Eine völlig veränderte Geschäftsgrundlage

Predigt am 28. Mai 2006 zu Jeremia 31,31-34

31 »Gebt acht!« sagt der HERR. »Die Zeit kommt, da werde ich mit dem Volk von Israel und dem Volk von Juda einen neuen Bund schließen.
32 Er wird nicht dem Bund gleichen, den ich mit ihren Vorfahren geschlossen habe, als ich sie bei der Hand nahm und aus Ägypten herausführte. Diesen Bund haben sie gebrochen, obwohl ich ihnen doch ein guter Herr gewesen war.
33 Der neue Bund, den ich dann mit dem Volk Israel schließen will, wird völlig anders sein: Ich werde ihnen mein Gesetz nicht auf Steintafeln, sondern in Herz und Gewissen schreiben. Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein« sagt der HERR.
34 Niemand muss dann noch seinen Nachbarn belehren oder zu seinem Bruder sagen: ‚Lerne den HERRN kennen!‘ Denn alle werden dann wissen, wer ich bin, von den Geringsten bis zu den Vornehmsten. Das sage ich, der HERR. Ich will ihnen ihren Ungehorsam vergeben und nie mehr an ihre Schuld denken.

Die Unterscheidung von altem Bund und neuem Bund ist für die christliche Überlieferung fundamental. Bund wird lateinisch mit Testament übersetzt, und also gibt es mit dem Alten und Neuen Testament die Urkunden des alten und neuen Bundes. Der erste Bund wurde am Berg Sinai nach der Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei geschlossen, und den zweiten, den neuen Bund, schloss Jesus, als er mit seinen Jüngern Abendmahl feierte. Er hat damals sogar die Worte aus dem 2. Buch Mose aufgenommen, mit denen der Alte Bund beschrieben wird (2. Mose 24,8/Markus 14,24), und sie leicht abgewandelt für die Beschreibung des neuen Bundes.

Worin unterscheiden sich diese beiden Bündnisse, die beiden Verträge, die Gott mit Menschen schloss?
Jeremia beschreibt den ersten Bund so: es war ein Vertrag, »den ich mit ihren Vorfahren geschlossen habe, als ich sie bei der Hand nahm und aus Ägypten herausführte.« Gott befreite sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten, er nahm sie bei der Hand und führte sie aus Ägypten heraus, er befreite sie äußerlich, es war im Grunde so, wie wenn man ein kleines Kind an der Hand nimmt und von einer gefährlichen Straße wegzieht.

Das Problem kam hinterher: äußerlich waren sie der Sklaverei in Ägypten entkommen, aber innerlich trugen sie die Sklaverei mit sich. Sie meckerten über die Verpflegung statt dankbar für die wunderbare Versorgung zu sein, mal waren sie euphorisch und dann wieder bereuten sie es, dass sie überhaupt aufgebrochen waren. Sklavenmentalität statt Selbstverantwortung. Am Ende sagte Gott: ihr werdet nicht in das neue Land hineinkommen, eure Knochen werden in der Wüste bleichen, und erst eure Kinder dürfen hinein in das neue Land. Vielleicht haben die ja dann die Sklaverei hinter sich gelassen. Mit ihnen werde ich ein neues Volk gründen, das gerecht zusammenlebt, ohne Sklaverei und Unterdrückung.

Aber Kinder werden ungefähr so wie die Eltern, und immer wieder war Israel in Versuchung, Ungleichheit und Unterdrückung einzuführen. Gott hat Recht, wenn er durch Jeremia sagt:

Diesen Bund haben sie gebrochen, obwohl ich ihnen doch ein guter Herr gewesen war.

Es hat nicht funktioniert mit dem ersten Bund, obwohl das Volk die Erinnerung an Gottes Befreiungstat nie vergessen hat. Man hätte doch annehmen können, dass sie sich aus Dankbarkeit an Gottes Regeln für das Zusammenleben halten würden. Und es waren doch gute Regeln. Aber nein, so funktioniert das nicht, das kann man an Israel ein für allemal studieren. Menschen neigen dazu, gegen Gesetze zu verstoßen, die von außen kommen und an die sie von anderen Menschen erinnert werden. Auch aus Dankbarkeit über eine wunderbare Rettung werden Menschen nicht anders. Du kannst Menschen sogar durch Gebet heilen, und sie bleiben trotzdem die Alten. Es nützt nichts, Menschen nur äußerlich zu helfen, solange das Problem noch in den Köpfen und Herzen sitzt.

Deshalb sagt Gott schon fünfhundert Jahre vor Jesus durch Jeremia: es muss einen ganz anderen Bund geben, der nach anderen Regeln funktioniert. Ich werde mein Gesetz direkt in die Menschenherzen hineinschreiben, damit es in ihrem Innern lebendig ist. Dann werden sie danach handeln.

Darum ging es bei dem, was dann Jesus tat: die Rettung wird diesmal nicht durch eine äußerliche Befreiung kommen, sondern sie wird im menschlichen Herzen geschehen. Jesus führt seine Jünger nicht raus aus der Gesellschaft in die Wüste – das taten damals andere Gruppen. Jesus lehrte die Jünger, in der Kraft des Geistes unter den Menschen zu leben. Und natürlich machte er es selbst vor.

Jesus wird nicht herausgeholt aus der römischen Unterdrückung, in der Israel damals lebte. Er zeigt stattdessen, wie man auch in einem unterworfenen und versklavten Land leben kann. Natürlich ist das keine Rechtfertigung der Unterdrückung, Ausplünderung bleibt Ausplünderung, aber Jesus zeigt einen Weg, wie jemand durch die Kraft Gottes eine Souveränität und Stärke gewinnt, die sogar für Soldaten der Besatzungsmacht attraktiv wird. Das Symbol dieses neuen Abkommens zwischen Gott und den Menschen wird das Abendmahl, in dessen Mitte das vergossene Blut und der getötete Leib Jesu stehen ? also Zeichen für die äußerste Unterdrückung und Zerstörung von Menschen. In diesem neuen Abkommen zwischen Gott und Mensch geht es um einen Weg, der auch das überwindet. Es geht um Gottes eigene Kraft und Anwesenheit in menschlichen Personen. Wir sollen die Konfrontation bestehen mit allem, was Menschen kaputt macht. Auch wenn es weh tut. Aber mit Gott werden wir bestehen. Dazu soll Gott in uns wohnen, so wie er in Jesus war. Und wir sollen in seiner Kraft auf den Wegen Jesu gehen.

Der neue Bund konzentriert sich nicht auf die äußere Befreiung aus der Unterdrückung, sondern da geht es darum, dass wir durch Gottes Geist stark werden am inneren Menschen. Christus soll durch den Glauben in uns wohnen, damit Gott mit seinen unbegrenzten Möglichkeiten bei uns zum Zuge kommt. Und das hat dann auch seine Folgen für die äußere Unterdrückung, die wird auch nicht bleiben, freie Menschen kann man nicht langfristig unterdrücken, alle Ungerechtigkeit funktioniert auf die Dauer nur dadurch, dass die Menschen sich an sie gewöhnen und sich irgendwie mit ihr arragieren. Wenn Menschen aber die Sichtweise Gottes gewinnen, dann bleiben sie freie Menschen auch in bedrückenden Umständen, sogar in Gefängnissen, um wieviel mehr in kleineren Problemen.

Das heißt nicht, dass wir Menschen nicht helfen und sie unterstützen sollten. Aber wenn wir jemandem bloß äußerlich aus seinen Problemen heraushelfen, wenn man ihn an der Hand nimmt und sagt: so musst du das machen, da musst du aufpassen, so kriegt man das hin! dann wird er bald wieder in das nächste Problem hineinstolpern. Er ist dann immer noch im Alten Bund, der nicht funktioniert. Er ist in der Lage des Volkes Israel, das Gott an der Hand nahm und aus Ägypten herausführte, aber sie ließen kein Fettnäpfchen aus, bei jeder Gelegenheit zeigte es sich, dass sie innerlich immer noch Sklaven waren.

Kennen Sie Menschen, die Probleme förmlich anziehen? Die eine Tendenz dazu haben, sich in Lagen zu bringen, wo es einfach schiefgehen muss? Man weiß nicht, wie sie das hinkriegen, aber alle halten innerlich schon den Atem an, was wohl als nächste passieren wird, und sie selbst erleben es so, dass sie immer Pech haben, dass sie vom Leben ganz besonders schlecht behandelt werden. Und manchmal stimmt das sogar. Manchmal können sie eigentlich gar nichts dazu, dass schon wieder etwas schief gegangen ist, aber irgendwie, auf undurchschaubare Weise, hängt es doch mit ihnen zusammen.

Das heißt nicht, dass jeder selbst schuld ist an dem, was ihm zustößt, aber es heißt, dass Menschen dringend die Kraft Gottes in ihrer Seele brauchen, damit sie bestehen können, wenn sie unter Druck geraten, damit sie dann immer noch die Übersicht behalten, und damit sie sich viele Probleme gar nicht erst einhandeln.
Jeremia redet von einer Situation, in der keiner den anderen mühsam belehren muss. Diese unbefriedigende Situation, wo die einen zu Besserwissern werden und die anderen wie kleine Kinder ihre Verantwortung für ihr Leben ignorieren, die wird überwunden. Stattdessen werden alle selbst ihr eigenes Verhältnis zu Gott haben, selbst vor Gott stehen, selbst Gott um Weisung fragen und es wirklich von ihm wissen wollen, und dann auch danach handeln. Nicht wie Leute, die eine vorgeschriebene 10-Punkte-Liste abarbeiten und sich beschweren, wenn es nicht klappt, sondern als Menschen, die ein Gespür für den Willen Gottes haben und einfach wissen, wie er die Dinge sieht.

Schon Jesus hatte seine Probleme mit Menschen, die bei ihm Hilfe suchten, aber ihr Leben nicht ändern wollten. Immer wieder gibt es bei ihm richtig Zoff, weil die Leute sich heilen lassen wollen, weil sie Hoffnung auf eine schnelle Änderung der politischen Lage mit ihm verbinden, weil sie ihn im Grunde als Zauberer ansehen, der ihre Probleme wegmachen soll. Menschen sind meistens überzeugt, dass alles besser wird, wenn sich die äußere Lage ändert. Die Frage, was denn in ihnen selbst anders werden muss, die stellen sie sich gar nicht so gern.

Wahrscheinlich haben die meisten von uns Menschen vor Augen, wo wir sagen würden: ja, bei dem ist das so! Der oder die ist eigentlich selbst das Problem, nur sie sieht es natürlich ganz anders, er merkt es gar nicht! Bei anderen sehen wir das relativ leicht. Aber verstehen Sie, genau so schaut Jesus auf uns und fragt sich: wie bringe ich ihn dazu, zu begreifen, dass sich bei ihm in der Tiefe etwas ändern muss? Wie bringe ich sie dazu, dass sie mit ganzem Herzen sich öffnet für meine Liebe und nicht mehr versucht, auf anderen Wegen ihr Leben irgendwie geregelt zu kriegen?

Es kann sein, dass wir erst dann auf die Stärke des inneren Menschen setzen, wenn uns alle anderen Möglichkeiten aus der Hand geschlagen worden sind. Es kann sein, dass wir erst in große Probleme kommen müssen. Und das kann man nicht planen. Aber man kann wissen, wo man die Hilfe dann suchen muss. Wenn du irgendwann soweit bist, dass du nicht mehr weiter weißt, dann dann werden wir froh sein über alles, was bis dahin schon in uns gewachsen ist. Das Neue entwickelt sich verborgen im Schoß des Alten, und es wird erst geboren, wenn die Zeit gekommen ist.

Aber bis dahin sollen wir alles tun, damit es jetzt schon wachsen und gedeihen kann. Wir sollen es kennenlernen, wir sollen es stärken, wir sollen so viel wie möglich auf die neue Weise tun. Wir sollen uns daran gewöhnen, die Verantwortung für Lösungen nicht auf andere zu schieben, sondern immer zu fragen: was kann hier der Geist Gottes tun? Vielleicht sind wir enttäuscht, dass unser innerer Mensch nicht stark genug ist, dass noch so wenig zu spüren ist von Jesus. Aber wenn wir etwas überlegen, dann gibt es immer genug zu tun, womit wir ihn stärken können, genug Möglichkeiten, um es vorzubereiten, dass diese neue Logik, der neue Bund in uns durchbricht und deutlich erkennbar wird.

Deswegen lasst uns den alten und den neuen Bund gut auseinanderhalten, das alte und das neue Muster, nach dem Gott unter Menschen handelt. Das alte Muster ist auch in der Kirche viel bekannter und gängiger als das Neue. Aber es führt nur in die Sackgasse. Die Hoffnung liegt im Neuen Bund. Darauf sollen wir setzen, nach ihm sollen wir uns orientieren. In ihm liegt die wirkliche Hilfe.