewesen; doch nun hat sich dein Zorn gelegt, und ich darf wieder aufatmen!« 2 Dann wirst du bekennen: »Gott ist mein Helfer, ich bin voll Vertrauen und habe keine Angst! Den Herrn will ich rühmen mit meinem Lied, denn er hat mich gerettet.« 3 Voller Freude werdet ihr Wasser schöpfen an Gottes reichen Quellen, aus denen euch seine Hilfe strömt.

Die Pointe dieses Abschnittes kommt gleich am Anfang: Das Ganze ist ein vorweggenommener Dank. Er wird sozusagen prophezeit: warte ab, am Ende wirst du sagen: alles ist gut geworden. Am Ende wirst du Gott danken.

So wie Menschen manchmal prophezeien: du wirst noch mal einsehen, dass ich recht hatte! Wenn Menschen so etwas sagen, das ist meistens nervig, vor allem aber kostet es nichts, weil das normalerweise nie an der Realität überprüft wird. Wenn es so weit ist, dass man sehen kann, ob die Prophezeiung richtig war, dann ist sie längst vergessen oder umgedeutet.

Diese Prophezeiung im Jesajabuch ist aber festgehalten worden, über zweieinhalb Jahrtausende schon. Sie stammt aus den dunklen Tagen nach der babylonischen Gefangenschaft, als es noch nicht mal mehr katastrophal war, sondern nur noch kümmerlich und perspektivlos. Wahrscheinlich stammt sie von jemandem, der in dieser Zeit die Worte Jesajas sammelte, um seinen Leuten zu helfen, den Sinn dieser dunklen Zeit zu verstehen.

Denn gerade diese trostlose Zeit in Babylon und danach ist für Israel eine Zeit des Umdenkens und neuer Horizonte geworden. Nur – das weiß man erst im Rückblick. Ganz wichtige Impulse, wichtig besonders für Jesus, sind genau in dieser Zeit gekommen. Und zwar deswegen, weil Israel gezwungen war, sich mit dem Dunkel, dem Versagen und mit der Erfahrung des Zornes Gottes auseinanderzusetzen. Sie mussten in einer Zeit der Dunkelheit nach Gott suchen und an ihm festhalten. Und was wir in schweren Zeiten lernen, das bleibt und geht oft tiefer als das, was wir in Zeiten des Erfolgs erleben. In den dunklen Zeiten kann uns nur Gott selbst helfen, da brauchen wir ihn unbedingt, da sind wir nicht anspruchsvoll und schreiben ihm nicht vor, wie er zu sein hat, sondern da nehmen wir ihn so, wie er kommt.

Es waren zunächst nur Einzelne, denen sich die neue Sichtweise erschloss. Wie dieser unbekannte Sammler der Jesajaworte. Aber er macht den anderen Mut und sagt: es wird der Tag kommen, an dem ihr Gott danken werdet, dass er euch diesen Weg geführt hat. Es wird noch einmal ganz deutlich werden, dass auf Gott Verlass war!

Und vielleicht hat er selbst noch gar nicht gewusst, wie das mal aussehen würde, vielleicht war es ein Eindruck, den der Heilige Geist in ihm entstehen ließ, und er hat dem vertraut, auch wenn er nicht wusste, wie das wohl gehen sollte. Aber er war sich seiner Sache so sicher, dass er es aufgeschrieben hat und sich damit überprüfbar gemacht hat.

Und tatsächlich ist diese Zeit in Babylon und danach so etwas wie eine Wasserscheide in der Geschichte Israels. Vorher ging es darum, dass Gott segensreiche Verhältnisse schaffte, in denen sein Volk leben konnte. Natürlich ging das auch nicht ohne Glauben und Gehorsam, aber es ging vor allem um ein gesichertes Land, um Wachstum des Volkes, um Schutz vor Feinden und ein Leben ohne Armut.

Das Problem dabei war, dass die innere Problematik der Menschen diese äußeren Segnungen immer wieder bedrohte. Schon der große König David scheitert an seiner mangelnden Disziplin im Privatleben. Und fast alle seine Nachfolger fahren den Karren immer tiefer in den Dreck. Und am Ende stand der Untergang und die Verschleppung nach Babylon.

In der Zeit nach »Babylon« geht es immer wieder darum, wie Menschen auch innerlich zu Gott passen können, und zwar auch dann, wenn die äußeren Umstände ganz bedrückend sind. Das geht über Jahrhunderte, und es läuft alles auf Jesus zu, Jesus am Kreuz, der auch dort noch gegen alle Umstände an Gott festhielt.

Ich muss gleich sagen, dass ich das natürlich jetzt viel zu plakativ dargestellt habe. Natürlich geht es in der Bibel auch vor Babylon schon um die innere Verfassung der Menschen, und danach und bei Jesus geht es natürlich auch um die Veränderung der Umstände, wenn er z.B. Menschen heilt. Aber der Akzent hat sich verschoben. Für Jesus geschieht das Entscheidende im Verhältnis zwischen ihm und dem Vater im Himmel, und das hat dann in einem zweiten Schritt natürlich auch Auswirkungen um ihn herum. Jesus verändert die Welt massiv, bis heute, bis zu uns hin, aber es fängt an im Verborgenen zwischen zwei Personen, zwischen Jesus und dem Vater.

Und spätesten seit der dunklen Zeit in Babylon sind die prophetischen Menschen in Israel auf dem Weg zu diesen Einsichten. Da bereitet sich etwas Neues vor, hier und da blitzt es auf, und dann kommt Jesus und sagt: Heute ist dieses Wort vor euch erfüllt. Und Paulus schließt sich an und sagt: Jetzt ist der Tag des Heils.

Und das ist ein Weg, den in Kurzfassung wohl jeder wiederholen muss. Schon von den Jüngern Jesu wird das erzählt. Wenn wir uns Gott nähern, dann erwarten wir normalerweise zuerst Hilfe und Erleichterung in unserer Situation, und wir sind ganz von den Socken, wenn wir beten, und es wird tatsächlich besser. Und wir sagen: wow! Gott bringts! Tatsächlich!

Und dann müssen wir lernen, dass es hinter dieser Veränderung der Umstände noch etwas gibt, nämlich die Beziehungsebene. Und je besser wir Gott kennen, um so mehr verlagert sich das Augenmerk auf die Beziehungsebene, und wir verstehen, dass dort die wirklichen Entscheidungen fallen, lange bevor sich das dann in der Außenwelt zeigt. Wahrscheinlich wäre es uns, wenn wir ehrlich sind, immer noch lieber, Gott würde die Umstände einfach ändern, und er tut es ja auch immer wieder: er schenkt glückliche Zusammentreffen; er hilft uns, mit schwierigen Menschen auszukommen oder er entfernt sie aus unserer Nähe; er macht uns gesund, und vieles andere mehr.

Aber im Lauf der Zeit verstehen wir immer besser, dass es ein noch viel größeres Wunder ist, wenn er in uns sein Werk tut: wenn er unser Misstrauen und unsere Lüge überwindet, wenn er uns von falschen Göttern befreit und so Platz schafft für den Heiligen Geist. Und wenn wir auf diese Weise immer mehr in Gemeinschaft mit ihm leben, und verstehen, dass das der Kern seiner Hilfe ist. In dem Jahresspruch für 2002 steht ja dieses Wort, das Rettung, Hilfe oder Heil bedeutet, und es heißt im Hebräischen »jeschuaht«. Merken Sie was? Das ist genau der Wortstamm, von dem auch der Name »Jesus« kommt. Gottes Hilfe ist keine anonyme Kraft oder Schickung, sondern seine Hilfe ist eine Person, Jesus.

Dieser lange Rückblick war nötig, damit wir es richtig verstehen, wenn in dem Jahresspruch von Rettung und Hilfe gesprochen wird. Spontan fallen uns sofort viele große und kleine Dinge ein, wo wir Hilfe und Unterstützung gut gebrauchen könnten. Und es ist ja nicht falsch, das von Gott zu erwarten.

Aber vermutlich fällt uns bei diesem Wort nicht unbedingt sofort der biblische Kern ein: dass Jesus in unser Leben kommt, uns enge Gemeinschaft mit Gott schenkt und uns von innen heraus verändert. Es ist immer wieder mühsam, sich klar zu machen, das das der Kern der göttlichen Hilfe ist.

Aber sagt nicht auch die tägliche Beobachtung, dass der Kern des Problems in den Herzen liegt? Wie oft ist menschliche Not z.B. keine Frage des Geldes, sondern eine Frage danach, ob ein Mensch mit dem Leben zurecht kommt, oder ob er sich von kurzfristigen Impulsen leiten lässt, von Süchten vielleicht; ob er in sich heil ist oder so geschädigt, dass er die Verantwortung für sich selbst nicht übernimmt.

Und verdanken sich schlechte Regierungen nicht ganz oft den Menschen, die sie gewählt haben, Menschen, die einfach in sich zu verwirrt sind, um die schönen Worte zu durchschauen? Und dass Streit und Ärger in unfriedlichen Herzen entstehen, das dürfte sich ja wohl im Prinzip schon längst herumgesprochen haben.

Deswegen ist die zentrale Hilfe und Rettung Gottes die Gabe des Heiligen Geistes, der die Herzen erneuert. Hier bei Jesaja heißt es: Ihr werdet mit Freude Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen (Luther), und das nimmt dann viel später Jesus auf und sagt zu der Samaritanerin am Brunnen: »Das Wasser, das ich einem Menschen gebe, das wird in ihm eine Quelle werden, deren Wasser ins ewige Leben quillt.« Diese Heilsbrunnen Jesajas (es ist wieder das Wort »jeschuaht«, man kann »Heilsbrunnen« also auch mit »Hilfsquellen« übersetzen), die fließen nach Jesus in unseren Herzen, da sind die Kraftquellen, aus denen wir die entscheidende Hilfe empfangen. Es ist die Gegenwart des Heiligen Geistes in einem Menschen, und die gibt uns die königliche Autorität zurück, die uns am Anfang der Schöpfung zugedacht war. Adam war dafür geschaffen, die Umstände zu beherrschen, und nicht dafür, abhängig zu sein von den äußeren Umständen. Und wenn wir zu Jesus gehören, dann gewinnen Stück die Herrschaft über die Umstände zurück.

Wenn wir jetzt an der Jahreswende diesen ganzen Zusammenhang bedenken, dann bedeutet das: Es kommt der Tag, wo du sagen wirst: ja, jetzt verstehe ich, jetzt bin ich überzeugt! Jetzt habe ich es am eigenen Leibe erlebt, wie Gott mir Hilfe schafft, indem er in mir die Quelle des Heiligen Geistes fließen lässt und mir die Souveränität gibt, die mir als seinem Verbündeten gehört. Und ich werde nicht mehr von jedem Wind umhergetrieben, nicht von Schreckensmeldungen und nicht von Ängsten, nicht von Krankheiten und nicht von den Irrwegen meiner Seele. Denn der in mir ist, der ist stärker als all das, was mich unter Kontrolle kriegen will.

Ich bin nicht Prophet genug um zu sagen: am Ende des nächsten Jahres wirst du das so sehen. Nächsten Sylvester wirst du dafür danken. Obwohl: warum nicht? Dass die Vollmacht seiner Söhne und Töchter auf die Dauer verloren geht und missachtet wird, das wird Gott nicht zulassen. Aber er rechnet die Zeit anders als wir. Manchmal ist er für unseren Geschmack zu schnell und manchmal zu langsam.

Aber es wird geschehen, und wir werden es erleben, dass die Hilfe, die Gott uns schenkt, in Klarheit zu erkennen ist.