Der Weg aus der Abwärtsspirale

Predigt am 22. Oktober 2006 zu Jakobus 5,13-16

13 Wer von euch Schweres zu ertragen hat, soll beten. Wer von euch glücklich ist, soll Loblieder singen. 14 Wer von euch krank ist, soll die Ältesten der Gemeinde rufen, damit sie für ihn beten und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben. 15 Ihr vertrauensvolles Gebet wird den Kranken retten. Der Herr wird die betreffende Person wieder aufrichten und wird ihr vergeben, wenn sie Schuld auf sich geladen hat. 16 überhaupt sollt ihr einander eure Verfehlungen bekennen und füreinander beten, damit ihr geheilt werdet. Das inständige Gebet eines Menschen, der so lebt, wie Gott es verlangt, kann viel bewirken.

Jakobus geht es darum, dass wir das Leben von Gott her gestalten. Einen ganzen Brief lang beschreibt er schwierige Situationen, und wie man als Christ damit umgehen soll. Vorige Woche haben wir gehört, was er über das Verhältnis von Reichen und Armen in der Gemeinde zu sagen hat. Heute geht es um den Umgang mit besonderen Belastungssituationen, in die man ja manchmal kommt.

Wer von euch Schweres zu ertragen hat, soll beten. Wer von euch glücklich ist, soll Loblieder singen.

Wir denken normalerweise, dass Glück ganz einfach zu ertragen ist. Aber wirklich, es kann auch ziemlich gefährlich sein, wenn einem was ganz Tolles passiert. Neulich habe ich mal gelesen über Leute, die im Lotto gewonnen haben, und ganz viele davon sind aus der Bahn geworfen worden, weil sie nicht richtig umgehen konnten mit den Millionen, die auf einmal auf ihrem Konto landeten. Wenn man die Lottogesellschaften fragt, die sagen nat“rlich: ja, die Leute gehen ganz verantwortungsvoll mit den Millionen um. Aber es gibt auch die Frau, die sagt: hätte ich blo“ rechtzeitig den Lottoschein zerrissen, durch diesen Gewinn ist unser ganzes Leben aus der Bahn geraten! Das Geld war so schnell weg, und jetzt geht es uns schlechter als vorher!

Also, auch wie man sich im Glück verhält, dafür braucht man Anleitung. Jakobus sagt: dann singt Gott Loblieder! Das heißt, das Glück soll eine Gestalt bekommen, in der man gut damit umgehen kann. Wenn man singt, dann wird die Freude einerseits ausgedrückt und andererseits an Gott angebunden. Alle Emotionen brauchen eine Gestalt, in der sie ausgedrückt werden – wenn sie die nicht bekommen, dann suchen sie sich irgendeine, und wenn es eine große Einkaufstour ist – Sie sehen, ich bin in Gedanken immer noch beim Lottogewinn.

Aber Loblieder für Gott zu singen ist einfach eine bessere Ausdrucksform. Es bringt einen emotional richtig gut drauf – Singen geht ja viel tiefer als Reden oder gar Lesen. Dann kommt das Glück erst richtig bei uns an. Und wenn wir das an Gott adressieren, dann ist da auch ein Gegenüber, an den wir uns wenden. Wissen Sie, wir sind als Menschen hoffnungslos darauf festgelegt, dass wir von jemandem gesehen und gehört werden wollen. Haben Sie schon mal Leute gesehen, die bei ganz normalen Tätigkeiten vor sich hin reden? An wen wenden die sich eigentlich? Wahrscheinlich wissen sie es selbst nicht, aber spontan tun wir oft so, als ob uns jemand zuhört. Und wenn wir nicht laut reden, dann tun wir es in Gedanken. Wir tun dauernd so, als ob da jemand wäre, der auf uns hört. Und so ist es ja auch, Gott hört uns. Und dann können wir ihn ja gleich richtig ansprechen, anstatt irgendwie vor uns hin zu murmeln.

Und wenn man dann noch Lieder singt, in denen ganz viel Erfahrung mit dem Glauben ausgedrückt ist, dann hilft es einem, auf eine gute Art mit der Freude umzugehen. Man ist dann eben nicht so in Gefahr, irgendwelchen Unsinn zu machen, nur weil man ganz aus dem Häuschen ist. Man erinnert sich, dass Gott dabei ist. Und dann kommt man erst gar nicht auf die Idee, dass es irgendwie besonders toll wäre, auf einer goldenen Klobrille zu sitzen.

Soviel über den Umgang mit Glück. Jetzt komme ich zum Unglück, und da ist es eigentlich fast genau das Gleiche. Auch wenn wir durch eine Zeit gehen, die für uns ganz schwer ist, dann ist es so wichtig, dass wir das aussprechen und dass uns jemand hört. Deshalb gibt es in der Bibel die Sammlung der Psalmen, und da gehört ein ganz großer Teil zu den sogenannten Klagespsalmen. Gebete, in denen jemand Gott erzählt, wie dreckig es ihm geht. In der ganzen Antike, so heißt es, gibt es keine vergleichbare Literatur. Damals hat man den Feinden Rache geschworen oder versucht, sich den Schmerz mit ein paar philosophischen Tricks wegzureden. Nur die Bibel redet schonungslos davon, wie sich einer f“hlt, dem ganz Schlimmes passiert ist. Als Beispiel lese ich nur ein paar Verse aus dem 31. Psalm vor:

Hab Erbarmen, Herr, ich weiß nicht mehr weiter!
Meine Augen sind müde vom Weinen,
ich bin völlig am Ende.
Die Sorgen verkürzen mein Leben,
der Kummer frisst meine Jahre.
Die Verzweiflung raubt mir die Kraft,
meine Glieder versagen den Dienst.
Zur Spottfigur bin ich geworden für meine Feinde,
zum Hohngelächter für meine Nachbarn,
zum Schreckgespenst für meine Freunde.

So steht das in der Bibel. Da findet man Worte, auch wenn man ganz unten ist, und man merkt: ich bin nicht der Einzige, dem es so geht. Das haben schon vor Jahrtausenden andere erlebt. Und dann guckt man, wie es weitergegangen ist, und man merkt, wie einer sich festgehalten hat daran, dass Gott ihn doch hört, und dass dann Gott irgendwann von der anderen Seite aus ihm geholfen hat.

Verstehen Sie, Menschen können ganz viel ertragen, wenn sie das irgendwie einordnen können, wenn es einen sinnvollen Rahmen dafür gibt. Und den findet man, wenn man es alles zu Gott bringt und sich dabei vielleicht auch noch orientiert an solchen Gedankengängen, in denen ganz viel Erfahrung steckt über Gottes Wege mit uns. Da gehen die Gedanken nicht mehr immer nur im Kreis rum, sondern sie kommen auf eine Schiene, die aus der Situation herausführt. Alle dunklen Situationen versuchen, uns gefangen zu nehmen, so dass wir am Ende gar nichts anderes mehr tun, als uns innerhalb unserer Verzweiflung im Kreis zu drehen. Vielleicht haben Sie schon mal Menschen erlebt, die immer wieder das Gleiche sagen. Immer wieder sich in ihr Unglück versenken, sich in einer Abwärtsspirale drehen, bis die ganze Welt schwarz aussieht.

Wenn Sie zu so was neigen, dann nehmen Sie sich heute ganz fest vor, dass Sie diesen Kreislauf rabiat unterbrechen. Das muss man sich vorher vornehmen – wenn es einem erst schlecht geht, dann sind diese kreisenden Gedanken einfach zu stark. Und am besten nimmt man in so einem Fall wirklich die Bibel, weil die uns da behutsam rausholt und es alles hineinstellt in die große Geschichte Gottes. Ja, es gibt all das Schreckliche, aber Gott ist auch noch da, und er hat Wege, auf denen man da rauskommt: erst in Gedanken, und am Ende auch in der Realität. Das ist eine richtige Arbeit des Herzens, bis wir soweit sind, dass wir unsere Lage mit anderen Augen sehen.

Aber es gibt auch Situationen, da kommen wir allein gar nicht gegen an. Zum Beispiel, wenn einer krank ist. Das kann einen so runterziehen, dass man sogar die Bibel liest und man hört die Worte, aber sie sagen einem nichts. Und dann soll man sich Hilfe holen bei den Leuten in der Gemeinde, die richtig fest in Jesus verankert sind. Man soll ihnen sagen: kommt und helft mir! Und dann sollen die kommen, als ganze Gruppe, und dann gibt es hier eine Anleitung, wie die mit vereinten Kräften den Kranken rausholen aus seiner Situation. Die sollen für ihn beten, und damit kommt Gott in die Situation rein. Und sie sollen ihn mit Öl salben „im Namen des Herrn“. Öl war damals ein Allheilmittel für alle möglichen Krankheiten, so wie wir heute Aspirin für alles mögliche nehmen. Man könnte also genauso jemandem eine Tablette geben „im Namen des Herrn“. Es ist für uns Menschen einfach leichter, solche Worte anzunehmen, wenn sie sich mit etwas Materiellen verbinden. So wie es auch irgendwie tiefer geht, wenn man nicht nur fragt: „willst du mich heiraten?“, sondern gleich noch einen Diamantring aus der Tasche zieht.

Das Entscheidende ist nicht das Öl oder das Aspirin, sondern dass es „im Namen des Herrn“ gegeben wird. Aber das ist kein Zauberspruch, es geht nicht um die fünf Buchstaben des Namens „Jesus“ oder die vier Buchstaben des Wortes „Gott“, sonst könnte man das ja auch einem Papagei beibringen. Nein, im Namen ist die Person verborgen. Und wenn man etwas im Namen Jesu tut, dann heißt das: man tut es so, dass dabei etwas von Jesus spürbar wird. Im Namen ist die Erinnerung an Jesus drin, und wenn ich ihn so nenne, dass diese Erinnerung, diese Persönlichkeit Jesu hinter meinen Worten spürbar wird, jedenfalls ein wenig, dann rede ich im Namen Jesu.

Und so kommen diese Leute aus der Gemeinde, die fest in der Wirklichkeit Gottes verankert sind, die überzeugt sind, dass Jesus eine Lösung zeigen wird, dieser Stoßtrupp Gottes, der den Kranken rausholen soll aus seiner Gefangenschaft in dieser ganzen Verzweiflung und Angst, wo die Welt sich auf ein Krankenbett und ein paar kreisende Gedanken reduziert hat, und sie bringen die Alternative zu dem Kranken, ran an seinen Körper, mit Öl, im Namen Jesu, und das heißt: so wie das Öl sich ganz eng und fest an die Haut heftet, so eng soll Jesu mit deinem Leben zusammenkommen, und wenn er drin ist in dieser Situation, dann wird es anders werden. So wie die Psalmen Worte in uns legen, die die Welt anders aussehen lassen, so sieht es anders aus, wenn Jesus mit dabei ist. Manchmal wird man dann wirklich gesund, das gibt es wirklich, manchmal kann man es dann alles besser ertragen, und manchmal kann man eben in Frieden sterben.

Ganz wichtig ist dafür, dass der Kranke die Initiative ergreift und sagt: bitte kommt und holt mich hier raus, ich schaff es nicht allein! Damit stellt er sich schon mal auf die Seite des Lebens und überlässt das nicht den anderen. Es gibt ja Leute, die davon ausgehen, dass die anderen Gedanken lesen können und wissen müssten, wie es ihnen geht. Und sie verstecken sich mit ihrem Problem und hoffen andererseits ganz heftig, dass irgendwer von sich aus und ungebeten zu ihnen kommt und sich um ihr Problem kümmert. Normalerweise passiert das aber nicht, und dann sind sie bitter enttäuscht. Und es gibt andere, die gerade dann, wenn es ihnen schlecht geht, sagen: jetzt bin ich so belastet, da brauche ich Abstand von der Gemeinde. Das ist die verkehrte Welt, dass man auf Abstand geht zu dem Ort, wo einem geholfen werden soll! Deshalb sagt Jakobus: nein, gib ein Signal, dass du Hilfe brauchst. Das ist deine Verantwortung. Du musst so ehrlich sein, zu sagen: ich habe ein Problem, mit dem ich allein nicht zurechtkomme, und ich brauche eure Hilfe, helft mir, Jesus da mit hinein zu bekommen!

Für Jakobus ist die Gemeinde der Ort, wo man Hilfe sucht, wenn es einem schlecht geht. Wo man ehrlich sein kann, wo man sogar erzählen kann von all den Sachen, die man falsch gemacht hat. Sonst überall schweigt man schön still über seine Fehlleistungen, aber die Gemeinde soll so sein, dass man da nicht zu hören bekommt: was hast du da bloß für Mist gemacht! Und wo so eine Schwäche nicht ausgenutzt wird.

Immer wieder will Jakobus dafür sorgen, dass man nicht allein bleibt mit dem, was einen bewegt und niederdrückt. Wo man sich nicht immer weiter im Kreis dreht. Sondern wo man auf eine Spur gesetzt wird, die uns am Ende herausführt aus den ganzen Sorgen. Immer wieder soll Jesus mit hineinkommen, immer wieder soll die Verbindung zu Gott hergestellt werden, weil das der Beginn davon ist, dass alles anders aussieht.