Gott finden, wenn er sich verbirgt

Predigt am 24. September 2006 zum Buch Hiob

Am Ende dieser Reihe darüber, wie Gott zu finden ist, möchte ich etwas sagen über den Gott, der sich verbirgt. Während es bisher darum ging, dass Gott Verbindung aufnehmen möchte zu uns, und dass wir oft viel zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt sind, um auf ihn zu achten; während es bisher darum ging, was wir denn tun können, damit wir offener und aufmerksamer werden für Gott, geht es jetzt um etwas anderes: dass tatsächlich Gott verborgen ist, nicht mehr zugänglich, nicht ansprechbar auch für jemanden, der sonst gewohnt ist, Tag für Tag mit Gott in Kontakt zu sein.

Es geht heute um die Momente, wo sich Dunkelheit ausbreitet in der Seele; die Tage, in denen Freude und Zuversicht wie Fremdworte sind; Zeiten, die wie unter einem dunklen Schatten gelebt werden und wo Gott weit weg zu sein scheint: der Himmel ist verschlossen und Gebete verklingen ohne Echo und ohne Antwort.

Es sind die Zeiten, die oft mit einer Nachricht beginnen, die uns den Atem raubt: wenn das Labor die Untersuchungsergebnisse geschickt hat und der Arzt mit ernstem Gesicht zu einem Gespräch bittet. Und alles, was Sie sich vorgestellt haben über ihr Leben, wie es einmal weitergehen sollte und was Sie noch erleben möchten, das wird auf einmal sehr unwahrscheinlich.

Oder wenn es sehr früh am Morgen klingelt und da zwei Polizisten stehen und fragen, ob sie hereinkommen dürfen, weil sie eine schlechte Nachricht von einem Unfall zu überbringen haben, an dem eine wichtige Person aus Ihrem Leben beteiligt war.

Oder wenn Sie etwas über Ihre Firma hören, was zunächst nur wie ein Gerücht klingt und sich dann immer mehr zur Gewissheit verdichtet, dass Sie an Ihrem Arbeitsplatz nicht mehr lange arbeiten werden.

Aber manchmal kommt es auch nicht von außen, sondern von innen, wenn ein Mensch merkt, wie sich scheinbar ohne äußeren Anlass aus seiner Seele heraus Reif über sein Leben legt und die Welt in düstere Farben getaucht ist.

So oder so ähnlich fühlen sich Ereignisse an, die dazu führen, dass in unserem Leben für längere Zeit die Sonne untergeht und sich Kälte ausbreitet; und Menschen fühlen sich dann manchmal sehr einsam, sehr getrennt von all den anderen Menschen, die scheinbar sorglos durch den Tag gehen und die kleinen Freuden des Alltags erleben. Es sind Zeiten, in denen wir wenig Zugang haben zu den schönen Seiten des Lebens, wo wir innerlich nicht in der Lage sind, uns an ihnen zu erfreuen. Man ist wie abgeschnitten vom Strom des Lebens, egal, ob man die Quelle des Lebens Gott nennt oder irgendwie anders. C. S. Lewis schrieb nach dem Tod seiner Frau: »Geh zu Gott in verzweifelter Not, wenn jede andere Hilfe versagt, was findest du? Eine Tür, die man dir vor der Nase zuschlägt, und von drinnen das Geräusch des Riegels. Danach Stille.« Johannes vom Kreuz, ein spanischer Ordensgründer aus dem 16. Jahrhundert nannte das »die dunkle Nacht der Seele«.

Es gibt einige Schriften in der Bibel, die sehr stark aus dieser Situation der Dunkelheit heraus geschrieben sind: viele Psalmen, die Klagelieder, und ganz besonders das Buch Hiob. Es beginnt so:

Es war ein Mann im Lande Uz, der hieß Hiob. Der war fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und mied das Böse.

Keiner weiß genau, wo das Land Uz liegt. In Kurdistan gibt es heute noch eine Stelle, wo das Grab Hiobs sein soll. Der Mann gehört also nicht zum Volk Israel. Seine Probleme gehören zur ganzen Menschheit. Alle Menschen ringen irgendwann mit der Abwesenheit Gottes, egal, wie sie sie nennen.

Hiob ist ein Gerechter. Er nimmt Gott ernst und hält sich fern vom Bösen. Und die Folge ist, dass er ein gesegnetes Leben hat: er hat viele Kinder, er hat ein großes Vermögen, und in seiner Familie steht alles zum Besten. Wir sollen uns klar sein: das ist das Normale. Wer sich an die Gebote Gottes hält, der wird normalerweise gesegnet. Was wir tun, kommt zu uns zurück. Krumme Wege sind selbstzerstörerisch, aber wenn wir gerade und gerecht leben, dann werden wir gesegnet.

Die eigentliche Geschichte von Hiob beginnt, als das nicht mehr funktioniert. Auf einmal bricht das Unglück über Hiob herein. An einem Tag sterben alle seine Kinder durch einen Hauseinsturz, und am gleichen Tag verliert er sein ganzes Vermögen durch kriegerische Überfälle. Und etwas später bekommt er zusätzlich Geschwüre am ganzen Körper, die entsetzlich jucken, so dass er sich überall blutig kratzt.

Was Hiob nicht weiß, das ist der Hintergrund dieses Unglücks: Gott und der Satan haben einen Disput, und Gott erlaubt Satan, Hiobs Leben zu ruinieren. Hiob weiß das nicht, aber wir bekommen es gesagt, damit wir verstehen: das Leben eines Menschen ist nicht nur das, was wir sehen. Es ist Teil eines viel größeren Konflikts, von dem wir oft nur Teilstücke zu sehen bekommen.

Der Disput zwischen Gott und Satan geht um die Frage: würde Hiob Gott auch dann noch gehorchen, wenn es sich für ihn nicht mehr lohnt? Solange sich ein rechtschaffenes Leben auszahlt, solange man sich Hoffnungen auf den Lohn machen kann, auf der Erde oder im Himmel, solange ist es im eigenen Interesse, an Gott festzuhalten. Aber Satan sagt zu Gott: das ist doch keine Liebe. Hiob liebt dich so, wie ein Kind den Eisverkäufer liebt: es geht ihm gar nicht um dich, sondern nur um das, was er von dir bekommt. Dreh ihm den Segen ab, und du wirst sehen, wie schnell er sich von dir abwendet. Es geht um die Frage: kann ein Mensch im Augenblick tiefsten Leides an Gott festhalten? Im Leid zeigt sich, was wirklich zählt, was echt ist.

Das bedeutet: immer wenn ein Mensch in diese Zeiten voller Dunkelheit und Schrecken hinein gerät, dann geht es im Hintergrund um die Frage: kann ein Mensch gegen allen Augenschein an seinem Vertrauen zu Gott festhalten? Satan ist ein Zyniker, der sich nicht vorstellen kann, dass es das gibt; er will nicht, dass es das gibt, weil jeder Mensch, der auch in der Dunkelheit an Gott festhält, eine Niederlage und eine Beschämung für seinen Zynismus ist.

Hiob weiß davon nichts; mit seinem Unglück und seiner blutenden Haut sucht er sich einen Platz auf der städtischen Müllkippe; er hockt da und wartet darauf, wie es weitergeht.

Und da kommen seine Freunde. Er hat wirkliche Freunde, die ihm jetzt nicht aus dem Weg gehen, sondern ihn besuchen. In der Not erkennt man, wer wirklich zu einem hält. Sieben Tage lang sitzen seine drei Freunde bei Hiob und sagen kein einziges Wort. Es geht Hiob so schlecht, dass sie kein Wort herausbringen. Aber sie bleiben bei ihm. Sie suchen nicht das Weite. Es gibt diese Zeiten, wo das Einzige, das wir für einen Menschen tun können, darin besteht, dass wir bei ihm bleiben und ihn nicht allein lassen, weil dann alles noch schlimmer würde. Wir können uns darauf verlassen, dass Menschen in Zeiten großen Leides sehr sensibel sind für jede Freundlichkeit, dass sie dankbar sind für jedes Zeichen der Solidarität und jede freundliche Geste, die man in anderen Zeiten für selbstverständlich nehmen würde.

Aber wenn wir Anteil nehmen, dann werden wir selbst auch vom Unglück betroffen, das geht nicht einfach an uns vorbei, es dringt dann bis in unser eigenes Herz vor. Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit, Gottes Gegenwart für jemanden, der leidet, erfahrbar zu machen: indem wir bei ihm bleiben und mit ihm zusammen durch diese Zeit hindurchgehen.

Nach sieben Tagen fängt Hiob an zu reden, und es folgt über 29 Kapitel ein Gespräch mit seinen Freunden, in dem Hiob seitenweise seine Bitterkeit ausdrückt. Er spricht von Verwirrung, Trauer und Wut auf Gott und fragt, warum der ihn im Stich gelassen hat. Über viele Seiten klagt Hiob. Das verbindet ihn mit vielen anderen Stellen der Bibel, wo die Menschen in ihrem Gebet über ihr Unglück klagen. In den Psalmen vor allem, und einen dieser Psalmen hat dann Jesus aufgenommen, als er am Kreuz hing und Gott fragte: »mein Gott, warum hast du mich verlassen?«

Die Freunde von Hiob konnten das nicht aushalten und versuchten ihn mit Theorien über das Leid zum Schweigen zu bringen. »Du hast sicher irgendetwas Böses getan, vielleicht hast du nicht genug gebetet, vielleicht steckt in deiner Seele noch irgendwo eine Schuld, die du nicht bekannt hast, vielleicht bist du von deinen Vorfahren her belastet; also kehre um und tu Buße! Und außerdem darf man über Gott nicht so reden, das gehört sich einfach nicht!« Aber davon wird Hiob nur noch wütender, wie einen Menschen in großen Schmerzen manche oberflächlichen Trostworte nur wütend machen können, weil er sich nicht wirklich verstanden fühlt.

Hiob beharrt darauf, dass er Gott anders kennt. Er badet nicht in Selbstmitleid, er macht sich nicht zum Märtyrer, sondern er besteht darauf, dass Gott eine unerklärliche Verhaltensänderung gezeigt hat, und dass Gott ihm diesen Widerspruch erklärt. Das ist ganz wichtig: Hiobs Klage ist sozusagen sauber geblieben, nicht verschmutzt mit irgendwelchen Theorien oder emotionalen Trostpflastern, die uns nur schaden. Hiob bleibt Gott gegenüber echt, er bringt sein Herz so zu Gott, wie es ist, und er bringt seine Klage vor ihn in der Hoffnung, dass Gott sich trotz allem als vertrauenswürdig erweisen möge.

Wenn wir so beten, dann bitten wir damit Gott, unser Herz in einen Zustand zu versetzen, in dem wir wieder seine Gegenwart wahrnehmen künnen. Und Gott wird kommen – aber vielleicht nicht so, wie wir es erwartet haben.

Gott kommt schließlich auch zu Hiob – aber erst in Kapitel 38. Und er scheint auf Hiobs Fragen nicht einzugehen. Stattdessen stellt er ihm jede Menge Gegenfragen. Und er macht damit deutlich, dass Hiob trotz all seiner Weisheit nicht das Ganze der Schöpfung sehen kann.

38,4 Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sage mir’s, wenn du so klug bist! 5 Weißt du, wer ihr das Maß gesetzt hat oder wer über sie die Richtschnur gezogen hat?

Das klingt fast ein bisschen gemein, so als ob Gott Hiob einfach mit seiner Größe fertig macht, so als ob Eltern zu ihren Kindern sagen: ich bin erwachsen und du nicht, basta! Aber in die Rede Gottes mischen sich dann immer mehr ganz andere Töne:

38,25 Wer hat dem Platzregen seine Bahn gebrochen und den Weg dem Blitz und Donner, 26 dass es regnet aufs Land, wo niemand ist, in der Wüste, wo kein Mensch ist, 27 damit Einöde und Wildnis gesättigt werden und das Gras wächst?

Wasser war damals kostbar, das ganze Leben hing vom Regen ab. Niemand verschwendete damals eine Tropfen Wasser. Warum also sollte Gott ein Land bewässern, in dem niemand lebt? Deshalb, weil Gott vor Güte überfließt. Er ist unkontrollierbar großzügig. Er lässt Ströme lebendigen Wassers fließen aus lauter Freude daran. Es gibt eine Wildnis, wo niemand lebt, die keinen Profit bringt, und trotzdem ist sie von Schönheit erfüllt, und Gott freut sich daran, und manchmal reisen wir dorthin und tun es auch.

Warum sollte Gott so viel Unnützes erschaffen? »Sieh dir nur mal das Nilpferd an« sagt Gott etwas später (40,15) zu Hiob. Damals betrachtete man das Nilpferd offensichtlich als eine Art Monster. Aber Gott scheint der Meinung zu sein, als ob er bei seiner Erschaffung einen besonders guten Tag gehabt habe. Er beschreibt ausführlich die Kraft und Wildheit dieses Tieres. Gott machen auch wilde Büffel Freude, die nie einen Pflug ziehen werden; Wildesel, die man nicht zähmen kann; der Adler, der unerreichbar hoch sein Nest baut.

Gott erschafft, versorgt, und erfreut sich an Geschöpfen, die keinen ersichtlichen Nutzen haben. Aber sie sind ein Ausfluss seiner Freude, sie sind ein Zeichen für seine Liebe zur Schönheit und seine Liebe zum Lebendigen. Und er sagt mit all dem zu Hiob: »In meinen Augen ist jedes Leben wert, gelebt zu werden, nicht nur das, das nützlich und gut erscheint. Und ich bin es wert, dass du lebst und mir nachfolgst. Ich bin ein Gott, dem du auch jetzt vertrauen kannst. Gib mich nicht auf, vertraue mir, und vertraue darauf, dass es alles seine Richtigkeit hat, auch wenn du das Ganze jetzt nicht übersiehst. Dein Schmerz wird nicht das letzte Wort sein, auch wenn du es dir jetzt nicht vorstellen kannst. Aber ich bin die Art von Gott, die es wert ist, dass man ihm nahe kommt und für ihn lebt. Nicht nur dann, wenn es Nutzen bringt.«

Hiob bekommt keine direkte Antwort auf seine Frage. So wie wir oft nicht erfahren, wieso in unser Leben die Dunkelheit gekommen ist. Aber Hiob bekommt etwas Besseres: er versteht, wer Gott ist. »Ich kannte dich ja nur vom Hörensagen,« sagt er (42,5), »aber nun hat meine Auge dich gesehen.« Das ist genug. Hiob weiß endlich, wer und wie Gott wirklich ist. Wenn wir wirklich verstehen, wer Gott ist, dann sieht alles anders aus.

Lassen Sie mich enden mit einem Blick auf Jesus, der am Kreuz Gott fragte: »Mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Jesus, der ein Leben lang Gott gekannt hat wie kein anderer, der wird nun wie von einer dunklen Hand von Gott getrennt. Und er versteht es nicht, warum das so ist, aber er richtet seine Klage genau an den Gott, den er nicht mehr versteht. Und so stirbt er – ohne Antwort. Die Antwort kommt erst drei Tage später, als Gott Jesus auferweckt. Aber Jesus hat gezeigt, wie man richtig lebt und wie man schlimmstenfalls auch in der Gottesfinsternis stirbt: im Vertrauen, dass Gott das ganze Gewebe übersieht, wo wir nur ein paar Fäden in der Hand halten. Im Vertrauen auf Gottes Charakter, zu dessen Grundzügen die Liebe zum Leben und die Freude an der Schönheit gehören.

Bei Hiob kann man es ahnen, bei Jesus ist es ganz deutlich: auch wenn der Himmel verschlossen ist und nichts von Gott zu erkennen ist, das bedeutet nicht, dass wir allein sind oder dass Gott die Lage aus der Hand geglitten ist. Ohne dass wir es schon sehen könnten, ist Gott dabei, die Dinge auf einen guten Weg zu bringen. Es hat keinen Zweck, das vorzeitig verstehen zu wollen, aber der Tag kommt, wo es auch in unseren Augen alles anders aussehen wird. Bis dahin müssen wir uns daran erinnern lassen, dass er der Gott ist, dessen zentrale Eigenschaft die Freude am Lebendigen ist.