Die Herrlichkeit Gottes (Hesekiel I)

Predigt am 23. Juni 2002 zu Hesekiel 1,1 – 3,15

Am Anfang des Johannesevangeliums heißt es von Jesus: wir sahen seine Herrlichkeit, seine Hoheit, die er vom Vater bekommen hatte. Wir lesen darüber schnell weg, weil wir daran gewöhnt sind, aber es ist eine erstaunliche Stelle. Denn die Herrlichkeit Gottes zu sehen, das ist normalerweise eine lebensgefährliche Angelegenheit. Seine Herrlichkeit ist das glänzende Licht, zu dem niemand Zutritt hat, der Glanz, der jeden überwältigt, der in seine Nähe kommt.

Wenn Johannes von der Herrlichkeit des Gottessohnes spricht, die die Jünger an Jesus wahrgenommen haben, dann kann er damit zwei Dinge meinen:

  • einmal das Ereignis auf dem Berg der Verklärung, als drei Jünger Jesus unverhüllt gesehen haben in seiner göttlichen Herrlichkeit. Da ist für einen Moment sozusagen die Verhüllung weggefallen, und sie haben Jesus in seiner wirklichen Gestalt gesehen, eingehüllt vom göttlichen Lichtglanz. Sie haben gesehen, was wirklich hinter dem Mann aus Nazareth steckt, mit dem sie losgezogen sind.
  • es kann aber auch gemeint sein, dass schon im alltäglichen Umgang mit Jesus soviel von ihm erkennbar wurde, dass sie das als Herrlichkeit bezeichnen. Als Petrus den riesigen Fischfang macht und versteht, dass in Jesus mehr sein muss als große Weisheit, da sagt er zu ihm: Geh weg von mir, Herr, ich bin ein sündiger Mensch! Er verstand: ich komme hier der göttlichen Herrlichkeit so nahe, dass es für mich gefährlich wird. Und das merkte er, obwohl Jesus damals äußerlich gesehen ein normaler Mensch war. Das helle Licht in Jesus ließ sich nicht ganz verbergen, sondern drang sozusagen durch alle Ritzen.

Wahrscheinlich ist beides gemeint: die Jünger nahmen an Jesus die Herrlichkeit Gottes wahr, in einigen Momenten ganz unmittelbar, und sonst die Ausstrahlung dieser Herrlichkeit, die sich auch in der menschlichen Gestalt nicht verbergen konnte.

Jesus hat die Herrlichkeit Gottes sozusagen umgewandelt in ein menschliches Leben, er hat sie übersetzt in ein Menschenleben, das formal und äußerlich gesehen ein Leben wie viele andere Leben auch ist, aber trotzdem ging von ihm das Licht der göttlichen Herrlichkeit aus.

Die Jünger wussten von dieser göttlichen Herrlichkeit aus den Schriften des Alten Testaments. Da sind immer wieder Begegnungen mit Gott festgehalten, in denen Menschen etwas von seiner Herrlichkeit erlebt haben. z.B. das Volk Israel am Sinai, Mose, Elia, der Prophet Jeremia – sie alle sind der göttlichen Herrlichkeit begegnet. Und für sie alle war das mit Erschrecken verbunden, mit einem Ausnahmezustand. Es ist immer so: wenn Gott oder ein Bote Gottes Menschen direkt begegnet, dann sagen sie nicht: ach, da bist du ja endlich! Sondern sie erschrecken, sie werden geblendet von einem hellen Glanz. Deswegen sagen auch die Engel, wenn sie zu einem Menschen kommen, zuerst: fürchte dich nicht! z.B. in der Weihnachtsgeschichte bei den Hirten.

Wir verstehen das dann so, als ob die Engel sagen: fürchtet euch nicht vor all den Gefahren in der Welt, wir passen ja auf euch auf! Aber in Wirklichkeit sind die Engel selbst der Grund, weshalb Menschen in Furcht geraten, und deshalb ist es so nötig, dass sie zuerst sagen: »fürchtet euch nicht«, bevor der himmlische Lichtglanz in seiner Fülle über dem Feld von Bethlehem erscheint.

In den Kreis der Menschen, die eine Begegnung mit der göttlichen Herrlichkeit erlebt haben, gehört auch der Prophet Hesekiel (oder Ezechiel). Er gehörte zu den Menschen, die im Jahre 597 vor Christus aus Israel nach Babylon verschleppt worden sind. Das war noch nicht die eigentliche babylonische Gefangenschaft, sondern ein Vorspiel dazu. Jerusalem gab es noch, es sollte erst 10 Jahre später erobert und zerstört werden. Und dieser Hesekiel hat dort im fremden Land, an einem der Bewässerungskanäle in der Flussoase zwischen Euphrat und Tigris, ein einschneidendes Erlebnis:

1,1-3 Im dreißigsten Jahr, am 5. Tag des 4. Monats, das ist im fünften Jahr, nachdem man König Jojachin in die Verbannung geführt hatte, erging das Wort des HERRN zum erstenmal an Ezechiël, den Sohn des Priesters Busi. Dies geschah in Babylonien am Fluss Kebar. Damals legte der HERR seine Hand auf Ezechiël und nahm ihn in seinen Dienst. Ezechiël berichtet:

Ich lebte unter den Verbannten aus Juda am Fluss Kebar. An jenem Tag öffnete sich der Himmel, und ich hatte eine Vision. 4 Ich sah, wie der Sturm eine mächtige Wolke von Norden herantrieb; sie war von einem hellen Schein umgeben, und Blitze zuckten aus ihr. Die Wolke brach auf, und aus ihrem Inneren leuchtete ein helles Licht, wie der Glanz von gleißendem Gold. 5 In dem Licht sah ich vier Gestalten, die wie Menschen aussahen, 6-12 doch hatte jede von ihnen vier Flügel. Sie hatten Menschenbeine mit Hufen wie Stiere, und ihr ganzer Körper funkelte wie blankes Metall. Unter den Flügeln sah ich vier Menschenarme, je einen Arm unter einem Flügel. Mit zwei von ihren Flügeln bedeckten sie ihren Leib, die beiden anderen hatten sie ausgespannt, und mit den Enden der ausgespannten Flügel berührten sie sich gegenseitig. Jede der geflügelten Gestalten hatte vier Gesichter: vorne das Gesicht eines Menschen, rechts das Gesicht eines Löwen, links das Gesicht eines Stiers und hinten das Gesicht eines Adlers. Sie konnten sich in alle vier Richtungen bewegen, ohne sich umzuwenden. Sie gingen, wohin der Geist Gottes sie trieb.

13 Zwischen den geflügelten Gestalten war etwas, das wie ein Kohlenfeuer aussah, und etwas wie Fackeln zuckte zwischen den Gestalten hin und her. Das Feuer leuchtete hell, und aus dem Feuer kamen Blitze. 14 Die Gestalten liefen hin und her, dass es aussah wie Blitze. 15 Als ich genauer hinsah, erblickte ich neben jeder der vier Gestalten ein Rad, das den Boden berührte. 16 Alle Räder waren gleich groß und funkelten wie Edelsteine. In jedes Rad war ein zweites Rad im rechten Winkel eingefügt, 17 so dass es nach allen vier Richtungen laufen konnte, ohne vorher gedreht zu werden. 18 Die Räder waren riesengroß, und ihre Felgen waren ringsum mit funkelnden Augen bedeckt – ein furchterregender Anblick. 19 Wenn sich die geflügelten Gestalten fortbewegten, dann bewegten sich auch die Räder mit ihnen, und wenn sich die Gestalten von der Erde erhoben, hoben sich auch die Räder von der Erde. 20-21 Ein Geist und ein Wille beherrschte alle vier. Wohin sie auch gingen, die Räder gingen mit, denn sie wurden von den Gestalten gelenkt. Ganz gleich, ob die geflügelten Gestalten sich bewegten oder stillstanden oder sich von der Erde erhoben – die Räder taten dasselbe.

22 Über den Köpfen der vier Gestalten sah ich etwas wie eine feste Platte, von der ein schreckenerregender Glanz ausging wie von einem Kristall. Sie ruhte auf den Köpfen der Gestalten. 23 Unter der Platte hielten die Gestalten je zwei ihrer Flügel ausgespannt, mit deren Enden sie sich gegenseitig berührten; mit den beiden anderen Flügeln bedeckten sie ihren Leib. 24-25 Ich hörte das Rauschen der Flügel: es dröhnte wie die Brandung des Meeres, wie ein Heerlager, wie die Donnerstimme des allmächtigen Gottes. Wenn sie stillstanden und ihre Flügel sinken ließen, hörte es nicht auf zu dröhnen, denn auch über der Platte rauschte es laut.

26 Auf der Platte aber stand etwas, das aussah wie ein Thron aus blauem Edelstein, und darauf war eine Gestalt zu erkennen, die einem Menschen glich. 27 Oberhalb der Stelle, wo beim Menschen die Hüften sind, sah ich etwas, das wie helles Gold aussah, umgeben von Feuerflammen, und unterhalb etwas wie loderndes Feuer. Die ganze Gestalt war von einem Lichtkranz umgeben, 28a der wie ein Regenbogen aussah, der nach dem Regen in den Wolken erscheint. So zeigte sich mir der HERR in seiner strahlenden Herrlichkeit. 28b Als ich diese Erscheinung sah, stürzte ich zu Boden. Darauf hörte ich jemand reden,

2,1 der sagte zu mir: »Du Mensch, steh auf! Ich habe dir etwas zu sagen.« 2 Da kam Geist in mich und stellte mich auf die Füße. Dann hörte ich ihn zu mir sagen: 3 »Du Mensch, ich sende dich zu den Leuten von Israel. Sie sind ein widerspenstiges Volk, das sich gegen mich auflehnt. So haben es schon ihre Vorfahren getan, und sie selbst sind nicht besser. Auch zu den anderen Völkern sende ich dich, 4 aber vor allem zu diesem frechen und trotzigen Volk. Du sollst zu ihnen sagen: ‚So spricht der Herr, der mächtige Gott …‘. 5 Auch wenn sie widerspenstig bleiben und nicht auf dich hören – sie sollen wenigstens wissen, dass es einen Propheten bei ihnen gibt. 6 Du Mensch, hab keine Angst vor ihnen und ihren Spottreden! Du wirst unter ihnen leben wie unter Skorpionen, wie mitten im Dorngestrüpp. Aber du brauchst dich nicht vor ihnen zu fürchten. 7 Sag ihnen die Worte, die ich dir auftrage, ganz gleich, ob sie auf dich hören oder nicht. Du weißt ja, sie sind ein widerspenstiges Volk.

8 Du selbst aber, du Mensch, höre, was ich dir zu sagen habe: Sei nicht trotzig wie dieses widerspenstige Volk! Mach deinen Mund auf und iß, was ich dir gebe!« 9 Ich schaute auf und sah vor mir eine ausgestreckte Hand, die eine Buchrolle hielt. 10 Als die Rolle geöffnet wurde, sah ich, dass sie auf beiden Seiten mit Klagen, Seufzern und Verzweiflungsschreien vollgeschrieben war.

3,1 Er sagte zu mir: »Du Mensch, nimm diese Buchrolle und iß sie auf! Dann geh und sprich zu den Leuten von Israel!« 2 Ich öffnete den Mund, und er gab mir die Rolle zu essen. 3 Er sagte: »Du Mensch, verspeise diese Buchrolle, die ich dir gebe! Fülle deinen Magen damit!« Da aß ich die Rolle; in meinem Mund war sie süß wie Honig.

4 Weiter sagte er zu mir: »Du Mensch, geh nun zu den Leuten von Israel und verkünde ihnen die Worte, die ich dir sage. 5 Ich sende dich nicht zu einem fremden Volk mit einer unverständlichen Sprache, sondern zu deinem eigenen, dem Volk Israel. 6 Wenn ich dich zu fremden Völkern schicken würde, deren Sprache du nicht verstehst – sie würden auf dich hören. 7 Aber die Leute von Israel werden nicht auf dich hören, denn sie wollen nicht auf mich hören! Sie alle haben eine eiserne Stirn und ein steinernes Herz. 8 Aber ich mache dich ebenso hart wie sie! Ich mache deine Stirn so eisern wie die ihre, 9 noch härter als Feuerstein, so hart wie Diamant. Sie sind ein widerspenstiges Volk, aber erschrick nicht vor ihnen, lass dir von ihnen keine Angst einjagen!«

10 Weiter sagte er zu mir: »Du Mensch, hör gut zu und merke dir alle Worte, die ich dir sage. 11 Dann geh zu den Verbannten aus deinem Volk und sag zu ihnen: ‚So spricht der Herr, der mächtige Gott …‘ Kümmere dich nicht darum, ob sie darauf hören oder sich abwenden.«

12 Dann nahm der Geist des HERRN mich weg. Hinter mir hörte ich den donnernden Ruf: »Gepriesen sei die Herrlichkeit des HERRN in ihrer himmlischen Wohnung!« 13 Der Ruf war begleitet von einem mächtigen Getöse: dem Rauschen der ausgespannten Flügel der vier Gestalten und dem Dröhnen der rollenden Räder. 14 Der Geist führte mich weg, und ich ging meinen Weg verstört und sehr erregt; die Hand des HERRN lag schwer auf mir. 15 So kam ich zurück zu den Verbannten, die in Tel Abib am Fluss Kebar lebten. Sieben Tage lang saß ich dort starr und regungslos.

Wenn ein Mensch der Herrlichkeit Gottes begegnet, dann wirft ihn das zu Boden. Er ist wie tot. Es überwältigt uns, Gott in seiner ganzen Größe zu begegnen. Im Paradies war das kein Problem, da ging Gott im Garten spazieren und unterhielt sich mit Adam und Eva. Er war da nicht weniger hoheitsvoll als hier bei Hesekiel, aber Adam und Eva erschreckte das nicht. Sie hatten keine Furcht vor Gott. Furcht stellte sich erst ein, als sie sich von Gott abgewandt hatten. Da war das Verhältnis so gestört, dass der Stärkeunterschied zu Gott für Menschen bedrohlich wurde.

Man kann sich das so klarmachen: wenn Sie einem Menschen begegnen, der einen Kopf größer ist als Sie, breit gebaut, mit solchen Muskeln, ein einziges Kraftpaket, bekommen Sie dann Angst? Vermutlich ja, wenn Sie ihm nachts in einer dunklen Straße begegnen. Aber stellen Sie sich vor, dieser Mann ist ein guter Freund von Ihnen. Wenn Sie ihm dann begegnen, dann macht Ihnen das nichts aus, auch nicht nachts in einer dunklen Straße. Im Gegenteil, wenn Sie dem nachts in einer dunklen Straße begegnen, dann sagen Sie: ein Glück, dass ich dich getroffen habe, jetzt brauche ich keine Sorge mehr zu haben, dass mir einer was tut, jetzt habe ich einen Beschützer!

Was ich damit sagen will, ist: wenn wir einer großen Macht begegnen, dann wirkt das oft bedrohlich auf uns, aber nur dann, wenn wir diese Macht nicht kennen. Wenn wir uns mit ihr gut stehen, dann ist es kein Problem. Und so war der Unterschied zwischen dem mächtigen, starken und großen Gott und den kleinen Menschen kein Problem, solange das Verhältnis stimmte. Aber in dem Moment, wo Menschen sich von Gott abwandten, da wurde auch der Unterschied in der Kraft zum Problem.

Gott auf seinem feurigen Thron, getragen von vier mächtigen Engeln, Feuer ist sein Kennzeichen, Blitze, Hochspannung ist um ihn herum – er ist derselbe wie im Paradies, nur die Menschen sind inzwischen anders und können diese Begegnung nicht mehr verkraften. Wir sagen so schnell: sei hier bei uns, Herr, sei unter uns. Wir können von Glück sagen, dass Gott das richtig versteht und sich uns sonst nur in abgemilderter Form nähert, weil wir das anders gar nicht verkraften könnten.

Und auch der Priestersohn Hesekiel, der – so können wir durchaus annehmen – das Gesetz einhält und in seinem Leben noch nie etwas Unreines gegessen hat, auch er stürzt zu Boden. Hinterher wird er sieben Tage brauchen, bis er wieder richtig zu sich kommt. Er wird niedergeworfen von der Kraft dieser Begegnung. Und dann heißt es: »Da kam Geist in mich und stellte mich auf die Füße.« Das bedeutet, nicht Hesekiel erholt sich wieder und kann sich dann doch hinstellen. Nein, in der Gegenwart Gottes muss Gott selber, sein Geist, Hesekiel die Kraft zum Stehen geben. Jetzt übernimmt sozusagen jemand anders die Kontrolle, damit Gott überhaupt mit Hesekiel reden kann. Weil in der Gegenwart Gottes kein Mensch bestehen kann, deshalb muss auch auf der menschlichen Seite Gott die Regie übernehmen.

Und dann redet er zu Hesekiel mitten im fremden, unreinen Land, in das er verschleppt worden ist. Bis dahin wohnte Gott im Tempel von Jerusalem. Und wer weit weg von Israel war, der war fern von Gott. Jetzt ändert sich etwas. Hesekiel lebt in einer Zeit des Übergangs. Das alte, der Tempel, ist noch da, aber die neue Art, wie Gott auf der Erde sein wird, die zeichnet sich schon langsam ab. Mitten im Elend, in der Verbannung, zeigt es sich, dass das Volk nicht ohne Gott ist. Als 125 Jahre vorher das Nordreich Israel von den Assyrern zerstört wurde, da verschwanden die verschleppten Menschen im Dunkel der Geschichte. Gott war nicht mit ihnen gegangen, er blieb in Jerusalem. Aber jetzt schickt Gott sich an, auf neue Weise bei seinem Volk zu sein, auch ohne Tempel und Allerheiligstes. Auch wenn man den Tempel später noch einmal wieder aufgebaut hat, er hat nie wieder seine alte Bedeutung bekommen.

Aber jetzt ist Gott gekommen, um Hesekiel im fremden Land zu beauftragen. Er gibt ihm eine Schriftrolle mit einer Botschaft. Eine Schriftrolle, voll mit »Klagen, Seufzern und Verzweiflungsschreien«. So voll, dass sogar die Rückseite damit vollgeschrieben ist. Es sind keine angenehmen Dinge, die Hesekiel verkünden soll. Wer heute das Buch Hesekiel liest, der liest seitenweise Ankündigungen von Unglück, Gericht und Untergang. Hesekiel redet immer wieder vom kommenden Untergang und der Zerstörung Jerusalems. Es sind nur noch fünf Jahre, bis es soweit ist, aber die Menschen wollen es nicht glauben. Wenn sie in letzter Minute noch umgekehrt wären, hätte es noch eine Zukunft für sie in Israel gegeben, aber Gott sah, dass die geistliche Substanz so aufgebraucht war, dass eine Umkehr nicht mehr möglich war. Und so ist die Botschaft, die er Hesekiel aufträgt, eine Botschaft voll Schmerzen und Verzweiflung. Später muss Hesekiel stöhnen und niedergedrückt sein unter der Last des kommenden Unglücks, das er wahrnimmt, als ob es schon da wäre. Er wird seine geliebte Frau verlieren, als Zeichen für das Unglück, das kommen wird. Er wird körperlich hineingezogen in das kommende Unheil.

Deswegen bekommt er ganz am Anfang diese Schriftrolle, auf der schon alles steht, und es wird ihm gesagt: sträube dich nicht! Sperre dich nicht, wie die andern aus deinem Volk! Wenn wir uns gegen so etwas sperren, dann werden wir daran zerbrechen. Es gibt Zeiten, da können wir nicht gegenhalten, da können wir nur ertragen. Und Hesekiel tut, was er tun soll, er isst die Schriftrolle auf, er nimmt das Unglück ganz in sich auf – und es wird in seinem Mund süß.

Auch wenn Gottes Worte Unheil und Unglück bedeuten, es sind Gottes Worte, und wenn wir sie in uns aufnehmen, dann bleibt dies am Ende bestehen, dass es gut für uns ist, seine Worte zu kennen und zu sprechen. Wer sich verschließt, der zerbricht daran, aber wer sich öffnet, für den wird das Wort »süß«, gut.

Hesekiel selbst aber wird von Gott hart gemacht. Er soll hart bleiben und sich nicht einschüchtern lassen von all denen, die seine Botschaft nicht hören wollen. Eine eiserne Stirn bekommt er, und es wird ihm mehrfach gesagt: rede, egal, ob sie es hören wollen oder nicht! Und dann ist es vorbei, der Lärm verklingt, und Hesekiel geht verstört und erregt zurück zu den anderen.

Verstehen Sie, was Gott durch Jesus für uns getan hat? Wir sind geschaffen für die Gegenwart Gottes, aber wir können genau die nicht mehr ertragen. Genau das, wonach sich jede Faser unseres Herzens sehnt, die Heimat, die wir nie vergessen haben, genau das ist uns unerreichbar, weil die Gegenwart Gottes uns vernichten würde. Das war unser unauflösliches Dilemma. Nur die abgeblasste Gegenwart Gottes im Tempelritual war für die Menschen gerade noch erträglich. Im Allerheiligsten wohnte Gott, wo nur einmal im Jahr der Hohepriester hineinkam. Mehr von Gottes Gegenwart hätte die Menschen getötet.

Aber nun hat Gott seine Hoheit und Herrlichkeit übersetzt in einen Menschen, dem wir nahekommen können. Kein Wunder, dass viele Menschen Gott darin nicht wiedererkannt haben. Aber trotzdem hat in Jesus die ganze Herrlichkeit Gottes gewohnt, er war keine gekürzte Volksausgabe, sondern die ganze Fülle Gottes. Im Hebräerbrief (12,29) heißt es: »Auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.« Da ist nichts reduziert oder weniger geworden. Aber Jesus hat uns einen Weg geöffnet, wie wir zurückkommen können in die Gegenwart Gottes, die wir so sehr vermissen. Er hat dafür gesorgt, dass Gottes Größe nicht bedrohlich sein muss, weil wir durch ihn mit Gott befreundet und Gottes Kinder sind. Er verändert uns so, dass wir diese Nähe besser ertragen können. Und der Geist, der Hesekiel aufgerichtet hat, der gibt auch uns das Leben, das wir brauchen, um in der Nähe Gottes leben zu können.