Gott erfüllt die Sehnsucht nach einem gerechten König

Predigt am 12. Dezember 2004 (3. Advent) zu Jeremia 23,5-6

5 »Der Tag kommt«, sagt der HERR, »an dem ich aus der Nachkommenschaft Davids einen Mann berufe, der dem Namen Davids wieder Ehre macht. Er wird als König verständig und gerecht regieren, weil er sich an die Weisungen Gottes hält. 6 Dann wird das Volk von Juda vor Feinden sicher sein, und auch das Volk von Israel wird in Frieden leben. Dieser König wird den Namen tragen: ‚Der HERR ist unsere Rettung‘!

Schon immer haben die Menschen sich einen König gewünscht, der seine Sache einfach nur gut macht. Es kommt nicht darauf an, ob der eine Krone trägt, oder ob er den Titel Präsident oder Kanzler hat. Mit »König« ist immer der gemeint, der die Entscheidungsgewalt darüber hat, wie ein Stück Welt gestaltet wird. König ist der, der die Macht ausübt. Bis heute hoffen die Menschen darauf, dass die politisch entscheidenden Leute ihre Macht für die Menschen einsetzen und nicht gegen sie. Dass sie dafür sorgen, dass man in Frieden seiner Arbeit nachgehen kann und keine Angst haben muss vor Gewalt, Unrecht und Not.

In Israel war diese Hoffnung immer mit dem Namen David verbunden. Wir haben ja in dem Stück vorhin nur ganz wenig von David zeigen können. Aber sicher fällt vielen von uns bei David die Geschichte ein, wie er den Riesen Goliath besiegt. Goliath war der stärkste Mann der Philister, und solange er unbesiegt war, solange konnten die Philister in Israel rauben, terrorisieren und morden. Es war so, wie es bis heute in vielen Teilen der Erde ist: die Menschen lebten beständig in Angst, sie wussten nicht, ob sie den Ertrag ihrer Arbeit genießen konnten, oder ob er ihnen geraubt werden würde.

Und dann kommt der Hirtenjunge David mit seiner Schleuder und ein paar Kieselsteinen, und im Vertrauen auf Gott tritt er der Kampfmaschine Goliath gegenüber und besiegt ihn. Und die Philister, diese Räuber und Unterdrücker, erleben eine gewaltige Niederlage. Und David macht weiter, bis am Ende die Philister besiegt sind und er selbst König von Israel ist.

Die Menschen kennen genügend Könige und Herrscher und Machthaber, die ihren Posten benutzen, um sich selbst zu bereichern und die Vorteile einer wichtigen Stellung zu genießen. David liebten sie, weil er stattdessen für seine Leute etwas riskierte und sich selbst in Gefahr begab und ihnen half mit seinem Mut und seiner Tüchtigkeit.

An David sieht man, dass ein Herrscher, König oder Politiker die Aufgabe hat, sich vor seine Leute zu stellen, sie zu schützen und und für ihr Wohlergehen nötigenfalls den Kampf aufzunehmen. Es gibt Zeiten, in denen das tatsächlich lebensgefährlich ist, wie bei David. In ruhigeren Zeiten kann das etwas leichteres bedeuten: dafür sorgen, dass Menschen nicht stundenlang über Formularen brüten müssen, die sie nicht verstehen. Oder Baustellen so organisieren, dass Menschen davon wirklich nur kurze Zeit belästigt werden und Geschäfte keine Einbußen erleiden. Seinen Leuten das Leben leicht machen und nicht schwer. Das ist alles weniger gefährlich als ein Kampf mit dem Riesen Goliath, aber manchmal braucht das auch viel Mut und Einsatz.

Viel zu oft erleben wir stattdessen Politiker mit diesem obrigkeitlichen Stil, die den Menschen noch zusätzlich Probleme aufladen, wo das Leben doch sowieso schon schwierig genug ist. Auch in unserer Demokratie haben wir immer noch diese Tradition, dass man für alles eine Genehmigung braucht. Dass man gegenüber der Obrigkeit Bittsteller ist. Dass immer erst so und so viele Leute gefragt werden müssen, damit auch alle spüren, wie wichtig sie sind. Und wir wissen alle, wie schön es ist, wenn man einer Amtsperson begegnet, wo man das Gefühl hat: der will mir wirklich helfen, dass ich meine Sachen gut geregelt bekomme, andern nicht schade und am Ende besser leben kann.

Ich denke, viele von uns waren in der vergangenen Woche entsetzt und traurig, wie man da in Peine mit dieser armen vietnamesischen Familie umgegangen ist. Wie da die geballte Staatsmacht eingesetzt wird, um Leute einzuschüchtern, die nun wirklich zu den Schwächsten in der Gesellschaft gehören. Da kann man natürlich gut die Muskeln spielen lassen und sich stark vorkommen.

Das ist eben der Unterschied zu David: der hat Mut gegenüber dem Riesen Goliath bewiesen und nicht gegenüber ein paar armen Leuten, die sich nicht wehren können. Es ist immer leichter, gegenüber den kleinen Leuten Mut zu zeigen als gegenüber echten Feinden oder mächtigen Einflussgruppen.

Dabei wäre das Gegenteil so nötig: dass man den Menschen Mut macht, das Beste was in ihnen steckt, auch zu leben. Ein »König« muss Raum dafür schaffen, damit die Menschen die Freundlichkeit und Solidarität und Güte auch umsetzen können, die ja wirklich in ihnen drin steckt. Wenn man noch mal an die Abschiebung der Familie Van denkt: Wieviel echtes Mitgefühl ist da in den letzten Tagen sichtbar geworden. Aber man macht es den Menschen nicht leicht, dieses Mitgefühl auch umzusetzen.

Natürlich kann man jetzt sagen: da stecken auch andere Dinge in den Menschen, und wer weiß, wie lange dieses Mitgefühl anhält. Ist ja richtig, man muss die Menschen nicht idealisieren. Aber gerade deshalb ist die Frage eben, was abgerufen wird, worauf man setzt: auf die Barmherzigkeit und Einsatzbereitschaft der Menschen, oder auf Angst, Vorurteile und Ohnmachtsgefühle. Und das ist vor allem die Verantwortung des »Königs«, also derer, die den Auftrag zur politischen Gestaltung haben. Als 1990 die deutsche Einheit kam, da war im ganzen Volk die Freude und die Hoffnung groß und ebenso die Bereitschaft, dafür auch Opfer zubringen. Diese Bereitschaft ist damals nicht abgerufen worden, stattdessen hat man Schulden gemacht, und wir ernten heute Pessimismus, Gereiztheit und Vorwürfe.

Es bleibt ein Dilemma: wir brauchen unbedingt einen Staat, in dem es leicht ist, gut zu sein und gut zu handeln. Dieser Staat muss auch Gesetze geben und Macht ausüben. Wir brauchen, um es so zu sagen, einen König. Und gleichzeitig ziehen alle diese Posten, wo man Macht hat, immer auch Leute an, die nicht aus sich selbst heraus stark sind, und die sich nicht den Menschen verpflichtet fühlen, sondern die diese Macht lieben, die aus dem Staatsapparat kommt – weil sie davon leben, dass sie wichtig sind und anderen etwas vorschreiben können.

Deshalb wünschen sich Menschen einerseits so sehr einen guten König, gute Politik und gute Verwaltung. Und andererseits werden wir immer wieder enttäuscht, weil die Menschen, die dafür verantwortlich sind, versagen oder ihr Amt missbrauchen. Und wenn man nur lange genug sucht und nachforscht, dann findet man am Ende bei jedem irgendetwas, was einen Schatten auf seinen Charakter wirft. Nebenbei, auch David hat dann als König falsch gehandelt und seine Macht missbraucht. Zum Glück war er immer noch so stark mit Gott verbunden, dass er da wieder rausgekommen ist. Aber auch auf David liegt dieser Schatten des Machtmissbrauchs.

Trotzdem haben die Menschen in Israel immer wieder ihre Könige danach beurteilt, ob sie so waren wie König David, ob sie auf Gott hörten und wirklich für die Menschen da waren. Und häufig wurden sie leider enttäuscht. Aber sie erinnerten sich über Jahrhunderte an das Versprechen Gottes: eines Tages werde ich wieder einen König berufen, der dem Namen Davids Ehre macht!

Es ist so viel Gutes und Richtiges in diesem Wunsch nach einem guten König, und es entspricht auch Gottes Wünschen. Aber als Jesus dann kam und die Christen in ihm den König erkannten, den Gott schon so lange angekündigt hatte, da war es ein König ganz anderer Art. Jesus verzichtete auf diese ganze staatliche Macht, durch die Menschen so leicht zum Missbrauch verführt werden.

Jesus lebte in einem der mächtigsten Reiche, die die Welt je gesehen hat, im römischen Imperium, aber er machte deutlich, dass seine Macht auf eine völlig andere Art funktionierte als die Macht der römischen Kaiser. Während die Kaiser die Menschen von außen regierten, durch Zwang und Macht, wurde Jesus zum König in den Herzen der Menschen, die an ihn glaubten, und bewegte sie von innen her.

Jesus weckt in uns, was in jedem menschlichen Herzen schläft, nämlich die Erinnerung an Gott und seine Liebe und seinen Willen. Wir sind dazu geschaffen, zu lieben und barmherzig zu sein. Das passt einfach viel besser zu uns als Hochmut und Raub. Aber in dieser Welt, die kein Paradies mehr ist, werden wir dauernd in die falsche Richtung gedrängt, und wir sind auch sehr anfällig dafür. Aber wenn wir durch Jesus wieder daran erinnert werden, wie Gott ist, und dass seine Liebe die Grundkraft der Welt ist, dann beginnt sich Gottes Kraft auch in uns zu entfalten. Und je stärker uns Gott beeinflusst, um so unabhängiger werden wir davon, ob wir unter einem guten König leben oder nicht. Wenn Jesus unser Herz aufgeweckt hat, dann können wir auch unter schlechten äußeren Umständen aus der Liebe Gottes heraus handeln. Das ist gemeint, wenn Jeremia schreibt: »Der Herr ist unsere Gerechtigkeit«. Nicht äußere Regelungen sorgen dafür, dass wir gerecht sind, sondern der Herr regelt das direkt mit uns.

Versteht bitte, dass Jesus so im Herzen eines Menschen wohnen kann, dass der auch im Gefängnis oder in einem Unrechtsstaat Gottes Liebe verbreiten wird. Und in lebendigen christlichen Gemeinschaften schaffen sich Menschen gemeinsam Möglichkeiten, Gutes zu tun. Ich habe es immer wieder erlebt, dass Menschen das nicht als eine Last empfinden, wenn sie Gutes tun sollen, sondern dass sie froh sind, wenn sie eine Gelegenheit dazu bekommen und sie dann ergreifen. Sie sind froh, wenn einige Leute vorangehen und zeigen, dass es auch anders geht in der Welt. Menschen würden gerne gut sein, wenn ihnen nur jemand vorangeht und zeigt, dass es geht, und wie. Wenn sie das sehen, dann werden jedenfalls viele ermutigt, auch aus der Kraft zu leben, die in ihnen schlummert.

Die Macht des Königs Jesus beruht darauf, dass er Menschen freisetzt zu der Liebe, die das Grundgesetz der Welt ist und für die wir auch geschaffen sind. Diese Macht des Lebens hat sich schon einmal als stärker erwiesen als das römische Imperium, und sie wird sich auch weiter durchsetzen gegen alle Kräfte der Zerstörung und des Todes.