Ein mutiges Herz

Predigt am 25.12.2005 (Weihnachten I) zu Jesaja 7,10-14

Der Predigttext steht im Alten Testament, im Buch Jesaja. Es ist die Weissagung, die vorhin schon in der Evangelienlesung zitiert wurde: »Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie Immanuel nennen«, das heißt: Gott mit uns.

Sieben Jahrhunderte vor Jesus regierte in Jerusalem der König Ahas. Er war zwanzig Jahre alt, als er König wurde, und sofort griffen ihn zwei Nachbarkönige an.

Da verlor König Ahas den Mut. Und deshalb schickte Gott ihm den Propheten Jesaja und ließ ihm sagen: hab keine Angst! Die andern Könige werden dir nichts anhaben können. Und vor allem: ich bin mit dir, dein Herz kann unverzagt sein. Und dann geht es so weiter:

10 Und der HERR redete abermals zu Ahas und sprach: 11 Fordere dir ein Zeichen vom HERRN, deinem Gott, es sei drunten in der Tiefe oder droben in der Höhe! 12 Aber Ahas sprach: Ich will’s nicht fordern, damit ich den HERRN nicht versuche. 13 Da sprach Jesaja: Wohlan, so hört, ihr vom Hause David: Ist’s euch zu wenig, dass ihr Menschen müde macht? Müsst ihr auch meinen Gott müde machen? 14 Darum wird euch der HERR selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.

Wie toll wäre es, wenn Gott uns das anbieten würde: wünsch dir was von mir, ein Zeichen, was es auch sei. Such dir ein Zeichen aus, damit du ganz sicher bist, dass ich dir helfen will. König Ahas hätte sich z.B wünschen können, dass die Sonnenuhr rückwärts läuft statt vorwärts. So etwas gab es bei König Hiskia. Oder dass es im Sommer schneit. Oder irgendetwas anderes von dieser Art.

Normalerweise sagen wir ja: Gott gibt nicht solche spektakulären Zeichen, man darf sie auch nicht von ihm verlangen. Aber hier bietet es Gott von sich aus an durch Jesaja: such dir was aus. Das ist ein ganz seltener Fall. Anscheinend war der König ziemlich verzagt, so dass Gott ihm ganz viel Mut machen wollte.

Aber was tut dieser König? Er ziert sich und tut besonders fromm und sagt: ich will doch nicht unbescheiden sein, so etwas kann ich doch von Gott nicht verlangen. Der hat eine Chance, wie man sie selten bekommt im Leben, und er lässt sie verstreichen. Er steckt so tief drin in seinen Ohnmachtsgefühlen, dass er Gott keinen Weg lässt, ihn eines besseren zu belehren. Er gibt Gott keine Chance.

Das ist das Schlimme, dass Menschen nicht nur durch andere eingeschüchtert werden, sondern manchmal selbst so verliebt sind in ihre Ohnmachtsgefühle und ihre Ängste, dass sie sie gar nicht hergeben mögen. Sie wollen keine anderen Erfahrungen machen. Das ist natürlich menschlich, dass wir unser Weltbild möglichst nicht ändern möchten, aber wenigstens wenn wir unter Leidensdruck stehen, wenn wir Angst haben oder Schmerzen, dann schauen wir meistens nach neuen Perspektiven aus. Aber manchmal sind Menschen so verliebt in ihr Lebensgefühl, dass sie lieber leiden als neue Erfahrungen zuzulassen.

Aber Gott kann uns nur helfen und ermutigen, wenn wir ihn lassen. Wenn wir ihm ein Stück Leben hingeben, dann bekommen wir es neu und verwandelt zurück. Aber diesen Glaubensschritt, den kann uns keiner abnehmen. Und Gott kommt mit Ahas nicht voran, wenn der sich nicht bewegen will. Zwischen Gott und uns soll es eine echte Partnerschaft geben, und das heißt auch: wenn einer sich querstellt, geht es nicht weiter. Gott lässt es dann woanders weitergehen, aber bei uns bleibt alles stecken.

Der König hält nicht mit Gott Schritt. Er will sich einfach nicht vorstellen, dass Gott in der verzwickten politischen Lage etwas tun könnte. Und da fragt Jesaja: wollt ihr denn Gott müde machen, ihr, das Königshaus? Menschen macht ihr schon müde, aber jetzt geht ihr auch Gott auf die Nerven.

Es ist schrecklich kraftraubend, wenn einer in einer verantwortlichen Position seine Aufgabe nicht erfüllt, oder wenn er Mutlosigkeit verbreitet. Ein König sitzt schließlich auf dem Thron, damit er seinem Volk vorangeht und es inspiriert. So wie das überall auch im Kleinen die Aufgabe des Chefs, die Aufgabe der Leitung ist. Der König muss der erste beim Angriff und der letzte beim Rückzug sein. Wenn alle den Mut verlieren, dann muss er mit bebendem Herzen und zitternden Knien trotzdem mutig vorangehen. Das ist seine Aufgabe. Er hat seine Privilegien, er hat seine herausgehobene Stellung, damit er diese Aufgabe erfüllen kann. Er wird geehrt, nicht damit er eingebildet wird, sondern damit er in kritischen Situationen Halt und Ermutigung hat in der Loyalität der ihm anvertrauten Menschen.

Wenn aber ein König (oder ein Leiter in einem viel kleineren Bereich) seine Aufgabe nicht erfüllt, dann kann das eigentlich keiner für ihn tun, weil ja nur der König die Stellung und die Ehre hat, die man dazu braucht. Wenn dann seine Untergebenen und Berater trotzdem seine Defizite auffangen müssen, wenn sie ihn immer wieder bearbeiten müssen, bis er sich endlich zu den notwendigen Entscheidungen aufrafft, wenn sie ihn immer wieder anschieben müssen, das kostet enorm viel Kraft.

Ich weiß nicht, ob Sie Menschen kennen, die man zu allem fast hintragen muss. Die man bitten und bereden muss, bis sie endlich in ihrem eigenen Interesse notwendige Entscheidungen treffen.

Aber wenn der König glaubt, so könnte er das auch mit Gott machen, und Gott käme an ihm nicht vorbei, dann hat er sich getäuscht. Gott hat noch mehr Eisen im Feuer. Es ist nicht so, als ob Gott auf uns angewiesen wäre und wir ihn zappeln lassen können. Gott ist geduldig mit uns, aber er lässt sich nicht alles gefallen.

Gott lässt dem König antworten: dann gebe ich dir eben von mir aus ein Zeichen! Und zwar eine junge Frau, die ihr neugeborenes Kind Immanuel nennen wird, zu deutsch: »Gott mit uns«. Wir wissen nicht, wer diese Frau gewesen ist, vielleicht war es eine Prinzessin oder sonst jemand aus der königlichen Familie. Auf jeden Fall war sie aus anderem Holz geschnitzt als der König.

Zu einer schwierigen Zeit, als Ahas keinen Glauben an Gott und die Zukunft aufbrachte, und selbst dazu beitrug, diese Zukunft schwierig zu machen, da gab es diese junge Frau, die ihr Kind »Gott mit uns« nannte. Sie ist nicht in Furcht und Resignation verliebt. In ihrem ruhigen Vertrauen ist sie ein hoffnungsvolles Zeichen für den König, aber dieses Zeichen ist gleichzeitig Gericht über ihn: ein Zeichen, dass er versagt hat.

Wenn die eigentlich Angesprochenen und Zuständigen versagen, dann fängt Gott an einer anderen Stelle neu an. So wie er zu Jesu Zeiten mit den offiziellen Vertretern Israels nichts anfangen konnte.

Deshalb ist diese unbekannte junge Frau eine frühe Vorgängerin von Maria, der Mutter Jesu. Da ist schon etwas zu spüren von der Klarheit und dem Mut, die wir später bei Maria finden, von der Bereitschaft, den gesellschaftlichen Konventionen zu trotzen, wenn Gott das verlangt. Da ist diese Tapferkeit, die den kleinen Spielraum, den sie hat, besser nutzt als der König es mit seinem viel größeren Entscheidungsspielraum tut.

Und so wird es dann später bei Maria sein: In einer Zeit, als die führenden Köpfe ihres Volkes vor allem an ihre eigene Macht und ihren Reichtum dachten, als sie mit heidnischen Besatzern paktierten, sich dem Terrorismus zuwandten oder ihre Hoffnung auf eine moralische Erneuerung setzten, die bestätigen sollte, dass sie schon immer recht gehabt hatten – da war es Maria, die Ja sagte zu einem einfachen Schritt des Gehorsams. Die bereit war, für Gott ein Kind zur Welt zu bringen, obwohl sie nicht wusste, was das für sie alles mit sich bringen würde.

Wenn Jesus kommt, dann werden die Menschen anders. Dann wird häufig das Beste in uns geweckt. Das kann man an den ganzen Personen der Weihnachtsgeschichte sehen, zuerst an Maria, aber auch an Josef, an den Hirten, an den Magiern aus dem Osten. In einigen Menschen wird aber auch das Schlechteste wachgerufen, wenn man an einen wie den König Herodes und seinen Kindermord denkt.

Das gilt aber nicht nur für die unmittelbaren Zeitgenossen Jesu. Seine Ausstrahlung beginnt in Wirklichkeit schon viel früher. Wenn sich der Messias am Horizont abzeichnet, dann wächst der Mut unter den Menschen. Und Gott schließt sich mit den Mutigen zusammen, auch wenn sie schwach sind und selbst gar nicht wissen, wie sie zu ihrem Mut kommen.

Es ist der Vorschein des Erlösers, der dieser jungen Frau den Mut gab, ihrem Kind solch einen Bekenntnisnamen zu geben. Immanuel – »Gott mit uns« – das ist nicht weit vom Namen Jesus, der ja »Helfer« bedeutet. Die Frau hat es besser gemacht als der König – hoffentlich hat er sich geschämt und sich gebessert.

Gott braucht Partner unter den Menschen, damit er unter uns sein Werk tun kann. Und diejenigen, die eigentlich dafür in Frage kämen, die verweigern sich oft wie dieser König. Aber dann erweckt Gott sich andere. Und die sind ein Zeichen und gleichzeitig ein Gericht über die ungläubigen und selbstmitleidigen Könige und Chefs.

Natürlich ist der eigentliche Partner Gottes auf der Erde Jesus. Wenn Gott eine Brücke zwischen Himmel und Erde bauen will, dann muss er nicht nur auf seiner Seite den Pfeiler bauen, er muss auch noch selbst auf unsere Seite hinüber kommen und auch von hier aus die Brücke bauen. Deshalb ist Jesus wahrer Mensch und wahrer Gott, weil er von beiden Seiten aus an der Brücke zwischen Gott und den Menschen baut. Aber er braucht auch Menschen wie die ungenannte junge Frau, wie Maria, wie seine Jünger, die ihm hier Platz machen, damit er in die Welt kommen und hier wirken kann. Menschen, die offener sind für Gottes Ruf, als es Ahas war.

Einmal im Leben muss uns dieser Ruf erreichen. Einmal im Leben müssen wir diesen Ruf vernehmen und aus vollem Herzen antworten. Einmal müssen wir erfahren, dass wir ganz und gar gemeint sind, und wir müssen ganz und gar aufgehen in unserer Antwort. Das kann in einer besonderen und beeindruckenden Erfahrung geschehen. Es kann aber auch schlicht und einfach so sein, dass wir erkennen: Dies ist mein Weg. Den will ich gehen. Ich weiß jetzt, dass Gott mich so führt.

Wir werden dann merken, dass unser Herz fester wird, je mehr wir mit Gott verbunden sind. Immer mehr werden wir dieses schwankende Ahas-Herz loswerden, das sich immer nur stark fühlt, wenn es andern eine Last sein kann. Immer weniger wird unser Herz dann von den Zufällen und Strömungen des Tages umhergetrieben. Am Ende ist die entscheidende Frage nicht, was wir für Menschen sind, sondern ob wir an den Immanuel, den »Gott-mit-uns« gebunden sind.

Denn ein reines Herz, so hat es Sören Kierkegaard gesagt, »ein reines Herz ist zuerst und zuletzt ein gebundenes Herz. Gebunden, fester gebunden, als irgendein Schiff, das vor allen Ankern liegt, muss das Herz sein; es muss an Gott gebunden sein. Gott aber stirbt nicht, und das Band, das an ihn bindet, bricht nie. So muss das Herz gebunden sein.«