Freude und Befreiung

Predigt am 25. Dezember 2007 (Christfest I) zu Galater 4,4-7

4,4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, 4,5 damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. 4,6 Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! 4,7 So bist du nun nicht mehr Sklave, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

Gott hat Jesus gesandt, weil er freie Menschen wollte. Menschen, die aufrecht durchs Leben gehen, Menschen mit Rückgrat und Souveränität. Gott liebt freie Menschen. Deshalb war ein großer Teil von dem, was Jesus tat, Befreiung. Er trieb böse Geister aus, die sich in Menschen breit gemacht hatten, er befreite seine Jünger von der Ehrfurcht vor frommen Traditionen, er befreite seine Zuhörer von ihrer Hoffnungslosigkeit, er befreite Menschen von der Bedrückung durch körperliche Krankheiten und Behinderungen. Er befreite Menschen von den Sorgen, die sie nicht schlafen ließen. Am Ende, bei seiner Auferstehung, befreite er alle, die an ihn glauben, von der Todesangst.

Um Jesus herum herrschte die Freude an der Freiheit. Eine Freude, die immer dann entsteht, wenn Menschen Lasten und Gewichte von den Schultern fallen und sie überhaupt erst merken, wie sehr sie von denen niedergedrückt waren. Denn Unfreiheit, Unterdrückung und Angst nehmen Menschen die Freude am Leben, und stattdessen zieht Bedrückung ein.

Wir alle wissen, was das für eine Atmosphäre gibt, wenn Menschen unter Bedrückung leben: bedrückt von einer aussichtslos vorkommenden Lebenssituation, oder eingeschüchtert von Psychoterror und Mobbing, gehetzt von ihren Terminen, zermürbt von Krankheiten und Schmerzen, durch Schulden wie gelähmt oder durch politische Unterdrückung zu dauernder Vorsicht verurteilt. Frauen, die von ihren Männern so lange eingeschüchtert und entmutigt wurden, bis sie sich am Ende gar nichts mehr zutrauen, weil sie Angst haben, irgendeinen Fehler zu machen. Männer, die von ihren Frauen so zermürbt worden sind, dass sie alles Vertrauen in ihre Kraft verloren haben. In so einer Atmosphäre können Menschen nicht aufblühen, sie können sich nicht unbefangen freuen, dauernd wird ihnen Kraft und Energie entzogen. Menschen verlieren das Gefühl für ihre Würde und ihren Wert.

Und wenn die äußere Unterdrückung weicht, dann können Menschen das manchmal gar nicht richtig glauben, so sehr haben sie sich an das Leben in Unfreiheit gewöhnt, dass sie erst wieder lernen müssen, als freie Menschen zu leben.

Ich habe mal ein Bild gesehen von einer Wasserschildkröte, die sich als junges Tier in einem Plastikring verfangen hatte. Der war genau in der Mitte um ihren Panzer gerutscht. Dann war die Schildkröte gewachsen, aber der Ring hatte sie immer stärker eingeschnürt. Als man sie fing, hatte sie vorne und hinten ihre normale Größe, aber in der Mitte behielt sie eine Wespentaille. Ich weiß nicht, ob Sie sich das vorstellen können, es sah wirklich ganz merkwürdig aus.

Als man sie gefangen hatte, da hat man natürlich den Ring durchgeschnitten und die Schildkröte befreit. Aber, was passiert dann? Klappt dann die Schildkröte einfach auseinander und hat auf einmal ihre normale Gestalt? Nein, natürlich nicht! Der knöcherne Panzer, der so lange zusammengedrückt worden ist, der hat diese Form angenommen. Vielleicht dehnt er sich im Laufe der Zeit ein bisschen aus, besonders, weil das Tier noch nicht ausgewachsen war, aber auf jeden Fall ist nicht gleich alles wieder gut. Dieser jahrelange Druck hat Spuren hinterlassen.

Und so ging es auch den Christen in Galatien, an die Paulus hier schreibt. Als er mit dem Evangelium zu ihnen kam, da waren sie so froh und dankbar, sie waren endlich die Furcht vor den Göttern und Mächten los, die sie bis dahin verehrt hatten, sie hätten aus Dankbarkeit alles für Paulus getan. Aber als die erste große Freude vorüber war, und Paulus war inzwischen weitergereist, da schlichen sich langsam doch wieder die alten Ängste ein, die gewohnte Unfreiheit kam heimlich zurück. Und Paulus schreibt ihnen diesen Brief, damit sie sich erinnern: Jesus ist der Befreier, und jetzt lasst euch nicht Schritt für Schritt wieder in die alten Mechanismen der Unfreiheit zurückholen!

Und er erklärt es ihnen noch einmal: früher, da wart ihr die Sklaven der großen Mächte, die diese Welt kontrollieren. Aber das war doch vorbei! Ihr habt Jesus kennengelernt, und sein Geist wohnt in euren Herzen, und deshalb seid ihr nicht mehr Sklaven der Mächte, sondern Söhne Gottes!

Wir müssen für einen Augenblick mal die wörtliche Übersetzung nehmen und sagen Söhne Gottes statt Kinder Gottes, auch wenn dann die Töchter fehlen. Natürlich sind da genauso die Frauen gemeint, aber wenn man »Kinder Gottes« übersetzt, um Frauen und Männer da gleich zu behandeln, dann hat man den unerwünschten Nebeneffekt, dass wir bei »Kindern« schnell an kleine, unmündige Wesen mit einem harmlosen, kindlichen Herzen denken. Gemeint sind an dieser Stelle aber die erwachsenen Söhne und Töchter Gottes. Das Bild ist nicht das unbeschwert spielende, fröhliche Kleinkind, sondern es geht um die erwachsenen Söhne und Töchter, denen der Vater Stück für Stück die Vollmacht über das Erbe anvertraut, obwohl er noch lebt und nicht vor hat, so schnell zu sterben.

Der biblische Gegenbegriff zum Sklaven ist nicht der Freie, sondern der Sohn. Das ist ein wichtiger Unterschied, weil im Bild des Sohnes oder der Tochter immer dies mitschwingt, dass da ein Vater ist, von dem die erwachsenen Kinder das Erbe übernehmen. Das biblische Ideal ist nicht der Freie, der mit niemandem verbunden ist und unabhängig durchs Leben geht. Wer von nichts und niemandem abhängig ist, der wird ganz schnell ein Sklave seiner eigenen Launen. Und dann wird es nicht lange dauern, bis er seine Freiheit verliert und irgendeinem neuen Unterdrücker zufällt. Das hat Jesus genial geschildert in der Geschichte vom verlorenen Sohn, der mit einem Haufen Geld völlig frei in die Welt zieht und als hungernder Schweinehirte endet.

Nein, dieses biblische Bild vom Vater und dem Sohn bedeutet so etwas wie den Eigentümer eines großen Betriebes, und sein Sohn hat bisher woanders gearbeitet und hat gelernt, und jetzt kommt er zurück, und der Vater geht mit ihm durch den Betrieb und zeigt ihm alles und sagt ihm: das wird eines Tages dein Betrieb sein, er wird dir gehören, und du wirst dafür verantwortlich sein. Deshalb brauchst du dich hier von niemandem mehr rumkommandieren zu lassen, du bist der Juniorpartner. Du hast jederzeit Zutritt zu mir, du bekommst meine Geheimnummer, damit du mich immer anrufen kannst, wenn du willst. Und ich bin gespannt, was du für Ideen hast und wie du überhaupt über die Firma denkst – wenn dir was aufgefallen ist, wenn dir was einfällt, dann ruf mich einfach an oder komm vorbei, ich freue mich darauf, mit dir zu reden. Dafür habe ich immer Zeit!

Vielleicht weiß mancher von uns, wie schwierig das manchmal sein kann, an den Chef selbst ranzukommen, und wie oft man in irgendwelchen Vorzimmern abgefertigt wird. Und wie angenehm es ist, wenn man den direkten Draht hat und einfach durchgewinkt wird, wo andere Schlange stehen und warten müssen. So war es bei Jesus, der hatte immer Zutritt bei Gott. Und jetzt nimmt er uns mit und sagt zu Gott: Hier, ich möchte dir meine Freunde vorstellen! Und Gott sagt: wenn es deine Freunde sind, dann sind sie mir genauso willkommen wie du!

Der Betrieb, in dem wir so empfangen werden, das ist die Welt. Gott gibt uns besondere Rechte in der Welt. Wir sind gemeinsam mit Jesus die künftigen Erben, die schon jetzt Autorität ausstrahlen. Und die anderen merken das. Wenn Christen diese Freiheit auch praktizieren, dann fallen sie auf. Manche regen sich darüber auf, andere finden das anziehend, aber es wird registriert. Wenn Christen sich z.B. um verlassene Kinder kümmern (ein Problem, das allen Sorgen macht und wo sich doch kaum einer wirklich einsetzt), dann sind sofort die Medien da. Einfach, weil das aus der Sicht der andern etwas Sensationelles ist. Obwohl es eigentlich etwas christlich selbstverständliches ist. Wenn wir bloß noch ein paar mehr reife und mit Haut und Haar engagierte Christen hätten, wir könnten noch ganz andere Dinge auf die Beine stellen.

Zu viele Christen tragen noch die Spuren der Unterdrückung an sich, so wie diese Schildkröte immer noch die Spuren des Plastikringes trug. Deswegen braucht es ganz intensive Erinnerung, so wie auch Paulus das damals den Galatern von neuem in Erinnerung rufen musste: Wir können mit hocherhobenem Haupt durch die Welt gehen. Wir sind hier zu Hause. Selbst wenn es manchmal so aussieht, als ob überall die kleinen Zaunkönige das Sagen haben. Selbst wenn wir manchmal das Gefühl haben: wie sollen wir gegen diese ganzen anonymen Mächte ankommen, und wie sollen wir erst Menschen davon befreien, die sich so sehr in der Unterdrückung eingerichtet haben? Aber die Verbindung zum Chef steht, wir haben die Nummer, wir können mit ihm die Lage besprechen. Schritt für Schritt muss die Unterdrückung weichen. Deshalb betont Paulus so sehr, dass Gottes Geist in unserem Herzen wohnt und uns lehrt, richtig zu beten. Das ist die Geheimnummer, der direkte Zugang zum Chef, zum Vater.

Wer diese Sicht hat, geht ganz anders durch die Welt. Die Freunde Jesu lassen sich nicht mehr einschüchtern. Sie lassen sich nicht mehr in die unterdrückerische, neurotische Kultur integrieren, die an so vielen Stellen herrscht, und in der so viele mit Haut und Haar drinstecken. Aber, Freunde, nicht mit uns!

Das muss man richtig lernen. Das kommt nicht automatisch, sondern Schritt für Schritt, und ein entscheidender Faktor dabei ist die Frage, ob wir das verstehen und ob wir das aktiv wollen. Ob wir das auch gemeinsam mit anderen wollen, weil natürlich der entscheidende Beschleunigungsfaktor die Kommunikation mit anderen Christen ist. Christen sind eine Lerngemeinschaft, wo wir gemeinsam herausfinden, wie wir in der neuen Freiheit leben können, die Jesus uns verliehen hat. Eine Gemeinschaft, in der wir uns darauf aufmerksam machen, wo wir noch die Spuren der Unfreiheit in unserem Herzen tragen, und uns gegenseitig helfen, davon loszukommen. Das geht nicht ohne den Einsatz von Zeit und Arbeit und Gedanken. Denken Sie an Maria: um die Mutter Jesu zu werden, musste sie nur »Ja« sagen. Aber als er dann da war, da hat er ihr viel Arbeit gemacht, wie jedes Kind es tut. Auch Jesus hat seine Mutter nachts aus dem Schlaf geholt und hat ihr Sorgen gemacht, wenn er Bauchweh hatte oder als er Zähne bekam. Aber das war es wert.

Und so ist es auch alle Zeit und Energie wert, die es braucht, um die neue Freiheit zu erlernen und einzuüben und zu verteidigen. Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn. Es ist Zeit, dass er auch bei uns ankommt. Dass wir die Sklavengesinnung verlieren und gemeinsam mit unserem Vater im Himmel die Verantwortung für diese Erde übernehmen.